von Benjamin von Wyl

Ein anrüchiges Geschäft von Keystone-SDA

Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA erkennt ihre Verantwortung im Kampf gegen Fake News. In welchem Umfeld die Kunden ihre Meldungen platzieren, interessiert die Agentur hingegen nicht. Geschäft ist Geschäft. Das stösst auf Kritik.

In Basel gibt es ein neues Newsportal. Ohne Ankündigung, Vorschusslorbeeren oder Stiftungsgeld ist es zum Nationalfeiertag gestartet. Schon nach einem Monat werden einzelne Beiträge über hundert Mal auf Facebook geteilt – ein beeindruckender Erfolg. Normalerweise suchen Neo-Medienmacher die Öffentlichkeit. Sie geben Interviews und nutzen jede Anfrage, um die eigene Vision zu verbreiten. Anders «New Swiss Journal»: Auf die Anfrage der Medienwoche antwortet Herausgeber Martin Widmer, er gebe Journalist*innen grundsätzlich keine Interviews.

Seine Verträge mit der Deutschen Presseagentur DPA und Keystone-SDA helfen «New Swiss Journal» aber, den Anschein zu erwecken, dass hier Journalist*innen arbeiten.

«New Swiss Journal» verlinkt im Impressum zwar auf den Presserat und bietet unter anderem Auftragsreportagen als Dienstleistung an. Aber auf der Plattform selbst findet sich keine einzige Reportage. Hier gibt es bloss empörte Kommentare, Agenturmeldungen sowie weitere Kurzmeldungen, die mit allgemeinen Quellenangaben wie «Deutsche Medien» aufwarten. Martin Widmer ist kein Journalist. Die Meldungen von der Deutschen Presseagentur DPA und Keystone-SDA helfen «New Swiss Journal» aber, den Anschein zu erwecken, dass hier Journalist*innen arbeiten.

Bis die «Tageswoche» vor anderthalb Jahren seine Identität offenlegte, hatte Widmer Politiker*innen auf seinen Facebook-Seiten «Kampagne 15» und «Kampagne 19» mit massiven Beleidigungen eingedeckt Dass Widmer die Bundesrätin und heutige Uvek-Vorsteherin Simonetta Sommaruga eine «Schlampe» nannte, gehört zu den harmloseren Ausfällen vor seiner Enttarnung. Die Facebook-Beiträge, für deren Verbreitung er teilweise auch Geld eingeschossen hat, sind mittlerweile gelöscht. Im «Tageswoche»-Artikel «Der grösste Internethetzer der Schweiz lebt in einer Villa in Riehen» bleiben sie archiviert.

Nach der Enttarnung und einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Jolanda Spiess-Hegglin, die in einem Vergleich endete, pausierte Widmer seine Aktivitäten. Aber seit er das «New Swiss Journal» gestartet hat, bespielt Widmer auch die Facebook-Seite «Kampagne 19 – Schweizer Politik» wieder. Mit etwas primitiverer Polemik teilt er auch hier die Nachrichtenmeldungen des «New Swiss Journal». Meldungen wie jene über eine laufende Gerichtsverhandlung eines mutmasslichen Kindersschänders: Der 15 Zeilen lange Beitrag auf «New Swiss Journal» mit «Quelle: Deutsche Medien» schildert den Verhandlungsgegenstand, als wäre der Autor bei der Tat dabei gewesen. Statt zurückhaltende Formulierungen, die die journalistische Sorgfaltspflicht gebieten, wird absolute Klarheit suggeriert. Während diese Meldung auf der Facebook-Seite «New Swiss Journal» kommentarlos geteilt wird, bietet «Kampagne 19» die kampagnenmässige Zuspitzung: Bundesrätin Sommaruga und Carola Rackete werden für die Tat verantwortlich gemacht. Die «TagesWoche» bezeichnete den aus der Anonymität agierenden Martin Widmer als «grössten Internethetzer der Schweiz»; die «bz Basel» nannte ihn «Hass-Blogger».

Die grösste publizistische Leistung von «New Swiss Journal» besteht also darin, Journalist*innen die Lauterkeit abzusprechen.

Mit seinem «New Swiss Journal» fährt Widmer eine neue Strategie: Er beleidigt in Texten mit Titeln wie «NGOs sollten für Scheinasylanten selbst aufkommen müssen» kaum mehr Einzelpersonen, sondern beispielsweise «Linkspopulisten», «Seenotretter». Und immer wieder Journalist*innen, etwa in diesem Beitrag: «(…) und zum Anderen haben sich die Medien selbst als das geoutet, was sie seit Jahrzehnten sind – linke Propagandisten!», oder in diesem: «Im Gegensatz zu den Populisten wären Journalisten laut Kodex zur Wahrheit verpflichtet und müssten politische Zusammenhänge kritisch beleuchten. Schön wärs! Stattdessen zelebrieren sie ihr Versagen zur ‹guten Sache› und repetieren stereotyp die immer gleiche Leier.» In einem weiteren Kommentar bezichtigt Widmer einen Journalisten des «Tages-Anzeigers» der Vertuschung, «obwohl er gemäss Journalistenkodex zu Ethik und Wahrheit verpflichtet wäre».

Die grösste publizistische Leistung von «New Swiss Journal» besteht also darin, Journalist*innen die Lauterkeit abzusprechen. «New Swiss Journal» ist ein Anti-Journalismus-Portal. Während er auf das Schlagwort bei «New Swiss Journal» bisher verzichtet hat, steht es in einem neueren Facebook-Post von «Kampagne 19»: «Lügenpresse». Es gibt einen Grund, weshalb der Neo-Medienmacher Martin Widmer nicht mit Journalist*innen spricht. Er hat etwas gegen sie.

Die Agenturmeldungen stärken den Eindruck, dass es sich bei «New Swiss Journal» um ein harmloses Newsportal handelt, das auch über Vermischtes berichtet.

Dabei ist Widmers Portal abhängig von der Arbeit der Journalist*innen von DPA und SDA. Nur dank ihren Agenturmeldungen verfügt «New Swiss Journal» regelmässig über neue Inhalte. Teils wirken die Agenturmeldungen auf dem Portal wie harmloses Füllmaterial und nützen gerade darum Widmer am meisten: So stärkt etwa die Meldung zum Tod von Peter Fonda den Eindruck, dass es sich bei «New Swiss Journal» um ein harmloses Newsportal handelt, das auch über Vermischtes berichtet.

Keystone-SDA bestätigt, dass Widmer zahlender Kunde ist. «Mit New Swiss Journal GmbH besteht eine Nutzungsvereinbarung, die Publikation unserer Meldungen ist rechtens», teilt Unternehmenssprecher Iso Rechsteiner mit. «Keystone-SDA stellt ihre Dienstleistungen allen Kunden zur Verfügung, die sich an die Gesetze und die vertraglichen Vereinbarungen halten.» Nur nach einschlägigen rechtskräftigen Verurteilungen würde man die Zusammenarbeit hinterfragen. Der Zivilprozess von Johanna Spiess-Hegglin endete in einem Vergleich. Widmer ist für seine Beleidigungskampagnen nie verurteilt worden.

«Nachrichtenagenturen müssen sicherstellen, dass ihre Inhalte nicht verfälschend oder sinnentstellend genutzt und veröffentlicht werden»
Jens Petersen, Sprecher DPA

Auch DPA-Sprecher Jens Petersen bestätigt gegenüber der MEDIENWOCHE, dass die Nachrichtenagentur mit Martin Widmer geschäftet: «Ob den verantwortlich handelnden Personen bei dpa die politische Ausrichtung eines Kunden gefällt oder nicht, kann nicht die Basis der Entscheidung sein, eine Geschäftsbeziehung mit einem Kunden einzugehen.» [REDAKTION: Die DPA hat Widmer am Erscheinungstag dieses Artikels gekündigt. Ausführliches Update am Ende des Beitrags] Als Nachrichtenagentur sei man vom Neutralitätsgedanken geleitet, aber trotzdem komme Agenturen heutzutage eine besondere Verantwortung zu. «Nachrichtenagenturen müssen sicherstellen, dass ihre Inhalte nicht verfälschend oder sinnentstellend genutzt und veröffentlicht werden», erklärt Petersen.

Doch Widmer nutzt die Agenturmeldungen nicht nur als Label für Harmlosigkeit und Seriosität: Eine Meldung der Deutschen Presseagentur über ein Gerichtsurteil in einem Fall von Totschlag, teilte «New Swiss Journal» mit dem Facebook-Kommentar, der Verurteilte «wäre unserer Ansicht nach als «Mörder» und nicht als «Todschläger» [sic!] zu verurteilen».

Widmer verwendet die Agenturmeldungen als Rohstoff und ergänzt sie dann um die Schlagworte und Ausfälligkeiten, die seine Community zum Teilen und Kommentieren anregen.

Verfälscht eine solche Verbindung von Facebook-Kommentar und Agenturmeldung nicht den Inhalt? Respektive: Unterscheiden Leser*innen heutzutage überhaupt noch zwischen den Inhalten, die ein Newsportal auf Facebook schreibt und jenen, die sich hinter dem Link verbergen? Für die DPA nicht. Sprecher Petersen teilt mit: «Das Teilen und Kommentieren von unseren Inhalten auf der eigenen Facebook-Seite ist aus unserer Sicht vertragskonform.» Widmer kann also die Meldungen als Rohstoff verwenden und sie dann um die Schlagworte und Ausfälligkeiten ergänzen, die seine Community zum Teilen und Kommentieren anregen.

Die DPA gehört zu den wenigen europäischen Nachrichtenagenturen, die bis heute ganz ohne öffentliche Gelder auskommen. Anders Keystone-SDA: Seit diesem Jahr unterstützt das Bundesamt für Kommunikation die Regionalberichterstattung der Agentur mit bis zu zwei Millionen Franken jährlich. Das Bundesamt für Kultur unterstützt Keystone-SDA weiterhin für dessen «Verständigungsleistung» zwischen den Sprachregionen. Schon länger ist die Bundeskanzlei ein Grosskunde der SDA; die SRG wiederum ist Miteigentümerin und seit vergangener Woche steht auch noch die Möglichkeit einer Unterstützung durch die Berner Kantonsregierung im Raum.

Die Verbindungen mit der öffentlichen Hand ändern aber nichts daran, dass Keystone-SDA keinerlei Qualitäts- oder Lauterkeitsansprüche an ihre Kund*innen stellt.

Muss man die Leistung von Keystone-SDA, einem Monopolunternehmen mit öffentlichen Beiträgen, als Quasi-Service-public verstehen? «Keystone-SDA leistet einen entscheidenden Beitrag für die Schweizer Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang den Begriff Service public zu strapazieren, ist nicht notwendig», weicht SDA-Sprecher Rechsteiner aus. Die Verbindungen mit der öffentlichen Hand ändern aber nichts daran, dass Keystone-SDA keinerlei Qualitäts- oder Lauterkeitsansprüche an ihre Kund*innen stellt – sofern Betreiber*in oder Portal nicht rechtskräftig wegen Diskriminierung oder Hetze verurteilt worden sind. Hat Keystone-SDA in den letzten fünf Jahren aus diesen Gründen überhaupt eine Geschäftsbeziehung beendet? Rechsteiner will das mit Verweis auf das Geschäftsgeheimnis ebenso wenig mitteilen, wie Details zu den finanziellen Konditionen des Vertrags mit Widmer.

«New Swiss Journal» ist nicht das einzige rechtspopulistische Schweizer Portal, aber wahrscheinlich das einzige, das sich mit Agenturmeldungen einen seriösen Anstrich zu geben versucht. Andere scheuen wohl die Kosten und publizieren anstelle von Agenturmeldungen frei verfügbares Füllmaterial wie Polizeimeldungen. Wahrscheinlich ist Widmers Unterfangen nicht ganz billig. Gemäss der Tarifliste, die bis 2018 galt, hätte er allein der SDA monatlich einen niedrigen vierstelligen Betrag überweisen müssen.

«Solange der Bund Geld in die Keystone-SDA steckt, werde ich dafür kämpfen, dass der Verwaltungsrat ihre Kundenliste genau analysiert.»
Matthias Aebischer, Nationalrat SP

Widmer zahlt, Keystone-SDA liefert. Und der Bund zahlt auch. Deshalb ärgert die Kooperation zwischen Martin Widmer und Keystone-SDA den Medienpolitiker und SP-Nationalrat Matthias Aebischer. Auch wenn man miteinbeziehe, dass die SDA aufgrund ihrer Monopolstellung alle Kunden gleich behandeln muss: In einem Fall wie Widmer gehe es um Zivilcourage. «Es geht nicht um eine Beschneidung der Pressefreiheit. Jeder kann in der Schweiz schreiben was er will. Das ist gut so. Dass aber SDA-Produkte für Hetze missbraucht werden, sollte dem Verwaltungsrat von Keystone-SDA Ansporn genug sein, diese Geschäftsbeziehung zu hinterfragen», teilt Aebischer auf Anfrage mit. Und weiter: «Solange der Bund Geld in die Keystone-SDA steckt, werde ich dafür kämpfen, dass der Verwaltungsrat ihre Kundenliste genau analysiert.» Dass SDA-Artikel missbraucht werden, sei wohl auch nicht im Sinn des Hauptaktionärs Tamedia, vermutet Aebischer. Die MEDIENWOCHE hat das Unternehmen gefragt: Unterstützt Tamedia als Aktionärin von Keystone-SDA, dass die Agentur Geschäftsbeziehungen mit einem Portal pflegt, dass namentlich einen ihrer Journalisten beleidigt? Tamedia nehme dazu keine Stellung, teilt ein Sprecher mit.

Es erscheint fragwürdig, dass eine Nachrichtenagentur mit Monopolstellung und zahlreichen Verflechtungen mit der öffentlichen Hand ihre Dienstleistungen einem Portal wie «New Swiss Journal» zur Verfügung stellt. Glaubwürdigkeit sei das höchste Gut von Keystone-SDA, teilt deren Sprecher Rechsteiner mit. Damit meint er die Glaubwürdigkeit der von der Nachrichtenagentur aufgearbeiteten Informationen – nicht aber das Umfeld, in der die SDA-Meldungen dann erscheinen. Ähnlich klingt es im Geschäftsbericht 2018 von Keystone-SDA: «Die positive Seite von Fake News ist, dass seriös arbeitende Medienhäuser in der Öffentlichkeit wieder ein höheres Renommee geniessen. So wird sich die Medienbranche dann behaupten können, wenn sie die Glaubwürdigkeit ins Zentrum stellt.»

Nun ist es so, dass manche SDA-Meldungen auch Martin Widmers Anti-Journalismus-Portal ihre Glaubwürdigkeit leihen. Die SDA-Meldungen sorgen dafür, dass «New Swiss Journal» wie ein journalistisches Angebot wirkt. Sie sorgen dafür, dass man es für mehr hält als einen geifernden Blog. Übrigens: Für Martin Widmer ist die Schweiz – anders als Russland – nur «eine ‹harmlose› Meinungsdiktatur». So postete er es jedenfalls am 5. August auf Facebook.

UPDATE 4. September 2019: Die DPA beendete die Zusammenarbeit mit Martin Widmer am Nachmittag des 3. September, wie Sprecher Jens Petersen mitteilt. Auslöser für das schnelle Handeln der DPA war ein  Facebook-Post vom 29. August, in dem Martin Widmer offen ausführt, wie «New Swiss Journal» Agenturmeldungen verfälscht. «Über das, was wir beim New Swiss Journal sahen, waren wir entsetzt. Dies lässt sich in keiner Weise mit den Grundsätzen der dpa vereinbaren», so Petersen. Die Anfrage der MEDIENWOCHE habe bei der DPA die Aufmerksamkeit gegenüber Widmer nochmals erhöht. Aufgrund der Kündigungsfrist können in den nächsten Tagen noch DPA-Meldungen auf «New Swiss Journal» erscheinen.

UPDATE 5. September 2019: Keystone-SDA sieht bisher keine missbräuchliche Verwendung ihrer Inhalte gegeben, so deren Sprecher Iso Rechsteiner: «Eine missbräuchliche Verwendung ist dann gegeben, wenn die Inhalte sinnentstellend, diskriminierend oder sonst vertragswidrig verwendet werden.» Die Geschäftsbeziehung mit Martin Widmer bleibt bestehen.

Leserbeiträge

Heinzelmann Susanna 04. September 2019, 08:02

Kleine Korrektur: Widmer hat auch nach dem Vergleich mit Frau Spiess-Hegglin nicht mit Kampagne 19 pausiert und den Blog weitergeführt. Er war jedoch sehr oft von FB gesperrt und hat vor einiger Zeit sämtliche verbleibenden Posts selber gelöscht. Die FB-Seite „Perlen aus Blocheristan“ hat das auch immer wieder dodumentiert.

Lahor Jakrlin 04. September 2019, 09:14

Ja, eine ungute Sache.

Aber fordert man jetzt von Verkäufern (SDA/DPA), sie sollen ihre Käufer einer Gesinnungsprüfung unterziehen?

Bitte nicht.

Man verkauft nach links, und man verkauft nach rechts. Links und Rechts sind in ihren extremen Formen gleichermassen schlimm. Das zu erkennen ist Sache der Leserinnen und Leser.

Remo 24. September 2019, 20:25

Ungeachtet dessen, was man von politisch weit links stehenden Publikationen wie der WOZ oder rechts-stehenden Publikationen wie der SchweizerZeit oder solch neuen Publikationen wie der obgenannten hält:

Bedenklich ist vielmehr, wenn eine von Steuergeldern bezahlte Agentur wie die SDA Gesinnungsprüfungen vornehmen soll.

Leser sind mündig genug, um sich ein Gesamtbild der Publikation zu machen, welche sie lesen.

Sie haben keine Bevormundung nötig wie hier seitens der Medienwoche gefordert seitens des Autors.

Schlimm wäre es, wenn Leser so dumm wären. Das sind sie mitnichten.