Native Advertising oder das dystopische Ende des Journalismus
Werbung, die als redaktioneller Inhalt getarnt ist, bietet Medienunternehmen einen vermeintlichen Ausweg aus dem ökonomischen Würgegriff von Google, Facebook und Co. In medienethischer Hinsicht ist Native Advertising aber der Totengräber des Journalismus. Warum, diskutieren Christian Caspar und Marko Ković mit Dennis Bühler vom Schweizer Presserat in der neuen Ausgabe unseres Podcasts «Das Monokel».
«Darum brauchen wir eine elektronische Identität», erklärte «blick.ch» in einem Artikel vom 16. Januar 2021. Im Artikel werden die Vorzüge der elektronischen Identität, über die am 7. März abgestimmt wird, in fast überschwänglichen Tönen gelobt. Im Artikel findet sich zudem eine Infobox, in der ein prominent platzierter, knallroter Button zur Webseite des Ja-Komitees führt. Eine unkritische Lobeshymne auf die elektronische Identität, inklusive Vernetzung mit dem Ja-Lager. Auch für Boulevard-Verhältnisse schien an dieser Sache etwas faul. Doch der Artikel sah wie ein ganz normaler redaktioneller Artikel aus. Was war hier los?
Der Artikel war kein Fehler. Im Gegenteil: Die Verwirrung, die er gestiftet hat, war das Ziel. Beim Artikel handelt es sich nämlich um Native Advertising – Werbung, die ganz bewusst als redaktioneller Beitrag getarnt wird. Ein Täuschungsmanöver, um etwas, was nicht Journalismus ist, als Journalismus zu tarnen. Erst nach empörten Reaktionen und der Intervention von Ringier-Chef Marc Walder bei den Verantwortlichen, deklariert «blick.ch» die Werbung für die E-ID nun als «politische Werbung».
Die Episode beim «Blick» ist symptomatisch für die medienökonomischen Umbrüche der letzten Jahre. Nachdem die klassische Werbefinanzierung weggebrochen ist, sehen Medienhäuser Native Advertising als wirtschaftlichen Rettungsring – und werfen dafür grundlegende journalistische Standards über den Haufen. Wie konnte es so weit kommen?
Werbefinanzierten Medien ging es in den Zeiten vor dem Internet gut. Ihr Produkt, die Aufmerksamkeit eines grossen Publikums, war exklusiv und verlockend. Wer mit seinen Produkten und Dienstleistungen auf einen Schlag viele Menschen erreichen wollte, konnte gar nicht anders, als Werbung in Zeitung, Radio und Fernsehen zu schalten.
Werbung bei Google, Facebook und Co. kostet nur einen Bruchteil dessen, was Werbung in journalistischen Medien kostet.
Doch dann machte das Internet diesem gemütlichen Arrangement zwischen Medienhäusern und Werbekunden einen Strich durch die Rechnung. Mit der Verbreitung des Internets kriegten Medien zunehmend digitale Konkurrenz von Unternehmen wie Google oder Facebook. Solche Techgiganten haben zwar nichts mit Journalismus zu tun, aber sie verkaufen, ganz ähnlich wie Medienhäuser, auch Zugang zu einem grossen Publikum. Der einzige Unterschied: Werbung bei Google, Facebook und Co. kostet nur einen Bruchteil dessen, was Werbung in journalistischen Medien kostet.
Es kam, wie es kommen musste: Werbekunden migrierten und migrieren en masse zur digitalen Werbekonkurrenz aus dem Silicon Valley, und werbefinanzierte Medien sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Die digitale Banner-Werbung, die die Medien auf ihren eigenen Websites schalten, vermag die ehemaligen Erträge nicht mal im Ansatz zu kompensieren. Dank einer grassierenden Gratiskultur sieht es zudem mit der Zahlungsbereitschaft für Abonnements auch nicht rosig aus.
Angesichts dieser langsamen, aber unumkehrbaren Spirale in den ökonomischen Abgrund wäre es aus Sicht der Medienhäuser höchste Zeit für eine Deus-ex-Machina-Wendung. Für einen «Hack», eine genial einfache Lösung, wie werbefinanzierte Medien zurück in die wirtschaftliche Nachhaltigkeit finden können. Das klingt auf den ersten Blick nach naiver Tagträumerei, aber es gibt einen Werbetrend der letzten Jahre, der in den Augen der Medienhäuser vielleicht tatsächlich das Zeug zu dieser eierlegenden Wollmilchsau hat: Native Advertising.
Für Werbekunden sind solche Werbeformate attraktiv, weil sie viel authentischer und intimer sind.
Native Advertising ist Werbung, die den redaktionellen Inhalten zum Verwechseln ähnlich sieht. Solche Werbung wird zudem in manchen Fällen direkt in Kooperation mit der jeweiligen Redaktion erstellt, sodass das Ganze auch von der Tonalität her gut zu den «normalen» Inhalten passt. Für Werbekunden sind solche Werbeformate attraktiv, weil sie viel authentischer und intimer sind. Werbung auf Google, Facebook und Co. ist zwar günstig und verspricht «Personalisierung», aber aufrichtiges Interesse und nachhaltige Kundenbindung werden damit, entgegen allen Versprechen, kaum aufgebaut. Im Gegensatz dazu ist Native Advertising sehr glaubwürdig und holt das Publikum dort ab, wo es sich bereits mit Aufmerksamkeit und Interesse bewegt: Bei den redaktionellen Inhalten.
Native Advertising könnte somit die lang ersehnte Antwort auf die existenziell bedrohliche Finanzierungskrise kommerzialisierter Medien sein. Die Techgiganten können zwar billige Quantität verkaufen, aber Medienhäuser können mit Native Advertising eine Qualität bieten, von der Google, Facebook und Co. nur träumen können. Die Rechnung scheint aufzugehen. Branchenschätzungen zufolge wurden 2020 weltweit über 80 Milliarden Dollar für Native Advertising ausgegeben, und die Prognose für das Jahr 2025 ist ein Wachstum auf über 400 Milliarden. Das sind beeindruckende Zahlen. Zum Vergleich: Auf ihren jeweiligen Höhepunkten in den Jahren 2007 und 2014 wurden weltweit rund 125 Milliarden Dollar für klassische Zeitungswerbung und rund 245 Milliarden Dollar für Fernsehwerbung ausgegeben. Native Advertising ist ein veritabler Silberstreifen am Digitalisierungshorizont.
Ist es in Ordnung, wenn Werbung dank journalistischer Camouflage als etwas daherkommt, was sie nicht ist?
Wäre da nur nicht die unbequeme Frage, was Native Advertising eigentlich aus medienethischer Sicht bedeutet. Als wirtschaftliche Unternehmen wollen Medienhäuser zwar Profit machen, aber da war ja noch die Sache mit dem Journalismus. Ist es in Ordnung, wenn Werbung dank journalistischer Camouflage als etwas daherkommt, was sie nicht ist? Nein, und zwar aus mindestens drei Gründen nicht.
Erstens bedeutet Native Advertising einen expliziten und bewussten Akt der Täuschung. Native Advertising funktioniert nur, weil das Publikum hinters Licht geführt wird. Dank Disclaimern wie «Präsentiert von Sponsor XY» oder «Publireportage von XY» schrammt Native Advertising in den meisten Fällen wohl an der glatten Lüge vorbei, aber die Intention bleibt dieselbe wie beim Lügen: Es geht darum, Menschen glauben zu lassen, dass das, was sie lesen, sehen, hören, Journalismus ist, obwohl es sich in Tat und Wahrheit um Werbung handelt. Zu dieser ersten Täuschung kommt dann oft noch, wie in der Episode mit dem «Blick» und der Werbung für die elektronische Identität, ein Nachtreten: Die Verlage behaupten, dass es sich bei Native Advertising überhaupt nicht um Täuschungsmanöver und sanfte Lügen handle, weil ja alles sauber deklariert sei. Das Publikum wird doppelt für dumm verkauft.
Zweitens bedeutet Native Advertising einen irreversiblen Dammbruch zwischen Redaktion und Werbung. Die strikte Trennung zwischen Journalismus und dem ökonomischen Verlagsgeschäft wird mit Native Advertising aufgehoben. In seiner krudesten (und wohl profitabelsten) Form bedeutet Native Advertising, dass redaktionelle Mitglieder an der Erstellung der Werbeinhalte beteiligt sind. Das reisst ganz unmittelbaren Interessenkonflikten Tür und Tor auf: Wie soll eine Journalistin kritisch über ein Unternehmen berichten, mit dem sie zuvor eine Native Advertising-Kampagne realisiert hat? Auch, wenn die Journalistin kritisch bleiben möchte, besteht im Mindesten die Gefahr sanfter Selbstzensur: Will man es sich mit dem wichtigen Werbekunden wirklich verscherzen? «Die Journalistinnen und Journalisten sind nicht mehr frei in ihrer Berichterstattung», beschreibt Dennis Bühler vom Schweizer Presserat dieses Problem.
Drittens ist Native Advertising für die Werbekunden nicht einfach Werbung, sondern eine mächtige PR-Taktik. Mit Native Advertising wollen Unternehmen nicht einfach Dienstleistungen und Produkte verkaufen, sondern dank reichlich Spin beeinflussen, wie sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Sie verzerren damit den öffentlichen Diskurs, weil sie mit Native Advertising über gut getarnte trojanische Pferde verfügen. Besonders heikel ist dieser Umstand, wenn die Werbekunden nicht Unternehmen, sondern politische Akteure sind. In solchen Fällen bedeutet Native Advertising schlicht eine Carte Blanche für politische Propaganda.
«Die Glaubwürdigkeit der Medien ist unabdingbar. Ohne Glaubwürdigkeit haben die Medien keine Zukunft», kritisiert Dennis Bühler. Native Advertising mag wirtschaftlich attraktiv sein, aber für die vollen Kassen zahlen Medienunternehmen letztlich einen hohen Preis: Ihr Journalismus verkommt zu einem unglaubwürdigen Zudiener für die Höchstbietenden.
Daniel Huber 01. Februar 2021, 17:36
Tatsächlich tragisch. Nur: Der Punkt 2 gilt generell für Werbung. Die Journalistin wird es sich mit dem wichtigen Werbekunden auch in der alltäglichen Berichterstattung nicht verscherzen. Hier unterscheidet sich Native Advertising nicht.
Aufgrund mangelnder Zahlungsbereitschaft (die man bedauern mag und die zu einem Teil auch selbstverschuldet ist) bleibt dennoch vielen Verlagen keine Wahl: Native Advertising oder immer mehr abbauen und früher oder später vom Markt verschwinden.