Die Alte Tante im Zukunftslabor
Mit NZZ Labs leistet sich die Neue Zürcher Zeitung seit rund zwei Monaten eine Denkfabrik, die unbelastet vom Tagesgeschäft neue Möglichkeiten für die Zeitung im Internet erforschen soll. So lernt die Zeitungsredaktion im Zukunftslabor den Umgang mit Twitter, für die geplante Paywall leistet NZZ Labs wichtige Vorbereitungs- und Denkarbeit.
Zwei der drei Männer von NZZ Labs, Thom Nagy und Florian Steglich, sitzen etwas verloren am Fenster eines Grossraumbüros im ersten Stock des ehrwürdigen NZZ-Gebäudes an der Falkenstrasse 11, in dem schon seit dem 1. Januar 1894 Journalismus produziert wird. Leer steht das Büro, weil vor kurzem die Print-Vermarkter von «NZZ Media» ausgezogen sind und noch steht nicht fest steht, wer wieder einzieht. Symbolisiert der riesige, zu 95 Prozent leere Raum die ungenutzten Möglichkeiten des Online-Journalismus? Es ist ruhig, der blaue Teppichboden dämpft die hallenden Worte, das Sonnenlicht drängt durch die heruntergelassenen Rollos. Einen Moment lang träumt man davon, dass die gesamte Etage von Onlinern bevölkert wird, die Journalismus produzieren, der auch noch profitabel ist.
Noch ist es nicht soweit. Nur eine kleine Ecke des Raumes wird von drei Arbeitsplätzen mit Mitarbeitern unterschiedlicher Herkunft ausgefüllt: NZZ-Labs-Chef Florian Steglich war die letzten Jahre bei Blogwerk beschäftigt, zusammen mit Peter Hogenkamp, dem jetzigen Leiter Digitale Medien. Markus Hug von der Universität Basel wird im Team die Themen User Experience und Usability besetzen. Und der von 20min.ch kommende Thom Nagy führt derzeit Twitter-Schulungen durch, die im Haus überraschend grosses Interesse hervorgerufen haben. Im Nu waren vier Termine à zwölf Leute ausgebucht. Steglich: «Mittlerweile haben wir 15 Termine und es stehen noch immer Interessenten auf der Warteliste. Das sind 200 Leute. Wir machen so viele Schulungen, bis jeder dran war, der Interesse hat.»
Die Rückmeldungen zu den Schulungen sind bisher mehrheitlich positiv. Tatsächlich hat die Aktion zu einigen zumindest teilweise aktiven Twitterern geführt, zum Beispiel @cbb11 (Christine Brand), @adikaelin, @simoneschmid, @danielweber57, @steinerurs, @RonySchenkel oder @dst11 (David Strohm). Vermittelt wird einerseits das Technische, also: Konto einrichten, Hashtags, Retweets, wie followe ich. Andererseits wird die Frage nach dem Einsatz im Medienbereich beantwortet: Wie kann man es als Journalist nutzen? Wie kann man es zur Promotion nutzen?
Fragt man Florian Steglich, weshalb es NZZ Labs gibt, was seine Zielvorgabe ist, schweigt er einen Moment – und lacht dann. Eine Antwort gibt es trotzdem: «Die Grundidee ist, dass man innovativer ist, wenn man nicht in das Alltagsgeschäft eingebunden ist. Wir übernehmen einerseits Projekte aus dem Haus. Und andererseits schauen wir: Was sind Trends im Online-Medienbereich? Kann man die für die NZZ umsetzen?» Neben den eigenen wird auch der Kontakt zu den Ideen von Lesern und Firmen gesucht.
Was genau aus den Denkanstrengungen in den Laboratorien wird, wird die Realität weisen. Bisher vorzeigbar ist die integrierte Merkfunktion, die in Zusammenarbeit mit Memonic entstanden ist. Wohl bleibt weniger Zeit zum Nachdenken als geplant. Denn es ist nicht nur, wie in den anderen Printverlagen, ein grosser Schulungsbedarf vorhanden, auch konkrete Projekte wie die geplante Paywall verlangen eine Mitarbeit. Steglich dazu: «Es wird keine Paywall geben, die sozusagen die Startseite schliesst, sondern eine, die halboffen ist».
Die neue Abteilung steht zudem unter dem Druck der profitablen Abteilungen im Haus: Niemand wird Einsparungen machen wollen auf Kosten einer Denkwerkstatt, die vorerst nur kostet. Andererseits sind Veränderungen in Richtung online zwingend notwendig. Eine der letzten Fabriken für mechanische Schreibmaschinen der Welt hat eben in Mumbai ihre Tore geschlossen. Auch die Druckerpressen der Printverlage könnten in einigen Jahrzehnten auf ein bedeutungsloses Mass reduziert werden. Zur von Martin Hitz portierten Einschätzung, Projekte wie NZZ Labs seien «genau die Abteilungen, die bei einer Krise als erste aufgelöst werden», meint Steglich: «Kann schon sein. Der Jahresabschluss war relativ gut, es sieht nicht so aus, als würden wir nächstens eingespart.»
Offenlegung: Ich habe von 2006 bis 2009 mit Florian Steglich und Peter Hogenkamp bei Blogwerk zusammengearbeitet.
Christian Dreyer 29. April 2011, 22:03
„Auch die Druckerpressen der Printverlage könnten in einigen Jahrzehnten auf ein bedeutungsloses Mass reduziert werden.“ In einigen Jahrzehnten??? Die FT scheint für sich selbst das Ende von print in 5 bis 10 Jahren zu erwarten.
Christian Leu 30. April 2011, 10:25
Auch wenn Steglich in meinem Beitrag von letzthin bemerkt hat, dass nicht viel der Projekte von NZZ Labs im Blog zu sehen seien, scheint man auch hier nicht mehr zu zeigen haben. Bin gespannt und frage mich, ob es wirklich die Aufgabe der Labs ist, die Twitter-Schulungen durchzuführen.