von Stephanie Rebonati

«Alle haben immer eine Meinung über mich»

Die Schauspielerin Melanie Winiger (33) steht seit ihrem Miss-Schweiz-Titel vor 16 Jahren im Rampenlicht der Medien. Die MEDIENWOCHE hat Winiger in New York getroffen, wo sie sich ein zweites berufliches Standbein aufbaut. Im exklusiven Gespräch erklärt sie, wie sich ihr Umgang mit den Medien im Laufe der Jahre verändert hat und weshalb sie in New York den Kontakt zu Schweizer Journalisten grundsätzlich ablehnt.

Sie stellt ihr schwarzes Rennvelo an der Ecke Bowery Street und 4th Street im East Village in Manhattan ab. Der Nieselregen liebkost ihr ungeschminktes Gesicht und ihre Hände zittern. «Ich habe grad einen Motorradunfall gesehen, der Fahrer lag unter dem Auto», sagt Melanie Winiger. Bald könne sie ein Drehbuch schreiben, New Yorks Alltag gäbe ihr viel Stoff dazu. Nach einem ungesüssten Eistee ist der Hauruck-Charme wieder in vollem Gange: sie lacht, gestikuliert und erzählt von Journalisten mit Profilierungsneurosen und von jenen, die sie respektiert.

MEDIENWOCHE: Du gestaltest hier in New York einen neuen Lebensabschnitt. Orientierst du dich puncto Medienanfragen auch neu?
Melanie Winiger: Eigentlich nicht. Nach wie vor gebe ich nur Interviews, wenn ich etwas zu erzählen habe, wenn ein Film, eine Kampagne oder ein Projekt am Start sind. Wenn ich aber von Schweizer Journalisten angefragt werde, hier in New York eine Geschichte zu machen, lehne ich diese grundsätzlich ab.

Warum?
Das Ganze wurde von den Medien falsch interpretiert. Ich bin nicht nach New York ausgewandert, ich bin mit einem Standbein hier und mit dem anderen in der Schweiz, wo ich nach wie vor arbeite. Die Medien haben die Geschichte wiedermal so gedreht, wie sie diese haben wollten, quasi: «Melanie hat allen den Laufpass gegeben – see you when I see you». Wenn ich fälschlicherweise so porträtiert werde, meinen auch Kunden, dass ich weg bin und das würde sich auf die Auftragslage auswirken. Das will ich so verhindern.

Warum machst du für die «Medienwoche» eine Ausnahme?
Weil es spannend ist, zur Abwechslung mal über meine Beziehung zu den Medien zu reden und wie ich mich durch sie und mit ihnen entwickelt habe über all diese Jahre.

Du sagst oft, dass du nicht gerne über den roten Teppich läufst. Gibst du gerne Interviews?
Persönliche Interviews wie dieses mache ich gerne, aber auf dem roten Teppich muss ich 25 Mal dieselbe Frage beantworten und dann gibt es immer wieder Journalisten mit Profilierungsneurosen, die doofe Fragen stellen.

Journalisten mit Profilierungsneurosen?
Meistens sind das junge, männliche Möchtegerns, die einen durchgeben wollen. Das imponiert mir einfach nicht. Ich habe schon paar Mal mit Alpha-Männchen und Testosteronüberschuss gedealt. Freche Fragen fände ich ja okay, aber dafür müssen sie fundiert und interessant sein.

Warum passiert dir das immer wieder?
Ich habe immer noch das Image von «frech», bin aber mittlerweile 33 und mit «frech» hat das wenig zu tun. Ich antworte ehrlich und direkt auf Fragen. Sobald mir eine Frage gestellt wird, habe ich das Recht auf eine Antwort. Es hat es noch kein Journalist geschafft, mich mit zweideutigen und frechen Fragen zu schockieren. Manchmal habe ich das Gefühl, dass gewisse Journalisten mir beweisen wollen, dass sie auch schlagfertig sind.

Die Leute wissen nicht, wie mit dir umzugehen.
Wenn Leute gefragt werden, was wichtig ist, sagen sie «ehrlich, offen und direkt». Das ist aber fast niemand. Wenn mir eine Frage gestellt wird, dann bin ich ehrlich, offen und direkt und das schockiert anscheinend. Dann wissen sie nicht, in welche Schublade sie mich stecken sollen und das bereitet ihnen erst recht Mühe.

Hat das mit der Schweizer Mentalität zu tun?
Schubladisieren? Ja. Ich war mal Miss Schweiz, aber in die Missen-Schublade passe ich nicht so recht hinein, heute bin ich Schauspielerin und Moderatorin, da passe ich aber auch nicht ausschliesslich rein.

Wie viele Medienanfragen erhältst du täglich, wöchentlich, monatlich?
Ich habe keine Ahnung. Meine Managerin Lea Rindlisbacher schirmt mich total davon ab. Wir arbeiten seit über sieben Jahre zusammen – sie ist mein Pitbull.

Habt ihr gemeinsam eine Medienstrategie erarbeitet?
Ausser dass wir nur Geschichten machen, wenn wir etwas zu erzählen haben, nein. Wir ticken ähnlich und verstehen uns sehr gut. Es kommt vor, dass sie mir eine Anfrage weiterleitet mit dem Kommentar «Glaub nöd» und dann antworte ich mit einem Smiley. Sie kennt mich wirklich gut.

Wer hat davor deine Media Relations gemanagt?
Ich war sehr lange bei der Miss Schweiz Organisation. Und ich muss ehrlich zugeben, dass ich Angst hatte, dass ich ohne sie keine Jobs bekomme.

Mit welchen Journalisten hast du ein Problem?
Journalisten, die Vorurteile haben und nicht auf das Gespräch eingehen, sondern ihrem festgelegten Roten Faden folgen. Bei solchen Journalisten könnte ich inmitten des Gesprächs etwas total Ausserkontextuelles sagen und es würde darauf einfach die nächste Frage folgen. Journalisten, die mich an Dingen aufhängen wollen, die ich als 17- oder 20-Jährige gesagt habe, nerven mich extrem. Es ist doch ein gutes Zeichen, dass ich nicht mehr dasselbe erzähle wie damals. Ich habe mich weiterentwickelt.

Oft wird geschrieben, dass du damals in L.A. und jetzt in New York noch keine grossen Filmrollen ergattert hast. Was sagst du dazu?
Ich gab mal ein Interview und der Journalist sagte so etwas wie: «Bereits in L.A. ist es dir nicht gelungen, eine grosse Filmrolle zu ergattern und hier in New York auch noch nicht.» Der hat weder recherchiert noch gesunden Menschenverstand eingesetzt. In L.A. habe ich eine Schauspielausbildung gemacht und mit dem Studentenvisa kann man in den USA nicht arbeiten, sondern eben nur studieren. Und in New York bin ich seit ein paar Monaten, in denen ich eine Wohnung eingerichtet und meinen Sohn eingeschult habe – ich finde es nicht so schlimm, dass Martin Scorsese noch nicht angerufen hat.

Behandelst du gewisse Journalisten privilegierter als andere?
Nein. Aber ich merke mir jene Journalisten, die sich an meine Aussagen gehalten haben und jene, die ihre eigene Geschichte daraus ableiten und konstruieren.

Du führst Protokoll?
Im Prinzip, ja. Natürlich nur bei grösseren Geschichten und Interviews, bei denen ich persönlich Kontakt hatte mit den Journalisten.

Du merkst dir jene, die positiv und jene, die negativ über dich schreiben?
Überhaupt nicht. In Artikeln, die gut und wahr waren, musste ich auch Kritik einstecken oder an Dinge erinnert werden müssen, an die ich nicht mehr denken möchte. Aber jene Journalisten haben sich an die Fakten gehalten und mein Wesen erfasst mit allen seinen guten und schlechten Seiten.

In deinen letzten zwei TV- und Radio-Auftritten wurdest du von Männern interviewt. Hast du mehrheitlich mit männlichen Journalisten zu tun?
Nein. Das Verhältnis ist 50/50. Und da gibt es auch keinen Unterschied in der Arbeitsweise. Es gibt unter den Journalistinnen und Journalisten jene und diese.

Ende Mai warst du bei DRS-3 Gast im «Focus». Einer der ersten Sätze von Moderator Dominic Dillier lautete: «Darf ich ganz ehrlich sein am Anfang? Ich habe ‚biz’ Angst vor Ihnen».
Ich weiss eigentlich nicht, warum man Angst haben sollte vor mir. Aber Leute haben wohl Angst, weil ich in der Schweiz nicht so konform bin, wo sonst die Kommunikation sehr diplomatisch und zurückhaltend ist.

Warum sagst du Medienauftritten wie «Focus» und «Sommertalk» zu?
Weil man dort mehr Zeit hat und die Sendungen live sind. Da kann man nichts zusammenbasteln und mir in den Mund legen.

Wie weit hast du dich mit dem Boulevard eingelassen?
Nach Noels Geburt habe ich aufgehört, mein Privatleben in die Medien zu ziehen. Mit meiner Art biete ich schon genug Angriffsfläche und spätestens mit der Geburt meines Sohnes wurde mir bewusst, dass ich eine Grenze ziehen muss. Und diese liegt bei meinem Privatleben.

Hast du deshalb noch nie eine Home-Story gemacht?
Das ist doch langweilig. Da liest man, dass sich irgendjemand eine neue Küche eingebaut hat und auf dem Bild sieht man die dann auf dem Tresen sitzen und irgendwo hat’s eine Katze. Oder Bilder in der Badewanne oder auf dem Bett, am besten noch mit einem Fotoalbum. Abgesehen davon, dass ich diese Geschichten nicht spannend finde, geht hier um mein Privatleben und eben; ich ziehe hier die Grenze.

2002 posiertest du fast nackt mit Babybauch und weissem Hemd in der Schweizer Illustrierten. Warum?
Ganz ehrlich? Weil ich schöne Bilder von meiner Schwangerschaft haben wollte und ich die Arbeiten der Fotografin Sabine Liewald sehr schätze.

Du bist seit deiner Wahl 1996 ein beliebtes Thema in der Schweizer Presse. Wie hast du gelernt, mit Journalisten umzugehen?
Learning by doing. Medientrainings habe ich nie absolviert, die sind wie Erziehungsbücher: es gibt nicht eine Methode, jeder Mensch ist anders und man soll ihn auch so sein lassen. Ich bin mir immer treu geblieben, immer Melanie geblieben – mal mehr, mal weniger. Nur deshalb bin ich nicht wahnsinnig geworden bin.

Wahnsinnig geworden?
Ich wurde als 17-Jährige Miss Schweiz, bin seit 16 Jahren in der Öffentlichkeit. Genauso wie ich davon profitiert und mich dadurch entwickelt habe, habe ich auch darunter gelitten. Es haben alle immer eine Meinung über einen. Auch jene, die dich nicht persönlich kennen.

Bereust du gewisse Medienauftritte?
Nein.

Was haben die Medien zu deiner Karriere von der Miss bis zur Schauspielerin beigetragen?
Sie haben mir extrem viel beigebracht und mich gestärkt – auch wenn sie negativ über mich berichteten. Wenn die Kritik konstruktiv ist, kann ich dazulernen. Es hat mir auch den Drive gegeben, für mich zu kämpfen, für mich hinzustehen. Spannend ist auch, wie sich die Medien in dieser Zeit verändert haben. Mit den Gratismedien ist alles schneller geworden. Warum soll ich eine Zeitung kaufen, wenn ich an der Tramhaltestelle eine gratis kriege? Wer die Schlagzeile hat, wird vom Leser gewählt und darum müssen alle verdammt schnell arbeiten, was zu Missverständnissen und Fehlinformationen führen kann.

Was ist die gravierendste Falschmeldung, die über dich verbreitet wurde?
Meine Mutterschaft. Es wurde über mich geschrieben, dass ich eine Rabenmutter sei. Meinen Sohn Noel habe ich in der «Schweizer Illustrierten» gezeigt, als er zwei Wochen alt war. Heute ist er zehn und war seither nie mehr in der Presse, weil ich ihn davor schütze. Den Schritt in die Öffentlichkeit soll er eines Tages selber machen. Und trotzdem werde ich als Mutter beurteilt und verurteilt, obwohl kein Journalist uns jemals zusammen interviewt oder erlebt hat. Als Schauspielerin und Moderatorin können mich die Medien kritisieren, als Mutter nicht.

Bei Promis vermischen sich Privat- und Intimsphäre sehr rasch.
Das verstehe ich auch. Aber es ist schon genug schwer, mit 22 schwanger zu werden und alleinerziehende Mutter zu sein. Oder ich gehe in Zürich mit einem langjährigen Freund essen und am nächsten Tag heisst es, er sei der neue Mann an meiner Seite.

Liest du, was über dich geschrieben wird?
Die Klatschpresse lese ich nicht. Ich lese jene Interviews und Portraits, für die ich mit Journalisten Kontakt hatte. Meine Mutter hingegen sammelt jeden «Fötzel» und füllt Alben damit. Natürlich ist das herzig, aber manchmal ist es zu viel: Don’t wanna see it, don’t wanna go there!

Musstest du deinem Sohn erklären, warum du in den Medien bist?
Ja. Als 5-Jähriger begann er zu fragen, warum ich auf den Poster zu sehen sei. Das hat er nicht verstanden. Im Tram sagte er immer: «Mami, Mami lug!» In der Schule wollten Kinder Geld von ihm oder sagten ihm, dass sie mich hässlich fänden. Ich habe Noel früh erklärt, dass Kinder nicht von alleine auf solche Dinge kommen. Das versteht er heute, er ist das coolste Kind.

Was wolltest du den Journalisten schon immer mal sagen?
Gewissen möchte ich danke sagen, weil ich ohne sie nicht die Aufmerksamkeit und konstruktive Kritik für meine Arbeit bekommen hätte. Diese Journalisten respektiere ich voll und ganz. Anderen würde ich gerne sagen, dass sie an die Rechnung denken sollen, die am Schluss kommt – denn sie kommt. Was gewisse Journalisten anstellen, weil sie nicht faktentreu berichten, wird nicht vergessen. Ich möchte nicht in deren Haut stecken, denn die wissen genau, dass sie ihren Job nicht richtig machen.

Bild: Filipa Peixeiro

Leserbeiträge

Robert Neukom 22. Oktober 2012, 15:39

„Der Nieselregen liebkost ihr ungeschminktes Gesicht und ihre Hände zittern.“ Liebe Frau Rebonati – ein interessantes Interview, ich habe es gerne gelesen. Aber bei diesem Satz zittert bei mir so ziemlich alles.