«Es läuft so gut, ich kehre noch lange nicht zurück»
Die Journalistin Eva Hirschi lebt einen Traum: Seit einem Jahr reist sie für unbestimmte Zeit um die Welt und verdient ihr Geld mit Journalismus – unter anderem betreut sie den Nachtdienst von Watson. Freier Journalismus sei auch von unterwegs nicht einfach, aber sehr wohl möglich.
«Eine Schweizer Journalistin auf Weltreise ohne Rückflugticket.» So präsentiert sich Eva Hirschi ihren Abonnenten auf der Fotoplattform Instagram. Beim Durchscrollen ihrer Bilder wird klar, die Reisejournalistin sitzt nicht nur hinter ihrem Laptop: Hashtag NewYork, Hashtag Brooklyn, Hashtag streetart. Danach einen Sonnenuntergang geknipst von einer Rooftopbar, Hashtag nofilter. Zwei Wochen später ein Foto aus Toronto. 13 Bilder später einen Finnwal. «The highligt of my Canada trip.» Es folgen Bilder aus Marokko, Senegal, Südafrika, Äthiopien, Bali, Nepal, Indien, Sri Lanka, Singapur, Myanmar, Malaysia, Honkong, Yunnan (Provinz im Südwesten Chinas), Taiwan und Südkorea. Nach fünfzehn Sonnenuntergängen, siebzehn exotischen Foodpornbildern, und elf Strandfotos steigt im Journalist in der Schweiz die Frage auf: «Reisen und gleichzeitig arbeiten – wie macht die das nur?» – «Ursprünglich wollte ich gar nicht so lange gehen», sagt Eva Hirschi. Sie sitzt in einem Café in Seoul der Hauptstadt Südkoreas. Im Hintergrund laute Frauenstimmen. Bei ihr ist es 17:05 Uhr – in der Schweiz sieben Stunden früher. Sie lächelt in die Kamera und erklärt via Skype: «Ich hatte keine Ahnung, ob es finanziell aufgehen würde. Jetzt läuft es aber so gut, dass ich noch lange nicht zurück muss.»
«Gäbe mehr Geschichten, als ich umsetze»
Eine Weltreise zu machen, sei schon lange ihr grosser Traum gewesen, sagt die 26-Jährige. Nach dem Studium kam der perfekte Moment. «Ich hatte keine Wohnung, keinen Ehemann, keine Kinder, keinen Hund.» Bereits während des Studiums hat Hirschi als freie Journalistin geschrieben. Seit sie auf Weltreise ist, erscheinen regelmässig Texte von unterwegs. «New York einmal anders» Schweiz am Sonntag, «Bielerin fördert junge Frauen in Äthiopien» Bieler Tagblatt, «Kurkuma: Hustensaft wird In-Getränk» Migros-Magazin. An Inhalten mangelt es nicht: «Ich entdecke so viele spannende Sachen. Es gäbe deutlich mehr Geschichten, als ich schlussendlich umsetze.»
Im kleinen Café in Südkorea werden Kaffeebohnen gemahlen, dass man kurz kein Wort mehr versteht. Als der Lärm vorbei ist, will ich von ihr wissen, ob denn die potenziellen Storys ihre Reiseroute bestimmen. «Nein, gar nicht. Ich gehe dort hin, wo ich Leute kenne. Während meines Studiums der Internationalen Beziehungen in Genf lebte ich in einer WG, in der immer wieder internationale Austauschstudenten wohnten. So kenne ich Leute auf der ganzen Welt. Ich bin gerne mit Locals unterwegs, weil man so das Land besser kennenlernt und auch viel besser zu Geschichten kommt.»
Ganz ohne Reisebudget ist Eva Hirschi nicht gestartet. Während einer siebenmonatigen Schwangerschaftsvertretung bei NZZ Campus konnte sie «ziemlich viel auf die Seite legen». Dieses Geld war am Anfang der Reise auch nötig, als sie reihenweise Absagen erhielt. «Die Redaktionen haben immer weniger Budget für Reisejournalismus. Viele lassen einfach die eigenen Redaktoren, wenn sie in den Ferien sind, noch schnell einen Reiseartikel schreiben.»
Nachtschicht für Watson
Seit sie von unterwegs auch noch für Watson arbeitet, ist der finanzielle Druck weg. «Ich hatte eigentlich gar keinen Job gesucht, als mich Maurice Thiriet, der Chefredaktor von Watson, auf Twitter angeschrieben hat.» Bei Watson waren 20 Stellenprozente in der Nachtschicht frei. Eva Hirschi hat sich beworben, aus dem Senegal per Skype ein Bewerbungsgespräch geführt und die Stelle erhalten. Später reist sie für die Einführung nach Bali. Dort lebt ein anderer Watson-Nachtschichtler. Dank Zeitverschiebung ist es da während der Nachtschicht taghell. «Hier in Südkorea ist es jetzt praktisch, da kann ich morgens um sechs beginnen und bin um zwei Uhr nachmittags fertig. Als ich bei Watson angefangen habe, war ich in Indien und Sri Lanka und musste dort um 03:00 Uhr aufstehen.»
Die Nachtschicht beginnt um 23:00 Uhr Schweizer Zeit. Ab dann ist Eva Hirschi alleine für Watson.ch verantwortlich. Sie muss schauen, was über die Agenturen reinkommt, um das dann «watsonmässig» aufzubereiten. «Dabei mache ich alles: Schweiz, International, People, Wirtschaft. Wenn ich ein Thema sehe, welches die Nachrichtenagenturen nicht haben, dann schreibe ich auch mal selber einen Artikel.» Ausserdem schaltet sie während der Nacht Kommentare frei und betreut die Social-Media-Accounts von Watson. Um 01:00 Uhr Schweizer Zeit sitzt Hirschi in einem Café irgendwo auf der Welt und durchforstet das E-Paper der Aargauer Zeitung nach Geschichten, die man für Watson übernehmen könnte. Um 06:00 Uhr übergibt sie dem Frühschichtler in Zürich und arbeitet noch eine Stunde mit. «Dieser Job ist wirklich ein Glücksfall. Mit einer guten Internetverbindung kann ich von überall aus arbeiten.» Nur: eine zuverlässige Internetverbindung ist längst nicht überall vorhanden. «Das Nachtschichtteam ist sehr flexibel. Ich kann meine Schichten auch mal so legen, dass ich ein paar Wochen nicht für Watson arbeite. Das war zum Beispiel nötig, als ich nach Myanmar ging.»
Bilanz nach einem Jahr
Eva Hirschi ist nun exakt ein Jahr unterwegs und das Rückflugticket hat sie noch lange nicht gebucht. «Es macht wirklich Spass und ich bin froh, dass es so gut klappt», sagt sie. Einnahmen und Ausgaben seien ziemlich ausgeglichen. «Am Anfang bereiste ich mehrheitlich Länder, wo das Leben sehr günstig ist. Jetzt gehe ich noch einmal nach China, dann aber nach Japan, Neuseeland und Australien. Das wird natürlich viel teurer, aber ich habe mein Pensum bei Watson auf 40 Prozent erhöht, von daher geht das gut.»
Und sie ist überzeugt, auch ohne Job bei Watson könnte sie sich die Weltreise mit Journalismus finanzieren. «Dann hätte ich einfach mehr Texte geschrieben.» Es sei wie in der Schweiz als Freelancer: Nicht einfach aber möglich. Einen Nachteil sieht Hirschi trotzdem. «Ich erhalte das Honorar jeweils erst, wenn die Texte publiziert wurden. Und Reiseartikel sind relativ zeitlos und werden entsprechend nicht sofort gedruckt. Das Migros-Magazin zum Beispiel plant die Reiseartikel ein ganzes Jahr im Voraus. Daher muss ich teilweise lange auf das Geld warten.»
Wenn es also nicht das Geld ist, dann muss Eva Hirschi doch eines Tages vom Heimweh nach Hause getrieben werden. «Heimweh hatte ich noch nie. Schon als Kind nicht. Klar ich vermisse meine Familie und Freunde. Aber viele von ihnen kommen mich auf meiner Reise besuchen.» Geht die Reise also für immer so weiter? «Finanziell wäre es möglich. Ich habe bei Watson für ein weiteres halbes Jahr unterschrieben. So lange reise ich bestimmt noch.» Hirschi überlegt kurz. «Aber ewig werde ich nicht weite machen. Irgendwann werde ich meine Leute in der Schweiz dann doch zu sehr vermissen.»
Work-Travel-Balance
Bis es aber so weit ist, ist Eva Hirschi darauf bedacht, dass die Work-Life-Balance, oder in ihrem Fall die Work-Travel-Balance, stimmt. «Ich will etwas von der Welt sehen und nicht die ganze Zeit in Cafés sitzen.» Denn neben den Nachtschichten und den Reisetexten schreibt Eva Hirschi auch eigene Artikel für ihren Blog. Ausserdem betreut sie die Social-Media-Kanäle einer Schweizer Kommunikationsagentur. Dazu schreibt sie ehrenamtlich für eine Reisewebsite. Als wäre das noch nicht genug, notiert Hirschi regelmässig ihre Erfahrungen. Zum Beispiel als sie in Indien in einem abgelegenen Dorf von einem Hund gebissen wurde und im Spital niemand auch nur ein Wort Englisch sprach. «Vielleicht entsteht daraus einmal ein Buch.» Unterdessen tönt im Café in Seoul Bruno Mars aus den Boxen: «Today I don’t feel like doing anything.»