China calling – aber wer hört zu?
In den letzten zehn Jahren hat China seine Auslandmedien massiv ausgebaut. Doch die Wirkung ist bescheiden, gemessen am Aufwand. Das dürfte vor allem damit zu haben, dass sich die chinesischen Staatssender zwischen unabhängiger Berichterstattung und Propaganda bewegen. Die Botschaft sei entsprechend konfus und inkohärent, sagt Vivien Marsh, die an der Universität Westminster zum Thema forscht.
Nachdem das britische Kriegsschiff HMS Albion Anfang September das Südchinesische Meer durchquerte, reagierte die chinesische Presse bissig: Die Briten sollten aufhören, sich wie ein «Schiffshalter Washingtons» aufzuführen, schrieb die Tageszeitung China Daily. Wegen den umstrittenen Gewässern kommt es immer wieder zu diplomatischen Zwischenfällen, vor allem wenn amerikanische Schiffe aufkreuzen. Denn die USA akzeptieren die von China beanspruchte Oberhoheit über das Meer nicht – und damit Beijing das nicht vergisst, passiert die US Navy das Gebiet regelmässig ohne chinesische Erlaubnis, um so ihre «Navigationsfreiheit» zu demonstrieren. Die Durchfahrt der HMS Albion wurde in China als «Anbiederung» an die USA interpretiert, wenn sie auch kaum Anlass zur Beunruhigung gibt; die Charakterisierung des stolzen 22-Tausend-Tonnen-Gefährts als «Schiffshalter» – ein kleiner Fisch, der sich mittels Saugvorrichtung an Haien festhält – ist ein ebenso unterhaltsamer, wie auch respektloser Seitenhieb gegen die Royal Navy.
Was jedoch die Berichterstattung der chinesischen Staatsmedien zu diesem Vorfall angeht, so ist der Kommentar interessant, weil er ungewohnt polemisch ist. Er illustriert die Grenzen der medialen Charme-Offensive Chinas, und den Konflikt zwischen der sanften Beeinflussung der öffentlichen Meinung, die sich Beijing zum Ziel gesetzt hat, und der Versuchung zu offener Propaganda, der sich die Medien bisweilen auch hingeben.
Die chinesische Medienstrategie im Ausland und ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren bilden den Fokus der jüngsten Ausgabe der Westminster Papers in Communication and Culture, herausgegeben von der University of Westminster in London. Die Artikel ergänzen eine umfangreichere akademische Publikation zum Thema, China’s Media Go Global (2018). Im Zentrum der Westminster Papers steht die Expansion und Rezeption der chinesischen Auslandsender, die seit einigen Jahren ein entscheidendes Instrument der Soft-power-Strategie Chinas darstellen.
«Russlands Staatssender RT tritt weit konfrontativer auf und macht keinen Hehl aus der Tatsache, dass die Verbreitung der Sichtweise Moskaus im Zentrum der Berichterstattung steht. Das ist jedoch nicht die chinesische Art.»
Wenn von den chinesischen Medien die Rede ist, wird oft der Vergleich mit Russland und dem Auslandssender RT hinzugezogen, der in den vergangenen Jahren ebenfalls stark expandiert ist. Allerdings geht der russische Sender anders vor als der chinesische, sagt Vivien Marsh, Herausgeberin der China-Ausgabe der Westminster Papers und jahrelange Mitarbeiterin der BBC, im Gespräch mit der MEDIENWOCHE: «RT tritt weit konfrontativer auf und macht keinen Hehl aus der Tatsache, dass die Verbreitung der Sichtweise Moskaus im Zentrum der Berichterstattung steht. Das ist jedoch nicht die chinesische Art.»
Die globale Medienoffensive begann 2008. Damals hoffte China, mit den Olympischen Spielen in Beijing die weltweiten Medien mit Bildern einer dynamischen, aufgeschlossenen Nation unterhalten zu können. Aber Unruhen in Tibet und die harsche Reaktion der chinesischen Behörden verdrängten den Sport zunehmend von den westlichen Schlagzeilen. «Die Machthaber wurden sich bewusst, dass die Wahrnehmung Chinas stets vom Westen bestimmt würde, wenn sie nicht ihre eigene Botschaft verbreiten», sagt Vivien Marsh. So steckte die Regierung riesige Geldsummen in die Auslandsmedien: Der damalige Präsident Hu Jintao versprach umgerechnet 6.6 Milliarden Dollar, um der «Stimme Chinas» in der Welt Gehör zu verschaffen. Das Geld ging etwa an den Fernsehsender CCTV, die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, den Radiosender China Radio International, und Zeitungen wie China Daily, die eine für den US-amerikanischen Markt zugeschnittene Ausgabe lancierte.
In den folgenden Jahren eröffnete CCTV neue Büros in Nairobi und Washington und rekrutierte Dutzende Mitarbeiter – meist keine Chinesen, sondern Fachleute aus den Ländern, über die sie berichteten. In vielen Fällen waren es gut ausgebildete Journalisten, die zuvor für die BBC, Sky News oder, in Nairobi, für den kenianischen Sender KTN gearbeitet hatten. In einer Zeit, da der BBC World Service im Zug der Sparpolitik sein Budget kürzen musste und Mitarbeiter entliess, hatten die chinesischen Medien leichtes Spiel, den etablierten Sendern gutqualifiziertes Personal abzuwerben. In Lateinamerika beispielsweise gingen fünf BBC-Journalisten zu CCTV (der Sender wurde Anfang 2017 in CGTN umbenannt).
Zehn Jahre nach Beginn der Offensive ist das chinesische Auslandsengagement auf eine beeindruckende Grösse gewachsen: Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua hat laut dem Economist mehr Auslandsbüros als alle Konkurrenten; China Radio International sendet in mehr als 60 Sprachen; das Auslandfernsehen CGTN hat Reporter-Teams in über siebzig Ländern und sendet auf Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch und Arabisch; in den Fernsehstudios in Nairobi und Washington arbeiten je rund 150 Angestellte, und die Facebook-Seite von CGTN hat 67 Millionen Follower – mehr als zehn Mal so viele wie der BBC World Service. Im Dezember wird CGTN in London seine erste europäische Niederlassung eröffnen.
Aber gemessen am erklärten Ziel, nämlich in der globalen Berichterstattung denselben Stellenwert zu erreichen wie westliche Konkurrenten, um so die chinesische Sichtweise einem weltweiten Publikum zu übermitteln, war der Erfolg bislang mässig. Im Soft-Power-Ranking der Medienagentur Portland Communications beispielsweise liegt China auf Platz 27 von 30 – die Spitzenplätze werden nach wie vor von Grossbritannien, Deutschland, Frankreich und den USA belegt. Die Beiträge in den Westminster Papers geben Hinweise, wo die Gründe für die begrenze Wirksamkeit liegen könnten.
Eine Studie über die Rezeption des spanischsprachigen Kanals von CCTV in Mexiko und Argentinien beispielsweise, die auf einer Befragung von Fokusgruppen im Jahr 2016 basiert, kommt zum Schluss, dass der Sender schlichtweg zu wenig bekannt ist: Obwohl er ein abwechslungsreiches Angebot von News, Dokumentarfilmen, Kultursendungen bietet und einen Schwerpunkt auf Soaps legt, um der lateinamerikanischen Vorliebe für Telenovelas gerecht zu werden, kommt CGTN kaum gegen die Konkurrenz von CNN en Español (USA), Hispan TV (Iran) oder TVE Internacional (Spanien) an, die alle schon länger etabliert oder einfacher zugänglich sind. Auch sagten viele Teilnehmer der Studie, dass sie die Berichterstattung für weniger vertrauenswürdig hielten als jene anderer Sender; sie sahen einen zu starken Einfluss der chinesischen Regierung oder hatten das Gefühl, dass die Reporter sich zu stark auf chinesische Quellen verlassen.
Demgegenüber war RT en Español nicht nur bekannter, sondern hatte auch einen besseren Ruf als CCTV oder Hispan TV, obwohl der Kanal erst seit 2009 sendet: Die Studienteilnehmer werteten positiv, dass die Nachrichten viele Berichte vor Ort enthalten, und dass es eine klarere Trennung zwischen eher neutraler Berichterstattung und redaktionellen Inhalten gebe. Laut dem Verfasser der Studie mag dies auch ein Grund sein, weshalb RT 2016 zum dritten Mal in Folge den Preis für die beste Multimedia-Berichterstattung des Mexikanischen Presseclubs erhielt. Die Wahrnehmung des russischen Senders in Lateinamerika unterscheidet sich also stark von jener im Westen, wo RT vor allem als Propagandainstrument des Kreml gilt. Einzig bei Nachrichten zur Ukraine und Krim-Krise driftete der Sender laut den Teilnehmern zu stark in Richtung Meinungsmacherei ab.
Ein ähnliches Problem wie in Lateinamerika hat CCTV/CGTN in Afrika, das – parallel zu den wirtschaftlichen Aktivitäten Chinas – einen Fokus der Auslandsoperation darstellt. Hier bemüht sich der Fernsehsender, die positiven Entwicklungen in afrikanischen Ländern hervorzuheben, insbesondere die schnelle wirtschaftliche Entwicklung. Oft stehen jedoch die gemeinsamen Projekte mit China im Zentrum der Berichterstattung – und Kritik wird nur selten geübt. Laut einer Studie, die die Haltung der Öffentlichkeit zu CCTV anhand von detaillierten Interviews mit Zuschauern aus 19 afrikanische Ländern untersucht, provoziert die betont optimistische Perspektive oft Ablehnung: Die Teilnehmer der Studie äusserten Skepsis über die tatsächliche Absicht der chinesischen Medien – besonders weil die Berichterstattung oft im Widerspruch steht zur weit weniger positiven Wahrnehmung chinesischer Projekte in Afrika.
Medienschaffende sollten «die Partei als ihren Familiennamen» ansehen.
Allerdings variiert die Informationskontrolle durch die chinesischen Behörden stark. Oft haben die Auslandsjournalisten keinerlei Einschränkungen und können über das zu berichten, was sie für belangvoll halten, sagt Vivien Marsh. Sie hat während ihrer Recherchen viele junge Journalisten getroffen, die nicht nur die gute Bezahlung und Infrastruktur schätzen, die ihnen CGTN bietet, sondern auch die Freiheit in Bezug auf die Berichterstattung. Sobald jedoch handfeste chinesische Interessen im Spiel sind, gibt Beijing eine klare Linie vor, an die sich die Produzenten und Reporter halten müssen. Das gilt nicht nur bei Berichten über chinesische Investitionen in Afrika, sondern auch in geopolitischen Belangen wie dem Disput ums Südchinesische Meer, die Beziehungen zu den USA oder die chinesische Innenpolitik. Seit Präsident Xi Jinpings Amtsantritt 2012 hat sich die Tendenz zu Kontrolle und Zensur verstärkt. Anfang 2016 stattete der Parteichef den wichtigsten Redaktionen im Land einen Besuch ab, um sie daran zu erinnern, dass sie der Partei absolute Loyalität schulden, und dass die Medien für die Stabilität des Landes sorgen müssen. Medienschaffende sollten «die Partei als ihren Familiennamen» ansehen. «Laut Xi Jinping ist es die Aufgabe der Medien, die Botschaft der Kommunistischen Partei zu verbreiten», sagt Marsh, «das gilt sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Landes.»
«Die Botschaft geht raus, aber hört überhaupt jemand zu? Und was halten die Leser davon?»
Entsprechend ist das Verständnis des Journalismus ein ganz anderes als in westlichen Staaten: «Für uns besteht der Zweck der Journalisten darin, die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. In China hingegen wird diese Aufgabe von der Partei wahrgenommen», sagt Marsh. Die jüngsten Prozesse wegen Korruption wurden beispielsweise nicht von investigativen Recherchen angestossen, sondern von Akteuren innerhalb der KPCh. Dies hat auch einen Einfluss auf den Auslandsjournalismus, der vor allem dem Zweck dient, die chinesische Sichtweise in die Welt zu tragen, ohne sich auf eine Debatte einzulassen. Ein Beispiel ist der Einsatz von Twitter – eine Plattform, die zwar in China verboten ist, aber dennoch ein wichtiges Kommunikationsmittel für chinesische Auslandsmedien darstellt. Eine Studie in den Westminster Papers analysierte die Twitter-Aktivitäten der Xinhua News, People’s Daily und CCTV/CGTN zum Thema Südchinesisches Meer. Die Autoren stellten fest, dass zwar viel getwittert wird und die Staatsmedien Millionen von Follower haben. Aber ein Grossteil des Inhalts konzentriert sich auf die Errungenschaften Chinas und gibt insbesondere die Äusserungen von Präsident Xi Jinping wieder; «es hat einen Beigeschmack von Propaganda», heisst es in der Studie. Zudem nutzen die Staatsmedien Twitter als ein einspuriges Medium, um ihre Meinung zu verbreiten – zu einem Dialog mit den Nutzern kommt es kaum. «Das ist allgemein der Fall, nicht nur bei der Berichterstattung zum Südchinesischen Meer», sagt Marsh. «Die Botschaft geht raus, aber hört überhaupt jemand zu? Und was halten die Leser davon?» Die Antworten auf diese Fragen bleiben offen.
«Man schaut sich CCTV an und fragt sich: Was ist der Zweck des Senders?»
Die Tatsache, dass die chinesischen Behörden unterschiedlich starke Kontrolle ausüben, je nach Thema und strategischer Bedeutung, sorgt dafür, dass die Botschaft der Auslandsmedien konfus und inkohärent daherkommt, sagt Marsh: «Man schaut sich CCTV an und fragt sich: Was ist der Zweck des Senders?» Sicherlich sind auch Anfangsschwierigkeiten für das fehlende Prestige im Ausland verantwortlich. «Aber bevor die Medien das Problem der Berichterstattung über China lösen, werden sie das Publikum, das sie sich so sehr wünschen, nicht bekommen», sagt Marsh. «China ist ein so faszinierendes Land – die Berichterstattung auf das Positive zu beschränken, ist eine verpasste Chance.»
Oli 26. September 2018, 18:25
Ich habe als auslänsischer Berater in einem chinesischen Medium.gearbeitet. Es stimmt, dass die Zensur nur bestimmte Themen umfasst. Allerdings sehe ich das nicht als das eigentlichr Problem an.
Zu den grössten Schwierigkeiten gehört aus meiner Erfahrung einerseits die hohe Frustration der Mitarbeitenden, die teilweise pro Tag einen Artikel mit drei Zeilen beisteuern. Gute Arbeit bringt nur Schwierigkeiten, sagte mir einmal ein Kollege.
Das andere Problem ist, dass ein grosser Teil der Autoren keinerlei journistische Erfahrung hat. Angestellt werden bevorzugt Sprachstudenten, die aber keine Ahnung haben, wie eine Geschichte aufgebaut wird oder wie man allgemein für eine bestimmte Zielgruppe scbreibt.
Grundsätzlich ist China aber ohnehin in einer propadandistischen Zwickmühle. Kürzlich musste einem schwedischen Sender Rassismus vorgeworfen werden, weil dieser auf seiner Karte Taiwan nicht als Teil der Volksrepublik eingezeichnet hat – also eigentlich korrekt nach internationalem Empfinden. Bei solchen Thema hat Cbina nur die Wahl zwischen charmant Akzeptieren oder seine hässliche Fratze zu zeigen.