Anmerkungen zur Newsroom-Debatte: das Mediensystem ist die Botschaft
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Ein Newsroom unter den Bedingungen der Medienproduktion im 21. Jahrhundert ist immer auch eine Informationsfabrik. Der Mensch wird, wie Charlie Chaplin in «Modern Times», zum Teil der Organisation und der Maschinerie. – Ein paar Anmerkungen zur Newsroom-Debatte.
Der «Newsroom» des Schweizer Fernsehens SRF ist einfach eine etwas grössere, technologisch aufgemotzte Redaktionsstube. Das schreibt sinngemäss Alexandra Stark in ihrem Blog «Journalism Reloaded». Und sie hat Recht.
Die Tatsache, dass für die Herstellung von Informationen in Schrift und Bild und Ton, Automaten und künstliche Intelligenz eingesetzt werden, wie Matthias Zehnder in seinem Blog schreibt, – diese Tatsache ändert nichts daran, dass es sich auch dabei um Produkte menschlicher Arbeit mit Bewertungskomponenten handelt. Die Entgegensetzung von Journalismus und maschineller Informationsproduktion geht nicht auf. Die Steuerung der Roboter und der künstlichen Intelligenz mit Algorithmen macht immer (noch) der Mensch.
Die automatisch produzierten News sehen nur aus wie «die reine Wahrheit». Sind sie aber nicht.
Und es gibt auch nicht den «Newsroom an sich». Es geht immer um die Frage, welchen publizistischen Zielen ein solcher Redaktionsraum mit seiner technischen Struktur und seiner Arbeitsorganisation dient. Welchen Dienst diese publizistische Einrichtung also der Medienrepublik leisten soll und tatsächlich leistet. Die Medienrepublik: das sind die gebührenzahlenden Einwohnerinnen und Einwohner.
Ein Rückblick
Ruedi Matter war schon vor 35 Jahren, so ab 1983, ein engagierter Verfechter des «Newsroom»-Konzepts. Ich auch. Mehr noch: Wir waren beide zusammen im Einsatz für den «Newsroom». Man nannte es damals einfach «Redaktionsstudio». Es ging um einen neuen Auftritt der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens DRS, das jetzt SRF heisst. Auf Sendung ging das 1985.
Erich Gysling leitet 1986 eine Sitzung im Redaktionsstudio der Tagesschau.
Wir hatten etwas gegen die «absolute Wahrheit», die sich im gängigen Nachrichtenformat verkörperte. In der sterilen Kabine trat der «neutrale» Sprecher Léon Huber auf als möglichst emotionsloser Verkünder der Wahrheit. Vor dem Bildschirm versammelte sich täglich um halb acht die Fernsehgemeinde, oder schon mittags um halb eins vor einem anderen Sprecher die Radiogemeinde, andächtig schweigend.
15 Jahre nach 1968 war auch im öffentlichen Radio- und Fernsehbetrieb klar geworden, dass Ideologie und Interessenbindungen auch auf die quasi offizielle Nachrichtengebung der SRG ihre Wirkung ausübten. Damit ist nicht das schrecklich vereinfachende Konzept der «fake news» gemeint sondern die einfache Tatsache, dass die professionellen Medienschaffenden wissen müssen, dass sie bei der Berichterstattung Menschen mit einer Haltung und mit Interessen gegenüberstehen, und dass sie selber aus einem bestimmten Blickwinkel heraus Fragen stellen und Berichte erarbeiten.
Das müssen nach Möglichkeit auch die gebührenzahlenden Mitglieder der Medienrepublik wahrnehmen können. Nachrichten werden immer von Menschen gemacht – und es war damals die aufklärerische publizistische Absicht, diese Tatsache mit dem Redaktionsteam im Studio sichtbar zu machen. Es war ein bildhafter Aufruf an die Zuschauenden, mit Vertrauen (wegen der Transparenz) und mit einer vernünftigen Dosis Skepsis die Medien-Botschaft aufzunehmen – nicht als die ganze, absolute Wahrheit sondern als ein Beitrag zu realitätsgerechter Information und Meinungsbildung.
Die Idee ist dann nach wenigen Jahren aufgegeben worden. Sie scheiterte an äusseren Bedingungen (zu wenig Tiefe im Raum), an der Spaltung in der Redaktion (das führte, anders als in der Suisse romande zur Trennung von «Tagesschau» und «10vor10»), und an der Wankelmütigkeit der Führung. – Ruedi Matter hatte sich schon vorher auf seinen mehrjährigen Weg durch das deutsche Privatfernsehen gemacht.
Mensch und Technik
Der «Newsroom 19», der nach einem Vorlauf bereits im Herbst im kommenden Jahr starten soll, unterscheidet sich selbstverständlich vom Redaktionsstudio. Die Studioversion von 1985 bediente nur die Fernsehnachrichten. Der Newsroom hingegen verbindet das alte «lineare» Fernsehformat mit seinen zeitlich festgelegten Sendungen mit einem viel grösseren Angebot auf konkurrierenden Kanälen. «Wir müssen die Nutzerinnen und Nutzer, die von den programmierten Sendungen wie Tagesschau oder ‹10vor10› abwandern zu den digitalen Plattformen, auch dort erreichen und an das SRF-Angebot binden», sagt Tagesschau-Chef und Newsroom-Projektleiter Urs Leuthard im Gespräch. Er meint damit die eigene Website srf.ch und die SRF-News-App, er meint aber auch die SRF-News-Angebote auf SRF-Apps auf Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter. «Und für diese unterschiedlichen Plattformen», so Leuthard, «müssen wir die Geschichten mit den grundsätzlich gleichen Inhalten in unterschiedlicher Form erzählen.»
Alexandra Stark, Journalistin und zugleich Dozentin am Medienausbildungszentrum MAZ, sieht in ihrem Blog grundsätzlich eine grosse Chance in der Organisationsform des Newsrooms, betont aber für den Erfolg zugleich die zentrale Rolle der «Führung der Redaktion». Auf Rückfrage präzisiert sie: «Im Newsroom wird Führung komplexer. Für mich ist eine sinnvolle Balance von Technik, Mensch und publizistischer Absicht eine grundlegende Führungsaufgabe. Deshalb muss die Führung einer Redaktion von Anfang involviert sein.» Das heisst: das Beziehungssystem von Technik und Menschen und publizistischer Absicht muss von Anfang an zusammen gedacht werden. Sonst sind Konflikte, Fehlleistungen und Reibungsverluste strukturell eingebaut.
Visiualisierung des geplanten Newsrooms am TV-Studio in Zürich
Beim SRF-Newsroom scheint diese Abstimmung für zwei Bereiche zu funktionieren: für die Technik und die publizistische Absicht. Wenn es nämlich die publizistische Absicht ist, «News», also Nachrichten im engeren Sinn des Wortes zu produzieren: schnelle Information in Kürze über einen Vorgang von einiger Wichtigkeit. Unter den Bedingungen der lokalen, regionalen und globalen Konkurrenz heisst das: schnell, mobile first, mit dem eigenen Markenauftritt versehen, kurz: Ein komplexer Produktionsprozess, für vielfältige Kanäle, in hoher Geschwindigkeit.
Für die Empfänger bedeutet das mehr denn je: Das Medium ist die Botschaft. Da bin ich mit Matthias Zehnder und seinem Bezug zu Marshall McLuhan einig. Mehr noch: Heute muss es heissen: das Mediensystem ist die Botschaft, da wir ja über eine Vielzahl von Kanälen mit der gleichen Botschaft beschossen werden. Und damit wird McLuhans Theorie definitiv zur Wirklichkeit: Mit der Computer-Kommunikation fallen wir tatsächlich von der individualistischen Schrift-Kultur in die Stammeskultur, in das «globale Dorf», und da «kommt der Grosse Bruder hinein» (McLuhan in: Die Gutenberg Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, 1962 (!))
Der komplexe Produktionsprozess wird gesteuert vom Decision Desk, er wird gegebenenfalls mit neuen Entwicklungen aufdatiert, und er wird mit Blick auf das User-Verhalten, auf Reichweite, Verweildauer und so fort, kontrolliert vom Community/Analytics Desk – kurz: es ist ein höchst arbeitsteiliger Ablauf. Und dabei zeigt sich: Der Newsroom ist auch ein Überwachungsraum. Nach innen und nach aussen.
In manchen Teilen findet dort tatsächlich die abstrakte, arbeitsteilige Kooperation statt, die man in der Industrie als Taylorismus bezeichnet, in Erinnerung an den Ingenieur Frederick Winslow Taylor. «Abstrakt» ist diese Kooperation, weil sie nicht im unmittelbaren Zusammenwirken mehrere Menschen stattfindet sondern vermittelt über die Organisation der Maschinerie – hier Textproduktion, dort Bildproduktion und wieder woanders die Sendung oder das Branding.
Das ist heute wahrscheinlich nicht zu vermeiden. Man darf sogar sagen: News-Produktion ist für ein Unternehmen von der Grössenordnung der SRG in der Welt der digitalisierten Konkurrenz vielleicht gar nicht anders möglich.
Aber es ist – (sorry !)– nichts anderes als fabrikmässige Info-Produktion auf digitaler Basis. Eine Informationsfabrik halt. Das ist eine kühle, sachliche Feststellung, die nur deshalb zu Recht «heftig» wirkt, weil sie für die Betroffenen möglicherweise heftig ist. Der Mensch wird wie Charlie Chaplin in «Modern Times» zum Teil der Organisation und der Maschinerie.
«Teamwork» ist bei den Audio- und den audiovisuellen Produktionen (und schon zu Gutenbergs Zeiten beim Druck) im Übrigen keineswegs neu. Es gehört als konkretes, lebendiges Teamwork im Gegenteil zu meinen besten Erinnerungen im Fernsehschaffen. Etwa als der unvergessene Kameramann Werner Schneider in der aufgewühlten Zeit vor dem Fall der Mauer in Berlin, nach unserem Vorgespräch loszog und mir dann auf dem vereinbarten Drehplatz schon die Bilder zeigte, die meine Geschichte erzählten. Oder der Westschweizer Kollege, der am israelischen Checkpoint für die palästinensischen Taglöhner ohne Worte die Kamera schulterte und in einer einzigen Einstellung von anderthalb Minuten die ganze Bildgeschichte drehte, die wir noch erzählen wollten.
«Kongenial» heisst in diesem Zusammenhang, dass alle Beteiligten einander durch die Zusammenarbeit bereichern, ohne einander zu instrumentalisieren. Das war – und ist sicher heute noch bei guten Gelegenheiten – kreatives Teamwork auf höchstem Niveau.
Die fast vollendeten Tatsachen
Nun ist diese Diskussion über den SRF-Newsroom im Grunde müssig, weil die Bauten und die ganzen Vorbereitungen ja schon weit gediehen sind. Und wahrscheinlich wäre niemand der SRG- und SRF-Führung in den Arm gefallen, wenn sie nur dem ursprünglichen Konzept eines Newsrooms für Online und TV treu geblieben wären. Denn die Vorbereitungen für den SRF-Newsroom laufen ja offiziell schon seit zwei Jahren. Von den Radio-Abteilungen in Bern war aber bis April 2018 keine Rede.
Doch die Chefs sind wankelmütig geworden, wie die «Tagesschau»-Verantwortlichen von 1983 ff., und sie haben das Konzept geändert. Heute (nach dem Artikel in der «Medienwoche» vom 5. Juli) ist offiziell bestätigt, dass der Umzug für einen grossen Teil der Berner Radioleute kurzfristig ins Auge gefasst wurde. Offiziell ist auch, dass die Planung für den Start des Newsroom zurzeit nur für Fernsehen und Online im Gang ist. Festgestellt haben die Verantwortlichen lediglich, dass für die Radioleute am Leutschenbach genug Platz vorhanden wäre.
Auf der anderen Seite häufen sich die Probleme. Heute sind die technischen und organisatorischen Planungen auf «News» ausgerichtet, nicht auf Hintergrund-Sendungen wie das «Echo der Zeit» oder auf eine vielfältige Audio-Strategie, mit der sich die Berner Belegschaft seit einiger Zeit durchaus erfolgreich befasst. Die Basis für ein Audio-Kompetenzzentrum in Bern wäre also vorhanden. Es fehlt aber jedes Anzeichen dafür, dass die Unternehmensführung bereit wäre zu einem freien, offenen Dialog mit der Belegschaft für eine solche Option. Es wäre ein aktiver Beitrag für den Abbau der vielfältigen Spannungen zwischen Zürich und Bern.
Die Unternehmensleitung könnte so vielleicht ein Stück Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen. Denn die technischen Gründe für den Umzug wirken bis heute nicht überzeugend. Und der mögliche Spareffekt ist unklar. Zehn oder drei oder vielleicht doch fünf Millionen? Klar steht nur die Drohung im Raum, dass ohne Umzug ein schmerzhafter Stellenabbau stattfinden soll.
Für den Umzug und die Integration des Radios in den «Newsroom 19» wäre aber eine Überarbeitung des ganzen Leutschenbach-Konzepts erforderlich. Denn es war ja bis Anfang April 2018 offiziell nie die Rede davon, dass die Radioinformation nach Zürich umgesiedelt werden sollte. Der Newsroom war und ist noch immer ein Vorhaben für die News des Fernsehens und der Online-Redaktion am Leutschenbach, und viel Audio-Kompetenz sitzt in Bern.
Sehr viele Zeichen zu einer entspannten Lösung weisen für vernunftbegabte Menschen in diese föderalistische Richtung, zum langfristigen Vorteil auch für die SRG. Und Ruedi Matter könnte sich zum Ende seiner Amtszeit den Traum vom grossen Newsroom am Leutschenbach wohl ohne grössere Probleme erfüllen – einfach ohne Radio.
Affaire à suivre.
/sms ;-) 26. August 2018, 17:37
das titelbild und der verweis auf chaplin zeigt, dass robert stur und beharrlich noch ganz in der bedingung von mechanik denkt…
bereits am 22. august 1930 – vor 88 jahren – eroeffnete albert einstein die heutige ifa in berlin mit den worten: „verehrte an- und abwesende“. eine gaenzlich andere situation…
https://medium.com/@sms2sms/22-08-1930-alberteinstein-sehr-verehrte-an-und-abwesende-paulwatzlawick-zuerichliest-2367654f7aa3
robert hofft, das HTML die FORTSETZUNG DES GLEICHEN MIT ANDEREN MITTELN sei… das koennt ihr in jetzt noch lange schreiben lassen. das geht schon. aber es ist total daneben…
https://medium.com/@sms2sms/warum-html-nicht-die-fortsetzung-des-gleichen-mit-anderen-mitteln-ist-wikicon18-teil-3-aba460ff83a1
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