So bieten Medien Extremisten (k)eine Plattform
In Grossbritannien stehen private Sender und die BBC in der Kritik, rechtsextremen Aktivisten unkritisch eine Plattform geboten und sie so gross gemacht zu haben. In der Schweiz gab es ähnliche Kritik an Daniel Rysers Köppel-Biografie. Die Frage ist nicht ob, sondern wie Medien über politisch extreme Positionen berichten.
Als sei er ein ganz normaler Promi aus der Unterhaltungsbranche, wird Tommy Robinson in einem Interview mit Sky News zu seiner Familie befragt. Er bekommt feuchte Augen, erzählt, wie er als erstes seine Frau anrief, als er ins Gefängnis gesteckt wurde, und gesteht dann schluchzend, dass er aufgrund seiner Inhaftierung zwei Geburtstage seiner Kinder verpasst habe. Aber Robinson ist kein Promi, sondern der berüchtigtste rechtsextreme Aktivist Grossbritanniens.
Mit obsessiver Islamophobie als Ansporn, hat der 36-Jährige in den vergangenen zehn Jahren mehrere rechtsnationale und quasi-faschistische Kampagnen aufgebaut, darunter die English Defence League und Pegida UK, der britische Ableger der gleichnamigen deutschen Bewegung. Heute steht Tommy Robinson (mit richtigem Namen Stephen Yaxley-Lennon) an der Spitze einer erstarkenden Strassenbewegung, die gegen Muslime hetzt und dies mit einer Agitation für den harten Brexit verbindet. Seine Anhänger stilisieren Robinson zum Märtyrer, weil er ins Gefängnis musste, nachdem er sich der Missachtung des Gerichts schuldig gemacht hatte: Er filmte vier asiatisch-stämmige Männer, die der Vergewaltigung angeklagt waren, vor dem Gerichtsgebäude. Sicherlich wusste er, dass das nicht erlaubt war und die Inhaftierung folgen musste. Dennoch glauben seine Unterstützer – wie er selbst –, dass hinter der Bestrafung ein Versuch des Staates stecke, ihn mundtot zu machen, weil er nicht den Regeln des angeblich politisch korrekten Mainstream folge.
Immer wieder werden Rechtspopulisten und Vertreter der Alt-Right von der BBC und anderen Fernsehsendern interviewt.
Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei Robinson um einen notorischen Rassisten handelt, war er in den vergangenen Jahren ein gern gesehener Gast in britischen Fernseh- und Radiostudios. Er wurde in Talkshows eingeladen, durfte im Radio die Fragen zahmer Journalisten beantworten, oder gab der Boulevardpresse Interviews, die dann mit viel Sympathie wiedergegeben wurden. Er ist nicht der einzige: Immer wieder werden Rechtspopulisten und Vertreter der Alt-Right von der BBC und anderen Fernsehsendern interviewt, und der ehemalige Ukip-Chef Nigel Farage hat sogar seine eigene wöchentliche Radioshow beim Sender LBC.
Seit dem beunruhigenden Vormarsch der extremen Rechten, der Anfang Jahr begann, wird den Medien vermehrt die Mitverantwortung für diese Entwicklung gegeben. Während in anderen Ländern, etwa in Deutschland, der etablierten Presse von Mitte-Politikern oft vorgeworfen wird, den Rechtspopulismus zu ignorieren – und gerade damit anzuheizen –, ist diese Kritik in Grossbritannien weniger verbreitet. Hier lautet der Vorwurf vielmehr, dass die Medien rechten Aktivisten zu viel Platz einräumen und die Berichterstattung zu unkritisch sei.
Rechtsextreme Parteien finden im Namen der Ausgewogenheit eine Plattform in etablierten Medien.
Die Kritik stammt sowohl von linken Medienschaffenden als auch von Akademikern. Owen Jones beispielsweise, Buchautor und Journalist, kritisiert die BBC und andere Fernsehsender, weil sie den wachsenden Einfluss der extremen Rechten nicht gründlich genug analysiere. Damit würden sie einer Normalisierung von Hass Vorschub leisten. Die Publizistin und Akademikerin Maya Goodfellow schreibt auf Al Jazeera, dass rechtsextreme Parteien im Namen der «Balance» eine Plattform in etablierten Medien finden; dies habe jedoch den Effekt, dass sie «hygienischer» erscheinen. Ähnlich äussert sich Chris Allen, Professor an der Universität Leicester: Es sei gerade das Ziel der Rechten, «normal» und «mainstream» zu erscheinen; die Trivialisierung ihrer hasserfüllten Ideologie verhelfe ihnen zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz.
Kiri Kankhwende, eine 36-jährige Journalistin, die für die Plattform Media Diversified sowie für eine Menschenrechtskampagne arbeitet, schliesst sich der Kritik an: «Wir sehen tatsächlich eine Normalisierung, aber es geht nicht darum, ob wir über die extreme Rechte berichten, sondern wie.» Das Problem sei, dass die Sichtweise der rechten Protagonisten oft wiedergegeben wird.
Die Medien haben insbesondere Schwierigkeiten, mit der sogenannten Alt-Right umzugehen, weil es – zumindest äusserlich – ein neues Phänomen ist.
Als Illustration nennt sie eine Sendung über Tommy Robinson im BBC-Nachrichtenmagazin «Newsnight», bei es um seine Behauptung ging, seine Inhaftierung komme staatlicher Zensur gleich. Der Vorwurf ist an sich schon so absurd, dass eine Debatte darüber kaum zu rechtfertigen ist. Aber die BBC ging weiter: «Während die Gäste diskutierten, ob er tatsächlich ein Opfer von Zensur sei, war im Hintergrund eine Fotomontage zu sehen, die Robinson mit einem Kleber über dem Mund zeigte. Aber so übernimmt die BBC Robinsons eigenes Framing, sie bettet es nicht in den Kontext ein», sagte Kankhwende. Genau dieses Bild – Robinson mit überklebtem Mund – ist oft auf den Plakaten der Rechtsextremen zu sehen, wenn sie für Idol protestieren.
Die Medien haben insbesondere Schwierigkeiten, mit der sogenannten Alt-Right umzugehen, weil es – zumindest äusserlich – ein neues Phänomen sei, sagt Kankhwende. Der Londoner Evening Standard beispielsweise publizierte vor zwei Jahren einen Artikel über die führenden Köpfe der neuen Rechten – behandelte sie aber wie die Vertreter einer Lifestyle-Szene. Die Autorin schreibt, dass die Protagonisten «jung, wortgewandt und präsentabel» seien; während die Jungs der Alt-Right oft dunkle Anzüge tragen, bevorzugen die Frauen den geschliffenen Look, heisst es im Text. Ihr Rassismus und ihre Misogynie scheinen eher nebensächlich. «Die Leser erhalten keineswegs den Eindruck, dass es sich um gefährliche Individuen mit abscheulichen Ansichten handelt – aber genau das sind sie», sagt Kankhwende. «Es scheint fast eine Faszination zu geben, dass sie jung und gut ausgebildet sind. Dabei kann man durchaus ein Rassist sein und sich gut kleiden!»
Als Rechtfertigung, weshalb sie so prominent über die extreme Rechte berichten, schreiben der Evening Standard wie auch eine Journalistin von Sky News, dass diese Aktivisten dank der sozialen Medien bereits über eine Plattform verfügen – weshalb sollte man dann nicht über sie schreiben dürfen? Owen Jones meint, dass dies eine verzerrte Logik sei: Nur weil sie ein Sprachrohr im Internet haben, bedeute das nicht, dass ihre Bekanntheit von den Medien noch gefördert werden soll: «Ist den Rundfunksendern noch nie in den Sinn gekommen, dass Tommy Robinsons Facebook-Seite jedes Mal, wenn sie ihm eine Plattform geben, mehr Follower gewinnt?»
Studie: Je mehr in den Medien von der Ukip die Rede ist, desto grösser wird ihre Popularität bei den Wählern.
Im Fall von Ukip ist der Zusammenhang zwischen Präsenz in den Medien und Zustimmung bei der Bevölkerung durch eine wissenschaftliche Studie belegt: Je mehr im Rundfunk und in der Presse von der Partei die Rede ist, desto grösser wird ihre Popularität bei den Wählern. Zu diesem Schluss gelangten die Akademiker, indem sie die Berichterstattung in den Printmedien zwischen 2004 und 2017 mit Meinungsumfragen verglichen. Sie stellten fest, dass eine Zunahme an Zeitungsberichten über Ukip zu steigenden Umfragewerten für die Rechtspopulisten führten – umgekehrt gab es jedoch keine Beweise, dass höhere Umfragewerte eine Zunahme an Artikeln bewirkten.
Die Frage, ob man durch die blosse Berichterstattung über Rechtspopulisten oder -extremisten deren Ansichten eine prominente Bühne gibt und sie so legitimiert, wird derzeit auch in der Schweiz und in Deutschland diskutiert. Im September warf der Rapper Knackeboul dem Journalisten Daniel Ryser vor, er sorge mit seiner Biografie von Roger Köppel dafür, den Weltwoche-Chef und SVP-Politiker bekannter und sympathischer zu machen. «Man kann rechten Populismus nicht entlarven», sagte Knackeboul – allerdings ohne das Buch gelesen zu haben. Ryser erwidert, dass er Köppel nicht grösser macht, sondern mit seinem Buch versucht, Aufklärungsarbeit zu leisten; «den Grundsatz, dass man sich als Journalist mit gewissen Phänomenen nicht auseinandersetzen darf, weise ich als Reporter zurück.»
Die Journalistin Kankhwende vertritt dieselbe Haltung: «Journalisten haben die Verantwortung, neugierig zu sein und über Geschehnisse und Entwicklungen zu berichten. Einen ganzen Teil der Gesellschaft zu ignorieren, wäre lächerlich.» Allerdings geht es um die richtige Präsentation: Dass etwa Steve Bannon, Donald Trumps früherer Chefideologe, zum Open Future Festival des Economist eingeladen wurde, hält sie für einen Fehlentscheid; so sahen es auch viele der eingeladenen Referentinnen und Referenten, die aufgrund seines Auftritts auf die Teilnahme am Festival verzichteten. «Aber wir brauchen seriöse Berichterstattung über Rechtsextremismus. Es ist wichtig, ein Licht darauf zu werfen und ihn in den historischen Zusammenhang zu setzen», sagt Kankhwende.
Keine Plattform: Ein Interview mit AfD-Chef Gauland, ohne mit ihm über AfD-Themen zu reden.
Eine Möglichkeit, wie man vermeidet, das Framing von Rechtsnationalisten zu akzeptieren, bot die ZDF im August, als sie den AfD-Spitzenpolitikers Alexander Gauland interviewte. Journalist Thomas Walde befragte ihn über alle möglichen Themen, die das Land umtreibt, vom digitalen Wandel über das Rentensystem bis zum Klimawandel. Gaulands Antworten fielen zuweilen vage aus, meist waren sie völlig inhaltsleer. «Ich stelle fest, dass sie bei all den wichtigen Themen nichts drauf haben», fasst Walde zum Schluss zusammen. Er versagt dem Gesprächspartner die Möglichkeit, auf seinem Steckenpferd herumzureiten – Immigration –, und legt dadurch die Gehaltlosigkeit seiner Politik offen.
Wenn die etablierten Massenmedien zu unkritisch über die Rechte berichten, dann spiegelt dies in gewisser Hinsicht lediglich eine politische Verschiebung, sagt Kankhwende: Positionen, die früher dem rechten Spektrum zugerechnet wurden, sind zunehmend in der politischen Mitte anzutreffen. Hillary Clinton zum Beispiel, die Verkörperung der liberalen Elite, meinte kürzlich, dass die europäischen Zentrumsparteien die Migration beschränken sollen, um den Vormarsch der Populisten zu stoppen. «Das ist etwas, das Nigel Farage sagen würde. Ich sehe da keinen Unterschied», meint Kankhwende. «Ein Grund, weshalb die Ideen der extremen Rechten normalisiert worden sind, liegt nicht allein daran, dass Leute wie Steve Bannon eine Plattform haben – es sind auch unsere Mainstream-Politiker, besonders liberale, die sich bei der Rechten angebiedert haben.»
Stattdessen sollten deren Ideologie frontal angegriffen werden. «Diese Ideen waren lange Zeit im Schatten, weil die Gesellschaft kollektiv entscheiden hatten, dass sie absurd waren. Und zu diesem Punkt müssen wir zurück. Nicht, indem wir den Einfluss der Rechten überhöhen, aber auch nicht, indem wir so tun, als wären sie nicht da.»