Die Medienfreiheit in der Türkei wird auch in der Schweiz verteidigt
Die Solidarität aus der Schweiz mit den Medienschaffenden in der Türkei könnte grösser sein, zumal die Regierung sehr wohl registriert, wenn man ihr auf die Finger schaut. Öffentliche Kritik ist bitter nötig. Denn wer in der Türkei nicht auf Regierungslinie berichtet, läuft jederzeit Gefahr, mit seiner Freiheit und Unabhängigkeit zu bezahlen für seine Arbeit.
Unlängst erzählte mir ein Kollege aus der Türkei, sein Name stehe nicht mehr im Impressum der Zeitung, obwohl er noch immer eine leitende Position inne hat. Die Anzeigen und Verfahren gegen ihn wegen Beiträgen, Aufmachern oder Titeln häuften sich. Die Redaktion beschloss als Schutzmassnahme seinen Namen aus dem Impressum zu streichen. Ausserdem soll der Posten der Redaktionsleitung in kurzen Abständen wechseln. So hängt die Verantwortung nicht an einer Person, wenn die Polizei anklopft. Trotz der schwierigen Umstände, sagt der Kollege, hat er bislang nicht mit dem Gedanken gespielt, seinen Beruf als Journalist aufzugeben. Ihn beschäftigt aber:
«In der Türkei können wir kaum mehr Debatten auslösen. Vieles wird im Keim erstickt. Welche anderen Wege gibt es?»
JournalistInnen in der Türkei ringen um ihren Beruf. Laut dem Stockholm Center for Freedom, eine Menschenrechtsorganisationen gegründet von JournalistInnen mit Fokus auf die Türkei, sind derzeit 190*1 Medienschaffende inhaftiert, 139 werden von der Polizei gesucht und 55 wurden verurteilt. Seit dem versuchten Militärputsch im Juli 2016 herrscht offiziell noch immer Ausnahmezustand im Land. Die Medienfreiheit hatte sich in den Jahren davor sukzessive verschlechtert. Heute ist sie am Tiefpunkt. Die Medienkonzentration im Land ist zudem dramatisch vorangeschritten. Kürzlich wurde der Doğan-Konzern, ein Medienunternehmen zu dem Zeitungen, TV-Sender, eine Nachrichtenagentur sowie ein Buchverlag gehören, an einen regierungsnahen Unternehmer verkauft. Das Aushängeschild des Medienkonzerns war die Tageszeitung Hürriyet, einer der meistgelesenen Blätter in der Türkei. Kritik an der Regierung übte das Blatt zwar nur leise, war aber nie auf Regierungslinie. Zudem erreichte das Blatt eine durchmischte Leserschaft aus unterschiedlichen politischen Lagern.
Die noch wenigen unabhängigen Nachrichtenportale und Zeitungen kämpfen um ihre Finanzierung. In den vergangenen Jahren haben regierungskritische JournalistInnen diverse unabhängige Nachrichtenportale in Leben gerufen. Diese Angebote drohen zu verschwinden. Das türkische Parlament hat kürzlich ein Gesetzesentwurf verabschiedet. Demnach wird man künftig unter anderem für publizistische Inhalte im Internet eine Lizenz der staatlichen Regulierungsbehörde brauchen.
Barış İnce von der linksliberalen Tageszeitung BirGün sagt, bei fast jedem kritischen Beitrag werden jetzt schon umgehend Verfahren eingeleitet. «Entweder gibt es eine Geldbusse oder es wird Untersuchungshaft angeordnet», sagt er. Zwei Mitglieder der Redaktionsleitung von BirGün seien für eine Woche in Haft gewesen. Sie kamen unter der Bedingung frei, sich täglich bei der Polizei zu melden. Ein anderer Kollege wurde, wie so häufig, wegen «Unterstützung terroristischer Organisationen» inhaftiert. Bei Twitter wurde er versehentlich zu einer Liste hinzugefügt, die eine Verbindung zu einer Hacker-Gruppe aufwies. «Er hatte nicht einmal über die Angelegenheit berichtet», sagt Barış. Inzwischen ist der Kollege frei. Das Verfahren gegen ihn läuft aber noch. Es gibt ein paar wenige prominente Fälle inhaftierter JournalistInnen in der Türkei, die international für Aufsehen sorgen. Der Grossteil sind KollegInnen wie jene von BirGün, die höchstens versteckt in der Gesamtzahl aller in der Türkei inhaftierten JournalistInnen in hiesigen Medien auftauchen.
Welche Formen der Unterstützung gibt es für die KollegInnen in der Türkei? «Mit öffentlichen Veranstaltungen in Europa, je nach Möglichkeit auch mit Präsenz vor Ort, können wir Zeichen der Solidarität setzten», sagt Bettina Büsser, zuständig für die Deutschschweiz der Schweizer Sektion von Reporter Ohne Grenzen (ROG).
«Auch kann man Briefe an Inhaftierte KollegInnen schreiben.» Bettina Büsser
Die Schweizer Sektion von ROG ist klein. Auf die prekäre Situation in der Türkei macht sie bei vereinzelten Veranstaltungen und mit diversen Petitionen aufmerksam. Doch eine starke Präsenz als Beobachter vor Ort oder grosse Solidaritätsaktionen wie es ROG Deutschland organisiert, übersteigen die Möglichkeiten der Schweizer Sektion. «Generell findet ROG in der Schweiz öffentlich leider wenig Aufmerksamkeit. Solange wir uns auf der Liste der Pressefreiheit nicht dramatisch nach unten bewegen», sagt Büsser.
Markus Spillmann, ehemaliger NZZ-Chefredaktor und Vizepräsident des International Press Institute (IPI), war als Vertreter und Beobachter bei Anhörungen zum Cumhuriyet-Prozess immer wieder in der Türkei. Spillmann ist überzeugt: Die Präsenz als Beobachter vor Ort ist wirksam. «Den einen spendet man Mut, den anderen gibt man zu verstehen: wir lassen euch nicht gewähren.» Das IPI sei 2014 noch vom Staatschef persönlich, dem Justizminister und Vertretern der Regierungspartei empfangen worden. Ein Jahr darauf seien bloss noch Gespräche mit der Opposition möglich gewesen.
«Dass Regierungsvertreter kein Interesse an Gesprächen mit dem IPI haben, zeigt: die internationale Präsenz stört sie. Sie wollen dieses Problem loshaben.» Markus Spillman, IPI
Nachdem vermehrt auch ausländische JournalistInnen ins Fadenkreuz der türkischen Regierung gerieten, ist die internationale Aufmerksamkeit auf die Mediensituation in der Türkei gewachsen. «So hart das klingt: Sind eigene KollegInnen oder solche aus Nachbarländern betroffen, wird das Problem real und somit stärker wahrgenommen», sagt Bettina Büsser.
Markus Spillmann sagt, die Solidarität mit den KollegInnen in der Türkei könnte in der Schweiz grösser ausfallen:
«Gemessen an den trotz allem sehr guten Bedingungen im hiesigen Journalismus ist das Engagement beschämend.» Markus Spillmann
Durch das IPI ist er mit diversen Ländern in Kontakt. In Skandinavien etwa seien Berufsverbände, Verleger und auch einzelne Titel sehr aktiv, ebenso in den USA und in einigen Staaten Asiens – die teilweise selbst mit schwierigen Bedingungen kämpfen. «Fühlt man sich zu diesem Berufsstand zugehörig, sollte man sich auch für die Mission Pressefreiheit stark machen», sagt Spillmann.
Kommt die Unterstützung aus Europa denn in der Türkei an? «Die Solidarität der europäischen Zivilgesellschaft ist gross. Sie erreicht uns», sagt Barış İnce. Auch von den Regierungen europäischer Staaten würden sie Unterstützung erfahren. Unter den oppositionellen JournalistInnen, sagt Barış, ist allerdings der Eindruck entstanden, dass die Solidarität europäischer Regierungen stärker ausfällt, wenn ihr Verhältnis mit dem türkischen Präsidenten grad nicht zum Besten steht: «Entspannt sich das Verhältnis, geht die Solidarität seitens der Regierungen gerne vergessen.»
Einen wichtigen Beitrag können Barış zufolge auch westliche Medien leisten, indem sie mehr über die Mediensituation in der Türkei und die Verfahren gegen JournalistInnen berichten. Hierzu könne man etwa mit türkischen JournalistInnen vor Ort arbeiten. İnce findet es wichtig, dass diese Stimmen in westlichen Medien präsent sind: «In der Türkei existiert eine breite Basis, die demokratische Werte vertritt, und für diese kämpft. In Europa erfahren die Menschen zu wenig über diese andere Türkei.»