Medienkritik: Viel Aufregung um das Wie, keine Diskussion über das Was des Klimaprotests
Über die Besetzung des Bundesplatzes in Bern von Ende September haben Schweizer Medien ausführlich berichtet, aber die klimapolitischen Forderungen der Protestierenden waren nur am Rande ein Thema. Warum das so ist und welche Medienlogik dahintersteckt, diskutieren Christian Caspar und Marko Kovic für unseren Podcasts «Das Monokel» mit Adrian Müller, Redaktor «Watson» und Frida Kohlmann von der Klimabewegung.
Ende September befand sich die Schweizer Medienwelt im Ausnahmezustand, und zwar für einmal nicht wegen Corona: Mehrere Gruppierungen aus der Schweizer Klimabewegung hatten unter dem Motto «Rise up for Change» vom 21. bis am frühen Morgen des 23. Septembers den Bundesplatz in Bern besetzt, um damit für tiefgreifendere Massnahmen im Kampf gegen Klimawandel zu protestieren.
Die Aktion enthielt alle Zutaten für ein grosses Medienereignis. Die Organisatorinnen und Organisatoren hatten ihren unerlaubten Protest als eine Form des zivilen Ungehorsams ausgeflaggt. Das «Klimacamp» wurde in einer bemerkenswerten Nacht-und-Nebel-Aktion errichtet, die Behörden wurden überrumpelt. Im Bundeshaus selber waren der National- und Ständerat gerade dabei, dem revidierten CO2-Gesetz den letzten Schliff zu verpassen – ein Gesetz, das den Aktivistinnen und Aktivisten von «Rise up for Change» viel zu wenig weit geht.
Die Besetzung des Bundesplatzes schlug denn auch ein wie eine mediale Bombe. Die rund zweieinhalb Tage vom Errichten des Camps bis zur Räumung durch die Berner Stadtpolizei wurden von allen grossen Medienorganisationen in der Schweiz minutiös mitverfolgt, in vielen Fällen mittels Online-Ticker: Über die neuesten Entwicklungen auf dem Bundesplatz berichteten die Redaktionen praktisch im Minutentakt und fast 24 Stunden am Tag. Diese Art der «episodischen» Berichterstattung, wie sie der Medienforscher Shanto Iyengar beschrieb, ist bei einem aussergewöhnlichen Ereignis wie dem «Klimacamp» fast unvermeidbar; es passiert viel und wir sind alle gespannt, was sich als nächstes tut.
Trotzdem ist es überraschend, wie dominant die episodische Berichterstattung zum «Klimacamp» ausfiel – und wie wenig eine Auseinandersetzung mit den klimapolitischen Inhalten der Protestierenden stattfand. Auch Beiträge, die eher kommentierenden und einordnenden Charakter hatten, befassten sich mehr mit der Form des Protestes als mit den Forderungen der Jugendlichen.
So schrieb etwa Stefan Häne am 21. September im Tages-Anzeiger, die Protestierenden sollten lieber eine Volksinitiative starten als sich in zivilem Ungehorsam zu üben. Auch deshalb, so Häne weiter, weil der nächste Schritt dann offene Gewalt sein könne – ein angesichts der Friedlichkeit des «Klimacamps» reichlich abstruser «Slippery Slope»-Fehlschluss. Auch «Blick»-Chefredaktor Andreas Dietrich fand am 22. September keine Sympathie für die Protestierenden und attestierte ihnen gar «Demokratieverachtung». Christa Gall konstatierte am 23. September in der SRF-Tagesschau, dass der Protest den Protestierenden «wenig politischen Goodwill» gebracht habe. Und am 25. September wurde in der SRF-«Arena» darüber diskutiert, ob der «grüne Zweck» die Mittel heilige. Die eigentlich zentrale Frage aber, welche Klimapolitik die richtige ist, fand in all diesen Beiträgen keine Beachtung.
Warum wurde das Klimacamp in den Medien als inhaltsloses, ja gefährliches Spektakel behandelt? Die Aktion war in der Tat spektakulär und eignete sich vielleicht eine Spur zu gut als Projektionsfläche für Nachrichtenwerte wie Konflikt und Tabubruch. Darüber hinaus zeugt die Berichterstattung zum Klimacamp aber auch von den Zwängen kommerzialisierter Mediensysteme. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit klimapolitischen Inhalten benötigt Zeit, denn die Fragen, um die es geht, sind komplex. Im knallharten medialen Wettbewerb um das grösste Publikum und um möglichst viele Klicks hat die vertiefte Analyse aber schlechte Karten gegenüber schnell hergestelltem Ticker-Journalismus und aus der Hüfte geschossenen Kommentaren.
Das Wettrennen um die mediale Pole Position bei News und Klicks rund um das Klimacamp auf dem Bundesplatz verkam damit letztlich zu einem inhaltlichen «Race to the Bottom».
Ueli Custer 10. Oktober 2020, 10:36
Wenn die Klimabewegten ein riesiges Trara veranstalten in dem ihre konkreten Forderungen (sofern es solche überhaupt gibt) völlig untergehen, müssen sie sich nicht wundern, wenn vor allem die Verletzung von Vorschriften in den Vordergrund gerückt werden. Aber vielleicht haben wenigstens einige von ihnen gemerkt, dass sie so für ihre Anliegen nur viel Unverständnis ernten. Kommt dazu, dass es in diesem Sammelsurium von Menschen auch (vor allem in der Westschweiz) solche gibt, die gleich auch das ganze politische System in der Schweiz auf den Kopf stellen wollen. Weil für sie einzig ihre radikalen Ansichten die Richtigen sind. Was letztendlich wohl zu einer Art Diktatur derjenigen führen soll, die schon wissen, was die Schweiz braucht. Von Demokratie halten sie jedenfalls nicht viel – jedenfalls dann nicht, wenn sie zu Ergebnissen führt, die sie falsch finden. Unter diesem Aspekt ist auch das Ergreifen des Referendums zu sehen. Lieber keine Verbesserung als zu wenig Verbesserung. Dies bei einem Problem, bei dem nach ihrer Ansicht höchste Eile geboten ist. Es ist aber jetzt schon absehbar, dass das CO2-Gesetz unter diesen Voraussetzungen scheitern wird. Und wir dann weitere 10 Jahre damit verbringen, einen zweiten Anlauf zu machen, der dann zwangsläufig den einen zu wenig weit und den andern zu weit gehen wird. Als Blaupause dafür dient die AHV-Revision.