von Thomas Häusermann

Sendeschluss für Replay TV?

Das schweizerische Urheberrecht soll modernisiert und ans Internetzeitalter angepasst werden. Dass die Rechtskommission des Nationalrates der Revision in aller Deutlichkeit zugestimmt hat, führte zu einem Aufschrei der Fernseh-Signalanbieter und der Konsumentenschützer. Sie fürchten um die Zukunft der beliebten Replay-Funktion. Diese gefällt den Konsumenten, ist der Werbewirtschaft aber schon lange ein Dorn im Auge.

Das zeitversetzte Fernsehen hat sich bei den Zuschauern längst etabliert und wird von Jahr zu Jahr populärer. Gemäss Media Use Index 2018 der Y&R Group Switzerland nutzen bereits 39 Prozent aller TV-Nutzer mindestens einmal pro Woche eine Replay-Funktion (auch Catch-up TV genannt). 2015 waren es noch 34 Prozent. Kabelanbieter UPC gibt an, rund 70 Prozent der eigenen Kunden würden mittlerweile zeitversetztes Fernsehen nutzen.

Die Freiheit durch die Entkoppelung des TV-Konsums vom linearen Fernsehprogramm entspricht einem modernen Nutzungsverhalten, welches immer mehr in eine Richtung tendiert, dass man schauen kann, was man will, wann man will und wo man will. Auch die TV-Signalanbieter wie Swisscom, UPC oder Salt sind Verfechter des zeitversetzten Fernsehens: Die beliebte Funktion ist ein schlagendes Verkaufsargument und bringt einen echten Kundennutzen.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass 60 bis 80 Prozent der Replay-Nutzer die Werbung überspulen.

Weniger Freude an der steigenden Popularität der Replay-Funktion haben die Fernsehsender – aus verständlichen Gründen. Denn die Zuschauer wählen nicht nur den Zeitpunkt, wann sie eine Sendung konsumieren – sie überspulen vor allem auch in aller Selbstverständlichkeit die Werbeblöcke. Wurde früher die Werbeaufmerksamkeit allenfalls durch zwischenzeitliches Wegzappen, Toilettenbesuche oder Kühlschrankgänge vorübergehend eingeschränkt, so erübrigt die Fast-Forward-Taste heute oftmals eine Auseinandersetzung mit den Werbeinhalten. Aktuelle Zahlen zeigen, dass 60 bis 80 Prozent der Replay-Nutzer die Werbung überspulen.

Dass diese technische Möglichkeit die Attraktivität des Mediums Fernsehens als Werbeträger früher oder später empfindlich mindert, liegt auf der Hand. Werbeplatzierungen im Fernsehen sind teuer – wer bucht, möchte nicht überspult, sondern beachtet werden. Heute wird Replay-TV im Grundsatz als private Kopie der Zuschauer behandelt und entsprechend gesetzlich geregelt. Auch wenn die Kopie nicht vom Zuschauer selbst, sondern von einem Dienstleister angefertigt und zur Verfügung gestellt wird. Die Schweiz nimmt beim Urheberrecht traditionell eine liberale und konsumentenfreundliche Haltung ein. Dies zeigt sich beispielsweise auch beim Umgang mit Downloads von urheberrechtlich geschütztem Audio- oder Videodateien: Wer illegale Angebote zum persönlichen Gebrauch konsumiert, wird in der Schweiz – im Gegensatz zum benachbarten Ausland – nicht belangt. 140 Millionen Franken fehlen in den Kassen Ginge es allerdings nach den Fernsehsendern, sollte Replay-TV vor dem Gesetz bald anders beurteilt werden. Ihre Anliegen werden vertreten durch die Interessengemeinschaft Radio und Fernsehen IRF. Der IRF gehören die SRG, die privaten Schweizer Sender, der Verband Telesuisse sowie die meisten ausländischen Sender an, deren Programme in der Schweiz empfangen werden können. Die IRF beklagt, dass den Sendern jährlich 140 Millionen Franken an Werbeeinnahmen entgingen. Replay bedrohe in der jetzigen Form daher die Existenz der werbefinanzierten, frei empfangbaren TV-Sender.

Anders als im Ausland sind in der Schweiz sämtliche Sender und Inhalte im Replay-Archiv verfügbar.

Im März 2018 gelangte die IRF ans Bundesverwaltungsgericht. Der Grund: Die Eidgenössische Schiedskommission hatte eine leichte Erhöhung des «Replay-Tarifs» genehmigt (des sogenannten Gemeinsamen Tarifs 12 [GT12]), mit dem die Sender von den Signalanbietern für entgangene Werbeeinnahmen entschädigt werden. Statt wie früher 1.50 Franken beträgt dieser heute 1.60 Franken pro Abonnent und Monat für die Nutzung des Sieben-Tage-Replay- Archivs – viel zu wenig, fand die IRF. Darüber hinaus störte sich die Interessengemeinschaft daran, dass die Sender nicht verhandeln können, ob und wie die TV-Verbreiter die Replay-Funktion einsetzen dürfen. Dies sei eine Eigenheit der Schweiz. Im Ausland übliche Refinanzierungsmöglichkeiten von TV-Inhalten blieben somit den Sendern hierzulande verwehrt. Anders als im Ausland sind in der Schweiz sämtliche Sender und Inhalte im Replay-Archiv verfügbar. Das Bundesverwaltungsgericht ging auf den Wunsch der Sender, künftig direkte Verhandlungen mit den Verbreitern über die Replay-Entschädigung führen zu dürfen, nicht ein und schob dem Begehren mit einem Urteil den Riegel vor. Das Gericht war der Ansicht, dass die Rechte der Fernsehsender in der aktuellen Regelung ausreichend wahrgenommen würden.

Die NZZ am Sonntag publizierte die Pläne eines Mitgliedes der Fernmeldekommission des Nationalrats, im Auftrag der IRF auf dem parlamentarischen Weg eine Änderung der Spielregeln beim Replay-TV zu erwirken. Sechs der wichtigsten Signalverbreiter riefen die Kommissionsmitglieder in einem Schreiben dazu auf, den Vorschlag abzulehnen. Konsumentenschützer warnten ebenfalls vor einer allfälligen Gesetzesänderung. Vergeblich, denn das Bestreben trug im Juli 2018 Früchte: Die Fernmeldekommission sprach sich deutlich für Einschränkungen beim zeitversetzten Fernsehen aus. Mit 17 zu 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen wurde beschlossen, dass die Signalanbieter künftig TV-Programme «nur zeitgleich, unverändert und vollständig weiterverbreiten dürfen» – es sei denn, der entsprechende Sender stimme etwas anderem zu. Die Sender hätten so in Zukunft also bei Bedarf die Möglichkeit, die Replay-Nutzung ihres Signals ganz zu verbieten oder beispielsweise die Spulfunktion während Werbeblöcken deaktivieren zu lassen. Die Fernmeldekommission erteilte daraufhin der nationalrätlichen Rechtskommission den Auftrag, Regeln für das zeitversetzte Fernsehen zu erlassen. Die Rechtskommission folgte der Stossrichtung der Fernmeldekommission und beschloss im Oktober 2018, dass das Recht der Sender, mit den Signalanbietern über die Nutzungsbedingungen von Replay-TV verhandeln zu dürfen, im Gesetz verankert werden soll. Die Rechtskommission betonte gleichzeitig aber auch, dass Replay-TV möglich bleiben müsse.

Von einem drohenden «Werbekonsumzwang» schrieb Suissedigital, der Wirtschaftsverband der Schweizer Kommunikationsnetze.

Dass die Rechtskommission für ein Verhandlungsrecht der Sender plädierte, sorgte in der Folge für einen Aufschrei unter den Signalanbietern. Nicht weniger als das Ende der Replay-Funktion wurde in verschiedenen Mitteilungen und Stellungnahmen verkündet. UPC kritisierte, die Vergütung würde sich faktisch verdoppeln, wenn neu noch direkte Zahlungen an die Sender geleistet werden müssten – der Entscheid stehe im Widerspruch zur aktuell gültigen Regelung. Ausserdem würde das Recht der Kunden auf eine Privatkopie beschnitten. Von einem drohenden «Werbekonsumzwang» schrieb Suissedigital, der Wirtschaftsverband der Schweizer Kommunikationsnetze. Dies sei in Zeiten der Digitalisierung nicht nur ein Anachronismus, sondern vor allem auch «kultur- und konsumentenfeindlich», kritisierte Geschäftsführer Simon Osterwalder. Die Sender würden sich die Erteilung der Erlaubnis «fürstlich bezahlen lassen», was am Ende die Replay-Funktion für die Konsumenten trotz Einschränkungen teurer machen werde. Auch Salt, seit Neuestem mit Salt Fibre selbst TV-Anbieter, warnte in einer Stellungnahme, der Vorschlag widerspreche geltenden Tarifvereinbarungen und mache Replay-TV kompliziert und teurer.

Die IRF liess nicht lange auf sich warten und stellte die aus ihrer Sicht «falschen Behauptungen der Kabelnetzbetreiber» richtig. Die Sender wollten Replay weder verbieten noch einschränken, hiess es in einer Mitteilung, da es einem Zuschauerbedürfnis entspreche. Weiter warf die Sendervertretung den TV-Verbreitern vor, durch die Replay-Funktion lukrative Gewinne zu machen, vom Millionenkuchen aber nur ein kleines Stück an die Sender weiterzugeben. Konkret: Von den 2017 rund 246 Millionen durch Replay eingenommenen Franken hätten die Sender lediglich 9,7 Millionen Franken erhalten. Den TV-Verbreitern gehe es nicht um die Konsumenten, sondern vielmehr um die Aufrechterhaltung eines «höchst lukrativen Geschäftsmodells zulasten der TV-Sender», so der Vorwurf.

Verschiedene Akteure erwägen, das Referendum gegen das Urheberrechtsgesetz zu ergreifen, sollte das Parlament die Regeln für Replay-TV grundlegend verändern.

Ein weiterer Streitpunkt sind die Werbeeinnahmen. Während die TV-Verbreiter behaupten, die Einnahmen seien seit Einführung von Replay-TV 2012 sogar gestiegen, entgegnet die IRF, die auf Zahlen der Stiftung Werbestatistik Schweiz verwendeten Zahlen seien wenig aussagekräftig. Zwar habe der Gesamtmarkt TV aufgrund von neuem Werbeinventar zugelegt, auf die einzelnen Sender treffe dies aber nicht zu – ihnen bliebe nur der Schaden durch die wegfallenden Werbeeinnahmen.

Wie die Tageszeitungen von Tamedia kürzlich in Erfahrung bringen konnten, erwägen verschiedene Akteure, das Referendum gegen das Urheberrechtsgesetz zu ergreifen, sollte das Parlament die Regeln für Replay-TV grundlegend verändern. Swissstream, der Verband der Schweizer Streaming-Anbieter, und Suissedigital wollen die umstrittenen Änderungen notfalls mit einer Volksabstimmung bekämpfen. Die beiden Verbände könnten dabei auf die Unterstützung des Vereins Digitale Allmend, der sich für den öffentlichen Zugang zu digitalen Gütern und deren Weiterentwicklung einsetzt, zählen. Auch die Stiftung für Konsumentenschutz würde sich an der Sammlung der erforderlichen 50‘000 Unterschriften beteiligen. Ob es soweit kommen wird, ist jedoch noch offen. Der Nationalrat wird sich voraussichtlich in der kommenden Wintersession mit der Thematik beschäftigen. Sollten er und danach auch der Ständerat den Regeländerungen zustimmen, würden diese in Kraft treten.

Das letzte Wort im Replay-Streit ist also noch längst nicht gesprochen. Dafür sind die Fronten zu verhärtet. Eine Vermutung liegt aber auf der Hand: Sowohl den Sendern wie auch den Signalanbietern geht es in erster Linie ums Geld. Eine Attraktivtitätsminderung des klassischen Fernsehens kann im Interesse keiner der beteiligten Parteien sein. Dass sich die Sender daran stören, dass die (mittlerweile auch nicht mehr so) neuen technischen Möglichkeiten ihr etabliertes Geschäftsmodell aushebeln, ist verständlich. Am Ende wird man sich auf einen Kompromiss einigen müssen – und dieser sollte im Interesse aller Beteiligten nicht zulasten der ohnehin schwindenden Zuschauer gehen.

Dieser Text ist eine erweiterte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der erstmals in der Werbewoche Nr. 19 vom 16. November erschienen ist.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 20. November 2018, 16:03

TV zugrunde regulieren

Der TV-Konsum ist im Niedergang. Dei Zuschauer werden im Ø immer älter (aktuell über 63 Jahre alt) und jene, die sonst noch schauen, tun es in der Regel zeitversetzt (Replay).

Natürlich schmerzt es mich als Werber, dass TV-Spots durch diese Entwicklung  wichtige Zielgruppen verlieren (U60). Aber es ist nun mal der Trend. Sendungen, die man verpasst hat, wird man ohne Replay einfach nicht mehr schauen, so ist das. Meint jemand, man bleibe wegen einer Soap oder Sendung länger zuhause oder komme früher aus dem Ausgang zurück?

Das sind Illusionen einer verunsicherten TV-Lobby.

Wir Werber werden weiterhin Commercials produzieren. Aber immer mehr für den Internet-Einsatz, bei Youtube und auf SociaMedia-Kanälen. Die TV-Sender müssen sich neue Formate einfallen lassen. Mehr Werbebalken während den Sendungen z.B.. Die würden zwar nerven, aber niemend schaltet deswegen um. Und: man gewöhnt sich an alles.