«Dynamischer geworden, ohne die Tradition zu verraten»
Ende September tritt Albert P. Stäheli als CEO der NZZ-Mediengruppe zurück. In den fünf Jahren an der Spitze des Zürcher Weltblatts hat der altgediente Medienmanager das Unternehmen in wesentlichen Teilen umgebaut und neu aufgestellt. Obwohl laut Stäheli die Publizistik weiterhin höchste Priorität geniesst, erwartet er, dass sich der Journalismus im Hause NZZ finanziell selbst trägt.
In etwas mehr als einem Monat endet eine Premiere: Ende September tritt Albert P. Stäheli als erster CEO in der Geschichte der NZZ zurück. Mit der vor fünf Jahren geschaffenen Funktion sollte dem Unternehmen eine moderne Konzernstruktur verpasst werden; Stäheli hat den Auftrag verstanden und umgesetzt. Mit dem neuen Organigramm wurde auch die vormals dominante Stellung der Publizistik zurückgestutzt: War früher der NZZ-Chefredaktor auch Vorsitzender der Geschäftsleitung, so trägt nun der CEO diese Verantwortung. Der Umbau der Leitungsstruktur ist auch der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der NZZ Mediengruppe geschuldet, die Stäheli weiter vorangetrieben hat.
Vor seiner Zeit bei der NZZ hatte Stäheli fast 30 Jahre lang in leitender Funktion bei Espace Media in Bern (früher BTM) unter Patron Charles von Graffenried gearbeitet. Nachdem Tamedia das Berner Medienhaus übernommen hatte, wechselte er für ein paar Monate in die Unternehmensleitung der Zürcher, ehe er am 1. Oktober 2008 die Stelle als CEO der NZZ Mediengruppe antrat. Am kommenden 1. September übergibt Stäheli die Geschäfte seinen Nachfolger Veit Dengler. Sein Vertrag läuft aber noch bis Ende 2014. In dieser Zeit wird sich Stäheli um den Aufbau der Eigenvermarktung kümmern. Per Anfang 2015 trennt sich die NZZ von der Publigroupe und nimmt die Vermarktung von Werberaum wieder in eigene Hände.
Zum Gespräch empfängt Albert P. Stäheli die MEDIENWOCHE am letzten Montag in seinem Chefbüro im vierten Stock des NZZ-Hauptgebäudes an der Falkenstrasse 11. Auch wenn er es selbst nicht richtig zugeben mag, meint man bei ihm eine gewisse für ihn eher untypische Lockerheit wahrzunehmen – was wohl auch daher rührt, dass der 64-Jährige in wenigen Wochen seinen letzten leitenden Posten nach einer über 30-jährigen Karriere verlassen wird.
MEDIENWOCHE: Axel Springer verkauft seine Regionalzeitungen, die New York Times verschachert den Boston Globe und Jeff Bezos kauft die Washington Post. Alles innerhalb einer Woche. Was geht da vor sich?
Albert P. Stäheli: Das sind die Symptome des Strukturwandels. Alles läuft gegen das Papier und gewisse Leute verlieren deswegen den Kopf. Aber Qualitätsjournalismus hat trotzdem eine Zukunft, nur halt in anderen Formen. Mit der Marke Washington Post wird auch digital ein Geschäft zu machen sein. Das sieht offenbar auch Jeff Bezos so. Jetzt wartet die ganze Branche gespannt, was ein Digitalunternehmer mit einem solchen Fossil anstellt. Wenn Bezos Rezepte findet, die man kopieren kann, wird das natürlich weltweit ausstrahlen. Aber Wunder sind kaum zu erwarten.
Sind Sie angesichts solcher Meldungen froh, dass Sie in absehbarer Zeit in den Ruhestand treten?
Ja, ja, ich habe mich rechtzeitig in die Rente retten können. (lacht)
Haben Sie als CEO der NZZ erreicht, was Sie wollten?
Ich habe mir kein konkretes Ziel gesetzt für meine Amtsdauer als CEO. In einer Phase mit so starkem Wandel braucht es eine gewisse Flexibilität. Das wäre überdies bei vier Verwaltungsratspräsidenten in meiner Amtszeit auch gar nicht anders machbar gewesen. Natürlich setzte ich mir Etappenziele. Einfach gesagt: zuerst aus den roten Zahlen kommen und dann den digitalen Aufbruch forcieren. Der Auftrag des damaligen Präsidenten, Conrad Meyer, war klar: Die NZZ ist nicht mehr rentabel, sie verliert Geld und beginnt von der Substanz zu leben, das muss korrigiert werden.
Es brauchte heftige Massnahmen und Einschnitte.
Ihren Einstand gaben Sie 2008 als Sparer und Sanierer mit einem für NZZ-Verhältnisse happigen Stellenabbau.
Das war schwieriger als ich mir das vorher vorgestellt hatte. Es brauchte heftige Massnahmen und Einschnitte. Ausserdem habe ich die Unternehmensleitung und die Verwaltungsräte der Tochtergesellschaften neu strukturiert, Konzernführungsstruktur eingeführt, das ganze Unternehmen verschlankt und in eine integrierte Verlagsgruppe umgebaut.
Für den Stellenabbau ernteten Sie Kritik und standen auch als Person im Schussfeld.
Diese Kritik muss man aus der damaligen Situation heraus verstehen. Und die war nicht angenehm. Heute stehen wir wieder als gesundes Unternehmen da. Darum trifft mich solche Kritik nicht oder nicht mehr. Denn ich habe als CEO die Rahmenbedingungen zu gestalten, damit die Redaktionen ihre wichtige Funktion gut wahrnehmen können, und zwar mit den besten Leuten der Branche. Ich bin nicht der Chirurg, ich bin der Spitaldirektor. Wenn ich meine Rolle so definiere, habe ich kein Problem damit, wenn man mich kritisiert.
Nach dem Abbau kam ein Neuaufbau. Wie sind Sie vorgegangen?
Mir war von Anfang an klar, was zu tun sein würde. In einer Strategie für die ganze Mediengruppe haben wir die entscheidenden Fragen ausformuliert: Was erfordert der Strukturwandel für das Kerngeschäft der Publizistik und die anderen Geschäftsbereiche? Wie sehen mögliche Zukunftsszenarien aus? Danach folgten die Entscheide zur Paywall von NZZ.ch, die ersten strategischen Akquisitionen mit dem Engagement bei Adwebster oder dem Einstieg ins Konferenzgeschäft mit der Mehrheitsbeteiligung am Swiss Economic Forum. Erst letzte Woche haben wir zusammen mit einem Technologie-Partner die Finanzmanagement-Plattform Qontis gegründet. Das sind alles erfolgsversprechende und gute Investitionen in neue Geschäftsaktivitäten.
Das ist Neuland für die NZZ. Die neue Unternehmenskultur muss sich erst noch richtig entwickeln.
Und was bringt das?
Die Idee ist ja, dass wir uns als Unternehmen breiter abstützen und nicht allein auf den Printbeinen stehen bleiben. Der Medienwandel zwingt uns, mutig, aber nicht übermütig, Schritte in neue Gebiete zu machen; eine Kultur zu entwickeln, die Experimentieren und damit verbunden auch Scheitern zulässt, also die Bereitschaft, das Risiko einer Fehlinvestition zu akzeptieren. In diesem Sinne erscheinen die erwähnten Investitionen als gute Investitionen. Wir haben aber auch Abschreiber hinnehmen müssen. Beim Engagement in die Ausbildungsplattform glubal.com in Berlin mussten wir den Stecker ziehen. Das ist Neuland für die NZZ. Die neue Unternehmenskultur muss sich erst noch richtig entwickeln.
Sie haben die NZZ-Mediengruppe zu einem Gemischtwarenladen umgebaut. Damit verwässern Sie den publizistischen Markenkern.
Die Publizistik steht absolut zuoberst in der ganzen Gruppe. Wir wollen und müssen dem statutarischen Auftrag entsprechend eine gesellschaftspolitische Rolle spielen. Das muss aber auch finanziert werden können. Damit das im digitalen Wandel möglich bleibt, gibt es nichts anderes, als das Unternehmen breiter abzustützen. Dafür gibt es aber keine Rezepte aus der Schublade. Wir müssen Gelegenheiten nutzen und experimentieren. Deshalb müssen wir einen ganzen Strauss an Massnahmen und Investitionen treffen und schauen, wie sich die einzelnen Pflänzlein entwickeln. Vielleicht entwickelt sich daraus ein neues Standbein, vielleicht stirbt es ab. Wichtig ist, dass die Risiken zu unseren Proportionen passen. Und da kann ich sagen, dass wir heute bei der NZZ-Mediengruppe wieder über mehr Spielraum verfügen als auch schon.
Das heisst dann auch, dass neue, lukrative Geschäftsfelder die schwächelnde Publizistik quersubventionieren.
Eine Quersubventionierung ist in unserer Strategie im Prinzip nicht vorgesehen, wird aber im Verwaltungsrat immer mal wieder zur Diskussion gestellt, weil man sich des dramatischen Wandels der Geschäftsmodelle natürlich voll bewusst ist. Eine Zeitung mit einer liberalen Wirtschaftsauffassung und einer liberal-bürgerlichen Mission muss es aber aus eigener Kraft schaffen, sich auf dem freien Markt zu refinanzieren.
Eine Quersubventionierung fände aber innerhalb des Unternehmens statt. Wir sprechen nicht von Fremdmitteln.
Es ist einfach so, dass jeder Teil des Unternehmens seinen Beitrag zum Gruppenergebnis leisten muss. Ich glaube nicht, dass unsere Redaktionen Freude hätten, in einem Unternehmen zu arbeiten, das quersubventioniert wird und gleichzeitig einem liberalen Gesellschaftsmodell verpflichtet ist.
Unser Credo heisst Eigenverantwortung und Bestand im Wettbewerb.
Das NZZ-Credo lautet also: Die Publizistik muss selbsttragend sein.
Nein, das Credo heisst Eigenverantwortung und Bestand im Wettbewerb. Das war bis jetzt auf jeden Fall so. Natürlich kann es auch Übergangsphasen geben, dass zwei, drei Jahren lang die publizistische Mission finanziell gestützt werden muss. Aber auf lange Sicht muss es möglich sein, dass sie sich wirtschaftlich selber trägt. Wir haben heute auch wieder die Mittel, um solche schwächeren Phasen zu überbrücken und ins Kerngeschäft zu investieren. Es soll nicht sein, dass wir bei der Publizistik Leistungen abbauen, nur um kurzfristige Renditeziele zu erreichen. Wir sind der Überzeugung, dass sich Qualität letztlich auszahlt, auch im Online-Journalismus.
In der Diskussion sind gegenwärtig auch Fördermodelle mit öffentlichen Mitteln für Print und Online.
Das wäre eine gesellschaftspolitische Katastrophe. Soweit darf es in der Schweiz nicht kommen. Wenn wir es nicht schaffen, eine Medienlandschaft zu erhalten, die von der Politik unabhängig funktionsfähig ist, wäre das ein Armutszeugnis für unsere stolze Demokratie. Das hiesse ja, die Gesellschaft misst der freien, privatwirtschaftlich betriebenen Informationsleistung kein genügendes Gewicht mehr bei.
Eine ihrer Maximen war es, mit weniger Ressourcen die besseren publizistischen Leistungen zu erbringen. Haben Sie bei der NZZ diesen Anspruch eingelöst?
Ich finde, die Publizistik der NZZ befindet sich weiterhin auf Top-Niveau, was nicht heisst, dass sie nicht noch besser werden könnte. In dem Punkt hat sich die Publizistik nicht zum Schlechteren gewendet, auch wenn wir heute mit deutlich weniger Mittel auskommen müssen als noch vor fünf, sechs Jahren. Es ist durchaus so, dass man auch im Journalismus die Produktivität steigern kann. Weshalb sollte dieser Bereich ausgenommen bleiben, wenn alle anderen entsprechende Fortschritte realisieren?
Was ist für Sie Qualität im Journalismus?
Das ist der berühmte Pudding, den man an die Wand nageln möchte. Wir definieren die Qualität so, dass wir den allerhöchsten Ansprüchen der Leserschaft mit unserem Journalismus genügen wollen, faktengetreu, sachlich, mit bester Dossierkenntnis und zwar in einem Ausmass, wie das in anderen Häusern kaum mehr der Fall ist. Der NZZ-Journalist kennt sein Themengebiet so gut, wie sein Gegenüber. Dass das wirklich so ist, erfahre ich immer wieder im Gespräch mit bedeutenden Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Geschäfts- und Gesellschaftsbereichen.
Wir sind dynamischer geworden, ohne die Tradition zu verraten.
Steht die Tradition dem Geschäftserfolg der NZZ manchmal im Weg?
Tradition hat Vor- und Nachteile. Schwierig wird es, wenn schnelle Entscheide gefällt werden müssen, überhaupt bei Veränderungen. Hier zeigt sich die Tradition als Hemmschuh. Der Druck zum Handeln muss bei uns sicher grösser sein als in anderen Unternehmen. In den letzten fünf Jahren hat sich aber schon etwas geändert. Wir sind dynamischer geworden, ohne die Tradition zu verraten. Und unter dem Druck des digitalen Wandels wird sich das automatisch weiter dynamisieren. Die NZZ geht sicher nicht ins Museum.
Der neue Präsident des NZZ-Verwaltungsrats kommt aus der Pharmabranche. Was bringt das einem traditionsreichen, konservativen Medienhaus?
Das Unternehmerische, die Bereitschaft kalkulierte Risiken einzugehen, Investitionen zu tätigen, die zwar auf vernünftigen Businessplänen basieren, aber eben mit gewissen Risiken behaftet sind. Das gab es bisher so nicht. Das war alles viel politischer. In der alten NZZ-Kultur hiess es abwägen, abwägen und nochmals abwägen und dann doch lieber nichts tun. So hat man beispielsweise den Einstieg in sämtliche Online-Rubrikenmärkte verpasst. Alles lag auf dem Serviertablett bereit, aber vor lauter Vorsicht machte man am Schluss gar nichts. Das wird sich ändern müssen.
Jetzt aber geht es vorwärts. Ein Zeichen dafür ist die Onlinestrategie. Die NZZ hat hier schon Schritte gemacht, die in anderen Medienhäusern erst noch bevorstehen.
Da haben wir die Kurve gut gekriegt, weil wir in kleinen Schritten vorangegangen sind. Wir haben frühzeitig auf die veränderten Lesegewohnheiten reagiert, indem wir die Zeitung auch auf dem iPad anboten und unsere Leserschaft mit dem E-Paper vertraut machten. Das Abonnentengeschäft ist für uns das Wichtigste, was wir haben. Man muss sich das bewusst sein: Unsere Kunden geben uns Geld im Voraus und wir dürfen die Leistung hinterher liefern. Dieses Vertrauen und diese Loyalität sind enorm.
Ein viel diskutiertes Element der Onlinestrategie ist die Paywall im Web. Wieso hat die NZZ nicht auf ein reines Reichweitenmodell gesetzt mit der gut eingeführten Marke NZZ Online?
Wir können die Kompetenz unserer Journalisten und Journalistinnen nicht auf dem einen Kanal für teures Geld verkaufen und auf dem anderen stellen wir sie gratis zu Verfügung. Diese Überlegung führte einerseits zu einer konvergenten Redaktionsorganisation, andererseits zur Paywall. Wir haben aber keine überrissenen Erwartungen. Wenn die Paywall dereinst zwei bis drei Prozent an Direkteinnahmen generiertm wären wir schon sehr glücklich. Wir waren uns immer bewusst, dass die Paywall alleine nicht alle Probleme im Online-Nutzermarkt lösen würde.
Wieso der riesige Aufwand mit der Paywall, wenn sie fast nichts bringt?
Damit wollen wir das Abonnement aufwerten. Aus der Paywall heraus generieren wir Abonnemente, sowohl elektronische aber auch kombiniert mit der Zeitung. Strategisch war die Paywall ein Entscheid ohne Alternativen. Sonst hätte man die eigenständige Online-Redaktion weiter ausbauen müssen. Der Verwaltungsrat wollte aber den Qualitätsanspruch, den die NZZ bisher auf Papier erbracht hat, auch online einlösen – koste es, was es wolle.
Per 1. Oktober geben Sie ihr Amt als CEO ab. Ihr Nachfolger kommt aus der neuen Wirtschaft, hat zuletzt bei einem Schnäppchenportal gearbeitet. Wo erwarten Sie Kontinuität, wo gibt es Veränderungen?
Den NZZ-Stallgeruch wird Veit Dengler schnell annehmen, dagegen kann man sich kaum wehren. Er kennt aber die neue digitale Welt wohl besser als ich und weiss, wie man sich unternehmerisch auf unsicherem Terrain bewegt. Zusammen mit dem neuen Verwaltungsratspräsidenten bringt er die Erfahrung mit, Innovationen im Kerngeschäft und Investitionen in neue Aktivitäten mutig anzugehen. Das ist eine gute Voraussetzung für den weiteren Bestand der NZZ-Mediengruppe und der Institution NZZ.