von Robert Ruoff

«Arena» auf Abwegen: Service public mit der Abrissbirne

Die SRF-«Arena» zum Klimawandel zeigte eindrücklich, dass die Sendung nicht als Diskussionsforum taugt. Kein Wunder auch, wenn der Moderator auf Krawall gebürstet ist. SRF tut gut daran, nach dem angekündigten Abgang von Jonas Projer das Konzept der Sendung grundlegend zu überdenken. Dass es auch anders geht, zeigt SRF selbst.

Jonas Projer mag es, wenn es «knallt» in der «Arena». So ähnlich hat er sich jedenfalls ausgedrückt in der Selbstdarstellungs-Sendung «Hallo SRF» im letzten Jahr. So kann es ihm manchmal nicht kontrovers genug, die Besetzung nicht explosiv genug sein. Und so hat er sich bei der Eröffnung der «Arena» zu Klimastreik und Klimawandel vom vergangenen Freitag fast überschlagen, als er die rund 20 jugendlichen Klimastreikenden ankündigte: «Sie treten an gegen vier ihrer schärfsten Gegner aus Wirtschaft und Politik». Und dann ertönte die «Arena»-Fanfare, und im Signet zertrümmerte der Schriftzug «Jugend» den Schriftzug «Politik». Das ist eine klare Ansage: maximale Aggression.

Es geht um das absolute Pro und Kontra, um Sieg oder Niederlage, um Sein oder Nichtsein. Es geht auch in dieser «Arena», wie in manch anderer Folge der wichtigsten politischen Debatten-Sendung der Schweiz, nicht um gegenseitiges Verstehen oder sogar um eine Verständigung. Es geht offenkundig darum, die eigenen Interessen durchzusetzen und eine neue Bewegung aufzufangen, zu bremsen, vielleicht sogar zu stoppen – zumindest von der einen Seite. Es geht um die Inszenierung eines Machtkampfs. So versteht Jonas Projer offensichtlich Politik in seiner «Arena».

Projers Wunsch nach Konfrontation ist klar. Doch daran scheitert die vornehmste Aufgabe des Service public: verständliche, nachvollziehbare Information zu liefern. Die Sendung kann folgerichtig auch die Zusammenhänge des Lebens und der Politik nicht wirklich abbilden. Und irgendwann vermag der wiederkehrende verbale Schlagabtausch im Medienzentrum Leutschenbach niemanden mehr zu unterhalten ausser die Akteure in der «Arena», die sich dabei selber gefallen.

Nun meint aber die Forderung des SRG-Auftrags nach Information, Bildung, Unterhaltung, dass in der «Arena» zwischen den Parteien im Studio ein kreativer Austausch stattfinden sollte. Und dass daraus zwischen den Parteien im Studio und den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Kommunikation entstehen soll, die allen etwas bringt. Die manche weiterbringt und vielleicht sogar eine Einsicht in mögliche Lösungen bietet. Die «Arena»-Sendung zur Klimabewegung ist diesbezüglich gescheitert. Erfolgreich ist sie nur darin gewesen, eine fernsehtaugliche Konfrontation zu inszenieren.

Doch Jonas Projer wollte das so. Sonst hätte er der Sendung nicht den Titel gegeben: «Grüne Träume». Träume platzen meistens. Und sonst hätte er in der Ankündigung auch nicht gesagt, es träfen «die jungen Demonstranten auf ihre Gegner – und grüne Hoffnungen auf die Realität».

Die «Realität» verortet er offenbar bei den Interessenvertretern der Auto- und Metallindustrie und beim rechtsbürgerlich-neolibertären Flügel der Politik, und nicht aber bei den «jungen Demonstranten». Über die Wirklichkeit von Politik und Gesellschaft sagt er damit nicht viel, denn sie ist möglicherweise dabei, sich tiefgreifend zu verändern. Aber er sagt eine Menge über seine politische Wahrnehmung.

Diese Generation vertritt sich selber und ihre noch sehr ursprünglichen Lebensinteressen.

Da stehen also auf der einen Seite die «grünen Träumer» und die Klimademonstranten: eine junge Generation, die ihre Zukunft einfordert aber noch keine öffentlich bekannten Namen trägt und noch keine politischen oder wirtschaftlichen Machtpositionen innehat. Aber so viel steht fest: Diese Generation vertritt sich selber und ihre noch sehr ursprünglichen Lebensinteressen.

Diese Lebensinteressen stossen nun also auf die «Realität» der Macht. Eine Macht, die in der «Arena» personifiziert wird durch den Nationalrat und Gewerbeverbands-Präsidenten Hans-Ulrich Bigler (FDP), der gleichzeitig als Vize-Präsident für die Energie-Agentur der Wirtschaft steht und für das Nuklearforum Schweiz lobbyiert. Bigler predigt genau so überzeugt für den heiligen Markt wie der ehemalige Klosterschüler Nationalrat Claudio Zanetti (SVP; Klosterschule Engelberg), der die Untersuchungen der Umweltwissenschaft zum Klimawandel gerne zur «Religion» erklärt. Zanetti pflegt als Vorstandsmitglied der Sektion Zürich des Automobilclubs (ACS) gewiss auch eine vertrauensvolle Beziehung zu Andreas Burgener, dem Direktor von Auto Schweiz, der in der «Arena» ebenfalls «die Realität» vertritt. Und der hat auch schon laut über eine Kandidatur für den National- oder Ständerat nachgedacht hat (etwa auf der Liste der SVP).

Den Vertretern von Politik und Interessenverbänden ist wahrscheinlich entgangen, dass die Klimabewegung ihre Unabhängigkeit von politischen Parteien sehr bewusst pflegt.

Über diese Beziehungs-«Realität» hat das Schweizer Fernsehen in der «Arena» keine Transparenz hergestellt. Nationalrat Bigler hat in der Debatte immerhin so nebenbei seine energiepolitischen Verflechtungen erwähnt. Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor des Maschinen-, Elektro- und Metallverbands (swissmem) hat seinerseits die Seite der «Realität» personell deutlich verstärkt. Sie alle, Bigler, Burgener, Kohl und Zanetti, haben selbstverständlich das politische Engagement der Jugend begrüsst und die Jugendlichen aufgefordert, sich einzubringen im politischen System, wenn auch Zanetti «Streik» eigentlich «unschweizerisch» fand. Bei diesen Streicheleinheiten ist den Vertretern von Politik und Interessenverbänden wahrscheinlich entgangen, dass die Klimabewegung ihre Unabhängigkeit von politischen Parteien sehr bewusst pflegt.

Jonas Projer hätte an dieser Stelle – nach etwa 15 Minuten – die Sendung beenden können, denn die Positionen waren bezogen.

Aber das Loblied auf die politisch aktive Jugend stiess schnell an seine Grenzen. Es war, bei Lichte betrachtet, nicht viel mehr als das Vorspiel zur Blockade. Hans-Ulrich Bigler deponierte gleich nach dem Lob sein «Nein zu Verboten und Auflagen», Andreas Burgener erklärte: «Was es braucht, ist Innovation», Jean-Philippe Kohl warnte: «Es macht für die Schweiz keinen Sinn, für die Welt den Musterknaben zu spielen». Und Zanetti deklarierte voll auf der Linie der SVP: «Es besteht bezüglich Klima kein Grund zur Panik». Denn, so bis heute die offizielle SVP-Position: Es habe ja immer schon Klimaschwankungen gegeben.

Jonas Projer hätte an dieser Stelle – nach etwa 15 Minuten – die Sendung beenden können, denn die Positionen waren bezogen. Die Forderungen der Klimabewegung wurden alle abgeblockt. Das galt nicht nur für die «Erklärung des Klimanotstands» sondern auch für ein schärferes CO2-Gesetz oder eine beschleunigte Umsetzung der Zielsetzungen der Wissenschaft. «Eure Forderungen enden in Illusionen», sagte Andreas Burgener an die Adresse der Klimabewegung.

So bewegte sich die Debatte in der fast schon «Arena»-typischen Form einer Springprozession – zwei Sprünge vorwärts, drei zurück. Der «Arena»-Leiter Jonas Projer war sich dabei nicht zu gut, ausführlich auf den Vorschlag von Claudio Zanetti einzugehen, man solle doch, wenn man wirklich etwas gegen den CO2-Ausstoss unternehmen wolle, den Verzicht auf die Kernenergie rückgängig machen – denn diese Lösung sei, im Unterschied zum Klimawandel, «nun wirklich wissenschaftlich begründet». Der Moderator liess sich auch vom Einwurf aus der Klimabewegung nicht bremsen: «Sie wollen also das eine Problem – die CO2-Produktion – durch ein anderes ersetzen: die Produktion und Lagerung von radioaktivem Material?»

Es brauchte die Intervention von Hans-Ulrich Bigler, um Projer zur Räson zu bringen.

Projer bestand darauf: Zanettis Idee sei ja ein ernsthafter Vorschlag, also solle man ihn bitteschön auch diskutieren. Auch der Hinweis der Parteipräsidentin der Grünen, Regula Rytz, die Kernenergie sei «nicht nur ein alter Ladenhüter sondern mittlerweile die teuerste Energieform überhaupt» – begleitet von Zanettis ständigen Zwischenrufen – vermochte den Moderator nicht zu stoppen. Er meinte, man könne ja den Verzicht auf die Kernenergie mit einer neuen Volksabstimmung rückgängig machen. Es brauchte schon die Intervention von Hans-Ulrich Bigler, um Projer zur Räson zu bringen. Bigler erklärte trocken, man brauche über Kernkraft gegenwärtig wirklich nicht abzustimmen, denn: «Dafür braucht es zuerst einmal Investoren.» Und Investoren sind angesichts der enormen Kosten und der ungelösten Probleme weit und breit nicht zu sehen.

Der Einzige, der aus dieser unnützen Diskussionsschlaufe Gewinn ziehen konnte, war Claudio Zanetti: Es war ihm gelungen, eine sinnvolle Diskussion über die Klimaerwärmung, vielleicht sogar einen Ansatz zur Verständigung, erfolgreich zu verhindern. Bei einem Thema, bei dem es um die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen geht. Und bei dem diejenigen «Alarm!» rufen, die davon in allernächster Zukunft am meisten betroffen sind. Aber für eine solche Diskussion müsste bei den Verantwortlichen des Service public im Schweizer Fernsehen ein echtes Erkenntnisinteresse vorhanden sein.

Die «Arena» ist ein Schlagabtausch, in dem man sich in einem rhetorischen Machtkampf gegen die anderen durchsetzt.

Die «Arena» ist kein Gespräch. Die «Arena» ist kein Austausch, keine Debatte, kein Dialog. Sie sieht nur so aus. In Wirklichkeit ist sie eine Aneinanderreihung von Statements, bei denen man tunlichst nicht auf die Äusserungen der anderen eingeht, sondern nur die eigenen Gedanken, Meinungen und Interessen vertritt. Die «Arena» ist ein Schlagabtausch, in dem man sich in einem rhetorischen Machtkampf gegen die anderen durchsetzt. Die «Arena» ist ein Schauplatz, auf dem man Information möglichst verhindert, und zwar die missliebige Information der anderen.

Das gilt selbst dann, wenn es einmal vorkommt, dass eine Aussage Bezug nimmt auf die Aussage einer anderen Person. Und wenn phasenweise ein kurzer Disput zwischen zwei Diskutierenden entsteht. Solch ein Dialog beendet die Moderation schnell. In der «Arena» ist es nicht angezeigt, in Ruhe einen Gedanken zu entwickeln, ein Beispiel anzuführen oder eine (kurze) Geschichte zu erzählen. Und es ist in aller Regel schon gar nicht vorgesehen, einen anderen Teilnehmenden mit echtem Interesse zu fragen: «Wie meinen Sie das?» Vielleicht sogar in der Absicht, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten.

Es ist in der «Arena» üblich, eine redende Person zu unterbrechen, sie rücksichtslos zu übertönen, und sei es nur, um zu verhindern, dass ihre Argumente vom Publikum verstanden werden.

Regula Rytz, die Parteipräsidentin der Grünen, hat in ihrer ersten Wortmeldung die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Klimabewegung geäussert und den Wunsch, mit anderen politischen Parteien zur Lösung des Klimaproblems zusammenzuarbeiten. Mit Ausnahme von Stefan Müller-Altermatt (CVP) hat keiner der Parteipolitiker und Interessenvertreter aus der «Realitäts»-Fraktion dieses Angebot auch nur andeutungsweise aufgenommen.

Es ist in der «Arena» hingegen üblich, eine redende Person zu unterbrechen, sie rücksichtslos zu übertönen, und sei es nur, um zu verhindern, dass ihre Argumente vom Publikum verstanden werden. Es ist mehr als üblich; es ist Teil des Konzepts. So hat Jonas Projer die Jugendlichen in der Klima-«Arena» aufgefordert: «Seid laut! Nehmt Euch das Wort!» – Sie haben das kaum getan, weil die Klimabewegung – wie schon «Occupy» und andere demokratische, aufklärerische Bewegungen – bewusst Kommunikationsformen entwickelt hat, die einen respektvollen, zielführenden Austausch auch in einer Gruppendiskussion ermöglichen.

Das zeigt in aller Deutlichkeit das Desinteresse des Moderators an der Information und insbesondere an den Aussagen einer Person.

Es geschieht in der «Arena» aber immer wieder, dass der Moderator noch vor dem Ende eines Statements sich von der sprechenden Person abwendet und das Gespräch mit anderen Diskussionsteilnehmenden aufnimmt. Das zeigt in aller Deutlichkeit das Desinteresse an der Information und insbesondere an den Aussagen einer Person. Es ist Vernichtung von Information und wirkt nach den Regeln mitteleuropäischer Höflichkeitsformen ganz einfach als Zeichen der Arroganz.

Gemeinsam Lösungen zu suchen, ist auch ohne konfrontatives Setting schon schwer genug.

Dabei wäre es die Aufgabe eines Service-public-Senders, Information zu fördern, Erkenntnis zu vermitteln, gegenseitiges Zuhören und Kommunikation in Gang zu setzen, vielleicht sogar gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen. Und in einer Zeit, in der die Herausforderungen für Staat und Gesellschaft dramatisch zunehmen, gäbe es so vielleicht die Möglichkeit, gemeinsame Lösungen auszuloten. Das ist auch ohne konfrontatives Setting schon schwer genug. Und es bleibt auch spannend, ohne dass es «knallt».

«Die Politik ist nicht bereit, über die eigenen, festgefahrenen Grundsätze nachzudenken und zu diskutieren.» Das war die Schlussfolgerung aus den Reihen der Klimabewegung am Ende der «Arena». Und das sei auch völlig verständlich. Denn eine andere, dezentrale, demokratisierte Organisation der Energieproduktion würde die Macht einiger weniger Konzerne und deren Management ganz wesentlich einschränken. Das könne nicht im Interesse dieser Unternehmen sein und ihrer Stellvertreter in der «Arena».

Es sieht tatsächlich so aus, dass die bald grauhaarige «goldene Generation» diesen Ausstieg aus der fossil getriebenen Wachstumsgesellschaft gar nicht denken mag. Aber vielleicht ist es nicht nur Unwille. Vielleicht ist es ganz einfach die schiere Unfähigkeit. Denn Bigler, Burgener, Koch und Zanetti sind mit der Technologie des 20. Jahrhunderts aufgewachsen und sie profitieren davon auf ihrem Lebensweg bis zu ihrer gegenwärtigen Stellung. Es ist für sie der natürliche Lauf der Dinge.Fossile Brennstoffe, Verbrennungsmotoren, Umwandlung von Wärme in Fortbewegung, weltumspannende Transportwege, und aus der Kombination all dieser Faktoren ein endloses, globales Wachstum: das ist ihre Welt, in der sie sich komfortabel eingerichtet haben. Das sind grosse Hindernisse für ein neues Denken.

«Arena» ist Action, ist Kampf, ist Aggression: der Ort, an dem die Gladiatoren die Schwerter ziehen und damit aufeinander losgehen.

Aber es braucht dafür auch einen Rahmen, der offenes Denken überhaupt erlaubt. Die «Arena» ist das Gegenteil. «Arena» ist Action, ist Kampf, ist Aggression: der Ort, an dem die Gladiatoren die Schwerter ziehen und damit aufeinander losgehen. Das liegt auch am Setting der Sendung. Wer steht, ist schneller zum Kampf bereit. Ein Blick auf andere Diskussionssendungen genügt: Ob der «Club» von SRF, das welsche «Arena»-Pendant «Infrarouge» von RTS, oder in Deutschland «Hart aber Fair», «Anne Will», «Maischberger» und wie sie alle heissen: Hier sitzen die Gesprächsgäste. Und wer miteinander sprechen will, sitzt einander zugewandt. Anders in der «Arena»: Hier stehen die Redepulte auf die Kameras ausgerichtet, Rednerpulte für die grosse Öffentlichkeit, das unsichtbare Publikum, und der Moderator tigert als Dompteur wachsam um die Kämpfenden herum. Nachdenken, sich selber und den anderen zuhören ist unter diesen Voraussetzungen nicht vorgesehen. Und die Kameraregie ist jederzeit bereit, sich abzuwenden, um irgendeine angeblich spannendere Reaktion einzufangen oder einen Zwischenruf.

Dabei sagt uns eine alte Weisheit, dass es nichts Interessanteres gibt, als einem Menschen beim Denken – oder beim denkend Reden – zuzusehen. Dazu braucht es aber eine Moderation, die selber bereit ist, zuzuhören und zuzusehen. Die den Gästen nicht die Worte und Gedanken in den Mund legt, ihnen nach 50 Sekunden mit Unterbrechung droht und ihnen das Wort abschneidet, bevor der Gedanke zu Ende geführt oder das Beispiel ausgebreitet ist. Eine Moderation, die Erkenntnisziele hat und diese transparent macht. Und die Gäste nicht das Wort abschneidet oder sie als Instrumente der Sendungsdramaturgie von Einspieler zu Einspieler treibt – immer in der Hoffnung, Action zu provozieren, bis es knallt.

Der Service public muss wieder klar machen, dass er kein Ort ist für krakeelende politische Sektierer.

Es braucht aber auch Gäste, die nicht aus einem Medientraining der üblen Sorte in die Sendung kommen und bewusst und gezielt dem Gegenüber schon nach einem halben Satz ins Wort fallen, damit es gar nicht gehört und verstanden werden kann. Oder wie Claudio Zanetti, der während des Statements eines anderen Gastes alle fünf bis zehn Sekunden «Panik!» schreit. Dagegen braucht es eine Moderation, die ihre Aufgabe wahrnimmt und eine Gesprächskultur durchsetzt, die auf gegenseitiger Aufmerksamkeit und auf Respekt basiert – falls erforderlich auch mit gelben und roten Karten, mit Verwarnung und Verweis. Der Service public muss wieder klar machen, dass er kein Ort ist für krakeelende politische Sektierer.

Langweilig? Wirkungslos? – Es gibt auch extreme Gegenbeispiele, wie den Talk über «Fremdes Pack und Füdlibürger» (siehe Video unten). Im Rahmen eines Themenabends «Migration» sprachen auf «SRF zwei» fünf Secondos und Secondas über ihre Identität und ihr Leben in der Schweiz – äusserst zurückhaltend und diskret moderiert von Radiofrau Nicoletta Cimmino. Und mit einer Kameraregie, die über lange Strecken das jeweils gleiche Gesicht zeigte, einer redenden Person oder einer zuhörenden Person.

Oder – ein anderes Beispiel – es gab das interreligiöse Gespräch in den «Sternstunden», ebenfalls auf SRF 2, zwischen Christen, einer muslimischen Theologin und einem Buddhisten, zum Thema Abtreibung. Ruhig, offen, informativ, ganz unaufgeregt. Und mit einem kurzen Video der Originalaussage von Papst Franziskus, der Abtreibung als Mord begreift. Es war in beiden Fällen Service public zu einer Randzeit. Spät abends über die Migration, am Sonntagmorgen über die Abtreibung als Mord. Einige Wochen nach der Ausstrahlung der «Sternstunden» gaben prominente katholische Frauen bekannt, dass sie wegen dieser Aussage des Papstes aus der römisch-katholischen Kirche austreten. Das muss nicht die Folge der «Sternstunden» gewesen sein. Aber sicher ist, dass die Wirkung einer Sendung nicht vom Spektakel abhängt, sondern von der sorgfältig vorbereiteten Vermittlung wichtiger und treffender Information: emotional und rational treffend.

Und das geht – auch beim Thema Klimawandel. Der «Club», die späte Diskussionssendung auf SRF 1, hat mit Politologe Claude Longchamp und dem Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP), zwei alte Kämpen mit vier politisch aktiven jungen Erwachsenen aus SVP, SP, Klimabewegung und Forschung zusammengebracht (siehe Video unten). Das Gespräch zeigt beispielhaft, wie ein Austausch zwischen den Generationen stattfinden kann. Und es gab in dieser Runde eine Passage, die bei mir persönliche Erinnerungen geweckt hat. «Warum die Angst, warum die Panik?» lautete die Frage. Und die Antwort ist sehr einfach: Der Klimawandel steht mindestens seit der Gründung des Internationalen Klimarats (PCC) 1988 offiziell auf der globalen Tagesordnung. Das heisst: das Thema begleitet die heute 30-Jährigen durch ihre ganze Lebenszeit.

1992 hat in Rio de Janeiro die erste UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung stattgefunden. 2002 folgte in Johannesburg die zweite Konferenz zu diesem Thema. Ich habe zu diesem Jubiläum als Verantwortlicher für das Bildungsfernsehen bei SRF eine sechsteilige Serie zum Thema ausgestrahlt, unter anderem mit einem Film über die Verflechtung von Politik und Erdölindustrie. Und mit einer Eigenproduktion unter dem Titel: «Warnung aus den Alpen»: Er zeigte die Leiter hinauf zur Konkordiahütte, die gebaut werden musste, weil der Aletschgletscher schmilzt. Er zeigte die millionenteure Schutzmauer, die Pontresina, Schutz bietet gegen den auftauenden Permafrost und die Überwachung des Rutschhangs, auf dem die Standseilbahn nach Mürren wegen der Trassenverschiebung stillgelegt werden musste. Der letzte Film zeigte mit einem produktionsreifen BMW mit Wasserstoffantrieb bereits 2002 den Antrieb der Zukunft. Und 2008 fand in Basel eine internationale Konferenz zum Thema statt: Mit hervorragenden Umweltexperten und Fernsehanstalten des Service public von Asien über Afrika und Europa bis Nord- und Südamerika. – Das Thema ist seit über dreissig Jahren auf der Tagesordnung, und dabei hier und da sogar beim Schweizer Fernsehen.

Aber nach der «Arena» vom vergangenen Freitag drängt sich die Frage auf, ob es in der wichtigsten politischen Debatten-Sendung des Schweizer Fernsehens gestattet ist, so zu tun, als ob wir noch am Anfang einer Diskussion stünden, bei der es um Lebensfragen der Gesellschaft geht und nach aller wissenschaftlichen Erkenntnis um eine Überlebensfrage unseres Planeten.

Wir stehen vor Grundfragen unserer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Organisation. Das ist ein weites Feld. Ideen dazu müssen zurzeit noch in eher marginalisierten Produkten einer «Nischen»-Publizistik verbreitet werden, wie etwa jüngst vom Wirtschaftspublizisten Werner Vontobel auf «Infosperber»: «Sparen reicht nicht: Plädoyer für eine Ökonomie der kurzen Wege».

Der Service public von SRF hat sich den Anforderungen dieser Themen in seiner prominentesten politischen Diskussionssendung nicht auf angemessene Weise gestellt. Und dabei sind Grundprobleme der «Arena» deutlich geworden: Die Sendung hat sich in wichtigen Teilen den Gesetzen des Spektakels unterworfen. Und weil die Klimabewegung ihre wesentlichen Ideen in der SRF-«Arena» nicht hat darstellen können, hat sie ihrerseits am Ende der «Arena» angekündigt, dass sie am kommenden Freitag im Kulturhaus Kosmos in Zürich ihre eigene «Klimaarena» durchführen und diese Veranstaltung über Social Media verbreiten wird. Die Klimabewegung wird auch das publizistische Klima verändern.

Leserbeiträge

Ueli Custer 20. März 2019, 08:17

Gut gebrüllt, Robert. Für mich ist die Arena aus genau diesen Gründen schon vor langer Zeit gestorben. Es geht nur noch um Quoten und Quotes. Ich kann mich noch an eine einzige Arena erinnern, die mich am Schluss mit einem zufriedenen Gefühl schlafen liess. Damals war mit Micheline Calmy-Rey wie immer in der ersten Arena des Jahres der Bundespräsident Hauptgast. Mit dabei war auch der damals neue und leider viel zu früh abgetretene Parteipräsident der FDP, Rolf Schweiger. Und diese beiden kamen in einen echten Dialog über die zukünftigen Probleme der Schweiz. Es war eine Wohltat. Aber leider auch eine Ausnahme.

Klimafan 20. März 2019, 09:19

Projer wechselt ja jetzt glücklicherweise

zu seinem wahren Bestimmungsort!

Peter Eberhard 20. März 2019, 09:46

Na na, Herr Ruoff. Sie waren ja selber längere Zeit für SRF tätig, und die Arena war schon damals im Kern so wie heute. Ich kann mir die Sendung schon lang nicht mehr anschauen: Reine Absonderung vorgestanzter Meinungen, kein wirklicher Austausch und Erkenntnisgewinn. Die Lösung: abschaffen und statt dessen 1 Moderator/Moderatorin plus je 1 Vertreter/Vertreterin der gegensätzlichen „Lager“; Moderator greift nur ein, wenn es auszuarten droht. Und noch dies: Dass Projer nun zum Unterhaltungskonzern Ringier weiterzieht, der immer noch vorgaukelt, auch ernstzunehmende Publizistik zu betreiben, passt völlig ins Bild.

Christian Röthlisberger 20. März 2019, 10:43

word. wie wahr.

Maggy Ritz 20. März 2019, 12:08

Merci viel mal! Unsere Jugend zeigt wie’s geht. Mit respektvoller Diskussionsform  steuert sie geradewegs auf’s Ziel zu. Ich bin dankbar und sehr zuversichtlich.

H. R. Rauch 20. März 2019, 13:13

Kann alles voll unterschreiben. Seit einiger Zeit, auch schon vor Projer, scheint mir die Arena eine Bühne, auf der sich vor allem der/die ModeratorIn selbst darstellen will !!

Ueli Esslinger 20. März 2019, 13:33

Ist der Gesprächsverlauf nicht eine Auswirkung der Regie? J. Proyer trägt diesen Knopf im Ohr und mir scheint, dass er von „oben“ herumgejagt wird und er das Kommando bekommt, wem er das Mikrofon hinstrecken oder wegreissen muss. Soviel ich gesehen habe, ist das bei den anderen erwähnten Sendungen nicht der Fall.

Lukas Blatter 20. März 2019, 22:06

Nein. Die Arena unter Jonas Projer wird zu grossen Teilen von Projer selbst gesteuert. Einspielfilme und Grafiken startet der Moderator z.B. eigenhändig über das iPad im Studio. Mittels Knopf im Ohr wird (wie bei vielen anderen Sendungen auch) nur wenig ausgetauscht, etwa die verbleibende Zeit, wenn sich die Sendung dem Ende zuneigt.

Anita Buchs 20. März 2019, 17:03

Ich bin anderer Meinung. Der beste Moderator aller Arenasendungen seit ich die Sendungen schaue, also ca 15, vielleicht auch 20 Jahre, ist Projer. Es ist spannend anzuhören und ich lerne in jeder Sendung viel dazu. Es ist die einzige Sendung, welche ich im TV regelmäßig schaue. Und weil ich mit vielen Kollegen darüber reden kann, gehe ich davon aus, dass diese sie auch schauen. Oder gibt es ein Problem mit Zuschauerzahlen.