von Oliver Classen

«Ich sehe uns nicht als Star-Ermittler, sondern vielmehr als Dienstleister»

Steht sein Name über einem Artikel, dann müssen die Reichen und Mächtigen zittern. Frederik Obermaier (35) hat in den letzten Jahren an zahlreichen Grossrecherchen und Enthüllungen mitgewirkt, die Politiker zum Sturz und Steuersünder zum Zahlen brachten. Der Journalist und Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» erklärte anlässlich der «Global Investigative Journalism Conference» Ende September in Hamburg, warum wir «in goldenen Zeiten für den investigativen Journalismus» leben und wieso seine Redaktion bei aufwändigen Recherchen sogar mit der Konkurrenz kooperiert.

MEDIENWOCHE:

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?

Frederik Obermaier:

Hm, ehrlich gesagt habe ich zwei verschiedene: Auf der einen steht nur «Süddeutsche Zeitung», auf der anderen noch der Zusatz «Investigative Recherche». Das deshalb, weil es manchmal nicht sehr zielführend ist, gleich beim ersten Treffen mit einer potentiellen Quelle oder einem heiklen Experten auch das Ressort zu nennen, für das ich arbeite.

MEDIENWOCHE:

Gründet diese Vorsicht auf Erfahrung?

Frederik Obermaier:

Durchaus. Insider der Finanzindustrie etwa sind da besonders sensibel. Auf Konferenzen, wo es um den Offshore-Sektor oder Geldwäscherei geht, nehme ich deshalb nur die Visitenkarten ohne Zusatz mit. Je interessantester ein dortiger Gesprächspartner, desto leichter lässt er sich verschrecken. Dass ich Journalist bin und für die «Süddeutsche Zeitung» arbeite, sage ich aber selbstverständlich immer schon beim Kennenlernen.

«Das Jobprofil des investigativen Journalisten ist beliebter und notwendiger denn je.»

MEDIENWOCHE:

Branchenanlässe mit dem Attribut «investigativ» können sich, wie hier in Hamburg, vor Teilnehmenden kaum retten. Überrascht Sie dieser Erfolg?

Frederik Obermaier:

Nicht wirklich. Wir leben in goldenen Zeiten für den investigativen Journalismus. Gerade für gründliche Recherchen gibt es heute mehr Bedarf, aber auch mehr Möglichkeiten denn je. Sich durch tausende Dokumente pflügen und Dutzende von Quellen treffen, um hinter die glitzernde PR-Oberfläche von Unternehmen und Politikbetrieb zu blicken: Dieses Jobprofil ist beliebter und notwendiger denn je.

MEDIENWOCHE:

Dies aber auch, weil es immer mehr Missstände gibt.

Frederik Obermaier:

Leider ja. Aber eben auch immer mehr Quellen, die sich trotz hohem persönlichem Risiko für mehr Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit einsetzen. In der Ukraine-Affäre geschieht dies grad bei einem US-Präsidenten, der mittlerweile täglich lügt. In der Wirtschaft und in Behörden stossen Mitarbeitende, die auf Verstösse hinweisen, bei den Verantwortlichen immer noch viel zu häufig auf taube Ohren und lassen ihre Informationen dann uns zukommen. All das braucht sorgfältige Prüfung und Einordnung. Und deshalb immer mehr journalistische Ressourcen.

«Die Zeit des einsamen Wolfs ist endgültig vorbei.»

MEDIENWOCHE:

Die Global Investigative Journalism-Konferenz ist aber auch ein Fest der Kollaboration, ein einziges grosses Netzwerken.

Frederik Obermaier:

Ja, da wurden an jedem Kaffee- oder Bratwurststand bestehende Kooperationen gepflegt oder neue Projekte ins Leben gerufen. Früher hatten solche Partnerschaften fast immer internationalen Charakter. Inzwischen wird aber zum Glück auch innerhalb einzelner Länder viel häufiger und besser zusammengearbeitet. Die Zeit des einsamen Wolfs ist endgültig vorbei.

MEDIENWOCHE:

Geht es um investigative Knüller wie zuletzt beim Ibiza-Video, das Österreichs Regierung zu Fall brachte, kooperiert die SZ sogar mit der nationalen Konkurrenz vom «Spiegel». Wie viel Überzeugungsarbeit brauchte es da bei der Redaktionsleitung?

Frederik Obermaier:

Gar keine. Im Gegenteil: So wichtige Gemeinschaftsprojekte werden von unseren Chefs gefördert. Es gibt einfach Themen und Personen, an denen das öffentliche Interesse zu gross ist, als dass man sich altes Konkurrenzdenken und publizistische Partikularinteressen noch leisten kann und will. Aufgrund der unterschiedlichen Kulturen in München und Hamburg war ich anfangs zurückhaltend. Die Synergien und Resultate waren aber fantastisch. Der Sache hat es sicher enorm genutzt. Und genauso sicher keinem der Partner geschadet.

«Die Ibiza-Enthüllungen haben gezeigt, dass auch die grössten Konkurrenten gut zusammenarbeiten können.»

MEDIENWOCHE:

Das tönt ja fast so, als hätte die gute alte Scoop-Logik definitiv ausgedient.

Frederik Obermaier:

Zumindest hat die Ibiza-Affäre gezeigt, dass auch die grössten Konkurrenten im Zweifel gut zusammenarbeiten können.

MEDIENWOCHE:

Gesteckt wurde Ihnen das Material, wie schon bei den grossen Daten-Leaks, einmal mehr von einem Whistleblower. Wie abhängig sind Sie heute von solch anonymen Quellen?

Frederik Obermaier:

Nur damit hier keine Missverständnisse entstehen: Meine Kollegen und ich wissen, wer uns das Ibiza-Video zugespielt hat. Aus Gründen des Quellenschutzes machen wir die Identität aber nicht öffentlich. Von Quellen – ob anonym oder nicht – ist der Investigativjournalismus in meinen Augen nicht abhängiger als immer schon. Ohne Insider-Informationen gäbe es wohl auch keinen Investigativjournalismus. Bei der «Süddeutschen Zeitung» stieg spätestens seit den «Panama Papers» die Zahl der Menschen, die wichtige und richtige Hinweise auf Missstände gesammelt und an uns weitergegeben haben. Die Hinweise zu lesen und auszuwerten ist mühsam und vor allem zeitaufwendig. Wie die jüngsten Skandale zeigen, lohnt sich der Aufwand aber.

MEDIENWOCHE:

Die Lorbeeren dafür kassieren, mitten in der Medienkrise, jeweils spezialisierte Recherche-Ressorts. Spüren Sie in der Branche oder sogar der eigenen Redaktion nicht manchmal auch Neid auf die materielle Ausstattung und mediale Beachtung, welche Star-Ermittlern wie Ihnen zu Teil wird?

Frederik Obermaier:

Ich sehe uns nicht als Star-Ermittler, sondern vielmehr als Dienstleister. Bei Bedarf – der auch bei der «Süddeutschen Zeitung» laufend wächst – unterstütze meine Kollegen und ich andere Ressorts beispielsweise bei der Analyse grosser Datenmengen oder der sicheren Kommunikation mit Quellen. Umgekehrt holen wir regelmässig Fachleute anderer Ressorts an Bord: Bei den Implant-Files waren das Gesundheitsspezialistinnen, bei den Ibiza-Dokumenten drei Österreich-Kenner und -Kennerinnen aus dem Politikressort.

MEDIENWOCHE:

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die mangelnde Transparenz Ihres Metiers: Was wissen Sie über die Motivation und Interessen jener Menschen, von denen die Datenpakete kommen, welche dann zu «Swiss Leaks» oder «Paradise Papers» werden? Das «qui bono» ist doch ein blinder Fleck mitten im grellen Schein dieser Enthüllungen.

Frederik Obermaier:

Jede Quelle hat ihre eigene Motivation und nicht jeder Whistleblower ist ein weisser Ritter – und das ist auch nicht schlimm. Viel entscheidender ist für mich: Sind zugespielte Informationen authentisch und betreffen sie einen Missstand von öffentlichem Interesse.

MEDIENWOCHE:

Konkret: Wie stellt die «Süddeutsche Zeitung» sicher, dass sie nicht manipuliert oder instrumentalisiert wird?

Frederik Obermaier:

Zum einen: Wir bezahlen grundsätzlich nichts, weder für Hinweise noch für Daten. Zum anderen lassen wir uns in keiner Form in den Inhalt oder den genauen Zeitpunkt unserer Berichterstattung reinreden. Und nur weil wir nach aussen hin nicht über unsere Quellen sprechen, heisst das nicht, dass wir intern nicht so genau wie möglich hinschauen, wer uns da was aus welchen Gründen zugespielt hat. Die Motivlage unserer Informanten recherchieren wir genauso wie deren Informationen.

«Das wichtigste für eine erfolgreiche internationale Recherche ist der menschliche Faktor.»

MEDIENWOCHE:

Unbehagen löst mancherorts auch die nach undurchsichtigen Kriterien vergebene Exklusiv-Mitgliedschaft in Netzwerken wie dem ICIJ aus, über das alle grossen Leaks der letzten Zeit gelaufen sind. Wer in diesem Klub ist, hat den nächsten Job eigentlich auf sicher, oder?

Frederik Obermaier:

Ich glaube, diese Mitgliedschaft wird von vielen in der Branche überbewertet. Viele ICIJ-Kollegen sind längst nicht bei jedem Projekt dabei. Umgekehrt sind einige Kolleginnen und Kollegen, die regelmässig dabei sind, gar keine Mitglieder. Es kommen auch laufend neue Partner dazu und alte springen wieder ab. Das wichtigste für eine erfolgreiche internationale Recherche ist ohnehin der menschliche Faktor: Man muss sich vertrauen können und willens sein, zu teilen.

MEDIENWOCHE:

Das ICIJ versteht sich also nicht als globales Allstar-Team der nationalen Spitzenkräfte?

Frederik Obermaier:

Nur weil jemand der beste oder berühmteste Investigativjournalist eines Landes ist, heisst das nicht, dass er auch die beste Wahl für eine internationale Recherchekooperation ist. Das ICIJ ist vor allem eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, mit denen es verdammt viel Spass macht zusammenzuarbeiten.