von Marko Ković

Berichterstattung zur US-Wahl: Um Politik geht es nur am Rande

Ob im Wahlkampf oder in der Wahlnacht: Im Zentrum der Berichterstattung vor den Präsidentschaftswahlen in den USA standen Umfragen, Umfragen und noch mal Umfragen. Selten bis nie konnte man hingegen erfahren, für welche politischen Inhalte und Ideale die beiden Kandidaten stehen. In einer aktuellen Folge unseres «Monokel»-Podcasts analysieren Christian Caspar und Marko Ković die Mängel der Wahlkampfberichterstattung.


Der König ist tot, es lebe der König. Zumindest fast: Zum aktuellen Zeitpunkt deutet alles darauf, dass sich ehemalige demokratische Vizepräsident Joe Biden in der US-Präsidentschaftswahl vom 3. November 2020 mit einem hauchdünnen Stimmenvorsprung in einigen umkämpften Bundesstaaten, den sogenannten «Swing States», gegen den Amtsinhaber Donald Trump durchsetzen wird.

Die Präsidentschaftswahl von 2020 ist mit guten Gründen auch bei uns in Europa ein Mega-Ereignis in den Medien. Der US-Präsident und seine Regierung beeinflussen massgeblich das politische Weltgeschehen, und mit Trump steht ein offen demokratiefeindlicher Demagoge zur Wiederwahl. Dass über die Wahl berichtet wird, ist darum wichtig und richtig.

Doch schaut man genauer hin, wie in den Wochen und Monaten vor der Wahl berichtet wurde, zeigt sich, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den politischen Programmen von Trump und Biden selten im Vordergrund stand. Stattdessen ging es oft um Umfragewerte der zwei Kandidaten oder letztlich um unpolitische Stimmungsbilder aus der Wählerschaft.

Umfragen sind ein scheinbar unerschöpflicher, rekursiver Quell an einfachen Geschichten.

Umfragen sind in amerikanischen Wahlkämpfen omnipräsent. So haben auch dieses Jahr Dutzende amerikanische Umfrageinstitute schon Monate vor dem Wahltag fast täglich Umfragen durchgeführt, deren Ergebnisse dann jeweils zu Schlagzeilen verwertet wurden. Der journalistische Fokus auf Umfragen wird bisweilen kritisch als «Horse Race Journalism» beschrieben, weil politische Inhalte in den Hintergrund treten und stattdessen das blosse Wettrennen zur Geschichte wird. Der Horse-Race-Journalismus ist auch zu uns übergeschwappt: Egal, ob SRF, «Tages-Anzeiger», «20 Minuten», «Neue Zürcher Zeitung», «Aargauer Zeitung», «Nau.ch» oder «Watson»: den verlockend einfach herstellbaren Geschichten konnte kein Medienhaus widerstehen. Und wenn sich all die Umfragen, über die wochenlang berichtet wurde, im Nachhinein als unzuverlässig herausstellen, wird daraus einfach eine neue Meta-Geschichte über die Zuverlässigkeit von Umfragen gebastelt. Umfragen sind ein scheinbar unerschöpflicher, rekursiver Quell an einfachen Geschichten.

In Kombination mit weiteren eher oberflächlichen Formaten wie «Feel Bad Stories» über die starke Polarisierung in den USA, Berichten über das antiquierte Wahlsystem der Amerikaner, Empörung über Trumps unhöfliches Verhalten (das für Medienschaffende offenbar auch nach vier Jahren noch überraschend ist) oder reichlich banalen Portraits von Biden als empathische Erlöserfigur, drängt sich die Frage auf: Worum ging es bei der Wahl eigentlich? Für welche politischen Inhalte und Ideale stehen Trump und Biden? Und vor allem: Wie sind diese Inhalte kritisch einzuordnen?

Mehr kritische Einordnung konkreter Politikinhalte wäre erhellend gewesen.

So betreibt Donald Trump, der sich in vier Jahren als Präsident zwar mit autokratischen Anwandlungen und antidemokratischen Ausfälligkeiten und ungeschminkter kleptokratischer Gier hervorgetan hat, in mancherlei Hinsicht einfach konservative und neoliberale Politik: Steuersenkungen für Reiche und für Unternehmen, Abbau von Umweltschutzmassnahmen, Kampf gegen Gesundheitsversorgung für Arme, Kampf gegen grundlegende Arbeiterrechte. Joe Biden seinerseits ist zwar zweifellos staatsmännischer und anständiger als Trump, aber von dessen neoliberalen Positionen ist er nicht allzu weit entfernt. Er erhält Millionen von der Finanzindustrie, kämpft gegen eine allgemeine öffentliche Gesundheitsversorgung, hat in der Clinton-Ära mitgeholfen, Strafen für Drogenbesitz hoch- und wohlfahrtsstaatliche Leistungen runterzuschrauben (was vor allem ärmere Menschen trifft). Und die entmenschlichenden Käfige, in denen Kinder an der amerikanisch-mexikanischen eingesperrt werden, wurden nicht von Donald Trump, sondern von Barack Obama und Joe Biden eingeführt.

Wahlen in den USA sind das grösste politische Spektakel der Welt. Es ist darum verständlich, dass der Dramaturgie von Wettkampf und Konflikt zwischen den Kandidierenden in der Berichterstattung eine hohe Bedeutung zukommt. Doch wenn die Form des Wahlkampfs zu stark Vorrang vor dessen politischem Inhalt hat, ist das Ergebnis wenig mehr als eine Ansammlung unkritischer journalistischer Plattitüden, die bestenfalls ein sehr unvollständiges Bild über die politischen Realitäten der USA zeichnen.

Es ist zu hoffen, dass Beiträge mit kritischer Substanz bei den nächsten US-Wahlen nicht wieder die Ausnahme bleiben.

Es gab im Zuge des Wahlkampfs durchaus auch positive Beispiele, wie es besser geht. So hat der Ökonom David Dorn im Gespräch mit dem Tages-Anzeiger argumentiert, dass die Arbeiterschaft in den USA an strukturellen ökonomischen Problemen leidet, die an sich wenig mit Trump zu tun haben. Und der Philosoph Cornell West hat in einem Gespräch mit der «Republik» kritisiert, dass Joe Biden angesichts seiner Politikkarriere kein fortschrittlicher Hoffnungsträger, sondern schlicht das kleinere Übel im Vergleich mit Trump sei. Es ist zu hoffen, dass solche Beiträge mit kritischer Substanz spätestens bei den nächsten US-Wahlen nicht die Ausnahme bleiben, sondern zur Regel werden.