von René Zeyer

Trump-Forscher auf dünnem Eis

Trump und die Medien: Es herrscht Krieg. Der US-Präsident holzt wie keiner seiner Vorgänger gegen die Berichterstattung über ihn, die Medien geben ihm Saures. Kann man mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen, wer hier Recht hat? Ein renommiertes Harvard Institut hat’s versucht. Und kommt dabei an seine Grenzen. Dennoch lassen sich aus der aktuellen Studie für die Medien problematische Tendenzen ablesen.

Ist es nur die Spitze des Eisbergs, wenn das grosse deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» einen wahren Feldzug gegen den US-Präsidenten führt und ihn tatsächlich wegschreiben will? Hat der seit etwas mehr als 100 Tagen amtierende Donald Trump Recht, wenn er sich darüber beschwert, dass die überwiegende Mehrzahl aller Presseorgane nicht nur gegen ihn sei, sondern auch unfaire Mittel verwende, falsche Nachrichten verbreite und jeglichen Versuch, objektiv und ausgewogen zu berichten, vermissen lasse? Oder widerspiegelt sich hier nur sein erratisches Verhalten, seine Sprunghaftigkeit, seine Widersprüchlichkeit, letztlich sein Versagen?

Das «Harvard Kennedy School’s Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy» hat die Berichterstattung über die ersten hundert Tage im Amt untersucht. Hinter dem länglichen Namen steht ein im Jahre 1986 gegründetes Forschungszentrum, das durchaus renommiert ist. Sein Leiter hatte zuvor eine führende Position bei der «Los Angeles Times», eine Sympathie für Trump kann man also nicht unterstellen.

Als Sample diente die Berichterstattung führender Medien wie «New York Times», «Wall Street Journal», «Washington Post» sowie der TV-Stationen CNN, CBS, Fox News und NBC. Als Vergleich wurden auch europäische Medien untersucht, darunter «Tagesthemen» der ARD. Das entscheidende Kriterium, bevor wir zu den Resultaten kommen, ist dabei der Begriff «negative Berichterstattung». Darunter versteht das Institut, dass die behandelte Person, in diesem Fall Trump, kritisiert oder «unvorteilhaft» dargestellt wird. Also beispielsweise, indem einem Kritiker das Wort gegeben wird, die Berichterstattung selbst kritisch ist oder unvorteilhafte News verbreitet werden, wie beispielsweise «Präsident Trumps Umfragewerte erreichen einen neuen Tiefstand.» Ebenso als «negativ» gelten zudem neutrale Berichte über Ereignisse, die für Trump negativ waren. Lassen wir hier ein Fragezeichen stehen, wie wissenschaftlich dieser Massstab ist. Und fügen ein zweites Fragezeichen hinzu, denn als «neutral» bewertete Berichterstattung wurde aus diesen statistischen Untersuchungen ausgeblendet; man erfährt also nicht, wie gross dieser Anteil ist.

Letztlich befinden wir uns hier im weiten Feld der Frage, was «objektive» Berichterstattung überhaupt ist und ob es sie geben kann. Beispielsweise die Meldung, dass Trump mit seinem Gesetzentwurf über die Neuordnung der Immigrationspolitik sowohl vor Gericht wie im Parlament gescheitert ist, ist eindeutig keine positive Nachricht, entspricht aber der Realität, ebenso wie das Ergebnis einer Meinungsumfrage. Andererseits ist eine Nicht-Meldung von Erfolgen Trumps weder positiv noch negativ, stellt einen Verstoss gegen «objektive» Berichterstattung dar, wird aber in dieser Studie, mangels Untersuchungsgegenstand, nicht berücksichtigt.

Mit der gewählten Methode ist das Resultat eindeutig: Im Schnitt liegt der Anteil negativer Berichterstattung bei 80 Prozent. In den USA ist der Spitzenreiter CNN mit 93 Prozent, selbst die als eher mit Trump sympathisierenden Fox News kommen auf 52 Prozent. Geschlagen werden aber alle von den deutschen «Tagesthemen», die laut dieser Studie zu sagenhaften 98 Prozent negativ oder kritisch über Trump berichtet haben sollen. Im Vergleich dazu wurde über Obama im Allgemeinen zu 59 Prozent positiv berichtet, und selbst George W. Bush kam auf 43 Prozent. Auf der anderen Seite erreichte noch kein Präsident vor Trump dermassen hohe Zahlen insgesamt, was die Berichterstattung über ihn betrifft. Im Total sei er in 41 Prozent aller hier untersuchten Nachrichten das Thema gewesen, damit schlägt er seine Vorgänger um Längen.

Ein eindeutiges Resultat, vor allem die Berichterstattung der gebührenfinanzierten ARD scheint an Einseitigkeit nicht zu überbieten zu sein. Allerdings muss man hier ein drittes Fragezeichen hinter die Ergebnisse dieser US-Untersuchung setzen. Auf Nachfrage von Medienblogger Stefan Niggemeier räumt der Autor der Studie ein, dass die in seiner Untersuchung nicht gezählten «neutralen» Berichte bei der ARD-Nachrichtensendung im Schnitt 37 Prozent ausmachen. Damit würden die 98 Prozent «negativ oder kritisch» auf rund 61 Prozent schrumpfen; ähnliche Zahlen ergäben sich bei den anderen beurteilten Medien. Wir befinden uns hier also auf relativ dünnem Eis, wenn ein eher unscharfes Messkriterium (positiv versus negativ) verwendet wird, bei «negativ» nicht zwischen der Berichterstattung über «negative» Tatsachen und «negativen» Interpretationen oder Kommentaren unterschieden wird und zudem «neutrale» News, die einen bedeutenden Prozentsatz ausmachen, einfach ausgeblendet werden.

Greifen wir einen Aspekt der Untersuchung heraus, bei dem sie sich auf einer besseren statistischen Grundlage bewegt. Europäische Medien beschäftigen sich viel ausführlicher als amerikanische mit der Frage, ob Trump überhaupt seinem Amt gewachsen sei, genauer, ob seine geistige Verfassung Anlass zu Besorgnis gibt. Es werden nicht nur Fehlentscheidungen, Widersprüche oder Niederlagen thematisiert, sondern in den «Tagesthemen» handelten bis zu 20 Prozent aller Beiträge davon, während es in den USA im Schnitt nur 3 Prozent waren. Lassen sich Schlussfolgerungen aus dieser Studie ziehen, kann man die Frage beantworten, ob sich Trump zu Recht über «Fake News» beschwert und behaupten darf, dass noch nie in der Geschichte ein US-Präsident so unfair von den Medien behandelt worden sei? Da greifen wir doch zum Thesenjournalismus:

  1. Das Negative überwiegt in der Berichterstattung über Trump. Lassen wir dahingestellt, wie weit das einfach eine Widerspiegelung seines politischen Handelns ist. Aber: Im Luftkampf über die Oberhoheit der veröffentlichten und somit öffentlichen Meinung geht es bekanntlich um das sogenannte «Framing». Darunter versteht man, dass bestimmte Kampfbegriffe so oft wiederholt werden, dass sie automatisch mit dem entsprechenden Subjekt, dem Politiker assoziiert werden, selbst wenn man sie nicht explizit erwähnt. Das ist im Falle Trumps einwandfrei gelungen. Es bliebe allerdings einer vertieften Untersuchung vorbehalten, ob er sich Begriffe wie «Lügner», «sprunghaft», «widersprüchlich», «grossmäulig», «inkompetent», «gefährlich» usw. selbst erarbeitet hat – oder ob das reine Parteilichkeit und somit ein Verstoss gegen möglichst ausgewogene Berichterstattung ist.
  2. Neben der Berichterstattung sollte in den Medien Meinungsfreiheit herrschen. Es ist jedem Publikationsorgan unbenommen, neben Meldung, Einordnung, Analyse zu kommentieren und zu werten. Es ist den Medien auch unbenommen, aus der Befürchtung heraus, dass Trump nicht nur seinem Amt nicht gewachsen ist, sondern brandgefährlich, als mächtigster Mann der Welt und Oberbefehlshaber der stärksten Armee und letztlich mit der Autorität ausgestattet, auf den «Roten Knopf» zu drücken, zu fordern, dass er dringend und schleunigst aus dem Amt entfernt werden muss, mit (fast) allen Mitteln. Fragwürdig daran ist, dass entsprechende Medien, in vorderster Linie der deutsche «Spiegel», nicht nur ihre Wirkkraft überschätzen, sondern zumindest teilweise die Grenzen zu Demagogie, Hetze, Kampagnenjournalismus überschreiten und damit ihr wichtigstes Gut, die Glaubwürdigkeit, verlieren.
  3. Das neue Justemilieu, das in den sogenannten Leitmedien herrscht und mit grossinquisitorischer Sicherheit zu wissen meint, was richtig und falsch, schlimmer noch, was gut oder böse ist, reduziert die Welt auf einfache Dichotomien, auf binäre Entscheidungen, auf Schwarz oder Weiss. Damit wird die viel komplexere Welt nicht nur nicht abgebildet, sondern es werden auch keine Entscheidungsgrundlagen geliefert, die dem Nachrichtenkonsumenten helfen, sich seine eigene Meinung zu bilden. Letztlich widerspiegeln die Medien damit das einfache Weltbild Trumps, das sie gleichzeitig als untauglich kritisieren.
  4. Ein weiteres Problem schaffen sich die Medien damit, dass sich immer grössere Teile der Bevölkerung in der Berichterstattung nicht wiederfinden. Immerhin haben fast 50 Prozent aller US-Wähler für Trump gestimmt und halten ihm weiterhin die Stange. An ihnen und ihrer Meinung, auch wenn sie falsch sein mag, berichten die meisten führenden Medien offensichtlich vorbei. Damit passiert das Schlimmste, was einem Newsproduzenten widerfahren kann. Er bietet ein Produkt an, wenn auch ein besonderes. Also er macht ein Angebot, das mit Nachfrage beantwortet werden muss. Steigende Abozahlen bei führenden und Trump-kritischen US-Medien sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ruf der Presse noch nie so schlecht war als heute. Und dass das Bedienen der mit der Ausrichtung eines Organs einverstandenen Leser, die letztlich nur ihre bereits vorhandene Meinung bestätigt sehen wollen, kein nachhaltiges Geschäftsmodell für den Journalismus ist. Der nicht nur wegen der Gratis-Kultur des Internets in einer dramatischen finanziellen Krise steckt. Wenn Presseerzeugnisse eine sinnvolle Funktion haben, oberhalb der Befriedigung der Neugier nach Sex, Crime and People, dann als Gate Keeper, als glaubwürdiges Portal für das bessere Verständnis und die Einordnung der Welt beim Konsumenten.
  5. Greifen wir ein einziges aktuelles Beispiel heraus. Selbst in den deutschen «Tagesthemen» wurde die Rede, die Trump bei seiner ersten Auslandreise in Saudi-Arabien hielt, als staatsmännisch gewürdigt. Gleichzeitig wurde aber hinzugefügt, dass er sie sich habe schreiben lassen und die Positionierung auf Seiten des Bündnis- und Geschäftspartners Saudi-Arabien und gegen den Iran problematisch sei und keine Lösung für den Nahen Osten enthalte. Das mag alles richtig sein, aber es hat doch ein Geschmäckle, weil jeder führende Politiker ganze Heerscharen von Redenschreibern in Lohn und Brot hält, alle Vorgänger Trumps über die vielen schwarzen Flecken auf den Kaftans der saudi-arabischen Potentaten und ihre Verwicklung in Fundamentalismus und Terrorismus hinwegsahen und natürlich genauso gerne wie Trump «Big Deals» mit Waffenlieferungen abschlossen.
  6. Trump kann, soll und muss man kritisieren, er bietet genügend Anlass dazu. Und sicherlich hat er seinen Teil dazu beigetragen, dass kaum jemals zuvor eine dermassen starke Polarisierung in der Berichterstattung über einen US-Präsidenten stattfand. Also das Objekt ist, wie es ist. Aber, wenn wir’s überleben, und vieles spricht dafür, geht die Amtszeit Trumps in vier oder spätestens acht Jahren zu Ende. Wie viel Schaden er dabei angerichtet hat – oder wie viel Gutes er bewirkt haben wird –, werden wir sehen. Die Medien gab es aber vor Trump, und es wird sie auch nach ihm noch geben. Der Schaden, den sie sich aktuell selbst zufügen, wird sie auch nach dieser Präsidentschaft begleiten. Sie setzen, letztlich ohne Not und in überheblicher Überschätzung ihrer Macht und Möglichkeiten, ihren Ruf aufs Spiel, das Vertrauen, ihre Glaubwürdigkeit. Das halte ich für viel bedenklicher und gefährlicher als Trump.

Selbst wenn Trump wirklich ein gefährlicher Irrer und Amok wäre, mit dem das «Ende der Welt» («Der Spiegel») droht, dürfen die Medien deswegen nicht darauf verzichten, in erster Linie ihrer Berichterstatterpflicht nachzuleben. Tun sie das parteiisch, wenn man den Ergebnissen dieser Studie trotz allen Fragezeichen vertrauen will, dann versagen sie. Ein letztes Beispiel: Was ist das für eine Presse, die sich nicht entblödet, Spalten damit zu füllen, wie man das angeblich von Melania Trump mehrfach verweigerte Händchenhalten zu interpretieren habe? Während es nur eine Randnotiz wert ist, dass sie das Tragen einer Kopfbedeckung verweigerte, wenn wir uns schon auf diese Ebene des Journalismus herablassen wollen. Trump ist ein Problem, aber die Berichterstattung über ihn ist ein grösseres Problem.