Die MEDIENWOCHE ist ein digitales Magazin für Medien, Journalismus, Kommunikation & Marketing. Die Redaktion beobachtet und begleitet publizistisch die Entwicklung der Branche in der Schweiz, verfolgt aber auch internationale Trends. Neben den redaktionellen Eigenleistungen bietet die MEDIENWOCHE mit dem «Medienmonitor» (zweimal wöchentlich) und der wochentäglichen Rubrik «Auf dem Radar» Lektüreempfehlungen aus nationalen und internationalen Medien.
Netflix, Spotify und jetzt auch Kindle Unlimited: Die All-you-can-eat-Kultur der Streaming-Dienste gilt als neue Krankheit des Internets. Dabei belohnen Flatrates Qualität und bieten dem Kunden, was er wirklich sehen, hören und lesen will.
Wie die Zeitung steht auch das Buch für die sich zu Ende neigende Epoche gedruckter Medien. Doch im Netz erleben Bücher eine Renaissance. Die sogenannten Booktuber, meist jüngere Frauen, die ihre Lektüre auf Youtube vorstellen, erfreuen sich grossen Zulaufs, wie Matthias Zehnder beobachtet. Sechs davon stellt Zehnder in seinem Blog kurz vor, darunter mit dem Prädikat «empfehlenswert» die 27-jährige Freiburgerin Margaud Quartenoud: «Sie erzählt in ihren Videos von ihren Leseerfahrungen, dies aber zuweilen auf sehr journalistische Art und Weise. Eines ihrer letzten Videos handelt vom möglichen Eintritt von Amazon in die Schweiz und den Folgen für den Buchmarkt. Sie spricht ein gut verständliches Französisch.»
In der Schweiz gibt es eine neue Buchreihe, die sich die Möglichkeiten und Vorteile der digitalen Produktion zu eigen macht. Die «Essais Agités», so der Name der Edition, veröffentlichen Essays zu aktuellen Themen in gedruckter Buchform. Um den Preis tief zu halten, wird beim Layout gespart. «Der ganze Herstellungsprozess der Bücher ist automatisiert», erklärt Projektleiter Beat Mazenauer. Ausserdem besteht die Möglichkeit, dass die Autorinnen und Autoren ihre Texte mit wenig Aufwand in einer aktualisierten und ergänzten Form neu veröffentlichen. So können zum Beispiel Reaktionen auf das Buch in einer weiteren Ausgabe bereits berücksichtig werden. «Meines Wissens ist dieser Workflow derzeit einzigartig», sagt Mazenauer.
Mit Inge Feltrinelli ist eine der prägenden Figuren der italienischen Literaturlandschaft im Alter von 87 Jahren verstorben. Die FAZ nennt sie in ihrem Nachruf «die letzte Königin der Verlagswelt». Die gebürtige Deutsche arbeitete in den 1950er-Jahren erfolgreich als Fotoreporterin mit Einsätzen rund um den Erdball. So porträtierte sie unter anderem Politiker von Fidel Castro bis John F. Kennedy, aber auch Geistesgrössen und Künstler wie Simone de Beauvoir oder Marc Chagall. 1958 lernte sie den italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli kennen, der mit einem Millionenerbe einen Verlag aufgebaut hatte. Nach dem Tod ihres politisch radikalisierten Ehemanns 1972 bei einem mutmasslichen Anschlagsversuch auf einen Hochspannungsmast nahe Mailand, übernahm Inge Feltrinelli die Geschicke des Verlags. Sie leitete das Unternehmen bis 1998. Danach übergab sie das Geschäft ihrem Sohn, blieb aber bis zu ihrem Tod Präsidentin des renommierten Verlagshauses.
Alt trifft neu: Die New York Public Library bewirbt Buchklassiker mit aufwändig gestalteten Instagram-Storys. Dazu hat sie die Textausgabe mit animierten Grafiken angereichert und online gestellt. Der Nutzer kann so das ganze Buch am Smartphone lesen oder auch nur durch die Grafiken klicken. Zu den ersten Titeln, die als #InstaNovels produziert wurden, gehören «Alice im Wunderland» von Lewis Carroll und «Die Verwandlung» von Franz Kafka. Die Agentur, die das Projekt umgesetzt hat, findet Instagram eine passende Plattform für Bücher: «Instagram schuf unwissentlich das perfekte Bücherregal für diese neue Art von Online-Romanen. Vom Umblättern der Seiten bis hin zur Daumenhaltung beim Lesen ist die Erfahrung bereits unverkennbar wie das Lesen eines Taschenbuchromans.»
Die Süddeutsche Zeitung nennt das neue Buch von Thilo Sarrazin das «verlegerische Unglück» des Jahres. Das meint Rezensentin Sonja Zekri vor allem mit Blick auf den Umgang Sarrazins mit den Fakten. Beispiel: Die islamische Welt kenne bis ins 20. Jahrhundert weder Literatur noch planvollen Städtebau, behauptet Sarrazin: «Eine eigenständige islamische Baukultur hat sich nie entwickelt.» Könnte man für solchen Unsinn ein lebenslanges Zutrittsverbot der Alhambra verhängen, es wäre mehr als verdient, kommentiert Zekri. Das sei vor allem für all jene Leserinnen und Leser ein Problem, die meinen, sich mit dem Buch kritisch informieren zu können.
Klingt eigentlich einfach, erweist sich in der Praxis aber als umständlich und kompliziert: Bibliotheken bieten vermehrt elektronische Bücher zur digitalen Ausleihe an, auch bekannt als «Onleihe». Eine erste Hürde stellt die Software dar. Die Nutzung der e-Books erfordert die Installation einer datenhungrigen Plattform von Adobe. Damit soll sichergestellt werden, dass nur die dazu berechtigten Personen das Buch ausleihen können. Das sei ein Problem, findet Arne Cypionka, der sich das System für Netzpolitik.org genauer angeschaut hat: «Diejenigen, die Bücher rechtmässig ausleihen, werden vor grössere Schwierigkeiten gestellt als solche, die die e-Books unrechtmässig herunterladen.»
Eine Studie des Deutschen Buchhandels sorgt für Aufregung. Auf den ersten Blick sehen die Befunde dramatisch aus: Innert vier Jahren sechs Millionen Käufer weniger! «Waren es 2012 noch 36,9 Millionen, die mindestens ein Buch im Jahr gekauft haben, waren es 2016 nur noch 30,8 Millionen. Im ersten Halbjahr 2017 kauften noch mal 600’000 Personen mehr kein Buch», zitiert Tages-Anzeiger Kulturchef Martin Ebel die zentralen Befunde. Vergleichbare Zahlen für die Schweiz gibt es keine. Doch das Bild ist differenzierter als es die nackten Zahlen vermuten lassen würden, wie Ebel im Gespräch mit den Verlagen erfährt. Grundsätzlich läuft es heute so, dass der allgemeine Rückgang mit einzelnen Spitzentiteln kompensieren kann. «Es geht kontinuierlich zurück, nicht disruptiv wie im Musikgeschäft», wird Jo Lendle vom Münchner Hanser Verlag zitiert.