Kriegsberichterstattung: Social Media ersetzen die Präsenz vor Ort nicht
Es ist die riskanteste und kostspieligste Disziplin des Journalismus: Aus dem Krieg zu berichten, erfordert entsprechend viele Ressourcen, die nur noch wenige Medien bereitzustellen imstande sind. Doch es gibt keine Alternativen zu Reporter:innen vor Ort.
In Zeiten von Social Media, schrieb Marko Ković kürzlich in der MEDIENWOCHE, brauche es keine Medienschaffenden mehr, die «ohne Vorkenntnisse spontan in Krisenregionen reisen und dabei vielleicht den persönlichen Kick suchen». Einverstanden. Nur: Gab es mal Zeiten, in denen es diese Art von Journalismus brauchte?
Ohne ausreichende Vorbereitung ist die Gefahr gross, dass Berichte oberflächlich werden, dass sie Klischees oder Vorurteile reproduzieren.
Unvorbereitet in ein Kriegsgebiet zu reisen, war schon immer eine schlechte Voraussetzung für guten Journalismus. Eine Kritik am sogenannten Fallschirmjournalismus, an jenen «Globetrottern» also, die ständig auf Achse sind und den Breaking News hinterherreisen, wie es in einem etwas älteren, aber lesenswerten Artikel des Poynter Instituts heisst, ist legitim und angesichts des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine auch sehr aktuell. Denn ohne ausreichende Vorbereitung ist die Gefahr gross, dass Berichte oberflächlich werden, dass sie Klischees oder Vorurteile reproduzieren. Oder schlimmer noch: dass die Journalist:innen sich selbst, ihre Mitarbeitenden oder ihre Auskunftspersonen vor Ort gefährden.
Es stimmt, dass viele Redaktionen kein eigenes Korrespondent:innen-Netzwerk mehr unterhalten – und natürlich ist das bedenklich. Stattdessen, behauptet nun Ković, schickten sie Journalist:innen ad-hoc für einzelne Berichte ins Kriegsgebiet, die hilflos wie «Fische auf dem Trockenen» seien: Sie würden sich in der Region nicht auskennen, die Sprache nicht sprechen und kaum über Kontakte verfügen. Doch anders als Ković behauptet, sind nicht alle Journalist:innen, die in den letzten Jahren die entstandene Lücke in der Auslandberichterstattung füllten, unkundige Fallschirmjournalist:innen.
Die Honorare sind oft so unverschämt tief, dass man damit nur mit Mühe, mit Nebenjobs oder dank vermögender Eltern über die Runden kommt.
Unter ihnen gibt es Reporter:innen, die seit Jahrzehnten aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt und häufig aus Kriegs- und Konfliktgebieten fundiert berichten. Sie wissen, wie sie sich in einem Kriegsgebiet bewegen müssen, sei das nun Afghanistan, Syrien oder die Ukraine. Andere wiederum spezialisierten sich auf eine Region, leben mitunter dort oder reisen regelmässig hin und sprechen auch die lokale Sprache. Und es gibt freie Korrespondent:innen wie Franziska Grillmeier auf der griechischen Insel Lesbos, die jenseits der grossen Zentren und Hauptstädte stationiert sind, wo festangestellte Korrespondent:innen üblicherweise ihren Sitz haben.
Doch grundsätzlich ist die Art, wie viele Medienhäuser mit Freien im Ausland zusammenarbeiten, nicht befriedigend und der Qualität der Berichterstattung nicht zuträglich. Die Honorare sind oft so unverschämt tief, dass man damit nur mit Mühe, mit Nebenjobs oder dank vermögender Eltern über die Runden kommt (geschweige denn, eine vernünftige Altersvorsorge aufbauen kann). Hinzu kommen in Kriegsgebieten horrende Ausgaben, die die Freien häufig selbst tragen: Schutzausrüstung, Versicherung, eine sichere Unterkunft, Fahrer:in, eventuell Fixer:in, manchmal gar bewaffneter Begleitschutz, also locker mehrere hundert Dollar am Tag.
Das ist viel Geld, wenn man es selbst bezahlt. Die hohen Kosten führen dazu, dass Recherchereisen immer kürzer werden. Dass nicht wenige erfahrene Kriegsberichterstatter:innen irgendwann damit aufhören, weil es sich nicht mehr rechnet, und jüngere Kolleg:innen auf sie folgen, die ihre Erfahrung und Expertise wiederum erst aufbauen müssen. Und dass sich Berufseinsteiger:innen noch mehr in Gefahr bringen, weil sie etwa dem sicheren Hotel das günstigere, aber gefährlichere vorziehen.
Für Kriegsparteien ist die Regulierung des Zugangs für die Medien ein beliebtes Instrument, um die Berichterstattung in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Ein anderes Problem ist noch grundlegender: Der Zugang für Berichterstatter:innen zu Konflikten wird immer schwieriger. Während es etwa im Vietnam-Krieg noch möglich war, von beiden Seiten der Frontlinie zu berichten, ist dies heute häufig undenkbar. Für Kriegsparteien ist die Regulierung des Zugangs für die Medien ein weiteres Instrument, um ihre Ziele zu erreichen: Sie können Zugang gewähren, wenn ihnen die Berichterstattung zum Beispiel über das Leid der eigenen Zivilbevölkerung opportun erscheint. Sie können Reporter:innen «embedded» mit Streitkräften zulassen, aber ihnen mit dem Hinweis auf Sicherheitsbedenken verwehren, sich frei zu bewegen, und mit Zivilist:innen zu sprechen. Oder sie können ihnen schlicht kein Visum geben.
Wie etwa das Assad-Regime, das seit einigen Jahren kaum noch Visa an internationale Journalist:innen erteilt, und wenn, die Reporter:innen mit viel Aufwand eng überwacht, damit sie sicher nichts Kontroverses sehen. (Lokale Jounalist:innen können im Übrigen nur unter Pseudonym und grosser Gefahr für ihr eigenes Leben unabhängig aus dem Inneren von Assads Syrien berichten). Um seinen Ruf im Westen kann es Assad dabei kaum gehen – denn internationale Medien berichteten ja während Jahren ausführlich über den Krieg in Syrien, zeigten Bilder der Bombardements von Aleppo oder Idlib und bezeichneten Assad als das, was er ist: einen brutalen Diktator und Kriegsverbrecher. Stattdessen geht es geht ihm um die Legitimation seines eigenen Narrativs. Er will weiter behaupten können, dass die westlichen Medien die Wahrheit über Syrien doch gar nicht kennen können – sie sind ja schliesslich nicht dort.
Die Recherche vor Ort ist unerlässlich für eine tiefergreifende Einordnung eines Konflikts.
Was passiert, liegt auf der Hand: Wenn Journalist:innen keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu einem Konfliktgebiet haben, verschwindet es aus den Nachrichten. Oder mögen Sie sich noch erinnern, wann Sie zum letzten Mal eine Geschichte gelesen haben über die Lage der Menschen in Damaskus, Sanaa oder Benghazi? Natürlich kann man lesen, was Betroffene aus Syrien, Jemen oder Libyen dort über Facebook, Twitter oder Instagram kommunizieren. Man kann sich mit ihnen in Verbindung setzen, man kann sie anrufen, und sie können ihre Geschichte erzählen. Das mache ich auch immer wieder – weil mir nichts anderes übrig bleibt.
Aber zum einen sind Aussagen via Telefon schwerer verifizierbar, was die Überzeugungskraft einer Geschichte schwächen kann. Vor allem aber ist die Recherche vor Ort unerlässlich für eine tiefergreifende Einordnung eines Konflikts. «Es gibt keinen Ersatz dafür, vor Ort zu sein, zu sehen, zu erleben, eine Geschichte in ihrem Kern zu begreifen, und das wieder in den grösseren Kontext zu setzen», sagte die Reporterin Rania Abuzied gegenüber der «Columbia Journalism Review», die jahrelang aus Syrien berichtet hat. «Youtube-Schnipsel sind nur das: kurze Momente, auf Video aufgenommen. Was aber ist davor und danach passiert? Was ist der Kontext und was passiert, wenn die Kamera wieder aus ist?»
Das persönliche Risiko, das Reporter:innen auf sich nehmen, ist in den letzten Jahrzehnten sehr viel grösser geworden.
Weil es so schwierig ist, aus Kriegsgebieten überhaupt unabhängig zu berichten, steht die Kriegsberichterstattung vor einem Dilemma: Ihre Arbeit erfordert viel Spezialwissen darüber, wie man sich verhalten muss, und eine Bereitschaft, grosse persönliche Risiken einzugehen. Nicht umsonst ist Kriegsjournalist:in seit jeher eine eigene Kategorie im Journalismus und reisen Reporter:innen oftmals von einem Konflikt zum nächsten. Und das birgt tatsächlich das Risiko, dass mangelnde Kenntnisse einer bestimmten Region zu oberflächlicher Berichterstattung führen.
Auf der anderen Seite bringen Kriegsreporter:innen ihre eigene Expertise mit. Nicht nur, weil sie Muster erkennen: Wie die russische Armee jetzt die ukrainische Hafenstadt Mariupol belagert, ist nicht neu. Es ist dieselbe Art, wie Russland in Grosny oder Aleppo Krieg geführt hat. Sondern auch, weil sie bereits miterlebt haben, welche gewaltige Eigendynamik ein Krieg entwickeln kann: Meistens verändert er ein Land und dessen Gesellschaft auf unumkehrbare Weise.
Auch Russland hat im aktuellen Krieg gegen die Ukraine immer Journalist:innen immer wieder gezielt angegriffen. Manche sind dabei ums Leben gekommen.
Das persönliche Risiko, das Reporter:innen dafür auf sich nehmen, ist in den letzten Jahrzehnten sehr viel grösser geworden. Während in 20 Jahren Vietnamkrieg 63 Medienschaffende getötet wurden, waren es während des Irakkriegs zwischen 2003 und 2010 176 Todesopfer. Das hat vor allem einen Grund: Die Berichterstatter:innen wurden selbst zum Ziel von Angriffen. 2012 etwa kamen bei einem Bombenangriff in der syrischen Stadt Homs, die damals von Rebellen besetzt war, zwei internationale Journalist:innen ums Leben: Die Reporterin Marie Colvin und der Fotograf Rémi Ochlik. Ihr Tod war kein tragischer Zufall, sie waren nicht zur falschen Zeit am falschen Ort – das Assad-Regime hatte sie gezielt umgebracht.
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Auch Russland hat im aktuellen Krieg gegen die Ukraine immer Journalist:innen immer wieder gezielt angegriffen. Manche sind dabei ums Leben gekommen. Ein ukrainischer Fixer soll entführt und gefoltert worden sein. Die beiden AP-Journalisten Mstyslav Chernov und der Fotograf Evgeniy Maloletka, die als letzte internationale Journalist:innen aus dem besetzen Mariupol berichteten, waren der russischen Armee offenbar so sehr ein Dorn im Auge, dass man sie gefangen nehmen wollte, um sie zu zwingen, ihre eigenen Berichte als Lügen zu bezeichnen. So erzählte es ihnen ein Polizist.
Die beiden dokumentierten den russischen Angriff auf die Stadt und konnten aufzeigen, dass der Horror für die Zivilbevölkerung kein Nebeneffekt, sondern die zentrale Strategie der russischen Armee war. Die Internet- und Telefon-Verbindungen in der Stadt waren fast vollständig zusammengebrochen – und die beiden Journalist:innen waren die letzten, die die Bilder vom Terror gegen die Zivilbevölkerung noch nach draussen tragen konnten.
Die Verlage müssen sich endlich von der Illusion verabschieden, dass Qualitätsjournalismus aus dem Ausland zum Discountpreis zu haben ist.
Ich bin mir sicher, dass Marko Ković mit seinem Text nicht die Bedeutung dieser beiden Reporter in Mariupol kleinreden wollte. Aber seine verkürzten Aussagen tragen wenig zu der wichtigen Diskussion bei, was Kriegsberichterstattung heute leisten kann und soll. Vor allem seine Forderung, dass es in Zeiten von Social Media doch nur noch eine ausgewählte Gruppe von Kriegsberichterstatter:innen brauche, ist angesichts der immer schwieriger werdenden Bedingungen für die Kriegsberichterstattung fehl am Platz.
Kovićs Fazit wiederum – Korrespondent:innen-Netzwerke wieder auf- statt abbauen – ist zwar richtig, aber derzeit leider kaum realistisch. Viel wichtiger wäre meiner Meinung nach die Frage: Wie ergänzen die Medienhäuser ihre Korrespondent:innen-Netzwerke? Zum Beispiel, indem sie nicht nur auf internationale Berichterstatter:innen setzen, sondern anfangen, mit lokalen Journalist:innen zusammenzuarbeiten und sich so ein breites Netzwerk aufbauen. Nicht weil dadurch Reisekosten wegfallen. Sondern weil es an der Zeit ist, dass ihre Stimmen das Narrativ über einen jeweiligen Konflikt oder ein Land massgebend prägen.
Vor allem aber müssen sich die Verlage endlich von der Illusion verabschieden, dass Qualitätsjournalismus aus dem Ausland zum Discountpreis zu haben ist. Egal, ob eine Geschichte von Korrespondent:innen, Freien oder lokalen Kolleg:innen recherchiert und geschrieben wurde: Sie müssen so finanziert sein, dass sich der Aufwand und das Risiko für gute Geschichten wieder lohnt.
Bild: Adobe Stock