Köppel ganz nackt
Geben Sie’s zu: Dieser Titel hat neugierig gemacht. Aber er ist ein Witz, der bekanntlich aus einer enttäuschten Erwartungshaltung besteht. Das gilt auch für das Buch «In Badehosen nach Stalingrad», das den «Weg von Roger Köppel» nachzeichnen will. Da stellen sich einige Fragen.
Ist es sinnvoll, eine Biografie über jemanden zu schreiben, dessen Lebenslauf mit 53 wohl noch lange nicht abgeschlossen ist? Kann man machen, muss man nicht machen. Köppel hat unbestreitbar Spuren in der Schweizer Medienwelt hinterlassen. Und in seiner nicht gerade auf Konsens ausgerichteten Art auch Verletzungen. Das zeigt sich in Köppel-Analysen von ihm beschädigter Weggefährten wie Markus Schär und Eugen Sorg. Journalisten neigen dazu, die Welt durch ihre eigene Perspektive zu sehen und das Ich für mindestens so wichtig zu halten wie das von ihnen beschriebene Objekt. Aber muss es wirklich sein, dass Schär ein persönliches, längliches Abschieds-Mail aushändigt und das auch ganz abgedruckt wird? Muss es sein, dass sich Sorg mit dem Satz zitieren lässt, dass er nach einer Zurechtweisung durch Köppel dem am liebsten die Fresse poliert hätte, aber seinen Job brauchte? Vielleicht sollte Sorg das mit sich selber veranstalten, denn mit seiner Zitierung einer angeblichen Aussage von Köppel, welche Auswirkungen der Tod seines Vaters auf ihn als Heranwachsenden hatte, nachdem kurz zuvor seine Mutter gestorben war, überschreitet Sorg jede Grenze des Anständigen. Und liefert Ryser natürlich einen Knaller als Schlusspointe.
Das sind aber alles Beschreibungen aus der Kammerdienerperspektive. Also People-Journalismus, Schlüsselloch-Journalismus, der die immerwährende Neugier des Publikums nach vermeintlich Intimem, Persönlichem, Verborgenem befriedigen will. Muss das sein? Die gleiche Frage stellt sich bei der ausführlichen Schilderung von Köppels Kindheit und Jugend, die vom frühen Verlust beider Elternteile überschattet war. Man muss nicht einmal Hobby-Psychologe sein, um daraus zu schliessen, dass darin wohl die Erklärung für Köppels Hang zu väterlichen Überfiguren wie Christoph Blocher oder Bruno Franzen liegt. Und schliesslich gibt es wohl keinen deutschsprachigen Journalisten in der Schweiz, der nicht schon Direktkontakt mit Köppel hatte oder zumindest eine klare Meinung über ihn.
Das grösste Problem des Buchs besteht in der Heisenbergschen Unschärferelation.
Das alles macht es ungemein schwierig, eine zu Erkenntnisgewinn führende Biographie über Köppel zu schreiben, trotz des Bienenfleisses von Daniel Ryser, der viele, viele Gespräche mit Weggefährten Köppels führte. Das gilt natürlich auch für den Autor dieser Zeilen, der aber nur mit einem kurzen Satz über Köppels Verhalten während seiner Gymnasialzeit im Buch vorkommt. Das grösste Problem des Buchs besteht jedoch in der Heisenbergschen Unschärferelation. Damit ist gemeint, dass die Beobachtung eines Objekts durch diesen Eingriff das Objekt selbst verändert und daher natürlich auch den Beobachter, was es wiederum unmöglich macht, den unbeobachteten Zustand des Objekts zu erfassen.
Also der beobachtete Köppel wusste, dass er beobachtet wird, Ryser wusste, dass das Köppel wusste, was wiederum Köppel wusste, bis zur Absurdität. Und jeder Journalist, der seine Meinung, seine Analyse, seinen Senf zu Köppel im Buch abgibt, weiss, dass das für ihn Folgen haben kann. Die intelligenteste Analyse liefert deshalb einer ab, der sich sicher ist, dass sich seine Wege mit Köppel nie mehr kreuzen werden, sein damaliger stellvertretender Chefredaktor bei der «Welt», Johann Michael Möller. Seine Ausführungen machen es lohnenswert, das Buch zu lesen. Und die Dezenz, mit der die ehemalige Magazin-Journalistin Gabriele Werffeli über persönliche oder intime Dialoge mit Köppel spricht, was man bei Kenneth Angst und anderen nicht sagen kann.
Auch nach der Lektüre dieses Buchs weiss niemand so recht, wer der Mensch Köppel eigentlich ist.
Über Tote sollte man bekanntlich nichts Schlechtes sagen, aber faszinierend ist auch, wie der tragisch ums Leben gekommene Anwalt Martin Wagner seine Rolle beim Verkauf des Jean-Frey-Verlags an den Financier Tito Tettamanti und den anschliessenden Verkauf der «Weltwoche» an Köppel beschreibt. Würde er noch leben, hätte er sicherlich einige Anzeigen wegen Verstosses gegen das Anwaltsgeheimnis in seinem Briefkasten. So bleibt nur die Frage, was an seiner Darstellung Wahrheit und was Dichtung ist. Denn er stellt seine eigene Rolle dermassen positiv dar, dass es sich eigentlich nicht um den gleichen Anwalt handeln kann, der bei einem Kaufangebot für den «Blick» durch übermässig dilettantisches Verhalten krachend auf die Nase fiel.
Richtig ist hingegen, dass auch nach der Lektüre dieses Buchs niemand so recht weiss, wer der Mensch Köppel eigentlich ist. Was ist ihre These, fragte Köppel seinen Biographen. Ich habe keine, antwortete Ryser. «Ist einer wie Sie wirklich stark genug, zu schreiben, was wirklich ist?», fragte Köppel. Die These von Ryser ist offensichtlich, dass auf dem Weg zum Verleger und SVP-Nationalrat der neugierige Köppel, der mehr Fragen als Antworten hatte, verloren gegangen sei und sich Köppel zudem ideologisch verhärtet habe. Und Köppels Aufforderung, zu schreiben, was wirklich ist, was er auch für sich selbst in Anspruch nimmt, ist natürlich Unsinn. Niemand kann schreiben, was wirklich ist, weil die Wirklichkeit immer betrachtet wird. Und über das komplizierte Verhältnis zwischen Objekt, Subjekt und den menschlichen Subjekten untereinander zerbricht sich die Erkenntnistheorie schon seit Jahrhunderten den Kopf, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Ist das Buch relevant? Die 272 Seiten lesen sich flüssig, das kann man sagen.
Im anekdotischen Bereich ist noch anzumerken, dass sich Ryser des gleichen Vorgehens bedient, wie es auch die «Weltwoche» gelegentlich anwendet. Als Köppel einmal sein Büro verlässt, erspäht Ryser auf seinem Schreibtisch den Entwurf des Einladungsschreibens an den US-Demagogen Steve Bannon. Und kopiert den Inhalt. Später gesteht er diesen Übergriff, verspricht Köppel, dieses Wissen nicht zu verwenden, bevor Bannon in Zürich war, und publiziert es dann im Buch. In einem Gespräch mit Köppel klingelt dessen Smartphone, und auf dem Display sieht Ryser den Namen Sergio Ermotti. Köppel wendet sich kurz ab und beginnt das Gespräch mit einem familiären «Ciao, wie geht’s dir?» Dann bitte er Ryser, den Namen des Anrufenden nicht zu nennen. Der tut’s doch, weil er es für «relevant» hält, dass Köppel mit dem Chef der UBS per Du ist. Ist es das, ist das Buch relevant? Die 272 Seiten lesen sich flüssig, das kann man sagen.
An in der Branche so geliebten Primeurs ist das Buch eher arm. Ausser, es interessiert jemanden brennend, wie es Köppel in seinen Anfangszeiten bei der NZZ erging, als er dabei ertappt wurde, für einen Artikel abgekupfert zu haben. Aber selbst die Nacherzählung des wohl opportunistischsten Moments in Köppels publizistischer Laufbahn, als er davon ausgehen musste, dass Ringier und somit Frank A. Meyer das Ruder bei der «Weltwoche» übernehmen würden, ist nicht gerade neu. Und immerhin, viel mehr ist da an Wendungen und Verrenkungen offenbar nicht. Das sieht bei vielen, die ihrer Verletzung durch Köppel wortreich Ausdruck verleihen, ganz anders aus. Erwähnt seien nur Markus Schär, Eugen Sorg oder Kenneth Angst.
Roger Köppel ist Roger Köppel. Das wussten wir aber schon vorher.
Ein angenehmer Zeitvertreib, vor allem natürlich für Medienschaffende. Lustig für Insider und von Insidern ist natürlich auch, wie sie das Buch rezensieren: mit Neid, mit verletztem Ego, weil sie nicht vorkommen, obwohl sie vorkommen, mit Übernahme von Thesen des Buchs, mit eigenen Thesen. Die übliche Kakophonie halt. Aber eigentlich genauso überflüssig wie das Buch. Denn Ryser will von der naheliegenden journalistischen Frage ausgegangen sein: Wer ist Roger Köppel? Seine Antwort lautet, vielstimmig vorgetragen: Roger Köppel ist Roger Köppel. Das wussten wir aber schon vorher.
Markus Schär 27. September 2018, 17:35
Lieber giftelnder René: Man kann – im Sinn der Relativitätstheorie – von unseren Ausführungen halten, was man will (und man kann sie auch überspringen, wenn man schon von allem weiss, wie es ist). Aber man sollte uns nichts andichten: Ich bin nicht verletzt. Um das für alle guten Willens klarzumachen, schrieb ich beim Gegenlesen ausdrücklich rein (weil ich es im Gespräch so gesagt hatte): „Ich mag Roger noch immer, und es gibt wenige sachliche Differenzen zwischen ihm und mir.“ Was folgt, ist eine politische Analyse, wie es in meinem Beruf als Bundeshausredaktor mein Auftrag war. Lesen, was ist.