«Wie Wissenschaftler herausfanden…»
Berichten Medien über Themen aus der Wissenschaft, mangelt es oft an kritischer Einordnung und kontroverser Diskussion. Verantwortlich dafür sind Wissenschaftler und Journalisten gleichermassen. An einer Tagung machten sich Kommunikationswissenschaftler auf die Suche nach Gründen.
Die aktuelle Debatte um Brustkrebs-Screenings zeigt etwas, was sich in den Medien sonst nur selten widerspiegelt: die Unsicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis. Häufig entsteht der Eindruck einer weitgehend homogenen Forschung. Was auch nicht weiter überrascht, wenn die Berichterstattung auf einer einzigen Quelle basiert («Gemäss einer aktuellen Studie…») und in zunehmendem Masse durch die beschönigende Selbstdarstellung von Wissenschaftlern und Hochschulen beeinflusst wird. Dabei sind sich Wissenschaftler untereinander selten wirklich einig. Kritik ist ihr Tagesgeschäft und offene Fragen gehören zum Alltag.
Kaum kritische Beobachter
In den Medien bleibt die Unsicherheit wissenschaftlicher Erkenntnisse jedoch weitgehend ausgeblendet. Die Bereitschaft zur Kontroverse fällt auf beiden Seiten bescheiden aus. Wissenschaftsjournalisten sehen sich überwiegend als Informationsvermittler, weniger als kritische Beobachter von Wissenschaft. Ansätze zu mehr Diskussionskultur misslingen in manchen Fällen entweder, weil selbstkritische Wissenschaftler kaum Gehör finden oder weil dem Wissenschaftsjournalismus durch Stellenkürzungen das nötige Know-how verloren geht, um die wesentlichen Streitfragen zu erkennen.
Obschon Wissenschaftler ihre Arbeit zunehmend aktiv in der Öffentlichkeit präsentieren, kommen Streitfragen nur selten aufs Tapet. Traut man dem Publikum nicht zu, dass es mit unterschiedlichen Ergebnissen und Sichtweisen umgehen kann? Passen Streitfragen nicht zum Image, das die Wissenschaft von sich entwerfen will? Oder wollen am Ende vor allem die Journalisten eine einfache und leicht verdauliche Geschichte erzählen?
Auf diese Fragen gab es kürzlich auf einer Tagung in Zürich erste Antworten. Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum diskutierten über den Wandel der Wissenschaftskommunikation. Denn damit steht auch zur Frage, wie weit der Einfluss der Wissenschafts-PR reicht und wie es um den unabhängigen Wissenschaftsjournalismus steht (Die MEDIENWOCHE berichtete im Vorfeld).
Einseitige Darstellung
Eine umfassende Analyse der deutschen Presse liefert hierzu ernüchternde Ergebnisse. Anna-Maria Volpers zeigt, dass der typische Medienbericht über Wissenschaft lediglich auf einer einzigen Quelle basiert. Hier erhält der Forscher gewissermassen den Raum, um sich als Erklärer der Welt zu präsentieren. In einigen Fällen stehen aber auch einzelne Studien im Fokus, die nicht genauer benannt werden («Wie Wissenschaftler herausfanden …»). Das dargestellte Wissen ist dann kaum nachvollziehbar, geniesst aber den Stempel wissenschaftlicher Autorität.
Insgesamt kommen andere Sichtweisen und kritische Hinterfragungen kaum zum Zug. Nur in zehn Prozent aller untersuchten Artikel werden wissenschaftliche Streitfragen aufgegriffen. Von unsicheren und streitbaren Ergebnissen gibt es also in der Öffentlichkeit kaum eine Spur. Geht das auf die erfolgreiche Medienarbeit zurück, die Wissenschaftler und Hochschulen vermehrt betreiben?
PR schafft Kommunikationsereignisse
Der Medienforscher Mark Eisenegger wirft ein ähnliches Bild auf die Schweizer Medien und kann dabei den Einfluss von PR nachweisen. In einer aktuellen Studie des fög wurden für die Jahre von 2009 bis 2013 die jeweils grössten Kommunikationsereignisse aus dem Wissenschaftsbereich untersucht. Ereignisse also, über die in 46 Schweizer Leitmedien aus Presse, Radio, Fernsehen und Onlinenachrichten prominent und umfassend berichtet wurde.
Der Abgleich zwischen Medienberichten und Pressemitteilungen zeigt: Nur ein geringer Anteil dieser Berichterstattung geht tatsächlich auf redaktionelle Eigenleistungen zurück, das Gros der Berichte (73%) stimmt weitgehend mit Pressemitteilungen überein. Entsprechend sind diese Berichte wenig kritisch, sondern werfen ein weitgehend ungefiltertes Licht auf die dargestellten Forschungsergebnisse.
Ganz anders verhält es sich aber bei der Berichterstattung über Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Hier überwiegen journalistische Rechercheleistungen und kritische Berichterstattung. Politische Entscheidungen über Forschung und Lehre werden also stark debattiert. Die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse hingegen scheint angesichts eines ressourcenarmen Wissenschaftsjournalismus vor allem dadurch bestimmt zu sein, wie die Wissenschaft sich selber gerne sieht. Allerdings wurde in der Diskussion dieser Studie kritisch hinterfragt, inwieweit man den Wissenschaftsjournalismus wirklich anhand der wenigen grossen Themen bewerten kann.
Forscher wollen positive Selbstdarstellung
Für Wissenschaftler gibt es inzwischen viele gute Gründe in den Medien präsent zu sein, wie Hans Peter Peters zeigt. Die Mehrheit aller befragten Wissenschaftler geht davon aus, dass die Leitung ihrer Hochschule es sehr gerne sieht, wenn sie sich aktiv an die Medien wenden. Auf diese Weise können politische Unterstützung und Forschungsgelder gewonnen und eingeworben werden. Ein Drittel der Befragten spürt zudem, dass sich Medienkontakte positiv auf die eigene Reputation und Karriere auswirken. Mit der journalistischen Darstellung ihrer Ergebnisse sind sie weitgehend zufrieden.
Zu Recht stellt Peter Weingart zur Diskussion, ob man angesichts dieser Motive überhaupt davon ausgehen kann, dass Forscher an einem kritischen Wissenschaftsjournalismus interessiert sind. Die Antwort ist klar: Wissenschaftlern geht es in der Öffentlichkeit meist nicht um eine kritische Diskussion, sondern um eine positive Darstellung der eigenen Forschungsarbeit. In einigen Fällen müssen sie sich vorab mit der Medienstelle ihrer Hochschule, mit Drittmittelgebern oder dem eigenen Vorgesetzten darüber abstimmen, was auf welche Weise nach aussen dringen soll. Das trifft besonders auf Natur- und Lebenswissenschaftler zu, weniger auf Geistes- und Sozialwissenschaftler.
Vieles spricht also dafür, dass die Wissenschaft ihren Umgang mit den Medien professionalisiert hat. Die derzeitige Zufriedenheit vieler Forscher irritiert aber: Aufgrund der unterschiedlichen Rollen von Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten muss es auch zu Spannungen kommen können. Die Harmonisierung der Beziehung lässt vermuten, dass kritischer und unabhängiger Wissenschaftsjournalismus immer weniger das Feld bestimmt. Wie steht es also um das Selbstverständnis der Wissenschaftsjournalisten?
Übersetzer, Ratgeber, Kritiker oder Laien?
In einer aktuellen Befragung von 21 deutschen Wissenschaftsjournalisten zeigen Klara Fröhlich und Lars Günther, dass sich Journalisten selbst überwiegend in der Rolle des Informationsvermittlers und Ratgebers sehen. Sie wollen in erster Linie über Fakten berichten und Forschungsergebnisse erklären, diese jedoch nicht bewerten. Nur ein Viertel der Befragten sieht sich vorwiegend in der Rolle des Kritikers und Kontrolleurs und hinterfragt, was mit Forschungs- und Steuergeldern passiert.
Für kritische Debatten braucht es Wissenschaftsjournalisten, die sich mit einem Thema über längere Zeit beschäftigen. Michael Brüggemann zeigt, dass jene Journalisten, die nur gelegentlich über den Klimawandel berichten, kaum zwischen tatsächlichen Wissenschaftskontroversen und Pseudodebatten unterscheiden können. In diesen Fällen werden Daten langjähriger Studien, die einen Klimawandel deutlich aufzeigen, ähnlich gewichtet wie rein spekulative Aussagen, dass es keinen Klimawandel gäbe oder er nicht vom Menschen verursacht sei.
Das liegt auch daran, dass sich Teile der befragten Journalisten (34%) zu einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet fühlen. Die sonst so wichtige Norm der Ausgewogenheit führt hier zu einer Berichterstattung zwischen «Alarmismus und Verharmlosung». Zu wenig wird kontextualisiert, worauf die unterschiedlichen Standpunkte basieren und was in der Forschung als Konsens gilt. Für den Leser entstehen so unverständliche «flip flops», die verunsichern und das Vertrauen in die Wissenschaft schwächen können. Für die tatsächlichen Streitfragen der Klimaforscher bleibt dann nur noch wenig Raum.
Das zeigt auch die Studie von Senja Post: Ein grosser Teil der Klimaforscher (72%) will in der Öffentlichkeit über die offenen Fragen zum Klimawandel sprechen. Doch genau diese Forscher werden in den Medien seltener gehört und haben weniger Kontakte zu Journalisten als jene Wissenschaftler, die nicht auf konkrete Ungewissheiten und Probleme hinweisen.
Irene Niverla vermutet, dass hier Teile der Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten gemeinsam ein «ideologisches Paket schnüren»: Journalisten können so eine schnörkellose Geschichte erzählen, während die Wissenschaft das Image pflegen kann, dass sie über alle Zweifel erhaben sei. Ist das wirklich das, was das Publikum will?
Don’t keep it too simple
Sarah Westphal zeigt in In ihrer experimentellen Studie zeigt, dass das Vertrauen in den Journalismus steigt, wenn dieser die Verlässlichkeit wissenschaftlicher Ergebnisse kritisch einordnet. Leser schätzen Berichte, die zum Beispiel neue Medikamente vorstellen und zugleich darauf hinweisen, dass die Wirksamkeit durch bisherige Studien noch nicht ausreichend belegt ist.
Ausserdem spricht die Untersuchung von Stephan Winter dafür, dass einseitige Berichte das Publikum eher skeptisch stimmen. Zwar sind Medienberichte, die das Pro und Contra diskutieren, schwerer zu verarbeiten. Zugleich wirken sie aber auch glaubwürdiger und werden besonders von Lesern geschätzt, die sich mit Themen auseinandersetzen wollen. Argumente von Wissenschaftlern geniessen gegenüber jenen von Laien einen deutlichen Vertrauensvorsprung. Allzu plakative und simple Erklärungen sind aber dennoch nicht gefragt.
Wahrheit allein ist nicht genug
Allerdings lässt sich fragen: Werden wir dem Wissenschaftsjournalismus gerecht, wenn wir nur danach fragen, inwieweit er Kontroversen spiegelt und Grenzen des wissenschaftlichen Wissens verdeutlicht? Matthias Kohring zeigt in einer umfassenden Studie der deutschen Presse auf, dass der Journalismus eigene Perspektiven auf die Wissenschaft wirft. Ausschlaggebend ist nicht allein die Wahrheit der Ergebnisse, sondern deren Bezüge zu gesellschaftlich relevanten Fragen: Was bedeutet Forschung für die Praxis? Verbessert sie unsere medizinische Versorgung und lässt sie sich wirtschaftlich verwerten? Gibt sie neue Impulse für rechtliche Fragen, politische Entscheidungen und moralische Debatten?
Für den Journalismus sind diese Fragen von zentraler Bedeutung – die Wahrheit allein ist nicht genug. Durch einen statistischen Abgleich mit Pressemitteilungen zeigt Kohring, dass der Wissenschaftsjournalismus diese vielfältigen Perspektiven aktiv herstellt und das Wissen verschiedener Disziplinen unterschiedlich einordnet. Die Naturwissenschaften werden besonders stark auf diese verschiedenen Anwendungsbezüge abgeklopft, stehen durch ihren enormen Ressourcenverbrauch aber auch unter besonders kritischer Beobachtung. Die Pressemitteilungen aus der Wissenschaft nehmen auf diese journalistischen Einordnungen und Bewertungen nur einen geringen Einfluss. Der Journalismus geht damit über die Selbstdarstellung der Wissenschaft hinaus und prägt das Image, das verschiedene Disziplinen in der Öffentlichkeit haben.
Mehr Mut zur Kontroverse
Der Journalismus ordnet wissenschaftliche Erkenntnisse also in vielfältige Praxisbezüge ein. Wissenschaft braucht aber allerdings nicht nur diese öffentliche Aufmerksamkeit, sondern auch eine externe, kritische Beobachtung. Das Vertrauen in die Wissenschaft kann nicht davon abhängen, dass sie endgültiges Wissen über die Welt liefert, zielt sie doch in ihrem Kern darauf, Fragen zu stellen, die Wahrscheinlichkeit verschiedener Antworten zu prüfen und nicht vorschnell in gängige Annahmen zu verfallen. Ein Journalismus, der die Unsicherheiten des Wissens kenntlich macht und verschiedene Standpunkte zusammenbringt, ist stärker und glaubwürdiger – insbesondere in den Augen seiner Leser.
Der überwiegende Teil der genannten Studien wurde erstmals auf der Tagung vorgestellt und ist bislang noch nicht veröffentlicht worden.
Reiner Korbmann 19. Februar 2014, 14:16
Der Beitrag beschreibt sehr gut die Situation von Medien und Wissenschaft, er fasst für einen Nicht-Teilnehmer ausgezeichnet die Anregungen der Tagung „Wissenschaftskommunikation im Wandel“ zusammen. Allerdings hat die Darstellung (wahrscheinlich auf der Konferenz, und entsprechend im Artikel) nach meiner Erfahrung in Wissenschaft und Journalismus (40 Jahre) einige Schwächen, vor allem wenn es um die Ursachen geht.
Dass zu viele Wissenschaftsberichte nur eine Quelle nutzen (mit der Folge der „Selbstbeweihräucherung“ und der fehlenden Disput-Darstellung) ist nicht neu (schon Wilfried Göpfert fand dies in seinen Untersuchungen) und hat eher nichts mit den Kürzungen in der Redaktionen zu tun: Dies liegt vor allem an der mangelnden journalistischen Ausbildung vieler Wissenschaftsjournalisten. Die meisten sind Quereinsteiger aus der Wissenschaft, die nach einem Praktikum oder als Autodidakten zu Journalisten mutieren. Wo sollen Sie denn lernen, dass Journalismus nicht allein darin besteht, schön und verständlich zu schreiben, sondern vor allem darin, sorgfältig und umfassend zu recherchieren? Natürlich wird dies noch verstärkt, wenn immer weniger Zeit bleibt und professionelles Material vorliegt.
Ein zweiter Punkt: Es wird zu wenig zwischen Wissenschaftsjournalismus und Journalismus im Allgemeinen unterschieden. Im politischen Journalismus etwa ist es völlig normal, die Meinung der einen neben die Meinung der anderen Partei zu stellen, der Journalist hat sich herauszuhalten. Und Klimawandel ist längst ein Thema, das bei den Medien im Politik-, nicht mehr im Wissenschafts-Ressort bearbeitet wird. Das gleiche gilt auch für „die Leser“: Es gibt nicht „den Leser“, sondern nur – sehr, sehr unterschiedliche – Zielgruppen mit verschiedensten Informationsbedürfnissen, die von dem jeweiligen Medium und den Journalisten zu befriedigen sind.
Ich denke, die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Zielsetzungen in den Medien stärker zu berücksichtigen, wäre auch eine Aufgabe für die Kommunikationswissenschaft.