von Marko Ković

Debatte zum Burkaverbot: Schwarz-Weiss-Argumente zu einer Frage mit Grautönen

In der Debatte zum Burkaverbot liefern sich Befürworter*innen und Gegner*innen der Initiative ein argumentatives Gefecht, das oft an der Sache vorbei schiesst. Wie beide Lager versuchen, unbequeme Wahrheiten zu verdrängen, diskutieren Christian Caspar und Marko Kovic in der neuen Folge unseres Podcasts «Das Monokel».

Die «Islamdebatte» ist seit 20 Jahren ein Dauerbrenner in der Schweiz. Zum Teil hat das mit dem Weltgeschehen zu tun: Die Terroranschläge mit radikal-islamistischer Täterschaft 2001 in den USA, 2002 in Bali, 2004 in Spanien, 2005 im Vereinigten Königreich, 2010 in Russland, 2015 in Frankreich – um nur einige zu nennen – und nicht zuletzt der Aufstieg und Fall der Terrororganisation IS in Syrien und Irak wurden auch in der Schweiz als Bedrohung der westlichen Welt empfunden.

Parallel dazu köchelt in der Schweiz aber auch ein genuin schweizerisches Islam-Süppchen. 2009 erregte die Initiative für ein Minarettverbot die Gemüter, und zwar in der Debatte vor der Abstimmung genauso wie nach der mit über 57 Prozent Stimmanteil überraschend deutlichen Annahme an der Urne. 2013 wurde im Kanton Tessin eine umstrittene Verhüllungsverbot-Initiative angenommen, die es untersagt, in der Tessiner Öffentlichkeit religiöse Gesichtsschleier wie den Niqab oder die Burka zu tragen. 2018 zog der Kanton St. Gallen mit der Annahme einer ähnlichen Burkaverbot-Volksinitiative nach. Und nun wird am 7. März 2021 über ein landesweites Burka-Verbot abgestimmt.

Die hitzigen Debatten bleiben auch dieses Mal nicht aus.

So zeigt der Abstimmungsmonitor des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich, dass das Verhüllungsverbot deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit erhält als die anderen nationalen Abstimmungsvorlagen vom 7. März. Das verwundert nicht, denn die Forderung nach einem Burkaverbot hat eine starke emotionale Symbolkraft und berührt gleichzeitig zentrale demokratische Werte wie Religionsfreiheit, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und die Gleichstellung von Frau und Mann.

Ein Thema also, bei dem es angesichts seiner Tragweite wichtig ist, gute Gründe für ein Ja oder Nein zu finden. Doch sowohl die Befürworter*innen als auch die Gegner*innen der Burkaverbots-Initiative werden dem Sachverhalt mit platter Schwarz-Weiss-Argumentation nicht gerecht: Das Ja-Lager erklärt sich heuchlerisch zu den Rettern der in den Fängen des Islamismus gefangenen Frauen, und das Nein-Lager verniedlicht die Vollverschleierung als komplett selbstbestimmtes Fashion-Statement.

Das SVP-nahe «Egerkinger Komitee», das die Initiative lanciert hat und auch hinter dem Minarett-Verbot stand, liefert in einem 30-seitigen Argumentarium Gründe, warum die Schweiz ein Burkaverbot braucht.

Ihre zentralen Argumente sind Freiheit und Gleichstellung: «Verhüllungsvorschriften an die Adresse aller Frauen, die ihren Ursprung in der radikal-salafistischen Ausprägung des Islams haben», seien mit einer freiheitlichen Demokratie inkompatibel. Angesichts dieses Plädoyers für die Rechte der Frau mutet die scharfe Kritik am indirekten Gegenvorschlag zur Initiative aber wenig schlüssig an.

Der Gegenvorschlag, der bei einer Ablehnung der Initiative automatisch in Kraft tritt, besteht aus einem neuen Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung. Dieses neue Bundesgesetz sieht u.a. vor, das bestehende Gleichstellungsgesetz mit dem Hinweis zu ergänzen, dass der Bund Finanzhilfen für Projekte gewähren kann, die die Gleichstellung von Frau und Mann in der Gesellschaft verbessern sollen. Das ist eine Anpassung, die die Initianten angesichts ihres Plädoyers für Gleichstellung eigentlich begrüssen müssten. Doch das Komitee kritisiert ausgerechnet diese Anpassung scharf: «Auf neue Einnahmequellen spekulierend, dürfte sich die Sozialindustrie bereits genüsslich die Hände reiben». Als Lippenbekenntnis scheint Gleichstellung ein hohes Gut, als konkrete Veränderung aber nicht. Es ist recht offensichtlich, dass die Gleichstellung von Frau und Mann nicht die zentrale moralische Triebfeder der Initianten ist, sondern nur ein heuchlerisches Feigenblatt.

Auch jenseits des «Egerkinger Komitees» fallen Argumente für die Burkaverbots-Initiative bisweilen reichlich kreativ aus.

So hat Eric Gujer, Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», am 19. Februar erklärt, dass Burka und Nikab als «Wahrzeichen einer totalitären Ideologie» verboten gehören. Gujer sieht auch die Schweiz von Islamismus bedroht und verweist auf Länder wie Frankreich und Österreich, wo es in jüngerer Vergangenheit schlimme islamistische Terrorattacken gab. Dass das Länder sind, in denen die Burka bereits verboten ist, diskutiert Gujer nicht. Würde er es tun, müsste er sich fragen, ob das Burkaverbot vielleicht im Kampf gegen den radikalen Islamismus gar nicht so viel bringt, wie er glaubt. Auch seine süffisante Sicht auf den Einwand der individuellen Freiheit («Etwas lahm pflegt es zu heissen, die Gesellschaft müsse den Willen der Frau respektieren und dürfe keine Kleidervorschriften erlassen») mutet für einen selbsternannten Verfechter individueller Freiheit und Chefredaktor einer sich liberal nennenden Zeitung doch etwas kurios an.

Bemerkenswert ist auch ein Beitrag der Politphilosophin Katja Gentinetta in der «Neuen Zürcher Zeitung», in dem sie erklärt, wie und warum Feministinnen, die das Burkaverbot ablehnen, grundsätzlich falsch liegen. Die betroffenen Feministinnen würden mit ihrer Ablehnung des Burkaverbots gerade die Frauen in arabischen Ländern, die für Freiheit ihr Lebens aufs Spiel setzen, im Stich lassen: «Ihren Kampf um die Freiheit auf diese Weise zu unterlaufen, bedeutet, die Anliegen des Feminismus in ihr Gegenteil zu verkehren, zu pervertieren und zu verraten.»

Wie und warum verraten die westlichen Feministinnen auf diese Art die Anliegen des Feminismus? Die Feministinnen, um die es geht, würden «ein Verbot einer anderen kulturellen Praxis durch eine von (weissen) Männern dominierte Verfassung ein Ausdruck eines illegitimen und potenziell rassistischen Herrschaftsgebarens» auslegen. In normale Sprache übersetzt bedeutet das in etwa: Feministinnen finden, dass politische Entscheidungen in der Schweiz von weissen Männern dominiert und darum automatisch rassistisch seien. Darum würden sie ein Burkaverbot ablehnen.

Das klingt in der Tat etwas haarsträubend. Und um welche Feministinnen geht es genau? Wer hat im Abstimmungskampf diese konkrete Behauptung gemacht, oder sich mindestens auf feministische Literatur bezogen, die diese Behauptung aufstellt? Mit solchen Details befasst sich Gentinetta leider nicht: Sie nennt keine einzige Quelle, keine einzige konkrete Behauptung. Ihr ganzer Text ist damit lediglich ein einziger langer «Strohmann»-Fehlschluss:

Gentinetta zeichnet eine absurde Karikatur der verrückten Feministin und echauffiert sich anschliessend ob ihres eigenen realitätsfernen Hirngespinstes.

Mit argumentativem Ruhm bekleckern sich aber auch die Gegnerinnen und Gegner der Initiative nicht. Die Operation Libero beispielsweise nutzt für ihren Abstimmungskampf ein visuell auffälliges Sujet: Ein kunterbunter Haufen von Menschen steht vor dem Bundeshaus, gekleidet in ganz verschiedene Outfits und Kostüme. Ein lustiges Haifisch-Kostüm, ein Mönch, eine Gespenster-Verkleidung, ein Snowboarder, Wonder Woman. Und dezent im Hintergrund eine Niqab-Trägerin. Die Message: «Freiheit: für alle was anderes.»

Das Argument kommt zwar sympathisch daher, ist aber eine Verniedlichung und Trivialisierung des Sachverhaltes. Operation Libero dreht hier im Grunde einfach das unterkomplexe Argument der Befürworter*innen um 180 Grad und suggeriert, religiöse (Voll-)Verschleierung finde immer selbstbestimmt statt und sei damit ein Ausdruck individueller Freiheit.

So einfach ist die Angelegenheit aber nicht. Natürlich gibt es Frauen, für die Verschleierung ein komplett selbstbestimmter Akt ist. Aber es ist genauso offensichtlich, dass Verschleierung auch die Folge tradierter Werte, kultureller Pfadabhängigkeiten und sexistischer Rollenbilder sein kann. Zur unfreiwilligen Verschleierung meint Operation Libero: «Bereits heute ist es strafrechtlich verboten, eine Frau zum Tragen eines Schleiers zu zwingen. Für Fälle, in denen sich eine Person von ihrem Umfeld zu religiösen oder gesellschaftlichen Praktiken gezwungen fühlt, gibt es Anlaufstellen.»

Natürlich, Zwang ist verboten und es gibt «Anlaufstellen». Aber es ist reichlich naiv, zu glauben, dass eine betroffene Frau, die beispielsweise eine bestimmte religiöse Sozialisierung im familiären Umfeld durchgemacht hat, ohne Weiteres die Kraft und den Mut aufbringen kann, von sich aus aktiv zu werden und ihr gesamtes Leben über Nacht aufzugeben.

Wichtig Argumente nimmt das Nein-Lager auch aus dem Anfang Jahr veröffentlichten Buch «Verhüllung: Die Burka-Debatte in der Schweiz».

In seiner Studie untersucht Religionswissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti die muslimische Gesichstverschleierung in der Schweiz. Tunger-Zanetti kommt zum Schluss, das Tragen von Niqab oder Burka sei in der Schweiz in der Tat ein freier, selbstbestimmter Akt. SP-Nationalrat Fabio Molina nahm den Ball dankbar auf und brachte die Freiwilligkeit der Verschleierung als Argument in einer «Arena»-Sendung von SRF.

Doch die Studie hält nicht, was sie verspricht. Tunger-Zanetti hat für die Untersuchung nämlich lediglich eine einzige Niqab-Trägerin befragt. Über sinnvolle Stichprobengrössen lässt sich bekanntlich streiten, aber ein einziger Datenpunkt ist bloss eine Anekdote, die von wissenschaftlich brauchbarer Evidenz weit entfernt ist.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Argumentation der Befürworter*innen der Burkaverbots-Initiative mindestens stellenweise heuchlerisch und fern der gesellschaftlichen Realität sind. Die Argumentation der Gegner*innen ist stellenweise allzu beschönigend und wischt legitime Kritik und Bedenken vom Tisch.

Was bleibt unter dem Strich von dieser aktuellen Debatte? Am ehesten das Gefühl, dass die Vielschichtigkeit der eigentlichen Fragestellung wieder einmal nicht berücksichtigt wurde und sich der Diskurs stattdessen erneut auf die allzu bekannten Parolen und Muster versteift hat. Die schweizerische «Islamdebatte» dürfte sich also auch nach der Abstimmung vom 7. März weiter munter im Kreis drehen.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 26. Februar 2021, 12:53

Von Hass und Selbstüberschätzung
Über 3/4 seines ausgewogenen Kommentars widmet der Autor dem Bashing «SVP-naher» Kreise. Das darf er, das ist Demokratie. Freiheit. Und sei sie noch so unrepräsentativ, denn wohl die Hälfte der Bürger/innen lehnen die «Burkafreiheit» – es ist eine der Männer, nicht der Frauen – ab. Gleichzeitig biedert er sich der SVP-Hater-Blase an, für die Karriere ein wesentlicher Faktor.
Ebenso dieser mein Komentar hier basiert auf Demokratie, Freiheit.

Aber egal. Am interessantesten war das Erlebnis, wie sich der junge Mann über intellektuelle Grössen wie Eric Gujer und Katja Gentinetta stellt. Das amüsiert, und ich konnte herzlich lachen. Marko bre, you made my day, spasil si mi dan i dobro raspoloženje, daj da te grlim 😄

Marko Kovic 26. Februar 2021, 14:28

Merci für die Rückmeldung!

Wegen Gujer und Gentinetta: Im Text und Podcast kritisiere ich / wir ja sehr konkrete Behauptungen von Gujer und Gentinetta auf sehr konkrete Art. Was genau stimmt denn an der Kritik nicht? Die Frage ist wirklich aufrichtig gemeint.

Freundlicher Gruss und merci für die Klärung

Lahor 26. Februar 2021, 15:03

Sie können alles kritisieren, auch General Guisan für seine kompromisslose Landesverteidigung (war auch kein Sozialist, gell).

Allerdings hat Guisan den Vorteil, dass er die Kritik nicht mehr lesen muss.

Es geht um die Gewichtung und den Mangel an Unabhängigkeit. Jer to što pišete nije informacija nego manipulacija. Gujer und Gentinetta halten sich penibel an die Wahrheit – oder haben Sie eine Lüge entdeckt?

Schöne Sunnti

 

Urs Schneider 26. Februar 2021, 16:22

Sie haben offenbar Mühe, zwischen Meinungen und Fakten zu unterscheiden. Wenn Eric Gujer, Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», am 19. Februar erklärt, dass Burka und Nikab als «Wahrzeichen einer totalitären Ideologie» verboten gehören, ist das seine persönliche Meinung und nicht die Wahrheit.

Urs Schneider 26. Februar 2021, 15:31

Agnès De Féo forscht seit 15 Jahren über die Vollverschleierung. Die europaweit führende Expertin über Praxis, Bedeutung, Entwicklung des Nikab. Im Interview mit Daniel Binswanger (REPUBLIK vom 16.2.2021) legt sie dar, wie in Frankreich die Einführung des Gesetzes gegen die Vollverschleierung  zu einem Nikab-Boom führte. Also genau das Gegenteil dieser völlig überflüssigen Initiative.