Der grosse Neid der Kleingeister
Die grossen Namen werden in der Schweiz beargwöhnt. Wer die gemeinen Pfade verlässt, mit Fleiss und Können etwas wagt oder bewegt, gar Erfolg hat, muss mit Neid und Häme rechnen. Unter den Journalisten herrscht Angst vor dem Ausbruch aus der Konformität.
Als Samstagabendshow war «Verstehen Sie Spass?» nur sieben Jahre im Programm der ARD, in den goldenen Jahren dieses Formats, von 1983 bis 1990. 22 Jahre nach dem Abschied wird die Meldung vom Tod von Kurt Felix zum Aufmacher gleich dreier grosser deutscher Boulevardzeitungen: B.Z., Berliner Kurier und Express.
Und in der Schweiz? Wird der Fall ordnungsgemäss mit einem Artikel oder zwei abgehandelt, nur die Ringier-Presse liefert etwas mehr. Ein Blick zurück zeigt, dass es nie anders war. Über Kurt Felix und «Verstehen Sie Spass?» berichteten in den 1980er-Jahren fast ausschliesslich die Blick-Titel, Tele und Heftli wie die Glückspost und die Schweizer Woche. Von den Zeitungen kam kaum etwas und wenn, dann ein Daumen nach unten. Ein Artikel der Luzerner Neusten Nachrichten beispielsweise sammelte 1985 unter dem Titel «Biederes, saftloses Geplausche» folgendes: Kurt Felix «stört nur», «ist zu steif», ist «steif wie ein frisch gebügelter Hemdkragen» und geht «je länger, desto mehr mit seinen prominenten Opfern zu weit». Dem St. Galler Tagblatt war 1987 für Felix nur sein bestes Personal gut genug, ihm wurde ein 21-jähriger Volontär namens Constantin Seibt vorbeigeschickt. Wie sich Kurt W. Zimmermann erinnert, war damals ein Lob für Kurt Felix «so etwas wie ein journalistischer Kamikaze».
Ohne in die Dümmlichkeit abzugleiten, hat Felix Unterhaltung für die breite Masse gemacht. Doch das ist offenbar nichts, wofür man gelobt wird. Erfolgreiche Kulturschaffende, die sich nicht intellektuell geben, werden in beschriftete Schubladen gesteckt und vergessen: Volksschauspieler (Ruedi Walter), Blödler (Peach Weber), Geldmaschine (DJ Bobo) oder Buchhalter (Walter Roderer). Kulturschaffende dagegen, die sich intellektuell geben, werden von den Journalisten als grosse Geister hofiert und immer wieder hervorgeholt: Max Frisch, Adolf Muschg, Martin Walser. Auf den Inhalt kommt es nicht an: Wenn es ein Gedicht ist und von Günter Grass, dann kann es noch so dumm sein, um nicht breit verhandelt zu werden.
Der biedere Walter Roderer war wohlgelitten, aber als er 1992 in Lokalzeitungen Inserate gegen den EWR-Beitritt schaltete, konnte die Kulturelite plötzlich nicht mehr über ihn lachen. «Rechtsextremer Kabarettist und trauriger Spassmacher» wurde er von Niklaus Meienberg im «Spiegel» genannt. Der Sonntagsblick schrieb von «Rodis EWR-Hetze». Und Felix E. Müller sprach Roderer in der Weltwoche jegliche schauspielerische Fähigkeiten ab: «Walter Roderer ist, was er spielt, und seine Programme können nicht länger zur Hinterfragung, sondern bloss noch als Bestätigung dieser Schweizer Realität gelten.» Über die ausbleibenden Zuschauer seiner Tournee titelte der «Blick» am 19. Februar 1993 dann riesengross: «Roderer: Bitterer Abschied» («Hat ‹Rodi Ratlos› den richtigen Zeitpunkt für den Abgang verpasst?»).
Jeder, der publiziert, hat das zu erwartende Echo im Hinterkopf, gerade auch das der Kollegen. Wer keinen Ärger möchte, verbreitet keine neuen Ideen, sondern das, was die Vorgesetzten, die Mitarbeiter und die Leser von ihm erwarten. Das erzeugt einen «besorgniserregenden Hang zum Gleichklang» in den Medien, wie selbst ein Giovanni di Lorenzo erkennt, «Zeit»-Chefredaktor und sowas wie ein Hohepriester der Mitte:
«Das Merkwürdige dabei ist, dass der Konformitätsdruck nicht von bösen Regierungen oder finsteren Wirtschaftsmächten ausgeübt wird. Vielmehr kommt er aus unserer eigenen Mitte, er geht von den Journalisten, Lesern und Zuschauern aus.»
Es herrscht das Prinzip der Gleichmacherei: Jene, die hinausragen, werden immer wieder auf das Mittelmass zurück gestutzt. Einerseits ist das heilsam, weil so keine kopflose Herde auf die Idee kommt, blind dem grossen Führer zu folgen (Schweizer Journalisten könnte sowas nur bei Roger Federer passieren). Andererseits ist es furchtbar kleingeistig, keine Grösse zuzulassen. Doch um kritisch beäugt zu werden, reicht es schon aus, im Kleinen vom gemeinhin begangenen Pfad abzuweichen: Als ich ankündigte, auf gut Glück nach Berlin zu ziehen, brach niemand in Begeisterung aus. Stattdessen wurde ich (korrektermassen) auf Fragen zu meiner Altersvorsorge aufmerksam gemacht.
Wenn Roger Köppel erzählt, er habe sich hoch verschuldet, um die Weltwoche zu kaufen, glaubt ihm das niemand. Stattdessen wird seine Unabhängigkeit in Frage gestellt.
Wenn Urs Gossweiler seine Mikrozeitungs-Pläne in Zürich zurückzieht, weil das Risiko zu gross ist, dann grinst man hämisch über diese Grossspurigkeit.
Wenn es Roger Schawinski nur jede zweite oder dritte Woche schafft, die wichtigste Person der Woche in seiner Sendung zu haben, dann machen sich die Twitterer gerne darüber lustig.
Wenn Peter Hogenkamp eine Firma gründet, die versucht, mit Blogs Geld zu verdienen, dann kommt gleich mal die Sonntagszeitung, um sich zur Lohnpolitik zu äussern.
Wir leben in Zeiten eines grossen informationstechnischen, wirtschaftlichen und staatspolitischen Umbruchs. Wer bloss soll die Welt voranbringen, wenn nicht die Klügsten etwas wagen? Auch wenn es sich die Miesmacher nicht eingestehen wollen: es sind die Pioniere, die die Welt neu gestalten. Und nicht die konservative Mehrheit, die irgendwann nicht mehr anders kann, als die neue Realität zu akzeptieren und dann auch noch so tut, als hätte sie die Veränderung schon immer bejaht – siehe dazu den zeitlos glänzenden Text «Standardsituationen der Technologiekritik» von Kathrin Passig.
Ob Schawinski, Köppel, Felix oder auch Blocher und Ziegler: Sie sterben als grosse Pioniere, Publizisten, Unterhalter und Politiker. Vor allem aber als Menschen, die selbst nachgedacht, eigenständig gehandelt und sich auch durch Kritik nicht vom Kurs abbringen liessen. Sogar die zu Lebzeiten vielgehassten Niklaus Meienberg und Peter Uebersax sind posthum zu Legenden geworden. An geistlose Miesmacher, die selbst nie etwas neu gedacht oder gar gewagt haben, wird sich dagegen zurecht niemand erinnern. Gegen Neid auf andere gibt es übrigens ein Allheilmittel: eigener, verdienter Erfolg.
Offenlegung: Als Medienkritiker ist Ronnie Grob seit 2006 ein Miesmacher. Und eine Firma hat er auch noch nie eine gegründet.
Christian Leu 31. Mai 2012, 12:21
Im Rahmen dieses gut geschriebenen Artikels erstaunt mich deine Aussage von heute morgen drüben bei Facebook eigentlich schon ein wenig:
Der gute Grund würde mich nun wundernehmen, denn wie will man über etwas urteilen, das man nicht kennt, oder scheinbar vor Jahren zum letzten mal gehört hat.
Ronnie Grob 31. Mai 2012, 12:25
Christian, das war nichts mehr als ein spontaner Scherz.
Christian Leu 31. Mai 2012, 13:06
Da bin ich ja schön froh wirst auch du weiterhin deine Augen und Ohren überall haben.
Mara Meier 31. Mai 2012, 15:54
Lieber Herr Grob im schönen Berlin
Sie treten an, die Vorliebe für das Mittelmass als Schweizer Phänomen zu brandmarken. Was als Schelte für Schweizer Journalisten beginnt, endet als…Keine Ahnung. Schlecht kaschierte Intellektuellenfeindlichkeit?
Natürlich fragt man sich gleich zu Beginn, ob Sie sich nicht verrennen m ü s s e n, denn: Hatte Kurt Felix nicht gerade wegen des freundlichen und sympathischen Mittelmasses Erfolg? Mir will scheinen: doch, doch.
Wer in der Schweiz Erfolg habe, müsse mit Neid rechnen, sagen Sie. Ein Schweizer Phänomen. Gibt es dazu nicht etwa 500’000 Sprichwörter aus 10 Jahrhunderten und 30 Ländern?
Vorliebe für das Mittelmass, ein Schweizer Phänomen. Darf das gesagt werden nach der Ära Wulff? Die war doch in Deutschland, wenn ich nicht irre, und Herr (Martin) Walser (oder meinen Sie etwa Robert Walser?), den Sie als Bad Guy in einem Atemzug mit den Schweizern Frisch und Muschg nennen, auch. Von diesem doch recht unterschiedlichen Triumvirat sagen Sie, lieber Herr Grob, es „gebe sich intellektuell“. Das finde ich recht erstaunlich, dass sich Frisch, Muschg und Walser „intellektuell geben/gaben“ und es doch gar nicht sind und waren. Ich verneige mich vor so viel schriftstellerischem Maskenball; er wirkt – gopfriedstutz – wie echt.
Grass („Die Pfeife“, übrigens ein Deutscher) erhält soviel Publizität, w e i l seine Gedichte stupid sind. Er wird demontiert, nicht bejubelt. Und das zu recht. Immerhin hat er einmal die Blechtrommel geschrieben. Diese Leistung können wir ihm nicht absprechen. Nun hat er halt auch in Deutschland Neider, die gerne klatschen. Wahrscheinlich sind das alles Schweizer.
Dass ein Linker (und dann noch der sprachgewaltige und gewitzte Meienberg) einen, der ihm politisch so gar nicht in den Kram passt, runtermacht nach den Regeln der Meienberg-Kunst, wundert Sie? Sie finden das exemplarisch für Ihre These?
Sie nennen Entertainer (Felix, Roderer, Ruedi Walter, DJBobo, Peach Weber), kontrastieren Sie mit pseudo-intellektuellen Schriftstellern (Frisch, Muschg, Walser), finden den Meienberg fies, der den Roderer runtermäht, hüpfen zu den mainstreamgeilen Journis, hauen dem Giovanni die Lorenzo („Die Zeit“, Deutschland) noch eins ans Schienbein („Hohepriester der Mitte“), um zum bewunderten Herrn Köppel zu kommen und wieder zurück zum Enterainer Schawi. Der Hogenkamp muss auch noch herhalten, um bei Blocher (Unternehmer, Politiker) und Ziegler (Soziologe – nicht pseudo-intellektuell?), immerhin alle Schweizer, zu landen. Meienberg attestieren Sie jetzt noch, dass er eine Legende sei.
Ich bin erschöpft.
Übrigens: Peach Weber ist blitzgescheit, wie seine Kolumne verrät: kein Beta-Produkt.
Mara Meier 31. Mai 2012, 16:10
Nachtrag
Sie schreiben zu Beginn: „Die grossen Namen werden in der Schweiz beargwöhnt.“ Später sagen Sie dann, Frisch, Muschg und Walser würden von den Journalisten „hofiert“. Das heisst also, falls Sie sich nicht widersprechen wollen, dass Sie Frisch/Muschg/Walser nicht für grosse Namen halten? Ich muss Sie leider enttäuschen. Es sind grosse Namen.
Ronnie Grob 31. Mai 2012, 16:56
@Mara Meier: Wie lange Frisch, Muschg und Martin Walser die Zeit überdauern werden, wird die Zukunft weisen. Wenn sich jemand intellektuell gibt, dann liegt es ja durchaus im Bereich des Möglichen, dass er das auch ist. Ich möchte das nun wirklich niemandem absprechen.
Die Gedichte von Günter Grass wurden publiziert, weil sie für grosse Aufmerksamkeit sorgen, das ist alles. Die von Grass zuerst angefragte «Zeit» hat übrigens auf die Publikation verzichtet, der Süddeutschen Zeitung war es dann offenbar nicht zu doof.
Kurt Felix hatte nicht Erfolg, weil er mittelmässig war, sondern, weil er eine Show gebaut hat, die so exakt und unspektakulär ablief wie ein Schweizer Uhrwerk.
Christof Moser 01. Juni 2012, 16:21
Liebe Mara Meier, wo kann man Sie für eine Blattkritik buchen? Oder zum Gegenlesen von Texten engagieren? War auch etwas verwirrt über Widersprüchlichkeiten nach der Lektüre des Artikels, hätte aber diese Verwirrung nicht so fulminant formulieren können. Mit Grüssen!
Leo Nauber 04. Juni 2012, 09:31
Super Artikel.
Pascal Magicshow 26. August 2012, 23:55
Suuuuuuuper ! Bravo Ronnie. Bin leider erst jetzt über diesen Beitrag gestolpert. Jeder Satz könnte von mir sein. Identifikation pur ! (Smile) Die Schweiz ist sehr klein und welche Presseverlage hier „das Sagen“ haben ist bekannt. „Wer Erfolg hat, hat auch Neider“ Eine Erkenntnis welche so alt sein dürfte wie die Menschheit. Doch der zitierte „Neid der Kleingeister“ bezieht sich nicht nur auf die Medienlandschaft, sondern ist auch ein in sehr ausgeprägter Forme in Musiker-Künstler- Kultur und Theaterkreisen.
Ich bin seit 30 Jahren Berufsartist und könnte dir hier über dieses Thema eine komplette Dissertation schreiben.
Zauberer + Ballonkünstler MAGIC THOMAS 19. Februar 2013, 17:08
Kurt Felix und Paola habe ich immer sehr gerne im deutschen Fernsehen gesehen, damals noch mit einer eigenen Sendung am Samstagabend.
zauberhafte Grüße MAGIC THOMAS