von Journalismus Y

«Was uns antreibt, ist der Umgang mit Steuergeld»

Weil niemand ihre Recherche zur «Medienförderung» via staatlicher Inserate veröffentlichen wollte, gründete eine Gruppe österreichischer Medienschaffender die Plattform «Dossier». Seit der Gründung vor fünf Jahren ist «Dossier» zu einer zwölfköpfige Investigativ-Redaktion herangewachsen, die sich hauptsächlich mit Korruption und anderer problematischer Ver(sch)wendung öffentlicher Gelder beschäftigt. Journalismus Y hat für die Medienwoche «Dossier» in Wien besucht.

Sahel Zarinfard (29) ist Mitgründerin und Redakteurin bei Dossier. Sie leitet dort die «Dossier Academy», das sind zweitägige Journalismus-Workshops, die zehn bis zwölf Mal im Jahr für angehende, aber auch etablierte Journalistinnen und Journalisten stattfinden und in denen es um investigative Recherche, Datenjournalismus und Digital Storytelling geht. Nachfolgend das redigierte Transkript unseres Gesprächs mit Sahel Zarinfard.

JOURNALISMUS Y:

Ich hab mal gehört, in Österreich kann man gar nicht Investigativjournalist werden, wenn man nicht mindestens ein Mal bei euch im Recherche-Workshop war. Stimmt das?

Sahel Zarinfard:

Witzig, von wem hast du das gehört? Wir machen das jetzt seit vier Jahren und es hat sich mittlerweile etwas etabliert und rumgesprochen, dass man in diesen zwei Tagen zumindest einen Einblick bekommt in das Handwerkszeug einer Investigativjournalistin. Wir bekommen relativ gutes Feedback, was uns angespornt weiterzumachen und es nicht nur in Wien sondern auch in fast allen Bundesländern anzubieten. Wir waren damit sogar schon ein Mal in der Schweiz, in Zürich und auch in Italien. Wir versuchen so weit wie möglich rauszukommen aus dem eigenen Biotop und neue Leute kennenzulernen, die bei Dossier anfangen möchten und mit uns gemeinsam Projekte umsetzen.

JOURNALISMUS Y:

Ihr habt euch zusammengeschlossen, um selbstständig investigativen Journalismus zu machen – ausgerechnet diesen Bereich des Journalismus, der sich ökonomisch selten rechnet – warum habt ihr euch entschieden, genau das zu machen?

Sahel Zarinfard:

Also noch bevor es die Idee zur Gründung von Dossier gab, gab es eine konkrete Idee für eine Recherche. Wir wollten eigentlich gar kein Medium gründen, sondern wir wollten eine Recherche umsetzen und das Thema war, wie viel öffentliches Geld in der Tageszeitungen «heute», die eine Gratiszeitung ist, ausgegeben wird. Wir haben die zuständige Stadtregierung danach gefragt und als Antwort bekommen, dass es «wirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist, diese Summe zu erheben». Das hat uns noch mehr motiviert, der Sache auf den Grund zu gehen und uns dieser Summe so weit wie möglich anzunähern. Also waren wir den ganzen Sommer 2012 in der Nationalbibliothek und haben uns sämtliche Ausgaben der «heute» ausgeben lassen und die Inserate händisch gezählt. So kamen wir auf eine Summe von 15’700 € pro Tag, die mit Steuergeldern für Inserate ausgegeben werden. Als wir diese Summe hatten und die Recherche fertig war und die Geschichten geschrieben waren, haben wir diese anderen Medien zur Veröffentlichung angeboten. Und jetzt muss man wissen, dass öffentliche Inserate in allen Zeitungen geschaltet werden und alle Zeitungen zu einem guten Teil durch diese finanziert werden und dass kaum jemand darauf verzichten kann. Das war wohl auch einer der Gründe warum unsere Recherche in keinem Medium Platz gefunden hat und wir dadurch gezwungen waren, eine eigene Website aufzustellen. Diese haben wir Dossier genannt. Daraus ist dann die Idee entstanden, investigativen Journalismus mit dem datenjournalistischen Ansatz in Österreich als eigenständige Redaktion zu etablieren und nicht ein angehängtes Ressort bei einem Medium zu sein.

JOURNALISMUS Y:

Jetzt kann man davon ausgehen, dass ihr keine Inserate von der öffentlichen Hand bekommt – wie finanziert ihr euch?

Sahel Zarinfard:

Es war eine ganz bewusste Entscheidung, kein öffentliches Geld anzunehmen nicht nur aufgrund der Erstrecherche sondern auch aus dem Glauben heraus, dass investigativer Journalismus unabhängig sein muss und das garantieren können muss, deshalb nehmen wir keine Inserate, keine Werbung, kein öffentliches Geld. Das heisst wir mussten nach der Gründung erstmals darüber nachdenken, wie sich investigativer Journalismus überhaupt finanzieren lässt. Wie könnte ein Businessplan aussehen und wie finanziert man unabhängigen Journalismus. Dieser Prozess hat ein Jahr gedauert und seither haben wir ein Finanzierungsmodell, das auf drei Beinen steht Ein Standbein sind die Medienkooperationen, die wir eingehen. Das heisst wir bieten anderen Medien Geschichten und Rechercheideen an und setzen sie dann entweder alleine oder mit den Kollegen von diesem Medium um, bereiten es auf und veröffentlichen es in beiden Medien. Oder wir nehmen Auftragsarbeiten an, so wie zum Beispiel vom Privatsender Puls4. Da gibt es eine Sendung, die heisst «Bist du deppert?» wo es um «Steuergeldverschwendung und andere Frechheiten» – so lautet der Untertitel – geht. Wir recherchieren Fälle von Steuergeldverschwendung auf Bundes- und Landesebene und Comedians bereiten diese Recherchen dann komödiantisch auf. Das ist ein Standbein. Das zweite ist die Dossier Academy – dieses Weiterbildungsangebot, wo sich angehende und etablierte Journalistinnen und Journalisten bewerben können und zweitägige Kurse besuchen und so investigative Recherche, Daten- und Video-Journalismus und Multimedia lernen. Das dritte und für uns wichtigste Standbein sind unsere Mitgliedschaften. Man kann bei Dossier Mitglied werden und unabhängigen Journalismus fördern.

JOURNALISMUS Y:

Wie viele Leute seid ihr?

Sahel Zarinfard:

Als wir vor fünfeinhalb Jahren angefangen haben, waren wir zu fünft im Kernteam. In den letzten Jahren sind wir angewachsen auf zwölf Redakteurinnen und Redakteure, wobei fünf angestellt sind und die restlichen auf Werkvertragsbasis projektbezogen mitarbeiten. Das Ziel ist natürlich schon, so viele wie möglich auch fix anzustellen und Räumlichkeiten zu haben, wo wir fixe Arbeitsplätze anbieten können. Aber Einnahmen und Ausgaben haben sich in den fünf Jahren natürlich stetig erhöht, vor allem durch die Auftragsarbeiten und Medienkooperationen und durch die Projekte, die wir umgesetzt haben, können wir mittlerweile ein fixes Einkommen für die Festangestellten finanzieren und auch faire Löhne für unseren freien Mitarbeiter garantieren, die natürlich nach dem Kollektivvertrag für JournalistInnen ausbezahlt werden.

JOURNALISMUS Y:

Neben der TV-Sendung – mit welchen Partnern arbeitet ihr sonst noch zusammen?

Sahel Zarinfard:

Es gibt bestimmte Themen, da eignet sich ein bestimmtes Medium. Zum Beispiel haben wir über die Causa Grasser gemeinsam mit dem Falter einen Comicfilm produziert, der «Supernaked» heisst und es war naheliegend, dass wir das mit dem Falter zusammen umsetzen weil dieser zu diesem Thema viel recherchiert und veröffentlicht hat und auch zur Aufklärung beigetragen hat.




Also es gibt bestimmte Themen, wo man gezielt zu einem Medium geht, das schon viel dazu gemacht hat und wir dann einen neuen Ansatz oder eine neue Idee einbringen und fragen, ob wir nicht zusammenarbeiten möchten. Es gibt aber auch Medien, die sich an uns wenden, manchmal auch ohne konkrete Idee, aber mit dem Wunsch, etwas mit uns zu machen und der Frage, ob uns etwas einfällt. Die Auftragsarbeiten funktionieren so, dass sich Produktionsfirmen oder Zeitungsredaktionen bei uns melden und sagen, «wir hätten gern zu diesem Thema diese konkrete Recherche, könnt ihr das leisten oder nicht?»

JOURNALISMUS Y:

Die etablierten Medien – wenn man von der Inserate-Recherche absieht, wo sie selbst betroffen waren – sollten ja eigentlich selbst investigativ recherchieren. Reicht das nicht, oder warum braucht es zusätzlich noch euch? Wie steht’s um den investigativen Journalismus in Österreich?

Sahel Zarinfard:

Davon gibt’s sicher nicht zu wenig – es gibt viele Investigativjournalistinnen und Journalisten in Österreich, in fast jedem Medium jemanden. Das Besondere an Dossier ist, dass wir ein eingespieltes Team von fünf bis zwölf Leuten sind, die auch wissen, welche Daten und Archive, welche investigativen Handgriffe es gibt, um auf ein bestimmtes Thema zu kommen oder ein Thema umfassend aufzuarbeiten. Ich glaube deshalb ist es so interessant, mit uns in Kontakt zu treten, weil es bei uns eine Redaktion gibt, die weiss, was sie macht. Es wäre um ein vielfaches kostspieliger, würde man das, was wir machen, hausintern produzieren lassen, weil unsere Recherche ja auch mal mehrere Monate dauern können.

JOURNALISMUS Y:

In einem Projekt habt ihr viele Asylheime besucht und den Zustand inspiziert.

Sahel Zarinfard:

Genau, wir nennen das Projekt «Dossier Asyl». Dafür waren wir im Sommer 2013 für drei Monate in drei Bundesländern, in Niederösterreich, in Salzburg und im Burgenland, und haben uns dort sämtliche Asylheime, die es gibt, angeschaut vor Ort und untersucht. Wir sind der Frage nachgegangen, wie werden Asylsuchende in Österreich untergebracht? Und zwar nicht nur, was die Unterbringung an sich angeht, sondern wie ist es um deren Verpflegung oder der Auszahlung des Taschengelds bestellt. Oder wie ist der persönliche Umgang des Betreibers oder der Betreiberin mit den Asylsuchenden. Im Vorfeld haben wir gemeinsam mit NGO-MitarbeiterInnen und Asylanwälten einen neunseitigen Kriterienkatalog entwickelt, um zu wissen, worauf wir achten sollten. Diesen Fragebogen haben wir gemeinsam mit den Asylsuchenden ausgefüllt – ich bin gebürtige Iranerin und kann deshalb Farsi und zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Asylsuchenden auf Afghanistan und dort spricht man Dari, welches mit dem Farsi sehr nah verwandt ist, weshalb die Sprachbarriere sehr niedrig war. Hinterher haben wir mit Fotos und Videos dokumentiert, was wir gesehen haben. Das Ergebnis war, dass es in rund einem Drittel der Asylheime mangelhafte und teilweise wirklich desaströse Zustände gibt. Die Heime sind in keinem guten Zustand. In einem Drittel haben wir Schimmel in den Sanitäranlagen gefunden – teilweise auch in den Schlafräumen. Die Möbel waren defekt, die Küche war teils nicht instand. Wobei man natürlich dazu sagen muss, dass die Zustände in den anderen zwei Dritteln ganz ok waren, wobei wiederum im obersten Drittel die Dinge gut liefen, was aber oft die Heime waren, die von NGOs betrieben wurden. Man konnte schon erkennen, dass es da, wo Private am Werk waren, die keine sozialarbeiterischen Manieren und das nötige Fachwissen hatten, nicht so gut funktionierte. Da gab es Betreuer, die machten das zum Teil einfach wegen dem Profit, was grundsätzlich ok ist, wenn man damit sein Geld verdienen will, solange man garantieren kann, dass das Geld dafür ausgegeben wird, wozu es bestimmt ist, nämlich zur Verpflegung und Unterbringung der Asylsuchenden.

JOURNALISMUS Y:

Das ist anwaltschaftlicher Journalismus, der jenen eine Stimme gibt, die sonst keine hätten. Ist das Teil eurer Philosophie?

Sahel Zarinfard:

Ja, es ist Teil davon. Es ist die Rolle von Medien und einzelnen Journalisten, dass sie dort sind, wo es Missstände gibt. Und das ist halt bei jenen Menschen, die keine Lobby oder die nötige Stimmgewalt haben, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Wir behandeln aber auch Themen, wo es eine starke Lobby gibt. So haben wir uns auch stark mit dem Glücksspiel beschäftigt, wo es mächtige Player gibt. Was uns antreibt, ist der Umgang mit Steuergeld, mit öffentlichem Geld und das Aufdecken von Missständen und Korruption in der Verwaltung. Das müssen nicht immer schutzbedürftige Menschen sein, aber die spielen in diesem Kontext des Aufdeckens natürlich eine Rolle.

JOURNALISMUS Y:

Ist im Nachgang zur Asylrecherche noch etwas geschehen?

Sahel Zarinfard:

Ja, so wurde in Niederösterreich der Intervall der Kontrollen erhöht. Vorher waren sie alle sechs Monate, seither finden sie vier Mal im Jahr statt. Das war eine Reaktion, die man direkt auf die Recherche zurückführen kann. Es gab noch andere Dinge, wobei ich da vorsichtig bin und nicht behaupten möchte, dass das nur wegen uns war, weil ich unseren Journalismus viel weniger als Aktivismus sehe, sondern ich glaube, dass investigativer Journalismus darauf ausgerichtet sein sollte, Missstände aufzudecken. Was dann damit passiert, liegt dann nicht mehr in der Macht der Medien, sondern da müssen andere Kräfte wirken – kommen diese aus der Politik oder von NGOs oder aus der Zivilgesellschaft oder Rechtsanwälten, die sich aufgerufen fühlen, etwas zu unternehmen. Ich sehe meine Rolle eher darin, Dinge aufzuzeigen, statt sie anzuzeigen.

JOURNALISMUS Y:

Ihr sucht auch nach neuen Darstellungsformen. Du hast den Comic zur Causa Grasser angesprochen: Wie ist die Idee dazu entstanden?

Sahel Zarinfard:

Die Idee kam von Falter-Chefredakteur Florian Klenk, diese hatte er schon seit vier Jahren. Er wollte die Causa Grasser neu erzählen. Damals sah es danach aus, dass es wirklich zu einem Prozess kommen würde. Wir waren bemüht, eine Darstellungsform zu finden, wo man diese mittlerweile sieben- oder achtjährige Ermittlungsdauer in knapper, kurzer Unterhaltungsform darstellen kann und für jedermann und -frau zugänglich machen kann, die vielleicht nicht während der ganzen Zeit jedes Detail mitverfolgt haben. Wir wollten einen Überblick geben darüber, was überhaupt passiert ist, worum es ging und was auf dem Spiel stand. Das waren die recherche-leitenden Fragen. Wir hatten dann die Idee, das als Comic, als «animated graphic novel» und haben dann einen New Yorker Comickünstler gefunden, der begeistert war, das zu machen. Es war für ihn neu, etwas Politisches zu machen. Wenn man sich diese ganze Causa anschaut, sind da ja auch recht lustige Sachen passiert: die Schwiegermutter, die auf einmal involviert war in irgendwelche Zahlungen oder die Konten in Lichtenstein und ein Fahrer, der Bargeld mit dem Auto über die Grenze bringt. Es hatte für uns so etwas 70er-Jahre-Krimi-mässiges und so sind wir auf diese Darstellungsform gekommen und haben dann auch die Musik dementsprechend ausgewählt und das auch in so einem Stil erzählt, der sagt «da gibt es diese eingeschworene Gruppe von vier, fünf Männern und die haben einen Masterplan» und wir zeichnen diesen nach und halten uns natürlich an die Fakten, legen aber auch im Nachgang offen, an welchen Punkten wir die Fiktion gegenüber den Fakten etwas mehr haben spielen lassen, damit das Storytelling runder ist. Es gibt beispielsweise eine Szene, wo nach dem abgeschlossenen Deal alle auf einer Dachterrasse feiern. Vielleicht hat sich das in der Tat so zugetragen, wahrscheinlich aber nicht, das haben wir uns einfach so vorgestellt, dass sie das so zelebriert haben. In einem Artikel Fakt vs. Fiktion haben wir dies alles transparent gemacht.

JOURNALISMUS Y:

Der Film ist auf Englisch gemacht – wieso das?

Sahel Zarinfard:

Dahinter stand der Gedanke, dass wir das Thema einem grösseren Publikum zugänglich machen wollten und weil wir uns dachten, dass, falls es zu einem Prozess kommen sollte – der Film war darauf angelegt, kurz vor dem ersten Prozesstag veröffentlicht zu werden – dass sich auch ausländische Medien dafür interessieren. Der zweite Gedanke war, dass wir mit der ungewöhnlichen Darstellungsform zeigen können, dass es auch in Österreich Redaktionen gibt, die sich mit innovativen Darstellungsformen beschäftigen.

JOURNALISMUS Y:

Ist es gelungen, hat sich der Comic gut verbreitet?

Sahel Zarinfard:

Wir hatten viel Feedback. Nach der Veröffentlichung hat sich ein dänisches Medium bei uns gemeldet und hatte gleich die nächste Rechercheidee. Es kamen sehr viele Rückmeldungen zur Darstellungsform, auch viele Filmemacher haben sich bei uns gemeldet.

JOURNALISMUS Y:

Für alle, die den Fall nicht so genau mitverfolgen – hab ich das richtig verstanden? Es ist noch nicht zum Prozess gekommen?

Sahel Zarinfard:

Doch, der erste Prozesstag war am 12. Dezember 2017 und wir haben ein paar Tage davor den Film veröffentlicht, wobei dieser zu diesem Zeitpunkt bereits drei oder vier Jahre alt war. In dieser Zeit gab es immer wieder Ankündigungen, dass der Prozess beginnt und wir waren immer wieder in Aufregung und haben alles angepasst – mehrmals, weil sich die Faktenlage immer wieder verändert hat. Als es dann tatsächlich so weit war, trauten wir den Ankündigungen kaum noch. Deshalb mussten wir letztendlich alles innerhalb von vier, fünf Tagen noch auf Kurs bringen. Aber es hat geklappt und wir waren überglücklich.

JOURNALISMUS Y:

Die Schweiz und Österreich haben ja eine ähnliche Ausgangslage, beides kleine Länder, die medial stark nach Deutschland schauen, aber es gibt wenig Austausch. Wie würdest du einem Schweizer den Zustand der österreichischen Medien beschreiben?

Sahel Zarinfard:

Über österreichische Medien zu sprechen, heisst vor allem, über die Finanzierung von Medien zu sprechen. Es war kein Zufall, dass wir uns dem Thema Inserate als erstes angenommen haben, sondern das war ganz bewusst. Österreichische Medien werden zu einem grossen Teil durch öffentliche Mittel finanziert. Welche Auswirkungen das auf die Berichterstattung haben kann, kann man an einigen Medien recht offensichtlich erkennen; bei anderen Medien erst, wenn man einen tieferen Einblick bekommt, wenn man lernt, über welche Themen nicht berichtet wird.

JOURNALISMUS Y:

In der Schweiz spricht man nach «No Billag» über staatliche Presseförderung und viele sagen, das sei der einzige Ausweg aus der Medienkrise. Du siehst das kritisch – führt das in Österreich zu Hofberichterstattung oder wie muss man sich das vorstellen?

Sahel Zarinfard:

Bei uns gibt es auch eine offizielle Presseförderung. Die ist aber zu unterscheiden von den Rundfunkgebühren, die es bei uns auch gibt und die den öffentlich-rechtlichen ORF finanzieren. Es gibt aber auch eine Förderung der Printmedien. Das sind rund neun Millionen Euro pro Jahr. Doch im Vergleich dazu: Die öffentliche Hand hat in den letzten fünf Jahren in sämtlichen Printmedien Inserate für 900 Millionen Euro gekauft. Dieses Ungleichgewicht ist gravierend. Während die Presseförderungen nach klaren Kriterien vergeben wird, die auch an Qualitätsanforderungen geknüpft sind, werden die Inserate allein nach der Reichweite vergeben. In beiden Fällen kommt das Geld aber aus öffentlichen Mitteln. Also müsste man eigentlich in beiden Fällen auf die Qualität achten, das wird aber nicht gemacht. Dieses Ungleichgewicht zwischen der offiziellen und der inoffiziellen Presseförderung ist ausschlaggebend. Eine Forscherin und ein Forscher von der Universität Innsbruck haben sich im Vorfeld der Nationalratswahlen 2008 untersucht, wie sich die Berichterstattung in Relation zu den Ausgaben der Parteien für Werbung in den einzelnen Medien verhalten. Dabei haben sie gesehen, dass jene zwei Parteien, die am meisten Inserate geschalten haben – die SPÖ und die FPÖ – auch am meisten in der Berichterstattung erwähnt wurden und die Berichte waren positiv konnotiert.

JOURNALISMUS Y:

Vielleicht zur Klärung: In der Schweiz erhalten die Parteien kaum Geld vom Staat. Ist das in Österreich anders?

Sahel Zarinfard:

Parteien erhalten eine Parteienförderung aus öffentlichem Geld, aber klar, sie finanzieren sich auch aus anderen Quellen wie Mitgliedschaften oder Unternehmungen, die sie führen.

Anmerkung der Redaktion: Die Parteien schalten die Inserate oft nicht im Namen der Partei, sondern des Ministeriums, dem die Partei vorsteht. Zum Beispiel:

JOURNALISMUS Y:

Ein weiterer Aspekt, den die Schweiz und Österreich unterscheidet ist, dass es in Österreich kein Öffentlichkeitsgesetz gibt, das amtliche Dokumente grundsätzlich als öffentlich einstuft, ausser eine Behörde kann begründen, weshalb etwas geheim bleiben soll. Das macht die Arbeit für euch Investigativjournalisten bestimmt schwerer?

Sahel Zarinfard:

In Österreich gibt es in der Tat kein Informationsfreiheitsgesetz wie es das in Deutschland gibt. Es gibt zwei, drei Initiativen, die sich seit Jahren dafür einsetzen – unter anderem auch wir von Dossier. Wir haben Ende letztes Jahr ein Paper veröffentlicht zu «Fünf Jahren Transparenzpaket». Dieses Paket regelt auf Gesetzesebene, welche Sachen öffentlich sind, unter anderem seit 2012 auch die Ausgaben der öffentlichen Hand in Parteimedien, deshalb weiss man nun auch über diese Summe der knapp 900 Millionen Bescheid. Vorher wusste man das einfach nicht. Es gibt ein Auskunftspflichtgesetz, das aber eigentlich nur auf dem Papier existiert. Denn sollte es andere Gründe geben, weshalb dieses Gesetz nicht angewandt werden kann, beispielsweise der Datenschutz, was ja ein Klassiker ist, oder das Amtsgeheimnis, was in fast jedem Fall zutrifft, hat man einfach keinen Zugriff auf diese Daten.

JOURNALISMUS Y:

Und wie geht ihr damit um?

Sahel Zarinfard:

In jenen Fällen, wo wir glauben, im Recht zu sein und mit rechtliche Beratung zum Schluss kommen, dass etwas ungerechtfertigt ist, legen wir Beschwerde ein. Aktuell sind wir mit einer Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht und versuchen an eine Information zu kommen, die öffentlich sein sollte. Es geht um eine öffentliche Schule, von der wir wissen wollten, wie viele Schüler dort angemeldet sind. Die Antwort war, dass dies dem Datenschutz des Schuldirektors unterliegt – eigentlich total abwegig, aber mich würde es nicht überraschen, wenn auch das Bundesverwaltungsgericht dies bestätigt.

JOURNALISMUS Y:

Wow, das ist ja absurd.

Sahel Zarinfard:

Ja, das gehört zum österreichischen Journalismus irgendwie dazu. Deshalb wollten wir den investigativen Journalismus ja auch als eigenständige Redaktion etablieren, weil ich ja nicht nur in meinem eigenen beruflichen Alltag, sondern auch im Gespräch mit anderen Kolleginnen und Kollegen oft höre, dass wir Journalist/innen ja nur als Bittsteller an öffentlichen Stellen fungieren. Dass wir um Informationen bitten müssen, statt es der Öffentlichkeit einfach zusteht, das zu wissen. So ist leider die Kultur.

JOURNALISMUS Y:

Jetzt haben wir viel über die Missstände geredet. Was würdest du dir für die österreichischen Medien wünschen für die nächsten fünf Jahre?

Sahel Zarinfard:

Ich würde mir wünschen, dass die Presseförderung grundlegend reformiert wird. Dass dieses inoffizielle Vergeben der Inserate in dieser Höhe nach hanebüchenen Kriterien aufhört. Wenn man dieses Geld wirklich für Medien ausgeben möchte, und das möchte man offenbar, warum investiert man dieses Geld nicht in die offizielle Presseförderung, die ja nach Qualitätskriterien vergeben werden. Mit dem Zusatz, dass es schön wäre, wenn man auch Online-Medien in die Presseförderung hineinnehmen würde, weil gefördert wird bisher nur Print und das würde ja dann eventuell auch zur Aufwertung der Online-Medien beitragen und diesen ermöglichen, als eigenständige Redaktion zu funktionieren und sich finanzieren zu können.