«Selbständige Redaktion»
Am Montag werden SRG und Verleger zusammen mit Bundesrätin Doris Leuthard nach einer Einigung im Online-Streit suchen. Im Zentrum der Gespräche steht das Werbeverbot, das die SRG für ihre Webseiten aufheben möchte. Aber es geht auch um die Grenzen der publizistischen Aktivitäten im Netz. Derweil nimmt beim Schweizer Radio und Fernsehen eine «selbständige Online-Redaktion» ihre Arbeit auf.
Am nächsten Freitag gibt es bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF etwas zu feiern. Anlass für den Apéro bietet der Umzug der News-Online-Redaktion in neue Büros im Studio am Leutschenbach. Ein Umzug, so schreiben die Verantwortlichen, der mehr sei als nur ein Umzug, nämlich «der Anfang einer selbständigen Online-News-Redaktion.»
Der Apéro wäre nicht weiter der Rede wert und ein Betriebsanlass wie jeder andere, wenn nicht am nächsten Montag ein wichtiger und gewichtiger Termin anstünde, wo es genau darum geht, was das Schweizer Radio- und Fernsehen SRF im Netz tun darf und was es zu lassen hat; also auch um die Klärung der Frage, wie selbständig eine «selbständige Online-News-Redaktion» arbeiten darf.
«Selbständig» sei in diesem Zusammenhang folgendermassen zu verstehen, erklärt SRF-Sprecherin Andrea Hemmi: «Die Online-News-Redaktion ist organisatorisch sowie räumlich nicht mehr wie bisher an die Tagesschau gekoppelt. Die konvergente Online-News-Redaktion von SRF ist der Chefredaktion Radio und der Chefredaktion Fernsehen gemeinsam unterstellt.» Sobald es aber um die Inhalte geht, sind der Selbständigkeit Grenzen gesetzt – und die Verleger pochen darauf, dass diese künftig restriktiver ausgelegt, respektive besser eingehalten werden; Online dürfe «höchstens das Programm begleiten».
Der strittige Punkt ist der sogenannte Sendungs- und Programmbezug, wie er in der Konzession gefordert wird: «Die Online-Angebote [der SRG] umfassen programmbezogene, multimedial aufbereitete Beiträge, die zeitlich und thematisch einen direkten Bezug zu Sendungen aufweisen.» Was auf den ersten Blick einigermassen klar und nachvollziehbar aussieht, entpuppt sich in der Praxis als schwammiger Passus. Ein juristisches Gutachten im Auftrag des Verbands Schweizer Medien kam zum Schluss, dass der betreffende Konzessionsartikel «keine effektiven inhaltlichen Grenzen» setze.
In der Tat haben Radio und vor allem das Fernsehen ihre Nachrichtenwebseiten in den letzten Jahren zu umfassenden News-Portalen ausgebaut. Ihr Angebot ist inzwischen vergleichbar mit demjenigen von privaten Medienhäusern trotz konzessionsrechtlicher Einschränkungen. Der geforderte Bezug zu Radio- und TV-Sendungen lässt sich grosszügig ausgelegt immer irgendwie konstruieren. Offensichtlich besteht hier grosser Interpretationsspielraum. Das wird auch von unabhängiger Seite bestätigt. «Die Frage, wie die zeitliche Distanz des Aufschaltens der einzelnen Beiträge sein muss, ist nicht eindeutig geklärt», sagt Medienwissenschaftler Michael Latzer von der Uni Zürich.
Latzer hat im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation das Online-Angebot der SRG zweimal auf Konzessionsverstösse überprüft – und grösstmehrheitlich für konform befunden. Gleichzeitig weist der Professor darauf hin, dass es in manchen Fällen aufgrund unverhältnismässigen Rechercheaufwands und mangels verfügbarer finanzieller Mittel nicht möglich sei, die Konzessionskonformität eines Online-Beitrags abschliessend zu beurteilen.
Die SRG kann mit diesem Zustand – verständlicherweise – ganz gut leben und sieht deshalb auch keinen Handlungsbedarf. «Diesbezüglich ist bei uns nichts auf dem Radar», teilt SRG-Sprecher Daniel Steiner im Hinblick auf die Gespräche vom Montag mit. Anders tönt es bei Urs F. Meyer, Geschäftsführer vom Verband Schweizer Medien. Für ihn ist klar: «Im Rahmen der Gespräche über die Online-Werbung der SRG wird auch über die Beschränkung der Online-Inhalte gesprochen.»
Wenn es am runden Tisch zu keiner Einigung kommen sollte, wird letztlich Bundesrätin Leuthard entscheiden. Und sie neigt zu einer grosszügigen Auslegung des strittigen Begriffs des Programmbezugs und stützt damit die bisherige Praxis der SRG. Ihre Haltung illustrierte sie vor einem Jahr anhand der Berichterstattung zum AKW-Unfall in Fukushima: Die SRG habe bis zur ordentlichen Ausgabe der Tagesschau keine Bilder dazu ins Netz stellen dürfen. Das seien Auflagen, die zu hinterfragen seien. Leuthard meint damit jene Konzessionsbestimmungne, die schon heute äusserst large interpretiert werden.