Architektur in den Medien: Mehr Plattform, weniger Redaktion
Verdrängen digitale Plattformen wie Archdaily die kritische Berichterstattung über Architektur? Nicht, wenn die User sich ihrer Macht als Datenlieferanten bewusst sind.
Restlos alle Befürchtungen zerstreut die Ansage nicht: «Die Architekturberichterstattung wird im Feuilleton der NZZ auch weiterhin einen zentralen Platz haben», schreibt uns Ressortleiter Benedict Neff. Nachdem die Redaktorin für Design und Architektur Sabine von Fischer diesen Frühling gekündigt hat, gibt es bei der NZZ niemanden mehr, der sich spezifisch und mit Expertise um das Thema Architektur kümmert. Damit gibt es in den Redaktionen der Schweizer Tagespresse keinen Architekten oder keine Architektin mehr. Tatsächlich werde die bisherige Stelle künftig inhaltlich breiter ausgerichtet, schreibt die NZZ weiter. Man prüfe zurzeit die Zusammenarbeit mit freien Autorinnen und Autoren, «um ästhetische, soziale, politische und gesellschaftliche Aspekte zu beleuchten und das Interesse eines breiten Publikums für die Architektur zu wecken». Unter dem Strich bleibt: In der NZZ hat die Architektur an Bedeutung verloren.
Gleichzeitig investiert die NZZ Mediengruppe (Paywall) aber tüchtig in die Branche: In den vergangenen Jahren hat es mit den Plattformen Architonic, Archdaily und Designboom die grösste Architektur- und Design-Community der Welt zusammengekauft. Man habe die Möglichkeit gesehen, in der Architektur die Nummer eins zu werden, erklärt Stephan Bachmann, CEO von DAAily Platforms, der Organisation, die diese drei Websites zusammenfasst. Denn das ist im digitalisierten Geschäft entscheidend: Wer am meisten User hat, verfügt über die meisten Daten und kann sein Angebot nach den Bedürfnissen der Werbetreibenden ausrichten. Das Geschäftsmodell ist also primär quantitativ. Eine kritische Berichterstattung, die Konflikte mit den Leserinnen und Kunden mit sich bringt, ist von ihnen nicht zu erwarten.
Doch wer liefert die Daten? Die Nutzerinnen und Nutzer liefern sie. Je häufiger wir auf diesen Plattformen unterwegs sind, desto mehr Daten hinterlassen wir. Sie seien das Erdöl des 21. Jahrhunderts, schreibt der Schweizer Journalist und Ökonom Hannes Grassegger in seinem Essay «Das Kapital bin ich». Er sieht uns in einer «digitalen Leibeigenschaft», weil wir für die Plattformen arbeiten, ohne dafür bezahlt zu werden. Grassegger meint natürlich Google, Apple und Meta. Das ökonomische Prinzip gilt jedoch ebenso für Architonic, Archdaily und Designboom.
Wenn die NZZ ihre Berichterstattung über Architektur zurückstuft und dafür in digitale Plattformen investiert, dann auch, weil wir lieber auf Archdaily durch die Bilder von Villen in Miami swipen.
Bei DAAily Platforms weiss man, was die Community wert ist. Man stehe mit ihr im Austausch und denke darüber nach, wie man sie besser über Themen wie Nachhaltigkeit informieren könne und «wie wir diesen Mehrwert dem Kunden weitergeben können», sagt Stephan Bachmann. Aber ist sich die Community ihrer Macht bewusst? «Es gilt, die eigenen Daten erst dann herauszugeben, wenn dafür ein annehmbarer Gegenwert fliesst», fordert Hannes Grassegger. Dieser Gegenwert könnte etwa darin bestehen, dass Firmen sich an Standards in Ökologie und sozialer Verantwortung halten: Nur wer menschenwürdige Arbeitsbedingungen und klimagerechte Produktionsmethoden vorweisen kann, bekommt meine Aufmerksamkeit. Und nur, wenn eine Plattform wie Architonic sich für diese Themen einsetzt, nutze ich sie als Recherchetool und gebe ihr meine Daten.
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Wenn die NZZ ihre Berichterstattung über Architektur zurückstuft und dafür in digitale Plattformen investiert, dann auch, weil wir lieber auf Archdaily durch die Bilder von Villen in Miami swipen, als uns im Feuilleton mit den komplexen Zusammenhängen von Architektur und Klimakrise vor unserer Haustür zu befassen. Nicht nur die NZZ ist aufgefordert, weiterhin über Architektur und Städtebau zu berichten, weil diese Fachbereiche die wichtigen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit thematisieren. Auch wir sind dazu angehalten, nicht einfach den schönen Bildern nachzugehen, sondern uns mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
Dieser Kommentar wurde zuerst in der Architekturzeitschrift «Hochparterre» veröffentlicht. Die MEDIENWOCHE durfte ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors übernehmen.