von Torsten Haeffner

E-Book: Gross sind nur die Phantasien

Seit geraumer Zeit wird folgende Kunde um die Welt gereicht: Das E-Book löst demnächst das traditionelle Buch ab. Verleger werden arm, Buchhändler arbeitslos und Autoren reich, weil sie künftig den Grossteil der Einnahmen aus dem Verkauf selbst einstreichen. Alles Mumpitz. E-Books bleiben einstweilen ein Nischengeschäft. Dafür sorgen die Verleger, aber auch die Hersteller von E-Book-Readern.

Weshalb das elektronische Buch, trotz anders lautender Ankündiungen, vorläufig nicht vom Fleck kommt, ist im Prinzip schnell erklärt: Die Verlage haben kein Interesse, ihre Träume von einer dauerhaften Buchpreisbindung sowie wertschöpfende Produktionsbereiche (Druck, Papier, Buchbinderei etc.) aufzugeben. Und die E-Reader-Produzenten stellen sich einstweilen selbst ein Bein, solange sie den Wildwuchs an Dateiformaten nicht eindämmen und solange sie sich nicht auf miteinander kompatible Standards einigen. So müssen Autoren – wie auch der Schreiber dieser Zeilen selbst – einstweilen die Hoffnung begraben, über Nacht zu Millionären zu werden, wie es angeblich Amanda Hocking oder John Locke erging.

Das Geschäft mit E-Books und E-Book-Readern steckt nach wie vor in der Pionierphase. Es geht zu wie im Wilden Westen. Gross sind nur die Phantasien: Amazon verkündete jüngst stolz, mittlerweile mehr E-Books als Papierbücher zu verkaufen. Unklarheit herrscht allerdings, ob der Run auf die Amazon-E-Books vielleicht nur ein PR-Gag war, weil der Vergleich zwischen E-Books und Hardcover-Büchern (also ohne Paperbacks) gezogen wurde. Auch Kindle meldet laufend neue Verkaufserfolge, Google bringt einen eigenen Reader auf den Markt. Und das Schweizer Handelsunternehmen Digitec führt mittlerweile fast dreissig verschiedene E-Reader-Typen im Sortiment – und natürlich noch mehr Tablet-PCs, auf denen man auch gut lesen kann. Führend bei den E-Readern sind laut Nadine Widmer, Digitec-Mediensprecherin, die Produkte Sony PRS-350, Amazon Kindle 3, Barnes & Noble Nook (2nd) WiFi.

Die Verlage hingegen agieren weit weniger dynamisch als die Reader-Hersteller oder Händler: Gerade 25.000 deutschsprachige Bücher sind als E-Books erhältlich, wobei die Krux darin liegt, dass viele dieser E-Books nur auf gewissen Readern zu lesen sind. Zum Vergleich: Das Angebot an englischsprachiger Literatur umfasst 2,4 Millionen Titel – und dies, obwohl auf Deutsch jährlich mehr Bücher publiziert werden als in jeder anderen Sprache.

Der Diogenes-Verlag führt kein einziges E-Book in seinem Sortiment. Diogenes, laut Eigendefinition der grösste rein belletristische Verlag Europas, hat offenbar auch keine Strategie. Anders ist nicht erklärbar, warum Diogenes-Mediensprecherin Ruth Geiger auf die zweimalig gestellten fünf Fragen der MEDIENWOCHE nur mit Schweigen reagierte.

Die Verlagsgruppe Random House führt aktuell laut ihrer Sprecherin Claudia Limmer immerhin mehr als 4300 Titel als E-Books, wobei die Preispolitik dieses Verlags einen anfangs staunend zurücklässt: Die Printausgabe des vom deutschen Feuilleton erst gefeierten, dann verrissenen Hegemann-Romans «Axolotl Roadkill» kostet in der Printversion 8.99 Euro. Das E-Book, bei dessen Produktion keine oder weit geringere Kosten für Papier, Druck, Distribution etc. entfallen, kriegt der Käufer nur für einen Euro günstiger. [Korrigendum: «Axolotl Roadkill» erschien bei Ullstein und nicht bei Random House]

Bei genauerem Hinsehen wird hinter dieser Preispolitik eine verhalten aggressive Strategie erkennbar: Random House sieht das E-Book keineswegs als Verdränger des Papierbuchs, sondern will damit laut Claudia Limmer «neue und zusätzliche Leser und Zielgruppen ansprechen». Sprich: Nicht alle Konsumenten lesen Bücher, manche aber E-Books.

Auf diese Differenzierung zwischen Papierbuch-Lesern und E-Book-Lesern setzt offenbar auch die Thalia Bücher AG, der grösste Schweizer Buchhändler: Wachstumsraten von 200 Prozent verbucht der nach Eigenaussagen «führende Anbieter von E-Readers und E-Books im deutschsprachigen Raum», wenngleich die Umsätze der E-Books prozentual zu den gedruckten Büchern «noch im einstelligen Bereich bewegen», berichtet Thalia-Mediensprecherin Irina Jermann.

Leserbeiträge

Torsten Haeffner 13. August 2011, 09:56

Florian Schuhart von der Unternehmenskommunikation Random House weist uns darauf hin, dass der im Artikel erwähnte Roman „Axolotl Roadkill“ nicht bei der Verlagsgruppe Random House, sondern bei Ullstein erschienen ist. Er hat recht und der Schreiber dieser Zeilen dankt Herrn Schuhart für seinen Hinweis und bittet um Nachsicht für diesen Fehler. Gleichwohl sei der Hinweis erlaubt, dass auch Random House eine ähnliche – und im Artikel nicht kritisierte – Preispolitik verfolgt wie Ullstein: Die Differenzen zwischen dem Print- und dem E-Book betragen mal, einen, mal drei Euro.