Mathew Ingram: «Für das Geschäft der Tech-Konzerne hat Journalismus keine Relevanz»
Sie schnüren dem Journalismus die Luft ab und geben sich gleichzeitig als gnädige Überlebenshelfer: «Facebook und Google sind Teil der Probleme, die der Journalismus hat», sagt Mathew Ingram. Der kanadische Journalist ist leitender Digital-Autor der «Columbia Journalism Review», einem US-Branchenmagazin. Er hat sich als kritischer Beobachter der Beziehung zwischen der Technologie-Industrie und dem Journalismus hervorgetan. Ingram ist regelmässiger Gast am «International Journalism Festival» in Perugia, wo die MEDIENWOCHE mit ihm sprechen konnte.
MEDIENWOCHE:
Mathew Ingram, welche Fragen prägen heute das Verhältnis zwischen Facebook, Google und der Medienbranche?
Mathew Ingram:
Die Frage, ob Facebook und Google überhaupt etwas mit Journalismus zu tun haben sollten. Ob sie zum Beispiel ein Festival wie dieses finanzieren sollten.
MEDIENWOCHE:
Und? Sollten sie?
Mathew Ingram:
Darauf gibt es zwei Antworten. Auf der einen Seite ist es gut, die Konzerne haben das Geld, das Festival kann es brauchen. Die Anwesenheit von Facebook und Google bedeutet auch, dass man mit den Konzernen im Gespräch ist. Das war vor ein paar Jahren noch nicht der Fall, als wir hier in Perugia immer nur über die Macht und Verantwortung der Tech-Konzerne gesprochen haben, aber nicht mit ihnen. Auf der anderen Seite sind Facebook und Google offensichtlich Teil der Probleme, die der Journalismus hat. Das eröffnet ein Spannungsfeld.
MEDIENWOCHE:
Wie sieht das aus?
Mathew Ingram:
Da ist zum Beispiel das Ungleichgewicht in der Machtbeziehung zwischen der Medienbranche und Konzernen wie Google und Facebook. Diese haben beinahe unendliche Mittel und sie sind bereit, hunderte von Millionen auszugeben. Für die Konzerne ist das Peanuts, für viele Redaktionen ist das die Welt. Und die Redaktionen sind darauf angewiesen, denn ausser ein paar philanthropischen Gönnern gibt es nicht mehr viele, die ihr Geld dem Journalismus geben. Problematisch ist aber, wenn Facebook oder Google zu den einzigen Geldgebern eines Programms werden. So unterstützt Facebook beinahe im Alleingang die «News Integrity Initiative».
MEDIENWOCHE:
Warum ist das ein Problem?
Mathew Ingram:
Weder Google noch Facebook kommunizieren transparent, wie viel Geld sie in welche Projekte investieren. Damit bleibt auch die Frage der Motivation hinter den Spenden ungeklärt. Ein wichtiger Punkt ist ausserdem, dass sich die Interessen der Konzerne schon durch ihre Struktur grundsätzlich von jenen der Medienbranche unterscheiden. Facebook ist zum Beispiel als soziales Netzwerk an einer möglichst weiten Verbreitung von Informationen interessiert, ob falsch oder richtig spielt zunächst keine Rolle. Man kann hinterfragen, ob das die richtige Umgebung für journalistische Inhalte ist.
«Aus Sicht der Konzerne ist es auch eine Frage der Relevanz, die der Journalismus für ihre Produkte hat.»
MEDIENWOCHE:
Sie sagten, das Festival in Perugia ermögliche ein Gespräch zwischen Journalismus und Big Tech. Sind die Konzerne an diesem Gespräch überhaupt interessiert?
Mathew Ingram:
Es gibt einige Leute in diesen Konzernen, die sich ernsthaft für die Probleme der Medienbranche interessieren. Das habe ich in persönlichen Gesprächen erfahren. Andere, und ich fürchte, das sind die Entscheidenden, interessieren sich allerdings überhaupt nicht, die wollen in erster Linie keine schlechte Presse. Und die beste Möglichkeit, keine schlechte Presse zu haben, ist, den Leuten Geld zu geben. Aus Sicht der Konzerne ist es auch eine Frage der Relevanz, die der Journalismus für ihre Produkte hat. News-Artikel machen etwa zwei Prozent der Inhalte im Facebook-Newsfeed aus. Das ist einfach zu wenig, um sich wirklich darum zu kümmern.
MEDIENWOCHE:
Die Abhängigkeit ist auch eine Frage der Informationsverteilung. Auf vielen Veranstaltungen in Perugia ist eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber der Entscheidungsmacht der Konzerne spürbar.
Mathew Ingram:
Es ist ein Problem, dass wir JournalistInnen nicht wissen, warum bestimmte Titelzeilen in den Suchresultaten angezeigt werde und andere nicht. Warum bestimmte News von den Plattformen verbannt werden und andere nicht. Die Algorithmen sind der grösste Wissensvorsprung der Konzerne, sie werden nie verraten wie sie funktionieren.
«Facebook trifft Entscheidungen, was die User sehen sollen. Wir wissen nur nicht, welche Entscheidungen das sind.»
MEDIENWOCHE:
Warum ist es so wichtig, die Algorithmen zu verstehen?
Mathew Ingram:
Facebook behauptet immer, der Konzern entscheide nicht über die Qualität der Medieninhalte, der Algorithmus sei neutral. Er zeige nur, was die User sehen wollen. Dabei ist es offensichtlich, dass Entscheidungen darüber getroffen werden, was die Nutzer sehen wollen. Wir wissen nur nicht, welche Entscheidungen das sind, wie sie getroffen werden, welche Kriterien ihnen zugrunde liegen und wir werden es wahrscheinlich nie wissen. Das ist ein fundamentaler Nachteil für ein Gespräch auf Augenhöhe.
MEDIENWOCHE:
Mark Zuckerberg hat in einem kürzlich veröffentlichen Gespräch mit Springer-Chef Mathias Döpfner die Möglichkeit eines neuen, separaten Newsfeed exklusiv für Medieninhalte erwogen. Medienschaffende sollen entscheiden, welche Inhalte dort zu sehen sind. Ist das eine Antwort auf die Kritik an den intransparenten Algorithmen?
Mathew Ingram:
Das ist wirklich eine sehr überraschende Ankündigung, denn Facebook hat schon einmal mit Medienschaffenden gearbeitet, die Inhalte für einen News Feed auswählten. Es war ein Experiment für einen separaten Kanal mit «Trending Topics». Aber das wurde zu einem grossen Desaster als herauskam, dass konservative Meinungen in den «Trending Topics» unterrepräsentiert waren. Das Programm wurde geschlossen und alle Mitarbeitenden entlassen. Das war Facebooks radikale Antwort auf die Kritik. Darum machen mich solche Ankündigungen zunächst skeptisch.
MEDIENWOCHE:
Trotzdem: Könnte die Anstellung von JournalistInnen das Auswahlverfahren nachvollziehbarer, vielleicht menschlicher machen?
Mathew Ingram:
Mark Zuckerberg war sehr unpräzise bei der Frage, ob der Algorithmus bei der Auswahl weiter involviert sein würde, oder nicht. Denn wenn es eine Mischform wird, dann wird es gleich herauskommen wie mit den «Trending Topics»: Der Algorithmus tut den Hauptteil des Jobs, er macht eine Vorauswahl. Die Angestellten sehen nur die Resultate dieser Vorauswahl und entscheiden dann, was im News Feed landet. Ich finde: Facebook sollte sich entweder komplett aus dem News Business zurückziehen, oder sie sollen es richtig anpacken. Einschliesslich des Eingeständnisses, dass sie die grösste Medienorganisation sind, die jemals existierte. Dazu gehörte dann aber auch, im grossen Stil JournalistInnen anzustellen, die News produzieren und kuratieren. Genau so, wie das in den übrigen Medienhäusern passiert.
«Mark Zuckerberg ist ein Programmierer und Entwickler und ich glaube nicht, dass er viel darüber nachgedacht hat, warum er bestimmte Dinge entwickelt hat.»
MEDIENWOCHE:
Die Journalistin Jennifer Lee sagte im vergangenen Jahr in Perugia, die Tech-Konzerne seien nicht in der Lage, sich grundsätzlich zu wandeln. Nackte Zahlen werden für sie immer über sozialen Bedenken stehen, denn die Struktur der Firmen spiegle die DNA ihrer Gründer.
Mathew Ingram:
Das sehe ich genauso. Mark Zuckerberg ist ein Programmierer und Entwickler und ich glaube nicht, dass er viel darüber nachgedacht hat, warum er bestimmte Dinge entwickelt hat. Er tat es einfach, weil er es konnte und weil es cool war. Ich glaube, er hat erst in den letzten Jahren begriffen, welche immensen Auswirkungen seine Arbeit hat. Aber jetzt hat er diese riesige Firma, die hunderte Milliarden umsetzt. Man kann die Zeit nicht einfach zurückdrehen, man kann die Erfindung nicht rückgängig machen.
MEDIENWOCHE:
Warum soll Facebook nicht zu Reformen fähig sein?
Mathew Ingram:
In der Vergangenheit haben Zuckerberg und Facebook immer nach demselben Muster auf Kritik reagiert: Wenn wir ein Problem haben, ändern wir einfach das Programm. Oder schrauben am Algorithmus herum. Oder designen einen neuen Algorithmus. Es wird immer nach einer technischen Lösung gesucht. Manche Probleme, die Facebook hat, sind aber keine technischen Probleme, sie lassen sich nicht durch Programme lösen. Es sind menschliche Probleme. Und mit diesen Problemen kann eine Plattform nun mal nicht umgehen, die dazu designed ist, Fotos zu teilen. Man müsste also eine neue, soziale Plattform auf die bestehende aufpfropfen. Und das ist sehr schwierig.
MEDIENWOCHE:
Man kann Facebook vorwerfen, es gewichte Meinungen und Emotionen stärker als Fakten. Dabei arbeiten manche Medien mit genau diesen Mitteln. Sind wir Journalisten überhaupt in der Position, Kritik zu üben?
Mathew Ingram:
Clickbait und Fake News sind keine Erfindung von Facebook, das gab es schon vorher. Und ja, gewisse Medien bedienen sich dieser Mittel. Aber ich halte es für einen Irrtum, die Plattformen nicht kritisieren zu dürfen, solange man selbst nicht perfekt ist. Der Unterschied liegt schlicht in der Grösse. Facebook hat die Grösse aller News-Organisationen der Welt und noch etwas obendrauf. Also ist auch die Auswirkung immens viel grösser, wenn dort etwas schief läuft, als wenn es beispielsweise bei Breitbart passiert.
«Die Berichterstattung über die Tech-Giganten ist nicht so gut, wie sie sein könnte.»
MEDIENWOCHE:
Braucht es einen besseren Medienjournalismus, um die Rolle von Facebook und Google, aber auch Amazon und Apple für den Journalismus besser einordnen zu können?
Mathew Ingram:
Die Berichterstattung über die Tech-Giganten ist nicht so gut, wie sie sein könnte. Das hat aber auch damit zu tun, dass Facebook die Berichterstattung erschwert und Informationen nur im PR-Sprech oder lieber gar nicht veröffentlicht. Der Tech-Journalismus hat es schwer. Aber er muss besser werden, denn Verständnislücken und fehlerhafte Berichte wie jener der New York Times über die angebliche Verwendung von Facebook-User-Daten für Spotify und Netflix, der sich im Nachhinein als falsch herausstellte, stärkt die Konzerne. Sie können sich dann einfach als Opfer einer Kampagne darstellen.
MEDIENWOCHE:
Sollen Medienunternehmen Facebook verlassen? Ist das eine Option?
Mathew Ingram:
Absolut. Und ich kenne einige, die das getan haben. Ich habe kürzlich mit jemandem gesprochen, dessen Mediengesellschaft alle Inhalte von Facebook entfernt hat. Er sagte mir, dass die Interaktionsraten auf der eigenen Website seither gestiegen sind. Der Traffic sei zwar gesunken, also die rohen Zahlen. Aber die Interaktion mit den Nutzern, und damit die wertvollere Währung als roher Traffic, die ist gestiegen. Die Strategie, Facebook zu verlassen, passt nicht für jeden. Zum Beispiel sicher nicht für jene, die auf möglichst grosse Reichweite angewiesen sind. Aber wer bereits eine etablierte Marke hat und ein treues Publikum, dem wird der Abgang von Facebook keinen grossen Schaden anrichten.
MEDIENWOCHE:
Sowohl Google mit seiner News Initiative, als auch Facebook mit dem Journalism Project investieren Millionenbeträge in den Journalismus. Warum?
Mathew Ingram:
Der einzige Grund, warum Facebook sich für News interessiert, ist, dass Mark Zuckerberg plötzlich vor dem Senat erscheinen musste. Oder weil das Unternehmen von Anwälten verfolgt wird. Ich denke, es ist am Ende in beiden Fällen eine PR-Aktion. Denn ganz ehrlich: Das Geld, das die Konzerne in den Journalismus investieren ist eine winzige Summe gemessen an deren Budget. Das juckt die nicht einmal an der Oberfläche, man kann also nicht wirklich von Engagement sprechen. Wie gesagt: Es gibt bei Facebook wie Google Angestellte, die sich für ein gesundes Ökosystem der Medien interessieren. Ich glaube, den Konzernen als Ganzes ist das egal.