Der grosse Werbe-Beschiss: Klickt euch doch selbst!
Im Internet sei die Wirkung von Werbung messbar. Sagen die Werberiesen Google und Facebook. Messbar sind aber vor allem Betrug und Beschiss. Wer für den Schaden aufkommt, bleibt unklar.
Fake-Werbung unter Missbrauch von Prominenten wie Roger Federer oder DJ Bobo flutet seit geraumer Zeit das Internet. Wer sich auf die zwielichtigen Angebote einlässt, sieht sein Geld garantiert nie wieder. Betroffen sind insbesondere Facebook und Online-Plattformen, die Google-Anzeigen einblenden. Die Betreiber der Websites oder die Inhaber einer Facebook-Seite stellen Werbeplatz zur Verfügung, den Facebook oder Google dann mit Werbung bespielt.
Sowohl Google als auch Medienkonzerne behaupten, dass sie alles täten, um solche gefälschten Werbebotschaften auszufiltern. Aber leider sei das schwierig bis unmöglich. So verdienen Google und die Medienkonzerne an dieser Betrugsmasche in Form von Werbeeinnahmen, können sie aber nicht abstellen.
Es muss nicht sein, dass ein menschliches Wesen auf die Werbung klickt. Es kann genauso gut ein Bot sein.
Ein weiteres Tummelfeld für Beschiss sind Google-Anzeigen, die der Auftraggeber bei entsprechenden Suchergebnissen platziert. Deren Funktionsweise ist bekannt: Wer nach «billige Flüge» sucht, erhält als erste vier Treffer Links zu Tickethändlern angezeigt, versehen mit dem Hinweis «Anzeige». Hier gilt «pay per click». Der Werbetreibende zahlt nur für erfolgte Interaktionen. Je mehr Geld der Werbetreibende für einen Klick zu zahlen bereit ist, desto häufiger und prominenter zeigt Google die Anzeige vor den organischen Suchtreffern an.
Allerdings muss es nicht sein, dass ein menschliches Wesen auf die Werbung klickt. Es kann genauso gut ein Bot sein. Das sind kleine Software-Programme, die sich jeder leicht im Internet besorgen und darauf programmieren kann, ein bestimmtes Inserat zu Tode zu klicken. Damit lässt sich etwa das Werbebudget eines unliebsamen Konkurrenten verpulvern, ohne dass es die gewünschte Wirkung erzielt.
Gemäss einer aktuellen Untersuchung stammt jeder fünfte Klick auf ein Inserat von einem Bot.
Die englische Website clickguardian.co.uk hat berechnet, dass der durch Klick-Betrug bei Google Ads angerichtete Schaden von 2016 bis 2018 nicht nur um 227 Prozent zunahm, sondern in absoluten Zahlen 27,2 Milliarden Dollar ausmacht. Gemäss ihrer Untersuchung stammt jeder fünfte Klick auf ein Inserat von einem Bot.
Auch beim Download von Apps wird geschummelt. Hier bezahlen die Hersteller von Apps dem Vermittler eine Provision, wenn die App über dessen Plattform heruntergeladen wurde. Bei solchen nicht-organischen Downloads soll der betrügerische Anteil satte 22,6 Prozent betragen. Den Anbietern von Apps werden solche durch Bots durchgeführten und in Wirklichkeit gar nicht erfolgte Downloads trotzdem in Rechnung gestellt. Gemäss einer aktuellen Studie der Firma AppsFlyer sei so allein im ersten Halbjahr 2019 ein Schaden von 2,3 Milliarden US-Dollar entstanden.
Es gibt inzwischen einen ganzen Begriffszoo, um die verschiedenen Betrugsmethoden voneinander abzugrenzen.
Das ist bei Facebook nicht anders. Auch hier erscheinen die Fake-Inserate mit Prominenten und andere betrügerischen Inserate. Die Betrugsmasche mit den Promis sorgt für etwas Medienresonanz, weil das Roger Federer & Co. natürlich überhaupt nicht lustig finden. Aber weiterhin unter dem Radarschirm der öffentlichen Wahrnehmung segelt eine Unmenge von Schwindel-Werbung.
Es gibt inzwischen einen ganzen Begriffszoo, um die verschiedenen Betrugsmethoden voneinander abzugrenzen. Von Audience Extension, dem Vorspiegeln von zusätzlichem Traffic auf der Webseite, über Click Fraud bis zur Herstellung gefälschter Websites. Und dabei sind die aktiveren Angriffe mit Phishing oder durch Hacker noch gar nicht einberechnet.
Die beiden Online-Werbungsgiganten Google und Facebook wollen sich nicht detailliert zu diesen Problemen äussern. Google Zürich lässt auf Anfrage immerhin verlauten, dass man allein im Jahr 2018 über «2,3 Milliarden Anzeigen gelöscht» habe, «und fast eine Million betrügerischer Konten». Das soll beweisen, dass Google viel unternimmt. Es beweist aber etwas anderes: Betrügereien sind ein riesiges Problem im Internet.
Viele Werbetreibende vertrauen darauf, dass man im Web gnadenlos die Wirkung von Werbung messen könne. Während es schwierig bis unmöglich ist, Aussagen zu treffen, wie viele Menschen ein Plakat oder ein Zeitungsinserat zur Kenntnis genommen haben, sei das in der digitalen Welt gar kein Problem. Der Klick wird gezählt, die Verweildauer gemessen, die vollständigen Bewegungen der Kunden registriert bis zum Kaufentscheid.
In der Schweiz nimmt der Anteil der Online-Werbung am gesamten Werbekuchen stetig zu, während die Anteile für Print, TV und Radio stagnieren oder sogar zurückgehen. Gemäss Werbestatistik hat Online bereits 2017 die Zwei-Milliarden-Schwelle überschritten und erzielt damit doppelt so viel Umsatz wie die gedruckte Presse.
Allein Google und Facebook erwirtschaften geschätzte 80 Prozent des gesamten Online-Werbeumsatzes. In absoluten Zahlen heisst das: Die beiden Giganten kassieren in der Schweiz mindestens 1,6 Milliarden vom Werbemarkt ab. Wenn man eher konservativ von 20 Prozent Betrug ausgeht, lassen sich daraus saftige 320 Millionen Franken ableiten, welche die Kunden in den Sand setzt.
Dabei sind die Folgeschäden, die der Werbebetrug anrichtet, noch gar nicht einberechnet. Also alle erfolgreichen Betrugsversuche, mit denen Leichtgläubigen Geld aus der Tasche gezogen wird. Ebenso wenig die Reputationsschäden für Medien, in deren Namen die Betrüger für die fiese Masche werben.
Bei den Promi-Betrugsinseraten verlieren sich die Spuren der Hersteller in den USA und in Panama. Obwohl jeder Betreiber einer Website eigentlich identifizierbar sein und einen Kontakt angeben müsste. Aber die wahre Identität lässt sich erfolgreich verschleiern. Dass der einzelne Gutgläubige, der auf einen solchen Fake reinfällt und Geld verliert, keine Möglichkeit hat, dieses mit rechtlichen Mitteln wieder zurückzuerobern, ist klar.
Man muss sich diese Absurdität auf der Zunge zergehen lassen: Ein Verlag warnt vor seinen eigenen Inseraten.
Wieso es aber weder Google mit seinen Tausenden von IT-Spezialisten noch grossen Medienkonzernen wie Springer, Ringier, «Spiegel», «Die Zeit» und anderen nicht gelingt, wenigstens offenkundigen Betrugsmaschen den Stecker zu ziehen, bleibt unverständlich. Immerhin gibt es Plattformen, die Google AdSense nicht verwenden oder überhaupt auf Google-Anzeigen verzichten. In der Schweiz zum Beispiel CH Media.
Was tut Ringier gegen den Betrug? Das Medienhaus warnt auf einer «Blick»-Community-Seite vor den Fake-Inseraten auf seiner eigenen Webseite. Und gibt den Lesern eine Gebrauchsanweisung, wie sie solche Fakes erkennen können. Man muss sich diese Absurdität auf der Zunge zergehen lassen: Ein Verlag warnt vor seinen eigenen Inseraten. Er verdient zwar dran, kriegt sie aber nicht weg.
Nachgerade peinlich wirkt allerdings, dass unter dieser Warnung eine weitere, wenig vertrauenserweckende «Promo» geschaltet ist: Werbung für Hörgeräte «vom Fachmann». Im Impressum der verlinkten Website ist eine Marketingfirma in London angegeben. Mit einer «Kontaktstelle Deutschland» in Berlin. An anderer Stelle lockt der «Fachmann» mit «TOP Kaffeevollautomaten» und Frankiermaschinen. Aber was bietet er für Schwerhörige? Nun, einen Idiotentest, bei dem man jede Menge persönliche Daten angeben soll, um «einen kostenlosen Hörtest» in einem «Fachgeschäft in Ihrer Nähe» zu bekommen. Was jedes seriöse Fachgeschäft auch direkt offeriert.
Von solchen Fakes und zwielichtigen Angeboten ist nicht nur der «Blick» betroffen; so gut wie alle grossen Medienplattformen in Deutschland und in der Schweiz bekommen die Betrugsmasche auf ihre Webseiten geklatscht.
Natürlich bemüht man sich überall um Löschung, weitgehend vergeblich. Das belegen auch die Aussagen grosser Schweizer Medienhäusern. Ringier antwortet: Die «Blick»-Gruppe kenne das Problem und sei «seit einiger Zeit in engem Austausch mit Google». Ausserdem tue es «Blick» «sehr leid, wenn Fake-Inserate für Verwirrung sorgen». Aber Verantwortung sieht Ringier offenbar nur darin, «auf diese Problematik aufmerksam zu machen».
Die NZZ räumt ein, dass es «leider» auch bei ihr solche Fake-Anzeigen gebe, «aber nur sehr selten». Aber man blockiere auch verdächtige Inhalte. Jede neue Kampagne werde mit einem Creative Audit verifiziert. Google AdSense verwende die NZZ nicht. Überhaut würden «in unserem Premium-Umfeld keine Restplatz-Vermarkter eingesetzt». Mit anderen Worten: Die alte Tante ist technologisch ziemlich weit vorne dabei. Zudem brächten ihr Google-Anzeigen «keinen relevanten Umsatz». Im Gegenteil: «Diese Art von Werbung schadet unserer Reputation.»
Auch das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das Medium bittet seine Leser, vom Medium publizierte Fake-Werbung zu melden.
Tamedia wiederum meint, dass «Brand Safety höchste Priorität» geniesse. Erst kürzlich sei eine betrügerische Werbung auf «20 Minuten Online» «identifiziert» und der Anbieter auf eine schwarze Liste gesetzt worden. Was sich mit einem kinderleichten Wechsel der Adresse umgehen lässt. Auch Tamedia erklärt – wie Ringier – seinen Lesern, wie diese Fake-Werbung erkennen könnten, und fordert sie auf, Meldung zu machen. Auch das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das Medium bittet seine Leser, vom Medium publizierte Fake-Werbung zu melden.
CH Media legt Wert auf die Feststellung, dass «in unseren Portalen keine Affiliate-Werbung ausgespielt wird». Tatsächlich sieht man auf den Websites von «Aargauer Zeitung» & Co. nur klassische Display-Anzeigen.
Da erhebt sich natürlich die Frage: Wer ist dafür verantwortlich? Genauer: Wie steht es mit der Haftbarkeit?
Wir sprechen also in der Schweiz von geschätzten 320 Millionen Franken Schaden für Online-Werbetreibende. Dazu der Schaden, den Bauernfänger-Inserate an Leichtgläubigen und an der Reputation der publizierenden Medien anrichtet. Da erhebt sich natürlich die Frage: Wer ist dafür verantwortlich? Genauer: Wie steht es mit der Haftbarkeit?
Es ist völlig klar: Name und Bild eines Prominenten zu verwenden, ohne seine Einwilligung und zudem noch im Zusammenhang mit einem klaren Betrugsversuch, stellt eine Persönlichkeitsverletzung und eine Rufschädigung dar. Zumindest dafür könnten Google und die Plattform, auf der der Fake erscheint, zur Verantwortung gezogen werden. Wieso das offensichtlich noch nicht geschah, bleibt rätselhaft.
Möglicherweise hat auch der Geschädigte eine Chance, Google und Plattform um Schadensersatz anzugehen. Er könnte argumentieren, auf die Seriosität des Mediums vertraut zu haben und weil die Fake-Werbung täuschend ähnlich wie redaktioneller Inhalt daherkam, hätte er Geld investiert – und verloren.
Interessant ist auch die Frage, was ein Werbetreibender unternehmen kann, wenn er nachweist, dass seine Anzeige nicht nur von Menschen, sondern auch von Bots angeklickt wurde oder auf Fake-Seiten erschien, wo es niemand sah.
Besonders störend ist, dass vor allem Google und Facebook immer kassieren: Für Klicks durch Bots, für Betrugs-Inserate und für Werbung, die nie ein menschliches Auge erblickt.
Bei einem Plakat oder einer Printwerbung hat der Auftraggeber immerhin die Möglichkeit, einfach zu überprüfen, ob die versprochene Dienstleistung erbracht wurde. In der digitalen Werbewelt ist das eindeutig schwieriger. Besonders störend ist, dass vor allem Google und Facebook immer kassieren: Für Klicks durch Bots, für Betrugs-Inserate und für Werbung, die nie ein menschliches Auge erblickt.
Störend ist auch, dass sich weltweit und in der Schweiz so viele Website-Betreiber von Google und Facebook die Butter vom Brot nehmen lassen. Also Inhalte produzieren, die Traffic generieren, was wiederum für hohe Klickzahlen bei Inseraten sorgt, wovon aber Google den Löwenanteil abkassiert. Bei Blogs und kleinen Online-Publikationen ist es verständlich, dass die keine eigene Werbeakquise betreiben können und lieber vom Angebot Gebrauch machen, mit geringem Aufwand ein Zubrot zu verdienen.
Können Google und Facebook diese massiven Betrügereien wirklich nicht abstellen? Grosse Medienhäuser ebenfalls nicht? Wird da wirklich energisch alles unternommen? Zweifel sind angebracht, solange sie selbst von dem grossen Beschiss mitprofitieren.
René Grossenbacher 15. August 2019, 15:54
Danke für diesen wertvollen Beitrag! Es ist klar, dass hier etwas geschehen muss, und zwar rasch. Das Problem betrifft ja nicht nur betrügerische Werbung und falsche Nutzerwerte, sondern auch Fake News, Hassreden, Rassismus und Persönlichkeitsverletzungen, die auf den digitalen Plattformen an der Tagesordnung sind. Wenn sich endlich die Erkenntnis durchsetzen würde, dass die Plattformen nicht blosse Technologieanbieter sind, sondern Medienunternehmen, wäre schon viel gewonnen, und sie könnten für die kriminellen Inhalte, die sie verbreiten, zur Rechenschaft gezogen werden.