Plädoyer für die Plagiatsjagd
Greifen Promis oder Politikerinnen in die Tasten, stehen sie unter Generalverdacht. Haben sie abgeschrieben oder selbst formuliert? Plagiatsjäger sorgen dafür, dass keine Unredlichkeit unentdeckt bleibt. Sie sind ein notwendig gewordenes Korrektiv gegen Institutionen, die ihre Aufgaben nicht ausreichend wahrnehmen.
«Plagiatsjäger sind die Kopfgeldjäger des 21. Jahrhunderts», so kam es mir neulich in der Diskussion um die inzwischen mehr als 40 entdeckten Plagiate im Buch der deutschen grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in den Sinn. Und ich schrieb diesen Satz in einem Facebook-Kommentar auf. Ich hatte vor allem Quentin Tarantinos Film «Django Unchained» vor Augen und die Figur des Dr. King Schultz. Es dürfte eine Herausforderung sein, die Arbeit eines Plagiatsjägers ähnlich zu inszenieren wie die eines Kopfgeldjägers in den USA des 19. Jahrhunderts. Wen interessiert schon die Dauereinstellung auf einen am Computer suchenden Menschen?
Nachdem ich den Kommentar veröffentlicht hatte, kamen mir Zweifel. Ist dieser Vergleich wirklich treffend? Und, wichtiger: War diese Formulierung tatsächlich von mir? Oder hatte ich sie irgendwann einmal in einem anderen Zusammenhang gehört oder gelesen? Ich kann beschwören, dass ich sie nicht für diesen Kommentar nachgeschlagen hatte. Aber war es meine «Schöpfung»? Für einen Facebook-Kommentar mag die Frage eher lächerlich sein. Aber was, wenn ich sie in einem Buch verwenden würde?
Die Diskussion um Plagiate schwappt in Deutschland seit 2011 in Wellen durch die Medien. Immer dann, wenn prominente Politiker betroffen sind, schlägt die Stunde der sogenannten «Plagiatsjäger».
Der grösste Plagiatsskandal in der jüngeren Geschichte Deutschlands war zweifellos die Dissertation des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Der war 2011 zwei Jahre im Amt, hatte einige gravierende Reformen im Ministerium umgesetzt und verkörperte den Typus des jungen, aufstrebenden Politikers, der, obwohl in einer konservativen Partei (CSU), nicht vor Veränderungen Halt macht. Einher ging dies mit einer bis an die Grenze gehenden Drang zur Selbstdarstellung. Die Geschichte des Plagiatfunds ist bei Wikipedia als Zufallsfund eines Doktoranden beschrieben, der für seine eigene Dissertation Recherchen anstellte und auf Stellen in zu Guttenbergs Arbeit stiess, die er von anderen Autoren kannte, die aber nicht als Zitate ausgewiesen wurden.
Die Abwicklung dieses Plagiatsfalls in Politik und Medien dient im Grossen und Ganzen als Vorlage für alle danach kommenden ähnlichen Entdeckungen: Zunächst bagatellisieren die Ertappten den Sachverhalt, sprechen von wenigen Stellen, von vergessenen Fussnoten. Ohne es zu wollen, stacheln sie die Suche nach Plagiaten noch mehr an. Gleichzeitig wird die Frage laut, wer die Doktorarbeit an der Universität betreut hat. Der Druck auf den mutmasslichen Plagiator wächst. Bei zu Guttenberg lagen fünf Tage zwischen dem Dementi und seiner Bitte an die Universität, den Doktortitel zurückzunehmen. Drei Wochen nach den ersten Vorwürfen trat zu Guttenberg als Minister zurück.
Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.
Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.
Dieser «Erfolg» stachelte weitere Plagiatsjäger an, Dissertationen von Politikerinnen und Politikern, sowie weiteren Prominenten, zu untersuchen. Sie wurden, wie man hier nachlesen kann, durchaus fündig. Meist wurde der Doktortitel aberkannt, allerdings nicht immer. Auch das politische Mandat war nicht immer betroffen.
Der jüngste «Fall» von Annalena Baerbocks Plagiaten liegt etwas anders. Baerbock hat mit «Jetzt – Wie wir unser Land erneuern» ein Buch veröffentlicht, ein Sachbuch (was sie später bestritt, aber wenn es kein Sachbuch ist – was soll es sonst sein?), in dem sie ihre persönlichen politischen Ideen ausbreitet und Lösungsvorschläge aufzeichnet.
Zunächst hiess es, die plagiierten Stellen stammten aus Wikipedia-Artikeln. Die bei Plagiaten neben dem moralischen Aspekt wichtige Frage nach der Urheberrechtsverletzung sollte damit beantwortet werden, dass Wikipedia-Artikel Gemeingut sind und aus ihnen ohne Quellenangabe zitiert werden darf. Aber auch hier gilt: «Formulierungen, in denen Tatsachen berichtet werden, sind selbstverständlich geschützt», so der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem Tweet.
Inzwischen betreffen die Plagiatsfunde in Baerbocks Buch auch Reiseberichte, Reden anderer Politiker, Zeitungsartikel und in einem Fall sogar das Wahlprogramm einer konkurrierenden Partei. Im einen oder anderen Fall dürften durchaus Urheberrechtsverletzungen vorliegen. Fast noch schlimmer scheint jedoch, dass eine Kandidatin, die sich mit ihrer ökologisch inspirierten Programmatik auf Erkenntnisse der Wissenschaft stützt, deren Standards sie in der Bearbeitung von Texten schlichtweg ignoriert. Es ist vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Längst ist es auch ein Marketingproblem geworden, da die Partei und einige Journalisten unverdrossen von einer «Schmutzkampagne» reden. Dazu passt Baerbocks Aussage, niemand schreibe ein Buch allein. (Sie erwähnt die «Mitarbeit» eines Ghostwriters und dankt diversen anderen Personen). Hier stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Mit der Erfahrung als Autor von Monografien kann ich nur sagen:
Wenn man auf dem Cover als Autor erwähnt ist, schreibt man sehr wohl das Buch alleine. Zitate und Gedanken anderer kennzeichnet man in Fuss- oder Endnoten. Und am Ende gibt es ein Lektorat.
Journalisten, die nota bene selber gerne bei der Konkurrenz abschreiben und es mit dem Urheberrecht auch nicht immer so genau nehmen, lieben die Konfrontation zwischen der «Getriebenheit» eines Plagiatsjägers und dessen «Opfer». Bei Annalena Baerbock ist der «Plagiatsjäger» der in Salzburg lebende Medienwissenschaftler Stefan Weber. Zunächst wird er noch als eher schrulliger «Blogger» abgetan, der sich, wie es kurz darauf hiess, im Buch der Kandidatin «festgebissen» habe. Dabei wirkt «Priv. Doz. Mag. Dr. Stefan Weber» nicht nur Plagiatsprüfer, sondern arbeitet auch als Gutachter. Er bietet also an, «Werke auf die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis» zu prüfen und bietet hierfür auch Schulungen an. Im Jahr 2017 diente er den Grünen, also der Partei von Baerbock, noch als Referenz. Weber prüfte – vermutlich im Auftrag der Grünen – inwiefern eine Behörde für einen Risikobericht eines Unkrautvernichtungsmittels aus den Stellungnahmen des Herstellers abgeschrieben hatte, ohne dies anzugeben. Weber wurde fündig und seine Expertise ausdrücklich gewürdigt.
Die Funde im Buch wären, jeder für sich genommen, eher zu vernachlässigen. In der Summe jedoch entsteht ein fatales Bild:
Was soll man von jemandem halten, der es nötig hat, seine politischen Ziele und Ambitionen mit Texten anderer zu formulieren?
Was sagt der Umgang mit fremden Texten über die Sorgfaltspflicht einer Politikerin aus, die ein politisches Mandat wünscht?
Plagiatsjäger sind Korrektive gegen schläfrig gewordene Institutionen. Sie werden immer dann aktiv, wenn ein Versagen vorliegt. Wenn Promotionsausschüsse ihren Prüfungspflichten nicht ausreichend nachkommen, Lektorate in Verlagen nur oberflächlich ausgeführt werden oder Journalisten in politischer Sympathie Bücher von Mandatsträgern nicht genau untersuchen – dann schlägt ihre Stunde. Es ist nicht immer leicht für sie, mit ihren Funden an die Öffentlichkeit zu treten. Medien reagieren skeptisch, weil sie auch ihre (oft genug unterlassene) Funktion befragen. Man wiegelt ab, spricht häufig von «Bloggern» oder versucht, die Funde zu banalisieren, statt sich den Fakten zu widmen.
Bisweilen sind die Motive, sich bestimmte Texte vorzuknöpfen, nicht immer hehrer Natur. Es gibt Aufträge oder einzelne Plagiatsjäger, die sich zu einer Mission berufen fühlen. In Baerbocks Fall nimmt dies skurrile Züge an. In dem Weber offen die Aufgabe der Kandidatur von Baerbock als Ziel angibt, könnte man ihm tatsächlich eine Kampagnenhaftigkeit seines Tuns attestieren, die sich jenseits der Bemühung korrekter Zitatweisen bewegt.
Der vorläufige Tiefpunkt könnte in einem humorig gemeinten Tweet liegen, mit dem er das Cover von Baerbocks Buch ins Lächerliche zieht.
Plagiatsjäger sollten selber wissenschaftlichen Kriterien standhalten, so weit wie möglich neutral sein, das heisst der Sache verpflichtet und sich jedem Aktivismus oder jeder Vereinnahmung tunlichst entziehen.
Sie sensibilisieren den Umgang mit dem geistigen Eigentum anderer. Eine Diskussion, inwiefern gefundene Textstellen Relevanz besitzen, eine Verletzung des Urheberrechts vorliegt oder gegen die Regularien korrekten Zitierens verstossen wurde, hat niemand zu befürchten, der gewissenhaft gearbeitet hat.
Bildquelle: Keystone