von Oliver Classen

Es braucht einen Schulterschluss gegen Einschüchterungsklagen

Immer öfter versuchen finanzstarke Akteure mit eigentlich aussichtslosen Klagen kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Davon betroffen waren bisher – so weit bekannt – vor allem NGOs. Aber auch Medien sehen sich mit solchen SLAPP-Klagen konfrontiert. Höchste Zeit diesen für die Presse- und Meinungsfreiheit höchst bedenklichen Trend politisch zu unterbinden. Doch dafür müssen Medien und NGOs zusammenspannen.

Anfang Mai organisierte der Bruno Manser Fonds in Zürich eine internationale Tagung über «Missbräuchliche Klagen und ihre Wirkung auf Journalismus und Zivilgesellschaft». Die Basler Organisation, die im Sinn und Geist des verschollenen Menschenrechtsaktivisten handelt, brachte Fachleute aus ganz Europa zusammen, um erstmals in der Schweiz öffentlich ein problematisches Phänomen zu diskutieren, das investigative Recherchen von Medien und NGOs zunehmend erschwert. Der komplizierte Name: SLAPP, was für «Strategic lawsuit against public participation» (dt.: «Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung») steht. Das einfache Ziel: systematische Einschüchterung bis hin zur faktischen Selbstzensur.

Einziger Journalist an der Konferenz war François Pilet, der auf «Gotham City» über Gerichtsfälle berichtet, in denen es um Korruption, Geldwäscherei und andere Finanzkriminalität geht. Für seine exklusiven Justiz-News wird das in Lausanne domizilierte Online-Startup von in den Verfahren Erwähnten regelmässig mit Klagen oder Klagedrohungen eingedeckt. Auf die Frage, warum der Einladung des Bruno Manser Fonds keine anderen Medienschaffenden gefolgt sind, meint Pilet: «Sicher nicht aus mangelndem Interesse oder fehlender Betroffenheit. Es liegt wohl eher an einem Unbehagen, das viele Kolleg*innen gegenüber der journalistischen Arbeit von NGOs spüren.» Damit trifft er einen Punkt.

Exemplarisch für dieses in manchen Redaktionen immer noch tiefsitzende Misstrauen war die Vorschau von Christian Mensch auf die Tagung in den CH-Media-Zeitungen: «Bruno Manser Fonds stilisiert sich als Opfer einer missbräuchlichen Klage», lautete der Titel seines Artikels. Was die Vorverurteilung durch den erfahrenen Redaktor offenbar getriggert hat, erfährt man erst am Schluss: «NGOs und kritischer Journalismus werden dort als gleichfunktionierende Akteure der Öffentlichkeit bewertet.» Den Besuch der Veranstaltung hat sich Mensch dann natürlich gespart. Bezeichnenderweise referenziert aber selbst sein Verriss auf den Schweizer Grundlagentext zur SLAPP-Problematik, geschrieben von der kürzlich verstorbenen Regula Bähler für «Medialex». Für Rechercheure und Reporterinnen war Bähler jene «Anwältin, die einem das Gefühl gab, man könne viel mehr riskieren, als man sich selber zutraut», wie die WOZ treffend schrieb.

In der Schweiz fehlt jegliches Problembewusstsein für SLAPP-Klagen. Und zwar nicht nur in der Politik, sondern offenbar auch in den Medienhäusern und -verbänden.

Auch ihre Auslegeordnung zu «SLAPP und SLAPP-back: Goliath gegen David» zeigt Bähler als kluge Verteidigerin journalistischer Grundrechte. Mit drei Beispielen, darunter eines von «Gotham City» und eines vom Bruno Manser Fonds, illustriert sie, wie kritische Berichte über Konzerne, Oligarchen und anderen Finanzadel auch hierzulande zunehmend Gefahr laufen, «ganz oder teilweise gelöscht zu werden und Medienschaffende sich – nach der Androhung drastischer rechtlicher Konsequenzen – genau überlegen, ob sie erneut über den Kläger berichten.» Gemäss einer Umfrage des Hilfswerks HEKS zu «Unternehmensklagen in der Schweiz» sahen sich sechs der elf befragten NGOs schon mit solchen Klagen oder Klagedrohungen konfrontiert, die meisten davon sogar mehrfach. (Und da sind die gegen «Public Eye» hängigen Verfahren noch nicht mal eingerechnet.)

Nach der Bestandsaufnahme aus der Schweiz folgt in Bählers Text ein Abriss darüber, wie Kanada, Australien und die USA solche Rechtsmissbräuche schon länger mit Anti-SLAPP-Verordnungen zu verhindern versuchen. Seit April verhandelt auch die EU endlich über eine neue Richtlinie, die es Gerichten ermöglichen soll, Verfahren bei offenkundig unbegründeten Klagen frühzeitig einzustellen und die Kosten vollumfänglich dem Kläger anzulasten. Vor dem Hintergrund der jüngsten Klagewelle durch russische Oligarchen kündigte der britische Justizminister an, an den Gerichten einen Test einführen zu wollen, der SLAPP-Klagen zu identifizieren und auszufiltern helfen soll.

In der Schweiz hingegen wurde bisher kein Handlungsbedarf erkannt. Ja, schlimmer noch: Zwischen Genfer- und Bodensee fehlt jegliches Problembewusstsein. Und zwar nicht nur in der Politik, sondern offenbar auch in den Medienhäusern und -verbänden. Das zeigte sich kürzlich auch am Reporter-Forum. Auf einem Podium zur aktuellen «Klagewelle und wie wir uns dagegen wehren können», überraschte Andreas Meili, früherer Leiter des Tamedia-Rechtsdiensts, mit der Aussage, er wisse von seinem Nachfolger, dass dieser «noch nicht mal weiss, was so ein SLAPP überhaupt sein soll».

Dass die Medienfreiheit von den Verlegern in jüngster Zeit engagierter als auch schon verteidigt wurde, lässt auch für das Vorgehen gegen SLAPP-Klagen hoffen.

Schwer vorstellbar, dass weder das regelmässig mit brisanten Enthüllungen aus internationalen Datenlecks aufwartende Recherche-Desk noch die auch nicht handzahme Wirtschaftsredaktion von Tamedia keinerlei SLAPP-Erfahrungen haben sollen. Oder trifft es wirklich primär Nischenmedien wie «Gotham City», die in besonders sensiblen Bereichen recherchieren, über keinen internen Rechtsdienst und auch sonst über viel weniger Ressourcen verfügen – und deshalb (wie übrigens auch NGOs) lohnendere Ziele für die auf Einschüchterungsklagen spezialisierten Anwaltskanzleien in Zürich, Zug und Genf darstellen?

Zur Klärung dieser zentralen Frage braucht es mehr Transparenz. Helfen würde eine Umfrage des Verbands Schweizer Medien bei seinen potenziell von SLAPPs betroffenen Mitgliedern. Dass die Medienfreiheit von den Verlegern in jüngster Zeit (Stichwort Bankengesetz oder Art. 266 ZPO) engagierter als auch schon verteidigt wurde, lässt diesbezüglich zumindest hoffen. Doch auch «investigativ.ch» könnte hierzu aktiv werden. Wie auch immer, Hauptsache die Chefs schützen ihre Angestellten künftig besser vor ungerechtfertigten SLAPP-Ohrfeigen und es geht in dieser Sache endlich vorwärts – zunächst in den Redaktionen und auf den Teppichetagen der Verlage. Und dann aber auch im Bundeshaus, wo die politische Botschaft aus Brüssel noch kaum zur Kenntnis genommen wurde.

Damit dies zeitnah nachgeholt wird, sollten NGOs und Medien zusammenspannen und für ihre gemeinsamen Interessen auch gemeinsam im Bundeshaus einstehen. Dafür müssen aber wohl zunächst einige der eingangs geschilderten Berührungsängste abgebaut werden. Hier hilft vielleicht die Tatsache, dass das von Anwältin Bähler als Präzedenzfall klassifizierte Strafverfahren gegen den Bruno Manser Fonds Ende Juli vom zuständigen Basler Gericht eingestellt wurde. Gemäss «Tages-Anzeiger» hatten sich sämtliche Vorwürfe in der 50-seitigen Anzeige der Milliardäre aus Malaysia und Kanada als «völlig haltlos» erwiesen – ein klassischer SLAPP also. Vielleicht hat Christian Mensch diese neuste Entwicklung ja verpasst. Berichtet hat er jedenfalls nicht darüber. Doch auch das liesse sich gelegentlich noch nachholen.

Leserbeiträge

Martin Steiger 18. September 2022, 15:47

«Immer öfter versuchen finanzstarke Akteure mit eigentlich aussichtslosen Klagen kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.»

Gibt es Zahlen?

Ansonsten sind wir gleich weit wie bei der Diskussion über die Streichung von «besonders» beim «schweren Nachteil» für vorsorgliche Massnahmen gegen Medien in der Zivilprozessordnung, wo niemand, der die Anpassung ablehnt, Zahlen liefern kann oder will …

Oliver Classen 19. September 2022, 17:02

Wie im Artikel vermerkt: Für die Schweiz leider noch nicht. Die Brüsseler Coalition Against Slapps in Europe (CASE) hat 570 Fälle über die letzten 10 Jahre dokumentiert — Tendenz eindeutig zunehmend. Die im Text verlinkte HEKS-Umfrage deutet auf ähnliche Schweizer Verhältnisse hin, was empirisch aber noch erhärtet werden muss.