von Oliver Classen

Kolumne: Ein schrecklich nettes Familientreffen

Blocher ruft und die Deutschschweizer Medien-Elite kommt: Allerdings nicht um ihn in die Mangel zu nehmen, sondern um «Teleblocher» und deren Machern zu huldigen. Unser Kolumnist sieht da ein (Un)Sittenbild der Schweizer Kommunikationsbranche zu Wahlkampfzeiten.

«Teleblocher feiert die 600. Sendung»: Normalerweise ignoriere ich so eine Jubiläumsmeldung ja. Der Untertitel «Stelldichein im Toggenburg» hätte mich allerdings aufhorchen lassen sollen. Gelesen habe ich die Meldung aber erst, nachdem der Tweet eines für seine professionelle Integrität bekannten Reporters meine Aufmerksamkeit geweckt hatte.

Darin kritisierte dieser nicht nur die «Propaganda-Veranstaltung» selbst, sondern sinngemäss mehr noch die – gemäss der Meldung – «rund 60 ‹Fans und Kritiker›, die meisten aus dem Zürcher Journalistenkuchen», die sich mitten im SVP-Wahlkampf willfährig instrumentalisieren liessen vom Übervater. Sinngemäss deshalb, weil diese akkurate Analyse nach meinem Retweet flugs gelöscht wurde. Auf die Nachfrage nach den Gründen für diesen Rückzieher lautete die erschütternde Antwort: «Manchmal ist schweigen besser als reden.» Welche Medienmächtigen brachten diesen sonst so coolen Kollegen dazu, sofort und quasi öffentlich zurückzukrebsen? Diese Frage blieb unbeantwortet.

Hier die journalistische Entlarvung eines Volksverhetzers, dort der publizistische Liebesdienst an einem (selbst ernannten) Volkstribun.

Eine Woche später dann sah ich, wie AfD-Radikalinski Björn Höcke vom ZDF nach allen Regeln der Interviewkunst gegrillt wurde. Der Kontrast zu der ahnungslosen bis anbiedernden Stichwortgeberei von Matthias Ackeret, dem «Teleblocher»-Moderator, könnte schmerzhafter nicht sein: Hier die journalistische Entlarvung eines Volksverhetzers, dort der publizistische Liebesdienst an einem (selbst ernannten) Volkstribun.

Dass ihn der Alte vom Herrliberg dort seit 2007 jeden Freitag zur leicht autistischen Audienz empfängt, verdankt der «Persönlich»-Verleger seinem Buch «Das Blocher-Prinzip», «dessen eigentlicher Autor» gemäss Eigenwerbung aber «Blocher selbst ist». Und natürlich dem 2015 verstorbenen Norbert Neininger, von dem es im Nachruf hiess: «Seine ‹Schaffhauser Nachrichten› empfahlen den EWR-Beitritt schon zur Ablehnung, als (…) Köppel und Somm noch das machten, was sie heute ‹linken Mainstream-Journalismus› nennen.»

Der eigentliche Skandal dieser Sendung aber ist, dass sie nie ein Skandal war.

Verlautbarungsjournalismus ist also nicht mal der Vorname dessen, was «Teleblocher» bis dato schon über 200 Stunden lang ins Handörgeli-Idyll hinausposaunt hat. Der Nachname lautet schlicht Parteipropaganda und Personenkult. Freilich nicht mit germanischer Schärfe, sondern helvetischer Gmögigkeit. In einer Radio-Reportage zur 500. Ausgabe gab Ackeret denn auch zu Protokoll, dass «Nachfragen anmassend wäre» und er stolz auf die «Überlistung der etablierten Medien» ist, so «wie es Trump mit Twitter macht».

Der eigentliche Skandal dieser Sendung aber ist, dass sie nie ein Skandal war. Und heute längst zum medialen Inventar der Alpenrepublik gehört. Nur so scheint erklärbar, dass vor drei Wochen 60 (!) Branchengrössen in den abgelegenen Gasthof von Ex-SVP-Präsident Toni Brunner pilgerten, um dort aktive Beihilfe zu Blochers volkstümelnder «Selbstverharmlosung» zu leisten. Und dass sich – abgesehen vom eingangs erwähnten Kollegen – niemand darüber aufgeregt hat.

Solches «Rubbing Shoulders» zwischen Zürcher Medien- und rechtspopulistischer Polit-Elite hat mitgeholfen, die SVP erst salonfähig und dann zur stärksten Partei zu machen.

Die von persoenlich.com (ebenfalls stolz) referierte Gästeliste umfasste neben «der halben NZZ» (von Eric Gujer bis Medienredaktor Rainer Stadler), einzelnen Weltwöchlern, dem Tamedia-Haudegen Marcel Kohler und der Alt-Schaffhauser Connection Peter Hartmeier auch allerlei überraschende Namen.

Was etwa hatten Blocher-Verächter Roger Schawinski, Ex-Economiesuisse-Chef Gerold Bührer, Starwerber David Schärer oder Ringiers Digital-Leiter Peter Wälty im hintersten Toggenburg verloren? Ganz einfach: Sie konnten nicht nur Ghackets und Hörnli, sondern auch mal wieder eine fette Dosis Vitamin B zu sich nehmen. Solches «Rubbing Shoulders» zwischen Zürcher Medien- und rechtspopulistischer Polit-Elite hat mitgeholfen, die SVP erst salonfähig und dann zur stärksten Partei zu machen.

Selbst das SRF war übrigens vertreten – wenn auch nur durch ihren Tessin-Korrespondenten Reto Kohler. Die sich am Leutschenbach seit April hartnäckig haltenden Gerüchte, zwecks Ausgewogenheit wolle man «Teleblocher» übernehmen und unter dem Namen «Vox populi» neu lancieren, erhalten durch den Altherrentreff im «Haus der Freiheit» (!) also zum Glück keine neue Nahrung.

Wie ein Ölschinken von Anker: Die rustikale Runde inspirierte einen Twitterer zur Verfremdung des offiziellen Fotos. (Bild: persoenlich.com/Bearbeitung: Twitter-User @grawzone)

Leserbeiträge

Jüeg-Peter Lienhard 24. September 2019, 17:58

So weit ist unser «Metier» seit der SJU-selig und Vico A. Minelli gesunken. Man darf sich fragen, warum so viele Fliegen sich auf einen Kuhfladen stürzen? Ob sie darin ein Goldstückli vermuten, wie die Toggenburger ihr Gebietchen im Sankt-Galler-Umland selber heissen?

Willi Näf 24. September 2019, 19:48

Euch ist aber schon bewusst, dass diese sich «hartnäckig haltenden Gerüchte» über eine Übernahme des Blocher-TV durch SRF eine Erst-April-Satire von Giuseppe Gracia ist, oder?

Peter Wetter 24. September 2019, 21:08

Wo ist Ihr Problem? Wir haben in der Schweiz freie Meinungsäusserung.

Matthias Ackeret 24. September 2019, 22:08

Eigentlich sollte man als direkt Angesprochener nie antworten, ich mache es trotzdem. Ich fand den Artikel von Oliver Classen sehr interessant. Vielleicht noch erwähnenswert: Nicht Christoph Blocher hat die Gäste angeschrieben und somit ins Toggenburg eingeladen, wie Oliver suggeriert, sondern meine Wenigkeit. Blocher wusste bis zuletzt nicht, wer kommt. Eine alte Regel im Journalismus besagt, dass man rausgehen soll, wenn man etwas beschreiben will. Die 60 Medienvertreter haben die Züri-Blase für einmal verlassen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Das ist doch grossartig. Oliver Classen würde dies – wie ersichtlich- nicht tun. Das ist sein gutes Recht. Deswegen ist ihm hoch anzurechnen, dass er den Journalismus verlassen hat, um einen ihm passenderen Job auszuwählen.

Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor “persönlich”

 

 

 

René Munz 25. September 2019, 09:03

Danke für den Kommentar! Es ist zum Fremdschämen und zum Verzweifeln, weil es so typisch ist für den gegenwärtigen Schweizer Journalismus.

Roland Grüter 25. September 2019, 17:23

Eigenartig. Linksextreme Veranstaltungen werden mit Glace-Handschuhen rapportiert. Dort spricht man nie von Volksverhetzer.

Aber eben. Meinungen kommen aus verschiedenen Küchen, teils eben auch unprofessionell.

(Ich gehöre weder dem linken noch dem rechten Spektrum an.)

Robert Weingart 26. September 2019, 06:56

Scheint mir eine Veranstaltung der „grumpy old white men“.