Die fünftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt kauft sich Platz in der NZZ
Die indische Botschaft schaltete eine Publireportage, in der zweifelhafte Aussagen von Premierminister Narendra Modi unwidersprochen blieben. Es handle sich um «eine klassische Anzeige», teilt die Zeitung mit.
Auf Seite 6 der NZZ vom 26. Januar 2021 herrscht ein positiver Ton. Mitten im Ressort International, zwischen einem Beitrag über ein Armutsviertel in Madrid und einem zu Faschismusforschung, geht es um «die Sorge um das Glück, die Zusammenarbeit und den Frieden der ganzen Welt». Die Publireportage unterscheidet sich im Layout klar von den redaktionellen Seiten – die Urheberin erkennt man aber nur mit guten Augen und wenn man die Zeitung dreht. In mikroskopisch kleiner Schrift steht neben dem Aufmacherbild: «Diese Anzeige wurde von NZZ Content Creation im Auftrag der Indischen Botschaft in Bern gestaltet.»
Am 26. Januar, dem 72. Geburtstag der indischen Verfassung, kauft sich die fünftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt in die NZZ ein. Die drei Fotos zeigen Büsten von Mahatma Gandhi und zwei Wegbereitern des Hindu-Nationalismus. Ein Bild von B. R. Ambedkar, dem Vater der Verfassung, fehlt. Ambedkar – ein Dalit, der später zum Buddhismus konvertierte – war der erste Justizminister Indiens und prägte die indische Verfassung, die am 26. Januar ihren Geburtstag feiert.
Manche Aussagen Modis sind so zweifelhaft, dass sie auf regulären Zeitungsseiten nicht ohne Einordnung erschienen wären.
Die gut 7000 Zeichen Text bestehen vornehmlich aus Zitaten des indischen Premierministers Narendra Modi. Modi rühmt Indiens Rolle beim Erreichen der «Sustainable Development Goals», Indiens wirtschaftliche Entwicklung, die Infrastruktur und der Beitrag in der Bewältigung der Pandemie. Indien sei der Welt voraus, sagt Modi zur Corona-Impfung. Ein Hinweis darauf, dass die indische Impfung Covaxin ohne Prüfung ihres Wirkungsgrads zugelassen wurde, fehlt. Tatsächlich sind manche von Modis Aussagen so zweifelhaft, dass sie auf regulären Zeitungsseiten nicht ohne Einordnung erschienen wären: Indien versorge in der Pandemie 150 Länder mit Medikamenten, so Modi, explizit nennt er «Paracetamol oder Hydroxychloroquin». Letzteres ein Anti-Malaria-Medikament, das Donald Trump vor rund einem halben Jahr ohne Beweise zum Wundermittel ernannt hat.
«Ease of doing business», einfacher Geschäftszugang, heisst ein Zwischentitel, in dessen Folge Modi Indiens wirtschaftliche Entwicklung lobt. «Wenn Sie auf der Suche nach Rendite gepaart mit Verlässlichkeit sind, ist Indien der richtige Ort dafür», wird Modi zitiert. Der Zwischentitel verweist auf den Weltbank-Index, der den Geschäftszugang insbesondere für internationale Unternehmen misst. Was nicht in der Publireportage steht: In jenem Index steht Indien auf Rang 63, in der Kategorie «Starting a business» gar bloss auf 136. Im letzten Drittel der Publireportage lobt Premierminister Modi Indiens Beitrag zum Erreichen der «Sustainable Development Goals» und den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Selbstverständlich fehlen auch hier alle einordnenden Hinweise, die die Euphorie schmälern würden, etwa darauf, dass Indien weiterhin auf Kohlestrom setzt und die Kohleindustrie privatisiert.
Angesichts dieser Aussagen mit zweifelhaften Informationen stellt sich die Frage, ob denn niemand Fakten geprüft hat.
Die Seite, «gestaltet von NZZ Content Creation», enthält – wie man es von Werbung erwartet – einige zweifelhafte Informationen. Angesichts dieser Aussagen mit zweifelhaften Informationen stellt sich die Frage, ob denn niemand die Fakten geprüft hat. NZZ Content Creation sei immerhin «Dienstleister für journalistisches Storytelling nach NZZ-Qualitätsstandard». Und dieser Standard gilt in der internationalen Berichterstattung als besonders hoch.
Peter Rásonyi, Leiter der Auslandredaktion, verweist an die Unternehmenskommunikation und teilt mit, das Auslandressort habe mit Publireportagen nichts zu tun. NZZ-Sprecherin Seta Thakur schreibt: «Die Anzeige vom 26. Januar ist eine Publireportage (und eben nicht Paid Content) mit angeliefertem Inhalt, bei der wir ausschliesslich für das Layout zuständig waren.» Es handle sich nicht um eine Zusammenarbeit, sondern «um die Schaltung einer klassischen Anzeige in unserer Printausgabe». Ähnliche Seiten habe man «in den vergangenen Jahren» unter anderem für Peru durchgeführt. Dass die indische Botschaft Urheberin ist, sei «klar und transparent ausgewiesen».
Die indische Botschaft in Bern ihrerseits hat den Beitrag auf Twitter als «Article» beworben. Roshni Thomson von der Indischen Botschaft meldete sich auf eine schriftliche Anfrage hin telefonisch. Ihr Ansinnen war es mitzuteilen, dass man die Fragen der MEDIENWOCHE – ob weitere Publireportagen geplant sind und weshalb die Wahl auf die NZZ fiel – nicht beantworte. Es handle sich klar um eine Werbeanzeige. Mit ihr habe man die Schweizer Bevölkerung erreichen wollen. Auch zu Kosten für eine Seite 5 in der NZZ wollte sich Thomson nicht äussern.
Es stellt sich die Frage, weshalb die NZZ eine Publireportage der indischen Regierung so kurz nach einem Fake-News-Skandal nicht kritischer prüft.
Erst vor wenigen Wochen wurde publik, dass während 15 Jahren ein Netzwerk von 750 Fake-Nachrichtenseiten von Genf und Brüssel aus Propaganda für die indische Regierung verbreiteten. Die Berichte und Meinungsbeiträge auf den Fake-Portalen mit Namen wie «Paris Guardian» wurden dann in Indien von grossen Nachrichtenagenturen zitiert. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Publireportage damit in Zusammenhang steht. Es gibt keine Beweise, dass die aufgedeckten Fake-Newsplattformen mit der indischen Regierung im Zusammenhang stehen. Trotzdem stellt sich die Frage, weshalb die NZZ eine Publireportage der indischen Regierung so kurz nach einem solchen Skandal nicht kritischer prüft.
1797 nahm der erste Auslandkorrespondent der NZZ in Paris seine Arbeit auf. Schon seit 1958, elf Jahre nach der Staatsgründung, postierte die NZZ einen eigenen Korrespondenten in Neu Delhi. Seit bald einem Jahr berichtet Andreas Babst über Indien, seit ein paar Monaten ist er vor Ort in Neu-Delhi. Er ist der einzige festangestellte Korrespondent einer deutschsprachigen Zeitung vor Ort. «Das Medikament Hydroxychloroquin galt kurzzeitig als Heilmittel gegen Covid-19, die Nachfrage explodierte», schrieb Babst bereits am 28. Mai 2020 im Artikel «Modi gefällt sich in der Rolle des Helfers». Alleine mit NZZ-Lektüre könnte man die «Publireportage» dekonstruieren. Gegenüber Muslim*innen hat die Regierung Modi nicht «die Sorge um das Glück» und «Frieden» im Sinn. Auch darüber kann man in der NZZ immer wieder lesen: Kürzlich soll beispielsweise Facebook «Hassprediger der Regierungspartei» geschont haben, «um sich das Wohlwollen von Premierminister Modi» zu sichern.
Ob das Indien dieser Regierung wirklich «den Frieden in der ganzen Welt» «beinhaltet», ist zweifelhaft. Eindeutig ist hingegen, dass es der Reputation der NZZ schadet, wenn sich die fünftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt einkaufen kann. Jede Anzeige schafft Abhängigkeiten.
Ueli Custer 29. Januar 2021, 11:37
Ich hatte diese Anzeige auch gesehen. Und weil ich inzwischen sehr allergisch auf solche Täuschungsmanöver reagiere, habe ich auch bemerkt, dass es sich um eine Anzeige (und nicht wie angegeben um Sponsoring) handelt. Warum diese Anzeige so daherkommt, ist ja sonnenklar: Man will die Leserschaft übertölpeln und hofft, dass möglichst viele nicht merken, dass es sich um bezahlte Werbung handelt. Wenn die NZZ jetzt mit solchen Versuchen dem Tages-Anzeiger nacheifert, hat sie einfach auch noch eine Schaufel zur Hand genommen um am Grab für die Presse mitzuschaufeln und alles zu unternehmen, um dem Vorwurf Lügenpresse und Fake News auch gerecht zu werden. Das ist einfach nur kurzsichtig und dumm.
Peter Eberhard 29. Januar 2021, 12:26
Na und? Erstens sieht man von Typo und Design her sofort, dass es ein Inserat ist, zweitens sind hierzulande die Leute ja nicht so blöd, dass sie auf derart plumpe Propaganda von Modi hereinfallen, und drittens äussert sich die NZZ im redaktionellen Teil alle paar Tage äusserst kritisch zu Indien (und China und Russland). Diese Leute zeigen damit höchstens, dass sie nicht verstanden haben, wie man im Westen um Sympathie wirbt. Ich hab das Inserat gesehen und gleich weiter geblättert, ohne es zu lesen.
glancy mueller 01. Februar 2021, 20:11
zwar amateurhaft „bis a bach abe“ von der nzz. aber immer noch erträglicher als die gekauften chinesischen schmeicheleien in der weltwoche. man sollte mal mit roschee darüber reden, obwohl er sich vermutlich nicht mehr daran erinnern kann.