Eine demokratische Auswahl
Neuverleger Markus Bucheli lanciert mit Mag20 eine wöchentliche Zeitschrift ohne Journalisten. Die Inhalte für das ambitionierte Projekt kommen ab dem August von Lesern und Verlagspartnern. Welche 20 Beiträge ins Mag kommen, bestimmen die Besucher der Website.
Mag20, das ist eine Website. Und ein daraus entstehendes Printmagazin, das ab dem 16. August jeden Freitag in einer Auflage von vorerst 50.000 Exemplaren kostenlos unter die Leute gebracht werden soll: von Studenten in Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Winterthur, Zug und Zürich. Der Erscheinungstermin am Freitagmorgen kann auch als Angriff auf «20 Minuten Friday» gesehen werden: Eine Alternative mit mehr Inhalten und weniger Style und Promis. Als E-Paper ist das Magazin kostenlos erhältlich und per Post zu den Portokosten.
Ein Artikel kommt wie folgt ins Heft:
- Wird er auf der Website Mag20.ch hochgeladen und publiziert (eine kurze Anmeldung vorausgesetzt)
- Stimmen die Mag20-Nutzer mittels Facebook, Twitter und Google+ bis Redaktionsschluss am Sonntagabend um 24 Uhr darüber ab.
- Werden die 20 Artikel mit der grössten Resonanz (die Top4 in den Rubriken Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Wissen) ausgewählt, sanft redigiert und dann gedruckt.
Journalisten werden dafür keine beschäftigt, vorerst will Mag20 mit nur zwei Mitarbeitern auskommen: dem Firmenchef und einer Person im Backoffice, alles andere ist ausgelagert. Das betrifft das Anzeigenmarketing (noch offen), die Aufbereitung des Magazins (Pascal Zgraggen von Aformat), das Lektorat (Claudia Walder von der Text-it GmbH) und die Ergänzung der Beiträge mit Fotos (Keystone).
Diese minimale Besetzung ist möglich, weil die Texte von den Nutzern der Website kommen und von ihnen ausgewählt werden. Weiter arbeitet Mag20 mit Fotografen zusammen, deren Werke in jeweils einer Ausgabe präsent sind. Und mit Verlagspartnern, die einen gewissen Grundstock an Beiträgen mit Qualität garantieren. Beiträge zugesagt haben bisher Journal21, der Schweizer Monat, das Punkt Magazin, Blogwerk, Reportagen, Bar-Storys, Transhelvetica, Amina Chaudri, The Brander, Die Perspektive, Politnetz.ch und das Familienblog Die Angelones. Bei den Beiträgen handelt es sich um Zweitverwertungen, aber nicht ausschliesslich, sagt Bucheli.
Entlöhnt werden die Text- und Bildproduzenten und die Verlagspartner mit Aufmerksamkeit. Für erstere wird ein Kurzporträt abgedruckt, für letztere ein Logo. «20 Beiträge pro Woche reinzukriegen, ist nicht das Problem. Es ist der Verkauf der Werbung, auf den es ankommt, wie bei anderen Printprodukten auch», sagt Bucheli, den die bisherigen Gespräche mit Werbetreibenden zuversichtlich stimmen. Einerseits ist er über sich selbst erstaunt, dass er diese «Schnapsidee», wie er sie nennt, jetzt tatsächlich durchzieht. Andererseits ist er überzeugt vom Projekt und dementsprechend optimistisch gestimmt. Es geht es ihm wie jedem anderen Jungunternehmer auch.
Support von mindestens einem alten Hasen aus der Journalistenszene könnte dem Projekt gut tun, denkt man sich, denn Markus Bucheli, Jahrgang 1984, wohnhaft seit 2008 in Zürich, hat noch keine verlegerische oder journalistische Erfahrung. Bis Ende März arbeitete er, durchaus zufrieden mit dem Job, als Wirtschaftsprüfer bei PricewaterhouseCoopers (PwC). Doch die Idee von Mag20, die er zuerst zusammen mit einem Partner verfolgte, von dem er sich im März im Guten trennte, hat ihm keine Ruhe gelassen. Er kann nicht verstehen, warum das bisher niemand sonst ausprobiert hat und will dieses Projekt jetzt einfach mal durchziehen. Und er tritt auch an für mehr Medienvielfalt: Dass sich fünf Grossverlage den Markt zu einem guten Teil unter sich aufteilen, findet er nicht richtig, da seines Erachtens viele gesellschaftlich relevante Themen zu wenig Beachtung finden.
Wie viel Geld zur Verfügung steht, ist unklar. Die Mag20 AG wurde in Sarnen gegründet und hat 100 Namensaktien zu 1000 Franken herausgegeben: «Die Gesellschaft bezweckt die Herstellung und den Vertrieb von Zeitschriften sowie die Zusammenarbeit mit anderen Informations- und Unterhaltungsmedien.» Einziges Mitglied des Verwaltungsrats ist Bucheli selbst, der angibt, die Firma zu 100 Prozent aus dem eigenen Ersparten zu finanzieren und keine Schulden aufnehmen zu wollen. Ob das ausreicht, um das Produkt im Markt zu etablieren? Heiner Hug vom Verlagspartner «Journal 21» hält das Projekt zwar für ambitioniert, doch es gefällt ihm gut. «Bucheli hat jugendliches Feuer. Ich hoffe, er hat den langen Atem – und etwas Geld im Rücken.»
Wenn Mag20 scheitere, dann sei das kein Unglück, sagt Bucheli. Bis Ende 2012 gibt er dem Projekt Entfaltungszeit, dann will er entscheiden, wie es weitergeht. Die Firma wird vorerst beim Vermarkter Mediabox in Zürich-Binz unterkommen.
bugsierer 01. Juli 2012, 18:05
gute idee. sehr mutig. super, dass jungspunde solche projekte anreissen und dafür alles stehen und liegen lassen. schon allein dafür hat der mann meinen respekt. – bin gespannt und wünsche gutes gelingen.
paul fischer 02. Juli 2012, 16:46
Der Bucheli bekommt die Kohle, die E-Networker dürfen abstimmen, und den Schreiberlingen gehören Luft und Liebe!
Kein Wunder, dass alle, die mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen möchten, Dozenten an Medieninstituten werden, oder zu Söldlingen der privatwirtschaftlichen bzw. staatlichen PR-Verschleierungsanstalten mutieren.
Ja, früher zu den Zeiten des Spartacus brauchte es noch rohe Gewalt. Heute versklaven sich die Vertreter des Homo Digitalis freiwillig, immer in der Hoffnung es „entdecke“ jemand ihre wunderbaren Talente.
O.k., o.k, ich bin ein alter Sack, der es einfach nicht verstehen will. Träumt weiter.
Lieber Gruss
Schreiber 02. Juli 2012, 16:57
Schreiben für die Ehre – ist das die Zukunft?