Eine Resolution für starke Information: SRF-Redaktionen fordern Ende der Sparpolitik
«Kassensturz», «ECO» und «Rundschau» schlagen Alarm: Sie sehen den Recherchejournalismus beim Schweizer Fernsehen gefährdet. Darum verlangen sie mehr Kapazitäten und unverkennbare eigene Inhalte für ihre digitale Präsenz. Die SRF-Führung sieht die Probleme, schafft sich aber mit der Newsroom-Strategie zu viele Sachzwänge. Es drängt sich deshalb die Frage auf: Geht der Sparkurs an die Substanz?
Kleine Beobachtungen führen manchmal zu einer grösseren Geschichte. Wenn eine Sendung wie «Zäme dihei» unter anderem an der Abwesenheit des Star-Moderators scheitert, weil Nik Hartmann gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten als Moderator auftreten sollte, wenn die «Rundschau» zwischen Scoop und Boulevard pendelt, wenn eine Flaggschiff-Sendung wie die «Arena» während Monaten nach ihrer passenden Form sucht und schliesslich in die Krise schlittert, oder wenn der «Club» sich am überhöhten Anspruch übernimmt, dann wird man stutzig. Und wenn sich Abgänge als Krisensymptome entpuppen, wie etwa jener von Marc Meschenmoser, der SRF unter anderem deshalb verlassen hat, weil die interregionale Rechercheredaktion, die er leiten sollte, von der Generaldirektion aus Spargrünen auf Eis gelegt wurde. Wenn einem all das und mehr vor die Augen kommt, fragt der aufmerksame Beobachter dann doch nach den Gründen.
Wer das Programm des Schweizer Fernsehens im Allgemeinen und seine Informationssendungen im Speziellen über eine gewisse Zeit verfolgt, wird bei wiederkehrenden Symptomen die Gründe nicht zuerst beim Unvermögen der gemeinen Fernsehschaffenden suchen. Die schwankende Qualität mag genauso an fehlender publizistischer Führung liegen – manche Schwächen ziehen sich über die ganze Breite der Hintergrundsendungen –, oder an fehlenden tragfähigen publizistischen Konzepten.
Und schliesslich erinnert man sich beim Blick auf die jahrelange Ära der Sparpolitik an eine zentrale Feststellung: In der Zeit der gedeckelten Einnahmen und des grossen Werbeeinbruchs reichen ganz einfach die finanziellen Mittel nicht mehr, um die Strukturen und das Angebot aus den fetten Jahren mit einer stabilen Qualität zu realisieren. Das gilt selbst mit dem Zustupf von 50 Millionen Franken aus der Medienabgabe, der ab 2021 kommen soll.
Es fehlt an Geld, es fehlt an Ressourcen und es fehlt an Kapazitäten, um den Service-public-Auftrag mit stetiger Qualität zu erfüllen. Und so stellt sich die Frage: Geht der Sparkurs der SRG mittlerweile an die Substanz?
Also beginnt man nachzufragen und nachzubohren, und stösst dabei ganz unvermittelt auf die grössere Geschichte: Die Situation ist prekär. Und die Betroffenen schlagen Alarm. «ECO», «Rundschau» und «Kassensturz/Espresso», die drei profilierten SRF-Recherchesendungen, sind im Januar mit einem Protest gegen die Sparpolitik an die Unternehmensleitung gelangt. Jetzt, Mitte 2020, könnten sie triumphierend einen Erfolg vermelden. Doch sie tun es nicht, weil sie den Erfolg ihrer Forderung nicht als Niederlage von Chefredaktion und Unternehmensleitung verkaufen wollen. Aber der Inhalt ihrer Resolution ist dramatisch genug, um ihn öffentlich aufzugreifen.
In ihrem Protestschreiben fordern die Redaktionen von «Kassensturz/Espresso», «ECO» und «Rundschau», «dass bei den Rechercheredaktionen kein weiterer Abbau von Ressourcen stattfindet, dass die jüngste Sparrunde rückgängig gemacht wird und die Recherchekapazitäten gestärkt werden: Für einen modernen, gehaltvollen Journalismus». Denn, so steht es in der Resolution:
- «Der Recherchejournalismus ist bedroht
- Das Risiko von Fehlern sowie der Instrumentalisierung steigt
- Die Recherchekapazitäten müssen ausgebaut werden
- Wir brauchen mehr eigene, unverkennbare Inhalte für den digitalen Auftritt»
Das sind die zentralen Feststellungen und Forderungen der Redaktorinnen und Redaktoren von «Rundschau», «Kassensturz/Espresso» und ECO. Die Initiantinnen haben bewusst die Redaktionsleitungen nicht einbezogen, um sie nicht in einen Loyalitätskonflikt zu bringen. Über 100 SRF-Mitarbeitende haben die Resolution unterzeichnet. Unterstützung erhielten die Redaktionen auch von der Mediengewerkschaft SSM und von Kolleginnen und Kollegen aus dem Radiostudio Bern, die sich nach den Spannungen der jüngsten Vergangenheit mit den Fernsehleuten in Zürich bewusst solidarisch zeigen wollten.
Die Resolution befürwortet ausdrücklich den Übergang zum «digitalen Journalismus». Als Orientierungspunkte für ihre Forderungen und ihre Kritik nimmt sie die anerkannten Qualitätsleistungen von «Rundschau», «Kassensturz/Espresso», «ECO» und anderen. Diese Sendungen zählten zu den stärksten Argumenten gegen die «No Billag»-Initiative, heisst es in der Resolution, und sie «geniessen hohe Glaubwürdigkeit und werden wahrgenommen als Redaktionen, die eine Leistung erbringen, die Private nicht übernehmen können. Der Personalabbau und das Spardiktat seit der gewonnen Abstimmung aber bedrohen diese Arbeit».
«Ihr müsst mit weniger Mitteln mehr leisten als früher, weil ihr auch online eure Inhalte aufbereiten müsst.»
Tristan Brenn, Chefredaktor Schweizer Fernsehen
Es gab zu dieser Resolution Gespräche mit SRF-Direktorin Nathalie Wappler und mit TV-Chefredaktor Tristan Brenn, und man fand sogar so etwas wie einen Konsens. Ende Januar 2020 schrieb Brenn eine Antwort an die «lieben Kolleginnen und Kollegen» mit der Feststellung: «Zweifellos ist der Druck für euch grösser geworden. Ihr müsst mit weniger Mitteln mehr leisten als früher, weil ihr auch online eure Inhalte aufbereiten müsst.»
Kommt dazu, dass in den letzten Jahren das Budget in der Grössenordnung zwischen fünf und zehn Prozent gekürt wurde. «Von 2018 bis hin zum laufenden Jahr 2020 haben wir in diesen Redaktionen 3.5 von insgesamt 51 Vollzeitstellen abgebaut», schreibt Tristan Brenn in seiner Replik auf die Resolution. Das führt irgendwann zur Kernfrage, die der Chefredaktor im Brief gleich selber stellt: «Ab welchem Niveau wird Sparen zur Bedrohung, die den Auftrag von Recherchemagazinen verunmöglicht und damit auch einen Teil der Legitimation von SRF und der SRG in Frage stellt?»
«Nathalie Wappler und Tristan Brenn machen einen schwierigen Job in einem schwierigen Umfeld. Aber ja, die Rundschau-Zitrone ist ausgepresst.»
Mario Poletti, Redaktionsleiter «Rundschau»
Aber die Frage bewegt den Chefredaktor und die Unternehmensleitung nicht zu einer Änderung der Sparpolitik. Auch wenn die «Rundschau» nun wieder eine zusätzliche Stelle erhält, nachdem ihr im vergangenen Jahr eine Stelle weggenommen worden war. Das wäre für die Redaktion nur auf den ersten Blick Anlass zur Genugtuung. Denn gleichzeitig wird die Sendezeit der «Rundschau» nach der Sommerpause um fünf bis acht Minuten verlängert. Musste die Redaktion also zuerst mit weniger Mitteln mehr leisten, so muss sie jetzt mit gleich viel Mitteln nochmals mehr leisten. Auch für den wiederhergestellten Stellenbestand gilt die Feststellung von «Rundschau»-Leiter Mario Poletti gegenüber der MEDIENWOCHE: «Nathalie Wappler und Tristan Brenn machen einen schwierigen Job in einem schwierigen Umfeld. Aber ja, die Rundschau-Zitrone ist ausgepresst.»
Wer bei den Redaktionsleitungen der Recherchesendungen nachfragt, also bei Ursula Gabathuler («Kassensturz/Espresso»), Roman Mezzasalma (Wirtschaftsredaktion mit dem Magazin «ECO») sowie Mario Poletti («Rundschau»), stellt fest, dass alle drei den guten Rat des Chefredaktors, mehr zu leisten mit weniger Mitteln, bereits befolgen: Sie sparen, indem sie mehr einkaufen, indem sie Beiträge aus den anderen Sprachregionen übernehmen – was nebenbei einen Einblick in die Suisse romande oder die Svizzera italiana gibt – und indem sie mit den anderen Regionen oder mit ausländischen Partnermedien recherchieren oder produzieren. Oder indem sie eben auf Recherchen verzichten, die zwar journalistischen Ertrag versprechen, aber doch auch – wie viele Recherchen – mit dem Risiko des Scheiterns behaftet sind.
«Wir bauen Doppelstrukturen auf, statt die Redaktionen generell fit für die digitale Publikation zu machen.»
Resolution der Rechercheredaktionen
Verschärft wird das Ressourcenproblem – also die Sparpolitik – noch durch ein Technokratieproblem. «Wir sehen mit Sorge», heisst es in der Resolution der Redaktionen, «dass der Newsroom zu weniger Recherchen, weniger eigenen Geschichten im Tagesgeschäft geführt hat, und sehen das als Problem für unser Haus.» Aus Sicht der drei Redaktionen geht die Newsroom-Politik also direkt auf Kosten des journalistischen Angebots.
Zur Medienproduktion im Newsroom sagen die drei Redaktionen von «Kassensturz/Espresso», «ECO» und «Rundschau», «dass Reibungsverluste die Arbeit behindern, dass neue Schnittstellen und Hierarchiestufen geschaffen werden». Und: «Wir bauen Doppelstrukturen auf, statt die Redaktionen generell fit für die digitale Publikation zu machen.» So sagt es die Resolution, und sie beschreibt damit ein Erbe aus der Ära Matter/Schoch: Ruedi Matter war der Vorgänger von Nathalie Wappler als SRF-Direktor, Hansruedi Schoch war sein Programmleiter (Programmdirektor). Ihre Vorbilder waren grosse Medienhäuser vom Zuschnitt der CBC/Radio Canada, und ihre Organisationsform war die Matrix. Matter und Schoch sind gegangen. Doch ihr Geist weht weiterhin durch die neuen Betonbauten, in denen ihre Ideen täglich verwirklicht werden sollen. Und die Matrix, die offiziell abgeschafft werden soll, bleibt in der Alltagspraxis des Newsrooms weiter wirksam.
Im Konzept für den «Newsroom 19» – der bis heute technisch nicht planmässig funktioniert – heisst es: «Wir streben eine integrierte, crossmediale Newsproduktion an, die von den Bedürfnissen der User ausgeht, bei der das Netz der Treiber und ‹mobile first› die Lösung ist.»
Das Mitgliedermagazin «LINK» der SRG Deutschschweiz erklärt das etwas anschaulicher: Der Newsroom ist der Raum, in dem die tagesaktuellen Nachrichtensendungen «Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10» redaktionell entstehen. Die drei Redaktionen verfügen über keine eigenen Reporter mehr, sie bestehen nur noch aus Produzenten und Moderatoren. Darum treffen sich jeden Morgen um 08.30 Uhr ein gutes Dutzend Journalist*innen aus den Fachredaktionen Inland, Ausland und Wirtschaft und SRF News (Online). Ein Koordinator informiert über die Themen des Tages. In dieser Runde wird nicht über einzelne Beiträge für bestimmte Sendungen entschieden. Vielmehr geht es darum, wie ein Thema auf den Online-Plattformen und in den aktuellen Sendungen platziert werden kann. Die Fachredaktionen bieten die Themen an, produzieren sie und passen die Lieferung an die Bedürfnisse der verschiedenen Vektoren an, von «Schweiz aktuell» bis «Instagram». Sprich: Die Produktion der Beiträge und ihre Ausstrahlung und Verbreitung über bestimmte Sendungen und Plattformen erfolgt weitgehend getrennt.
«Zu viel Energie wird in die Fragen der Distribution und des Repackaging statt auf die Inhalte verwendet.»
Resolution der Rechercheredaktionen
Eine neu geschaffene Funktion spielt bei dieser Organisationsform eine besondere Rolle: jene der Koordinator*innen. Sie müssen dafür sorgen, dass «trotz fehlender eigener Redaktion jede Sendung jeden Tag relevante und zu ihr passende Beiträge erhält», schreibt das SRG-Magazin LINK. Sie haben also eine neue Planungs-, Koordinations- und Entscheidungsfunktion, die früher innerhalb der Redaktionen wahrgenommen wurde. Aber es gibt intern auch Kritik: Es gebe zu viele Koordinatorinnen und Koordinatoren. Das sieht man auch so bei «ECO», «Kassensturz» und «Rundschau»: «Zu viel Energie wird in die Fragen der Distribution und des Repackaging statt auf die Inhalte verwendet.» Dazu wollten die Newsroom-Verantwortlichen keine Stellung nehmen in einem Gespräch mit der MEDIENWOCHE; man könne allenfalls schriftlich auf Fragen antworten, hiess es.
Diese Sicht ist für die Rechercheredaktionen naheliegend; sie sind nämlich an der täglichen Aktualitäten-Planung gar nicht direkt beteiligt. Wenn die «Rundschau» ihre Themen über die Newsroom-Strukturen in Aktualitäts-Sendungen platzieren will, geht sie nicht über das tagesaktuelle «Decision-Desk», sondern über das längerfristige «Planungs-Desk», über die Leitung einer Sendung oder (elektronisch) über Koordinatoren, wobei da auch einmal ein «Rundschau»-Anreisser für die «Tagesschau» hängen bleiben kann.
Eine Sendung wie der «Kassensturz» mit seiner guten Sendezeit hat es da wahrscheinlich etwas leichter. Mit der Nähe zu den Konsumenten-Interessen braucht sie auch kein gesondertes «Community Management»; das pflegt die Sendung seit es sie gibt; per Brief, Anruf oder E-Mail melden sich die Leute zuhauf.
Und die Wirtschaftsredaktion ist zentral für alle Wirtschaftsthemen zuständig. Sie hat ihre eigene in die Redaktion integrierte Koordination, mit der sie Themen online platziert und im Fernsehen entweder in den eigenen Sendegefässen – im «ECO» montagabends, in der «SRF Börse» vor der «Tagesschau» – oder dann in den grossen Informationssendungen «Tagesschau» und «10vor10» unter die Leute bringt. Die Wirtschaftskoordination handelt dabei nach dem alten Leitmotiv des Service public: «content first». Mit anderen Worten: Der Inhalt entscheidet über den Kanal, nicht der Kanal über den Inhalt.
«Moderner Journalismus (des Service public) zeichnet sich durch seine Inhalte aus.»
Resolution der Rechercheredaktionen
Die drei Sendungen verstehen sich alle als Teil der Vierten Gewalt, als «vertrauenswürdige Anlaufstellen für Bürger in Not», wie sie in ihrer Resolution schreiben. Bei «Kassensturz/Espresso» läuft das ganz selbstverständlich über die Inhalte des Magazins; das Etikett «wir sind nahbar» muss es nicht zusätzlich propagieren. Bei «ECO» wird sich zeigen, ob das Magazin sich glaubwürdig öffnen kann für Themen wie «Klima und Wirtschaft», «Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaft» (Corona) oder sogar «Menschen- und Bürgerrechte und Wirtschaft». Und die «Rundschau» wird zeigen müssen, ob sie aus dem Pendelkurs zwischen Scoop und Boulevard zu mehr Vertiefung mit stabiler Qualität finden kann.
Alle – mit Ausnahme vielleicht von «Kassensturz» – stehen wahrscheinlich vor der Frage, wie weit sie sich bei ihrem «Agenda Setting» an den Bedürfnissen, am Bedarf und an den Interessen der Gesellschaft orientieren können und wollen, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre eigenen, demokratischen Entscheidungen herausdestillieren können. In diesem Sinn wäre der letzte Satz der Resolution richtig: «Moderner Journalismus (des Service public) zeichnet sich durch seine Inhalte aus.»
Peter Eberhard 03. Juli 2020, 11:06
„Moderner Journalismus zeichnet sich durch seine Inhalte aus“. Na sowas. Und ich bin immer davon ausgegangen, dass das auch bereits für den altmodischen Journalismus galt.
Ruedi Beglinger 06. Juli 2020, 18:33
Ja, man merkt’s, dass finanzielle Mittel fehlen. Es herrscht eine Lidl-Mentalität in den Programmstrukturen und auch die Moderatoren haben gesamthaft etwas Niedliches. Ich spüre keinen Drang zur Durchdringung der Themen, eher ein braves Abspulen, auf dass die Tagesschau bald zu Ende sei. Das TV-kritische-Informations-Feuer ist erloschen. Den bürgerlichen Sparoptimierer+innen sei Dank.