von René Worni

So klingt der Röstigraben

Wer das erste Programm des Westschweizer Radios hört, fühlt sich – verglichen mit dem Deutschschweizer Pendant – schnell einmal anregender informiert, näher am Geschehen dran und findet womöglich eine neue Radioheimat. Ein Vergleich.

La Première («La 1ère»), wie das erste Programm von Radio Suisse Romande simpel heisst, ist im Vergleich zu Radio DRS 1 ein Feuerwerk. Die Moderation ist frisch, schnell und geistreich und wirkt authentisch. Als Zuhörer fühlt man sich ernst genommen, also nicht in die Schublade der Jugendlichen, der Alten, Intellektuellen, der trägen Masse oder sonst einer Zielgruppe entsorgt. Debatten und Reportagen sind die Markenzeichen. Die Programmstruktur ist übersichtlich in meist einstündige Blöcke gegliedert, man findet sich schnell und intuitiv darin zurecht. Sie ist nicht bis in die Minuten verästelt wie bei DRS 1. Beim Zuhören fühlt man sich auf der Höhe der Zeit.

Bei DRS 1 scheint es etwas komplizierter. Die Moderation wirkt in ihrer Tonalität bemüht, Spektakuläres zu vermeiden. Begeisterung und Ausgelassenheit sind wohl ausschliesslich dem Ressort Sport erlaubt. Es entsteht bisweilen der Eindruck, DRS 1 versuche an Ueli Becks Jahrhundertstimme und ihren Duft nach frischem Kaffee und Gipfeli anzuknüpfen. Doch Beck ist nicht mehr. Regi Sager, Mike La Marr oder Bernhard Siegmann (um nur drei zu nennen) tönen dagegen wie aus dem Animationsprogramm eines bunten Nachmittages im Altersheim.
Zum Glück gibt es Ausnahmetalente: Joschi Kühne etwa kann selbst belanglose Kost noch so vermitteln, dass man sich akustisch nicht ausklinkt. Oder man tröstet sich einigermassen mit der mäandrierenden Vokalmelodie von Michael Brunners Oberwalliserdeutsch.

Doch warum ist «La 1ère» näher bei den Leuten? Zunächst sticht ein ausgeprägter Sinn für Humor und Satire ins Ohr. Täglich (!) zwischen 11 und 12 Uhr liefern sich «Les Dicodeurs» live vor Publikum eine wahre Schlacht an Wortspielen und Pointen, ein ausgelassenes und von Laurence Bisang geschickt geleitetes Chaos, das sich im politsatirischen Magazin «La Soupe» am Sonntagmittag (ebenfalls vor Publikum) in potenzierter Form fortsetzt. Eine bunte Truppe aus Schauspielern, Kabarettisten und Kulturschaffenden unter den Fittichen von Produzentin Anne Baecher zieht alles durch den Kakao, was die Woche hergibt. Bei Bedarf lassen sie sich auch am jeweiligen Gast der Sendung aus. Letzthin geriet Emmanuel Kilchenmann, der Präsident der jungen CVP Freiburgs, zum Thema Waffenexporte ins Kreuzfeuer. Frühere Gäste waren etwa Ständerat und EU-Abgeordneter Dick Marty oder Manon Schick, die neue Chefin von Amnesty International Schweiz. Beim Deutschschweizer Pendant findet Satire auf diesem Niveau – ungeschnitten und vor Publikum – nirgends statt. Genauso wenig findet auf DRS 1 Medienkritik statt. Anders «La 1ère»: wochentags gibt es jeweils um 9.30 das halbstündige Medienmagazin «Médialogues».

Weiter fällt die Präsenz von internationalen Themen in zahlreichen Sendungen auf. Das Ausland und vor allem die Länder des Südens scheinen in der Romandie näher, das Interesse daran selbstverständlicher, was in den Sendungen entsprechend hörbar ist. So strahlte «La 1ère» am 20. Februar in der Sendung «De quoi j’me mêle» die Tunesien-Reportage von Magali Philip aus, welche junge Revoltierende in den Städten Sidi Bouzid (wo alles begann), Kasserine und Tunis besucht hat und sie direkt ins Mikrophon erzählen liess. Die Menschen haben Namen und Konturen und die Revolution in Tunesien bekommt ein «hörbares» Gesicht. Später analysierte der Sender auch die Bedeutung der Revolte speziell für die tunesischen Frauen.

Am selben Sonntag sendete DRS 1 am Vormittag das Porträt einer Schweizer Auswanderin in Kanada. Moderator Bernhard Siegmann: «Deet hät d’Familie Hegetschwiler-Zahner e Milchfarm mit föifedachzg Maschtochse, enere Chicoreezucht und miteme chliine Spargelgarte, s’grosse Hobby vo de Margrit Zahner. Ich han de 48-jährige Margrit Zahner telefoniert – grüezi Frau Zahner!» Am Nachmittag ein weiteres Porträt, diesmal von Karl Emmenegger, ex Nati-Handballer und seit Jahrzehnten im Rollstuhl, später einen Beitrag über das Kunstmuseum Thun mit einer Ausstellung zum Leben der Bauern. Erst im «Echo der Zeit» kamen aktuelle Themen zur Sprache und in der Sendung «International» schliesslich ein Schauplatz von Martin Alioth über die Auswirkungen des wirtschaftlichen Niedergangs in Irland. Auf «La 1ère» lief währenddessen unter anderem das Filmmagazin «Synopsis», die Highlights der Woche aus «Un dromadaire sur l’épaule», einer Sendung mit täglichen Reportagen aus einem wöchentlich wechselnden Schauplatz (aus Schweden, letzte Woche aus Madrid, diese Woche aus Wladiwostock) sowie das Politmagazin «Forum» mit Beiträgen und Debatten zur Libyenkrise und den zu erwartenden Flüchtlingsströmen aus Nordafrika unter Einbezug massgeblicher Experten.

Die kleine Schau auf die Sendungen der beiden ersten Radioprogramme der SRG in der Deutsch- und Westschweiz legt nahe: Journalistisches Fieber und Interesse am «Vorortsein», um die Zuhörerschaft möglichst hautnah teilhaben zu lassen, ist bei Radio DRS im Vergleich mit den Kollegen von RSR kaum spürbar. Wird die Reportage als Disziplin versucht, ist sie auf DRS 1 meist harmlos (zum Beispiel «Treffpunkt» aus dem Basler Reinhafen oder «Was tun, wenn die Kinder ausgeflogen sind?») oder aber sie wird in den Flaggschiffen «Echo der Zeit», «Rendez-vous am Mittag» oder «International» verschämt versteckt. Die Originaltöne wirken dann mangels Zeit eher als Zugabe, um der Form Genüge zu tun. So gesehen beweisen die Macherinnen und Macher von «La 1ère» täglich, was DRS 1 eigentlich auch noch sein könnte: ein abwechslungsreiches Radio, das seine Zuhörerschaft ernst nimmt und ihnen auch etwas zumutet.

Leserbeiträge

bugsierer 28. Februar 2011, 18:42

gut, dass das jemand mal so aufdröselt, danke.

mir fällt auch immer wieder auf, dass ich mich in vielen unsäglich flappsigen sendungen von drs1 als quasi debiler angesprochen fühle. viele drs1 moderatoren pflegen eine diktion, mit der man vor 100 jahren kinder angesprochen hat. drs2 ist dafür sehr bemüht, so furztrocken wie möglich rüberzukommen. und bei drs3 regiert die unverbindlichkeit schlechthin.

ein jammer.

Bobby California 28. Februar 2011, 21:58

Es liegt mir fern, in die selbstgerechte und wenig originelle DRS-Schelte meines Vorredners (Bugsierer) einzustimmen. Ich habe nichts gegen Radio DRS. Mir ist jedoch beim Westschweizer Fernsehen ein ähnlicher Unterschied zum SF aufgefallen, wie ihn René Worni beim Radio beschreibt: Die Westschweizer Fernsehschaffenden kommen viel witziger rüber, die Moderatorinnen hocken nicht immer im Studio, sondern bewegen sich in der Stadt, die Talkshow von Manuella Maury fand in ihrem heimatlichen Bergdorf statt und nicht im sterilen Studio, der Moderator einer Kultursendung hat einen sackstarken und supercharmanten Tessiner Akzent drauf, was bei SF wahrscheinlich als unprofessionell gelten würde, die Gesundheitssendung getraut sich auch mal, kritische Recherchen anzustellen… ich habe mich auch schon gefragt, warum der Unterschied zwischen den Programmen der Landesteile so gross ist. Liegts am lockeren Temperament der Romands? Keine Ahnung. Jedenfalls sollte man viel mehr Programme austauschen, übersetzen, untertiteln oder synchronisieren und so die hiesigen Radiohörer und Fernsehzuschauer profitieren lassen von der Kreativität der Westschweizer Kollegen und von der kulturellen Vielfalt der Schweiz…

Lars L 28. Februar 2011, 22:57

Drei Bemerkungen:
a) Die Informationsredaktion und die restliche DRS1-Redaktion sind örtlich getrennt. In Bern wird Weltgeschehen exakt abgebildet. Aus Zürich werden hörernahe Geschichten serviert. Man kennt sich kaum. Das mag dazu führen, dass politische Themen selten attraktiv aufgemacht sind. Immerhin gibt es das Tagesgespräch, welches manchmal unterhaltsam UND informativ ist.
b) Beim Hören fremdsprachiger Sender hatte ich schon oft das Gefühl, dass sie raffinierter, intelligenter moderiert sind. Vielleicht liegt das daran, dass man etwa auf Französisch simple Wortspiele gelungener findet als auf Deutsch. Man hört dem Moderator auch weniger gut an, ob er sich an Altersheiminsassen richtet oder an wache Zuhörende.
c) Vorlieben für ModeratorInnen sind subjektiv und die Beispiele im Text wirken etwas beliebig.

In den Grundzügen stimme ich der Kritik aber zu.

Nicole 04. März 2011, 15:19

Danke, René Worni, für diesen Quervergleich. Ihre Analyse ist absolut stimmig. Aufruf an die Radiomacher der Deutschschweiz: versucht mal die Information etwas „lockerer“ an die Hörerschaft zu bringen. Sie wird aktiv empfänglicher sein für Ihre Botschaften – Und vermag dann vielleicht doch ab und zu ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.

ch.sharkman 05. März 2011, 00:39

auch „sapperlipopette“ freitags auf couleur3 ist eine empfehlung wert – um das weiter zu führen. viel vergnügen.