von Marko Ković

Medien zu Corona-Protesten: «Nicht alle in einen Topf werfen»

Demonstrationen gegen behördliche Corona-Massnahmen finden grosse Beachtung in den Medien. Zumeist steht aber das blosse Spektakel im Vordergrund. Analyse und Einordnung kommen oft zu kurz. Worauf Medienschaffende achten sollten: vier Stimmen und sechs Punkte.

Chur, Liestal, Rapperswil-Jona, Lugano und zuletzt Aarau: Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen mit Tausenden von Teilnehmenden begleiten die Debatte zur Schweizer Corona-Politik seit Monaten. Die Schweizer Bevölkerung, so der Eindruck, ist in Fragen von Corona-Präventionsmassnahmen tief gespalten. Doch dieser Eindruck täuscht, wie Sabrina Heike Kessler, Oberassistentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich, erklärt: «Die Demonstrierenden sind eine Minderheit, die so viel Aufmerksamkeit bekommt, dass sie in den Medien mitunter wie eine grosse soziale Bewegung erscheint. Aber das ist keine relevante Strömung in der Schweiz.» Daten des Projektes «Covid-Norms» der Universität Zürich zeigen, dass eine klare Mehrheit der Bevölkerung Präventionsmassnahmen wie Gesichtsmasken und Impfungen befürwortet.

Die Berichterstattung über Corona-Proteste ist, wie dieses Beispiel zeigt, eine journalistische Herausforderung. Der Tauschhandel zwischen Protestaktionen und Medien ist grundsätzlich altbekannt: Proteste bedienen Nachrichtenwerte wie das mediale Interesse an Konflikten und an packenden audiovisuellen Inhalten, und sie lassen sich als Event-Berichterstattung mit Live-Tickern dramaturgisch attraktiv aufbereiten.

Im Gegenzug erhalten die Protestierenden ein mediales Megafon, um ein grosses Publikum zu erreichen.

Im Fall der Corona-Proteste ist diese enge, symbiotische Beziehung aber problematisch. Die Botschaften und Forderungen der Corona-Proteste können aus wissenschaftlicher Sicht nämlich fragwürdig bis gefährlich sein (die Wirksamkeit von Massnahmen wie Gesichtsmasken und Impfungen wird geleugnet und Covid-19 gleichzeitig verharmlost) oder gar in verschwörungstheoretische Narrative rutschen (die Pandemie sei ein Vorwand, um eine «Diktatur» einzuführen). Die mediale Aufmerksamkeit für die Proteste kann in der Folge dazu führen, dass sich unfundierte bis haltlose Behauptungen ungefiltert verbreiten. Das drängt die Frage auf: Wie sieht ein verantwortungsvoller journalistischer Umgang mit den Corona-Protesten aus?

Zunächst wäre es grundsätzlich denkbar, die Proteste einfach zu ignorieren und gar nicht über sie zu berichten. Beat Glogger, Chefredaktor des Online-Wissenschaftsmagazins «higgs», sieht diesen Weg aber kritisch: «Es gibt Themen, bei denen Medien nicht oder nur zurückhaltend berichten, etwa Suizid. Es ist aber schwierig, Corona-Proteste zu ignorieren, weil das politisch relevante Ereignisse sind.» Auch Daniel Glaus, Fachredaktor für Extremismus bei «SRF», erachtet die Strategie des Totschweigens als nicht zielführend: «Über die Demonstrationen müssen wir berichten. Diese Stimmen gehören zu einer kontroversen öffentlichen Debatte.»

Die Frage ist also nicht ob, sondern wie Medien mit den Corona-Protesten umgehen sollten.

Kaspar Surber, Co-Redaktionsleiter der «WOZ», sieht die Tendenz zur Liveticker-Berichterstattung kritisch: «Der Ticker ist der extremste Ausdruck eines 1:1-Abbilds. Diese Form des Journalismus überlegt sich noch nichts selbst.» Statt eines blossen Tickers sei eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung nötig.

Eine Möglichkeit hierfür ist, den journalistischen Dialog mit den Protestierenden zu suchen, um ihre Überzeugungen verstehen und bei Bedarf hinterfragen zu können. Doch das ist, meint Beat Glogger, einfacher gesagt als getan: «Man müsste dazu viele Fragen nach den Datengrundlagen, auf die sie sich stützen, oder auch nach ihren Motiven und Zielen stellen, aber die Corona-Protestierenden wollen oft gar keine Fragen beantworten. Die Dialogbereitschaft ist gering, wie ich selbst erfahren musste

Die Aussage eines Protestierenden zu veröffentlichen, ist noch kein Dialog.

Die Problematik daran zeigt etwa die Berichterstattung von «20 Minuten» zum Corona-Protest in Aarau vom 8. Mai 2021. Im Ticker von 20 Minuten kommt der Politiker und Corona-Aktivist Nicolas Rimoldi zu Wort und behauptet unter anderem, dass es an Demonstrationen keine Covid-19-Ansteckungen gebe. «20 Minuten» lässt diese Behauptung einfach so stehen und fragt Rimoldi nicht nach seinen Quellen. (Aktuelle Forschung zeigt, dass es bei Demonstrationen im Freien sehr wohl zu Covid-19-Ansteckungen kommen kann. Besonders, wenn Präventionsmassnahmen wie Abstände und Gesichtsmasken fehlen.)

Auch Kaspar Surber argumentiert, dass es zwar grundsätzlich richtig sei, mit den Leuten vor Ort reden zu wollen. Ein Ersatz für die inhaltliche Einordnung sei das aber nicht: «Lieber mehr Analyse als zu viel Verständnis.»

Und wie soll diese Einordnung aussehen? Daniel Glaus argumentiert, dass es zunächst wichtig sei, die Motive und Ideologien der Protestierenden differenziert zu betrachten und keine pauschalisierenden Daumenregeln einzusetzen: «Es ist unsere Aufgabe, zu recherchieren, wo problematische Teilströmungen vorkommen und wie stark diese sind. Gewalt gegen Polizei und Medienschaffende, Antisemitismus, Rassismus, das müssen wir zeigen. Aber das Schlimmste, was man machen kann, ist, alle Leute in einen Topf zu werfen». Dem pflichtet Beat Glogger bei: «Es ist problematisch, wenn man allen Protestierenden einen Stempel aufdrücken will. Zum Beispiel, dass alle rechtsextrem seien.» In dieser Frage müsse Journalismus, so Kaspar Surber, auf beide Seiten genau sein: Durchaus kritisch, aber differenziert. Ein Beispiel, wie dieser differenzierte Blick aussehen kann, ist Surbers Reportage «In Pipilottis Gummizelle» über die St. Galler Corona-Jugendkrawalle. Die Motivlage der randalierenden Jugendlichen wird nicht unterkomplex dargestellt (sie sind nicht pauschal Opfer oder pauschal Täter), und der Dialog mit den Betroffenen ist nicht Selbstzweck, sondern die Ausgangslage für eine kritische Analyse.

Für eine differenzierte Einordnung plädiert auch Medienforscherin Sabrina Heike Kessler. In inhaltlicher Hinsicht bedeutet das, zu betonen, dass viele Argumente für Forderungen der Protestierenden nicht wissenschaftlich belegt werden können. Und es ist wichtig, konkrete Fehlinformationen nicht einfach zu wiederholen:

«Medien sollten es vermeiden, Falschnachrichten und Verschwörungstheorien zu wiederholen. Stattdessen sollten sie auf die korrekten Fakten fokussieren.»

Diese Form der Einordnung, die in Richtung «Faktenchecks» geht, begrüsst grundsätzlich auch Beat Glogger. Aber er schränkt ein, dass es an den Corona-Protesten oft gar nicht um überprüfbare Fakten, sondern eher um blosse Meinungen und Ängste gehe. In solchen Situationen könne man entsprechend auch keine korrigierenden Faktenchecks oder dergleichen durchführen.

Zusammengefasst lassen sich die Einschätzungen auf sechs Best Practice-Daumenregeln eindampfen:

  1. Ticker-Journalismus vermeiden. Die eventgetriebene Berichterstattung in Live-Tickern und attraktiven Bildern vervielfältigt problematische Inhalte ungefiltert.
  2. Analyse vor Dialog. Der unmittelbare Dialog mit Protestierenden kann Einblicke in die Beweggründe der Protestierenden geben, ist aber kein Ersatz für eine breitere analytische Einordnungsleistung.
  3. Pauschalisierungen vermeiden. Die Überzeugungen von Corona-Protestierenden sind nicht einheitlich. Sowohl alarmistische als auch verharmlosende Pauschalisierungen sind zu vermeiden.
  4. Verhältnisse aufzeigen. In normativen Fragen wie der Akzeptanz von Massnahmen gilt es, die Ansichten der Protestierenden als kleiner Minderheit den Ansichten der Gesamtbevölkerung gegenüberzustellen und auf Diskrepanzen hinzuweisen.
  5. Wissenschaftliche Datenlage betonen. Bei Behauptungen, für die es keine empirischen Belege gibt (oder die empirisch widerlegt sind), gilt es, dies zu betonen und die Behauptungen nicht ohne diesen Kontext stehen zu lassen.
  6. Fehlinformationen nicht wiederholen. Konkrete Fehlinformationen, die an Corona-Protesten geäussert werden, sollen möglichst nicht wiederholt werden. Stattdessen soll die korrekte Information betont werden.

In der Summe ergeben diese Eckpunkte ein einfaches Prinzip: Weniger unreflektierte Event-Berichterstattung und mehr Einordnung. Ein Prinzip, das auch jenseits der Corona-Proteste gerne öfter zur Anwendung kommen darf.

Leserbeiträge

Raphael Weber 13. Mai 2021, 00:29

Best
Practice?
Die
Medien und vor allem die sogenannten «Journalisten» wären gut beraten,
zurückzukehren in den Investigativen Journalismus und abkehren vom aktuell
vorherrschenden Meinungsjournalismus.
Ein
Leser, Zuhörer oder Zuschauer soll selber urteilen können, welche Argumente
schlüssig sind und welche nicht. Journalisten sollten objektiv, sachlich aber
auch kritisch berichten und nicht die eigene oder Verlagsangehörige Meinung
verbreiten. Dazu gehört auch die Massnahmen zu hinterfragen. Wo sind die
kritischen Stimmen, die aufzeigen wo eine Ansteckung tatsächlich stattfindet,
wo wird die Wirksamkeit der Impfung von unabhängiger Stelle genaustens belegt,
warum wird nie über die Impfnebenwirkungen berichtet, was sind die Folgen einer
durchlebten Krankheit, wie steht es um die Antikörper der Schweizer Bevölkerung
und was taugen PCR Tests? Welches Medium deckt als erstes alternativen zur Impfung
auf? Wer profitiert von den Massnahmen und wer geht leer aus? Und vor allem,
weshalb verknüpft man verschiedene Gesetzesänderungen, die eigentlich nicht
voneinander abhängig sein sollten, in einer Abstimmung? Leider aus Mediensicht
nicht ganz uneigennützig, aber wer streicht sich schon freiwillig die Tantiemen
ans Bein. Wes Brot ich ess, des Lied ich Sing. Mehr Sinn für die Wahrheit und
mehr Offenheit der Medien würden jedenfalls solche Demonstrationen im Grunde
überflüssig machen.

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