SRF streicht «Verbotskatalog»
Radio- und Fernsehjournalisten dürfen ihre eigene Meinung nun ein bisschen deutlicher äussern. Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat die Social Media-Leitlinein für seine Mitarbeitenden gelockert. Dennoch bleibt eine absurde Bestimmung weiterhin in Kraft.
Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis SRF seinen Mitarbeitenden in den Sozialen Medien ein bisschen mehr Selbstverantwortung zugesteht. Auf dem Papier zumindest. Seit Anfang April gelten neue Verhaltensregeln, mit denen die bisherige Skepsis einer vorsichtigen Öffnung gewichen ist.
Schweizer Radio und Fernsehen geht zwar nicht ganz so weit wie andere Unternehmen unter dem Dach der SRG. Der Auslanddienst Swissinfo verzichtet auf strikte Regeln für die Nutzung von Social Media und vertraut in einem knapp gehaltenen Dokument auf den gesunden Menschenverstand. So viel Selbstverantwortung traut SRF seinen Mitarbeitenden offenbar weiterhin nicht zu. Für seine Verhältnisse hat SRF aber einen grossen Schritt gemacht.
Die bisher gültigen «Social-Media-Leitlinien für Mitarbeitende» vom Herbst 2010 lesen sich wie ein Verbotskatalog. Anstatt das Personal in den Schranken üblicher Anstandsregeln zu ermuntern, Social Media als Plattform für den Dialog mit dem (zahlenden) Publikum zu verstehen, wird fein säuberlich aufgelistet, was alles mit Sanktionen belegt ist.
Die restriktiven Bestimmungen verfehlten ihre Wirkung nicht: Kritisches, Politisches, Streitbares findet man von SRF-Mitarbeitenden selten bis nie in Social Media. Anders als Mitarbeiter von privaten Medien halten sich die Radio- und TV-Leute weitgehend von Debatten fern, die klare Positionsnahmen erfordern. Das ist auch verständlich. Denn in letzter Konsequenz droht bei einem Verstoss gegen die Spielregeln die Kündigung.
Mit den Ende März von der Geschäftsleitung abgesegneten Leitlinien gibt SRF seinen Mitarbeitenden einen Teil Selbstverantwortung zurück. «Mittlerweile ist das Bewusstsein für den Umgang mit Social Media bei SRF stark gestiegen», teilt Andrea Hemmi, Leiterin Unternehmenskommunikation SRF auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Daher genüge ein Hinweis auf die allgemein gehaltenen Bestimmung «Private Aktivitäten im Internet» in den Publizistischen Leitlinien. Die setzen der freien Meinungsäusserung zwar weiterhin klare Grenzen, gehen aber nicht mehr so stark ins Detail wie der frühere «Verbotskatalog».
So ist etwa das Verbot weggefallen, wertende Statements über andere Medien und deren Mitarbeitende zu veröffentlichen. Ein nicht ganz unwesentlicher Punkt für die Social-Media-Nutzung von Radio- und Fernsehleuten; sind sie doch alle Expertinnen und Experten in Medienfragen.
Twitter und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu Plattformen entwickelt, wo intensiv und bisweilen äusserst ergiebig über Medienethik, Standesregeln und Berufshandwerk diskutiert wird. In diesen Mikro-Debatten können sich nun auch SRF-Mitarbeiter einmischen, ohne gleich einen Rüffel zu riskieren.
Allerdings gilt es noch eine Fussangel zu entfernen. Eine absurde Bestimmungen in den geltenden Leitlinien lautet: «Wollen SRF-Mitarbeitende ihre Arbeit, das Unternehmen oder das Programm auf privaten Homepages oder in sozialen Netzwerken explizit zum Thema machen, ist dies in jedem Fall mit den Vorgesetzten abzusprechen.»
Man stelle sich vor: Selbst ein völllig wertfreier und harmloser Tweet mit einem Sendungshinweis («das Prgramm explizit zum Thema machen») muss gemäss geltenden Spielregeln abgesegnet werden. So wird nichts aus der Rolle, die Schweizer Radio und Fernsehen zu spielen gedenkt: «Gerade SRF könnte zum Treiber von Twitter und/oder ähnlichen Social Media-Tools werden, um die Interaktion mit dem eher jüngeren Publikum zu suchen und zu pflegen.» Diesen Anspruch kann nur einlösen, wer seinen Mitarbeitenden möglichst viel Selbstverantwortung und -kotrolle überträgt. Nur so gelingt ein Dialog auf Augenhöhe mit dem Publikum und seinen Erwartungen.
bugsierer 16. April 2012, 19:56
unglaublich eigentlich.
die fortschritte in ehren, aber im april 2012 erwarte ich von hochbezahlten srf kadern ein bisschen mehr realitätsbezug. ich erwarte entscheide, hinter denen eine spur mehr knowhow steckt.
unglaublich.
Vladimir Sibirien 16. April 2012, 20:18
Den Artikel finde ich nun arg tendenziös. Es geht doch um eine einheitliche Kommunikation unter dem SF-oder-wie-das-zur-zeit-heisst-Logo. Beruf und Privates lässt sich kaum trennen was die Wahrnehmung bei den Konsumenten anbelangt. Es geht auch darum, dass Informationen nicht in einen anderen Kontext gestellt und dadurch verfälscht werden.
Ich würde mir da etwas mehr Augenmass wünschen. Solche Verbote sind nie für die Mitarbeiter gedacht, die verantwortlich handeln. Es geht darum die zu packen, welche ihre SF-Assoziation missbrauchen. Ein Einzelner kann grossen Schaden anrichten. In dem Artikel fehlt leider eine praxisnahe Alternative.
Nick Lüthi 16. April 2012, 21:21
Die neuen Leitlinen für Mitarbeitende halte ich klar für einen Fortschritt, mal abgesehen von der unsinnigen Bestimmung, die Nennung des Unternehmens immer mit dem Vorgesetzten absprechen zu müssen. Die Entwcklung von einem restriktiv formulierten, vierseitigen Verbotskatalog hin zu liberaleren, auf die wesentlichen Punkte beschränkten Dokument zeigt doch gerade, dass es eben auch mit weiter gestecken Leitplanken geht.
Patrik Tschudin 17. April 2012, 15:42
Lieber Vladimir in Sibirien,
Ihre Gewaltphantasien („packen“) in Ehren, aber es ist doch eigentlich ganz einfach. Der ORF macht’s vor. Seine „Guidelines“ lassen sich in den einen Satz darin zusammenfassen:
„Es ist hilfreich, in sozialen Netzwerken nichts zu deponieren, was man nicht auch bei einer Podiums-Diskussion sagen würde.“
Social Media Leitlinien in 1 Satz: Das ist Weltrekord! Viel praktikabler und praxisnäher geht’s nicht. Oder haben Sie einen noch besseren Vorschlag?
Vladimir Sibirien 17. April 2012, 21:17
Lieber Patrick Tschudin
Wenn ich das richtig erkannt habe erstreckt sich der eine Satz über 13 Seiten. Das schafft nicht mal Gerhard Schröder. 🙂