«Im Silicon Valley gibt es einen blinden Fleck bezüglich Privatsphäre»
Rebecca MacKinnon arbeitete als CNN-Korrespondentin in Peking und Tokio. Heute engagiert sie sich gegen die Privatisierung des Internets. Als Mitherausgeberin des «Corporate Accountability Index» zeigt MacKinnon Jahr für Jahr die Versäumnisse auf der Industrie-Giganten bei Datenschutz und Transparenz. Als Vorstandsmitglied des «Committee to Protect Journalists» setzt sie sich zudem für die Medienfreiheit ein.
MEDIENWOCHE:
Waren Sie überrascht, als in den letzten Jahren publik wurde, wie Cambridge Analytica Daten von Dutzenden Millionen Facebook-Nutzern missbrauchte, um Wahlen und Abstimmungen in den USA, in Kenia und wahrscheinlich auch in Grossbritannien zu beeinflussen?
Rebecca MacKinnon:
Wir beobachten Facebooks Datenschutzrichtlinien und Transparenz im Umgang mit Nutzerdaten im Rahmen des «Corporate Accountability Index» seit 2015. Im aktuellen Index landet Facebook bezüglich den Optionen, die das Unternehmern den Nutzern bietet, um die Verwertung ihrer Daten zu kontrollieren, auf dem letzten Platz – hinter Baidu und Tencent (beide China, Anm. d. Red.). Der Umfang des Cambridge-Analytica-Skandals hat mich aber trotzdem überrascht.
MEDIENWOCHE:
Wieso?
Rebecca MacKinnon:
Er offenbarte, dass Facebook wie ein Ladenbesitzer handelt, der beim Spazierengehen nicht nur die Türe seines Geschäfts weit offen lässt, sondern auch gleich noch die Schublade der Kasse. Facebook hat zwar über die Zeit die Regeln für die Weitergabe von Daten an Regierungen verschärft, aber im Bereich des kommerziellen Missbrauchs von Daten dachte anscheinend niemand an den potentiellen Schaden, der dadurch angerichtet werden könnte.
MEDIENWOCHE:
Glauben Sie Mark Zuckerberg, dass er sich einen solchen Missbrauch nicht vorstellen konnte?
Rebecca MacKinnon:
Es gab keine Anreize, sich darüber Gedanken zu machen – zumindest nicht bei den Leuten, die das Sagen im Unternehmen haben. Priorität hatten immer die Werbeeinnahmen. Im Silicon Valley gibt es einen blinden Fleck bezüglich der Privatsphäre und eine grundsätzlich messianische Haltung im Sinne von: «Wir sind alles Menschen mit guten Intentionen und unsere Technologie soll die Welt ein wenig besser machen.» Aber das ist komplett irrelevant. Die Frage ist doch vielmehr, wie sicher diese Systeme gebaut sind, damit es zu keinen Missbräuchen kommt?
MEDIENWOCHE:
Kritische Beobachter sagen, Cambridge Analytica war nur die Spitze des Eisbergs. Müssen wir mit weiteren Skandalen rechnen?
Rebecca MacKinnon:
Facebook ist mit über zwei Milliarden Nutzern sicher einzigartig, was seine Grösse betrifft. Wer sich Zugang zu all diesen Nutzern verschafft, erreicht zum Beispiel die meisten amerikanischen Wähler. Doch Facebook ist nur ein Teil einer riesigen Werbeökonomie, die auf persönlichen Daten basiert. Ein Unternehmen, das in den USA oft verteufelt wird – aus guten Gründen, wie ich finde – ist Palantir. Es arbeitet eng mit Geheimdiensten und dem Verteidigungsministerium zusammen, genauso wie mit Finanzdienstleistern und Hedgefonds. Täglich wertet Palantir für komplett unterschiedliche Zwecke Daten aus und erstellt Profile von Bürgern. Daten, die käuflich sind, und zeigen wer wir sind und was wir tun.
MEDIENWOCHE:
Sie haben im Buch «Consent of the Networked» bereits 2012 beschrieben, wie die Freiheit im Internet immer stärker von Regierungen beschnitten wird. Wie sieht es heute aus: Wer bedroht unsere Freiheit stärker – die Regierungen, die gegen freie Meinungsäusserung vorgehen, oder Unternehmen, die den Datenschutz ihrer Nutzer nicht respektieren?
Rebecca MacKinnon:
Das vermischt sich zunehmend. In Demokratien, in denen vieles privatisiert und handelbar gemacht wird, gilt das auch für politische Aktivitäten. Insofern wird auch Werbung politisch und Webplattformen werden zunehmend als politische Waffen eingesetzt. Heute kämpfen wir nicht mehr nur gegen Zensur und Überwachung, sondern auch gegen gezielte Desinformationskampagnen.
MEDIENWOCHE:
Internetaktivisten kämpften jahrelang für ein komplett freies, unreguliertes Internet. Nun werden jedoch auch in zivilgesellschaftlichen Kreisen Stimmen lauter, die für eine Regulierung durch den Staat plädieren. Ist das nicht ein Widerspruch?
Rebecca MacKinnon:
Menschenrechtsaktivistinnen wie ich meinten mit einem freien Internet immer frei im Rahmen der Menschenrechte. Uns geht es um die Durchsetzung von Artikel 19 der Uno-Menschenrechtscharta, dem Recht auf freie Meinungsäusserung. Wir sprachen nie von einem anarchistischen Internet, in dem alles erlaubt ist. Wir brauchen Regeln, denn ohne Governance gibt es keine Menschenrechte. Sonst werden stets diejenigen Leute mit dem meisten Geld und der grössten Macht gewinnen – das ist in der digitalen Welt nicht anders als in der realen Welt. Wenn dort, zum Beispiel in Städten, alle tun könnten, was sie wollten, dann wäre das Leben für viele brutal, grausam und kurz. Zu Beginn des Internets waren viele Aktivisten ein wenig zu optimistisch, dass die menschliche Natur sich im Web anders entfalten würde als sonst.
MEDIENWOCHE:
Wer soll diese Regeln durchsetzen?
Rebecca MacKinnon:
Regierungen müssen die Rechte ihrer Bürger schützen, nur dann werden auch die Unternehmen folgen. Freiwillige Standards sind zwar sicher hilfreich, solange wir noch keine griffigen Gesetze haben, aber sie sind keine Lösung. Regierungen könnten von ICT-Unternehmen zum Beispiel Risikobewertungen für ihre Technologien verlangen, um Missbräuche frühzeitig zu verhindern.
MEDIENWOCHE:
Sie kritisieren auch die Medien als Teil des Problems – speziell hinsichtlich der Monetarisierung von Nutzerdaten. Aber sind die Medien mit ihren Enthüllungen zu Cambridge Analytica und Facebook nicht vielmehr Teil der Lösung?
Rebecca MacKinnon:
Natürlich auch, aber sie müssen ehrlicher sein, wenn es um die Verwertung der Daten ihrer Leser geht. Viele Medienhäuser nutzen eine Vielzahl von Trackern auf ihren Webseiten, die es ihnen erlauben, Nutzerdaten auszuwerten oder an Datenhändler zu verkaufen, damit diese ihre Werbung besser auf Zielgruppen ausrichten können. Kurz nach der Veröffentlichung meines Buches 2012 hielt ich einen Vortrag an der Columbia Journalism School. Ich habe angemahnt, dass Medienhäuser vorsichtig sein sollten, wenn sie mit Facebook und anderen Social Media-Plattformen ins Bett steigen und auf ihren Webseiten allerlei Like-Buttons und ähnliches installieren. Da wurden Leser an bestimmte Plattformen gebunden, ohne dass die Verlage bei Facebook kritisch nachgefragt haben, wie das Unternehmen mit den Leserdaten umgeht.
MEDIENWOCHE:
Und wie war die Reaktion?
Rebecca MacKinnon:
Verhalten. Bei den meisten Verlagen hiess es schlicht: «Wir müssen unseren Anzeigeneinbruch im Print ausgleichen und das ‹targeted advertising› ist der einzige Weg dafür.» Doch damit trugen sie zu einem Geschäftsmodell bei, das mehr und mehr zur existentiellen Bedrohung für die Medien wurde. Denn die Gewinne des webbasierten targeted advertising fielen nicht auf sie zurück, sondern machten Google und Facebook reich.
MEDIENWOCHE:
Wir haben nun viel über die aktuellen Probleme des Internets gesprochen. Gibt es auch Aktionen und Initiativen, die sie zuversichtlich stimmen?
Rebecca MacKinnon:
Es gibt erste Experimente, dass Nutzer selbst zu Akteuren in der Datenökonomie werden. Sie bestimmen dann selbst darüber, welche Daten sie verkaufen wollen und an wen. Zudem würden sie an den Gewinnen daraus beteiligt. Was den Journalismus angeht: Soll dieser auch in Zukunft frei und meinungsstark bleiben und ohne Tracker und Auswertung von Nutzerdaten auskommen, dann müssen diesen in Zukunft vielleicht die Steuerzahler finanzieren.
MEDIENWOCHE:
Eine letzte Frage: Wie schützen Sie persönlich ihre Privatsphäre im Internet?
Rebecca MacKinnon:
Ich poste auf Facebook nur Dinge, die von mir aus auch in einer Zeitung abgedruckt werden könnten. Niemals würde ich jedoch Facebook Messenger für meine Arbeit nutzen, wie es heute viele tun – auch Journalisten. Ich wähle meine Kanäle je nach Art der Kommunikation sehr bewusst; wichtige E-Mails verschlüssle ich. Trotzdem bleibt es schwierig, die Kontrolle über seine Daten zu behalten. Auch ich wäge ständig zwischen Bequemlichkeit und Sicherheit ab. Es ist sicher auch sinnvoll, seine Kommunikationsmittel den persönlichen Risiken im Internet anzupassen. Ein chinesischer Menschenrechtsaktivist sollte andere Kanäle nutzen als eine amerikanische LGBT-Aktivistin. Ein guter Einstieg, um die richtigen Tools für sein Verhalten im Web zu finden, ist sicher die «Surveillance Self-Defense» der Electronic Frontier Foundation.
Unermüdliche Kämpferin für ein freies Internet
Rebecca MacKinnon ist Direktorin von «Ranking Digital Rights» mit Sitz in Washington. Ziel der Organisation ist die Durchsetzung von globalen Standards für Unternehmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) bezüglich der Respektierung von Meinungsäusserungsfreiheit und Datenschutz. Jährlich gibt sie den «Corporate Accountability Index» heraus, in dem 22 der weltweit mächtigsten Internet-, Mobile- und Telekommunikationsfirmen, darunter Facebook, Apple und Twitter, bezüglich Kriterien wie Datenschutz, Sicherheit und Transparenz bewertet werden. MacKinnon ist Mitgründerin der Onlineplattform «Global Voices», auf welcher Blogger, Journalistinnen, Akademiker und Menschenrechtsaktivistinnen aus der ganzen Welt mehrsprachig berichten. Sie ist im Vorstand des «Committee to Protect Journalists», das Verstösse gegen die Pressefreiheit weltweit dokumentiert. Zwichen1998-2004 hat sie als Journalistin für CNN in China und Japan gearbeitet. Das Gespräch wurde Anfang Mai während der re:publica in Berlin geführt.