«Spontan kommt man am besten rüber»
Alexander Tschäppät, Berner Stadtpräsident und SP-Nationalrat, hat es zur Cervelat-Prominenz gebracht: Journalisten interessieren sich nicht nur für seine Politik, sondern auch dafür, wie er leibt und lebt. Ihr Spiel macht er mit, lässt sich von den Medien aber nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen – mit wenigen Ausnahmen.
Das Gespräch findet während der Herbstsession in der Wandelhalle im Bundeshaus statt. Alexander Tschäppät erscheint gutgelaunt und gesprächig. Zweimal huscht er in den Ratssaal ab für eine Abstimmung. Auf unerfreuliche Themen angesprochen, zeigt er sich verärgert bis aufgebracht. An seinem Credo stets authentisch zu bleiben, lässt er damit keine Zweifel.
Das Gespräch kam unter der Bedingung zustande, dass das Interview vor den Stadtberner Wahlen publiziert würde. Alexander Tschäppät kandidiert für eine dritte Amtszeit als Stadtpräsident.
Herr Tschäppät, obwohl ich noch nie mit Ihnen gesprochen habe, meine ich einigermassen gut über Sie Bescheid zu wissen. Entspricht das mediale Bild von «Tschäppu» dem realen Alexander Tschäppät?
In der politischen Beurteilung stimmt es einigermassen, persönlich weniger, aber das ist auch nicht nötig. Meine These lautet: Die Medien schreiben immer den Medien ab. All die Klischees, die es über mich gibt, werden immer wiederholt – ohne, dass je ein Journalist hinterfragt, ob sie wirklich stimmen.
Welche Seiten von Ihnen kommen in den Medien zu kurz?
Ich habe keine so harte Schale und bin gar nicht so mediengestählt, wie viele meinen. Die Leute haben immer das Gefühl, ich stecke alles locker weg, dabei bin ich ein empfindlicher Mensch. Manchmal schlafe ich schlecht. Ich schüttle auch nicht alles aus dem Ärmel. Im Gegenteil: Vor einem Fernsehauftritt bin auch ich gestresst und habe schauriges Lampenfieber.
Die Medien zeichnen oft das Bild von Ihnen als jovialer Typ. Sind Sie ein Lebemann?
Als ich jung war, wurde mir dieses Klischee angehängt. Damals nervte mich das, weil es nicht wirklich zutraf. Jetzt bin ich über sechzig Jahre alt und das Klischee haftet immer noch an mir – so ist es fast ein Kompliment geworden. Was man mir heute noch alles zutraut! Dabei bin ich abends müde und gehe am liebsten ins Bett. Mir die Nächte um die Ohren zu schlagen, das ist passé.
Welche Medien nutzen Sie?
Ich lese zuerst einmal «Bund» und Berner Zeitung. Dann werfe ich einen Blick in den Tages-Anzeiger, um zu wissen, was in Zürich läuft. In der NZZ lese ich nur Ausgewähltes. Dann schaue ich noch schnell Blick und 20 Minuten an. Alles in Print, ich bin ja kein Computerfreak. Am Radio höre ich die Nachrichten, wenn ich morgens früh um 6 eine Stunde mit den Hunden spazieren gehe. Da habe ich ein kleines Transistorradio dabei. Zum Fernsehen komme ich praktisch nie. Wenn ich mal an einem Abend daheim bin, ist das nicht das Wichtigste. Ich habe auch nicht mehr denselben Drang, in die Arena und all diese Sendungen zu kommen.
Dabei haben Sie mit dem Sonntalk, der nun auch von TeleBärn gezeigt wird, eine neue Bühne. Wie bereiten Sie sich auf einen TV-Auftritt vor?
Ich schreibe mir keine Quotes auf. Aber ich bereite mich auf Themen vor und versuche, mir eine Meinung zu bilden. Grundsätzlich kommt man am besten rüber, wenn man spontan ist. Das braucht etwas Mut. Vielleicht ist es auch eine Frage der Routine. Eine zu genaue Vorbereitung kommt aus meiner Sicht aufgesetzt daher. Man sieht es, wenn einer genau diesen und jenen Satz loswerden will – und ihn am Ende noch im falschen Kontext platziert. Nur weil ihm ein Berater gesagt hat, es wär’ noch gut. Daran glaube ich so wenig wie an Medientrainings. Aber ich glaube, dass es einen Unterschied macht, ob man ein kariertes oder ein blaues Hemd für den Auftritt im Fernsehen anzieht oder nicht. Für solche praktische Tipps ist Beratung sinnvoll.
Sie scheinen einigermassen beratungsresistent zu sein. Welche Rolle spielt der Informationsdienst der Stadt Bern, der Ihnen zur Verfügung steht?
Inhaltlich lasse ich mich schon beraten, aber nicht im Umgang mit den Medien. Niemand coacht mich. Das ist auch nicht nötig: Als Stadtpräsident in Bern, der den öffentlichen Verkehr benutzt und ab und zu in einer Beiz ein Bier trinkt, weiss ich, was die Leute von mir und meinem letzten Auftritt denken. Ich brauche kein teures Medienbüro, das mir Tipps gibt. Der Informationsdienst steht übrigens nicht nur mir, sondern auch allen anderen Mitgliedern der Stadtregierung und den Direktionen zur Verfügung.
Gab es schon Momente, in denen Sie lieber nicht Stapi gewesen wären, um unbeschwert das Leben geniessen zu können?
Ich habe nicht das Gefühl, mich nicht frei bewegen zu können. Die Beobachtung ist nicht das Problem. Viel mehr spüre ich permanent einen sehr hohen Druck. Wir sind nur noch zu fünft in der Regierung. Dabei bin ich noch der Routinierteste. Aber der Erwartungsdruck wird weiter zunehmen, das ist ein Problem.
Und was ist mit Momenten wie der Anti-Blocher-Parole bei einer spontanen Fussball-Siegesfeier?
Das ist eine uralte Geschichte. Das war nichts Schlaues, und dafür habe ich mich längst entschuldigt. Das Verrückte und zugleich Deprimierende dabei: Damit erlangt man Berühmtheit im ganzen Land, anstatt mit den Inhalten, die man liefert. Aber ich nehme mir das Recht heraus, auch mal einen Fehler machen zu können und dann dafür hinzustehen. Es ist auch eine Qualität der schweizerischen Politik, dass dies möglich ist.
Also sind die Medien schuld, die einseitig solche Ereignisse aufgreifen?
Die Medien müssen sich verkaufen, und das geht nicht mit unattraktiven Inhalten. Eine süffige Zeile verkauft sich einfach besser, als wenn einer im Hintergrund gute Arbeit leistet. Das nehme ich den Medien auch nicht übel. Ich denke aber, dass die Leute dessen auch überdrüssig werden können.
Für süffige Zeilen bieten Sie den Medien mehr Gelegenheiten als andere Politiker.
Weil ich sage, was ich denke! Ich bin sicher nicht einer, der aufs Maul hockt oder sich erst überlegt, ob ihm eine Äusserung schadet oder nützt. Ein Politiker hat nur einen Kredit: seine Authentizität und Glaubwürdigkeit. Das ist nicht immer unproblematisch. Aber ich bin, wie ich bin. Was man hier drin (in der Wandelhalle, Anm. d. Red.) nicht von allen sagen könnte…
Am 25. November sind Stadtberner Wahlen. Müssen Sie überhaupt aktiv Wahlkampf betreiben – oder machen das die Medien für Sie?
Die Medien machen das sicher nicht für mich. Wer in der Politik ist, hat eine gewisse Präsenz in den Medien, klar. Sie können dich gut- aber auch schlecht schreiben. Bekanntheit ist ein Element, genügt alleine aber nicht. Ich muss Wahlkampf machen. Erstens wäre ich sonst arrogant, und eine solche Überheblichkeit passiert mir nicht. Zweitens sollte man nie dem Fehler verfallen, zu meinen, man sei schon gewählt.
Ihre Wahlkampagnen fallen immer wieder aus dem Rahmen. Am meisten Aufsehen erregte wohl der Slogan «SVP wählt Tschäppät» (SVP stand für «s’il vous-plaît»). War das Ihre Idee?
Es wäre arrogant, von meiner Idee zu sprechen. Wir sind immer die gleichen drei, vier Kollegen. Wir kochen zusammen Spaghetti und dann «hirnen» wir. Manchmal hat man schnell eine Idee und manchmal nicht. Diesmal ging es ganz schnell. Schwieriger ist es, sie umzusetzen und zu finanzieren. Aber wir machen alles selber, ohne Werbebüro.
Warum sind Sie eigentlich in den Social Media nicht präsent? Das wäre doch die ideale Plattform, um sich selber zu präsentieren.
Ich bin ein sechzigjähriger Mann, der Mühe hat mit dem Computer – ich habe noch auf einer Hermes-Baby-Schreibmaschine geschrieben. Wäre ich plötzlich auf Facebook und Twitter, wäre das einfach nicht glaubwürdig. Das ist eine andere Generation, und das akzeptiere ich. Es ist ein bewusster Verzicht, auch wenn es wahlstrategisch vielleicht falsch ist. Das ist mir gleich. Ich bin eben, wie ich bin.
Was ist mit Ihren Mitarbeitenden: Verfolgen diese, was in den Social Media über Sie geschrieben wird?
Ich erhalte keine Feedbacks dazu. Ich glaube, je länger man in der Politik ist, desto weniger nimmt man das wahr. Es ist ja immer das gleiche Spiel. Man macht etwas, und der politische Gegner nimmt es auf, um einen in die Pfanne zu hauen. Dieses Ritual ist so alt, dass man es sich gar nicht mehr antun muss.
Dafür ist die klassische Zeitung umso wichtiger?
Zeitunglesen ist nicht mehr das Erste, was ich am Morgen mache. Ich kenne Politiker, die gar keine Zeitung mehr lesen. Ich lese sie schon noch, ich will ja à jour sein. Aber es ist nicht mehr so wichtig, ob mein Zitat nun verwendet wurde oder wie ich auf dem Foto aussehe. Vielleicht ist es das Alter, vielleicht das Übergewicht – man wird gelassener.
Bringt Sie nichts mehr aus der Ruhe?
Kaum. Es gibt einzelne Medien, die einen immer nerven. Aber die sind ja in Zürich daheim.
Am heftigsten kritisiert Sie die Weltwoche.
Die nehme ich nicht mehr ernst.
Verletzen Sie solche Angriffe oder gehört das zum Courant Normal?
Sicher verletzt mich das. Alles Unwahre ist eigentlich inakzeptabel. Mich ärgert, dass es Zeitungen gibt, die schlechte oder falsch recherchierte Artikel veröffentlichen. Man muss mich nicht lieben. Wenn Medien einen Sachverhalt kritisch betrachten, den ich vielleicht anders einschätze, habe ich damit kein Problem. Aber man muss beim richtigen Sachverhalt bleiben und nicht gezielt Sachen weggelassen oder verdrehen. Bei der Weltwoche habe ich mehrmals erlebt, dass das nicht der Fall war. Das ist allgemein das Problem dieser Zeitung. Früher war die Weltwoche ein Trendsetter im Journalismus. Ich bezweifle, dass dies heute noch der Fall ist.
Die Weltwoche habe Ihnen angeboten, zu einem Teil der Vorwürfe Stellung zu nehmen. Sie hätten keine Zeit, die Vorwürfe seien lächerlich, sei Ihre Antwort gewesen.
Es lohnt sich nicht, darauf zu reagieren und dem Berichterstatter noch Auftrieb zu geben. Ignorieren ist bei solch merkwürdigen Formen von Journalismus die beste Reaktion.
Es kommt aber durchaus vor, dass Sie auf Medienberichterstattung reagieren, die sie für inhaltlich falsch halten. Zur «Affäre Büschi» gaben Sie gar eine Erklärung des Gemeinderats zur Berichterstattung des «Bund» ab. Das ist ungewöhnlich.
Wieso ungewöhnlich? Die Berichterstattung war auch ungewöhnlich – sie war einseitig gefärbt und gab nicht die Wahrheit wieder. Der Gemeinderat beschloss gemeinsam, die Vorwürfe nicht im Raum stehen zu lassen.
Der Fall hatte eine Gesprächsverweigerung mit dem betroffenen Redaktor zur Folge, und Sie haben den Chefredaktor der Zeitung zu sich zitiert. Mussten Sie einfach mal Ihrem Ärger Luft machen?
Ich bin medienmässig ein pflegeleichter Mensch, leicht erreichbar und im Normalfall für ein Statement zu haben. Ich habe erst einmal einem Journalisten gesagt, dass es mir reicht. Das ist nun wirklich nicht kompliziert. In diesem Fall hatte ich das Gefühl, ich werde ungerecht behandelt. Die Spielregeln wurden nicht eingehalten. Der Journalist kann nicht einfach schreiben, was er will, und ich soll schweigen. Er darf wissen, wenn ich etwas nicht korrekt finde. Es gehört zu meiner Glaubwürdigkeit, dass ich nicht kusche. Eine Zeitung zu boykottieren – das wäre ganz klar nicht statthaft. Aber einem Journalisten zu sagen, dass man mit seiner Arbeit nicht einverstanden ist, das muss erlaubt sein in einer Demokratie.
Auch im Stadtrat haben Sie Ihren Ärger über die Vorwürfe im «Bund» ausgedrückt. Daraufhin schrieb der «Bund», Ihre Schelte habe Politiker von links bis rechts «irritiert». Sind die Medien am Schluss immer am längeren Hebel?
Da überschätzen sich die Medien, wenn sie das meinen. Sie können einem nicht zur Abwahl schreiben. Auch wenn sie noch so schlecht über einen schreiben, am Schluss macht sich das Volk eine eigene Meinung.
Ist der Ärger nun verflogen?
Nein, der ist nicht verflogen. Aber dieses Thema diskutiere ich nicht mehr: Die Positionen sind schon lange bezogen. Ich habe den Eindruck, meine Optik interessiere den betreffenden Journalisten wenig. Er hat eine klare Meinung und geht so weit, dass er damit im Fernsehen auftritt. Ich finde es fragwürdig, wenn ein Journalist einen anderen quasi zum Zeugen macht. Ich mache aber auch nicht ein Leben lang einen dicken Hals deswegen. In der Zwischenzeit habe ich den Journalisten schon oft wiedergesehen. Die Sache ist gegessen. Aber er hat auch gemerkt, dass ich es nicht goutiert habe. Das ist auch gut so. Ich wollte ein Zeichen setzen.
Noch zu Ihrer Person: Aus den Medien weiss man nur gerade, wer ihre Frau ist, dass sie einen Sohn haben und drei Hunde…
…es sind zwei Söhne.
Grenzen Sie sich bewusst ab?
Man kann sich dem Voyeurismus nicht ganz verschliessen. Dass die Leute wissen wollen, ob der Stadtpräsident Kinder hat, ist normal. Aber mehr braucht es nicht. Man ist schon ausgestellt genug.
Haben Sie Leichen im Keller?
Der fehlerfreie Mensch ist meines Wissens noch nicht geboren. Ich wäre unehrlich, wenn ich sagen würde, ich hätte noch nie etwas falsch gemacht. Angst vor einem Riesenskandal habe ich aber nicht.
Wie haben Sie reagiert, als zwei Zeitungen das Gerücht thematisiert haben, Sie hätten eine Liaison zu einer anderen Gemeinderätin?
Einmal Klischee, immer Klischee. Das muss mich gar nicht mehr nerven, das ist mir zu blöd.
Wie handhaben Sie den Umgang mit heiklen Fragen?
Dieses Interview will ich sicher gegenlesen. Im Fernsehen kann ich keinen Satz zurücknehmen. Solche Fragen hätte man am TV gar nicht gestellt. Das interessiert kein Mensch, was Tschäppät eine Dreiviertelstunde lang zu Medien erzählt.
Bild: Manu Friederich
bugsierer 09. November 2012, 20:04
ein merkwürdiges interview. ein wenig sonntagszeitig.
Nick Lüthi 10. November 2012, 11:42
Inwiefern merkwürdig?