von Michael Ziesmann

Der Vermittler verliert seine Aufgabe

Bis heute spielen sie eine zentrale Rolle im Mediengeschäft: Im Auftrag von Grosskunden platzieren Mediaagenturen deren Werbung in den Medien. Für den Vermittlerdienst kassieren sie gutes Geld. Doch ihr Geschäft ist nicht unumstritten. So gilt es als parasitär und zunehmend überflüssig. Eine 150-jährige Geschichte neigt sich dem Ende zu.

Die Vorläufer der heutigen Werbeagenturen vermittelten bereits im 19. Jahrhundert Schaltungen von Annoncen zwischen Zeitungen und Werbeauftraggebern. Im anglo-amerikanischen Raum, aber auch in Frankreich und Preussen entstanden Insertionsagenturen. Diese sammelten Inserate werbungtreibender Unternehmen und vermittelten diese an Zeitungen. Dafür kassierten sie von den Zeitungen eine Vermittlungsprovision. Es entstand die sogenannte Annoncen-Expedition, ein Begriff, der bis heute noch als «AE» gebräuchlich ist.

Die weitere Industrialisierung führte zu einem Boom von Zeitungen und den Inseraten darin. Insertionsagenturen berieten ihre Kunden nun auch bezüglich der Gestaltung und Platzierung von Annoncen. Eine Frühform der Werbeagentur war entstanden. Werbekunden zahlten ursprünglich nicht für die Arbeit der Werbeagenturen. Sie zahlten für das Erscheinen ihrer Anzeigen in Zeitungen. Die Werbeagenturen wurden von den Zeitungen bezahlt – und zwar in Form einer Vermittlungsprovision in Höhe von 15 Prozent auf den Insertionspreis.

1920 entstanden sogenannte Advertising Service Agencies, die aus den Werbeabteilungen von Werbekunden ausgegliedert wurden. So zum Beispiel aus dem Unternehmen (Uni-)Lever die «Lever International Advertising Service» – kurz Lintas. Oder auch McCann Erickson, Grey und J. Walter Thompson. Heute zählen viele Werbeagenturen zu Holdings wie Omnicom, WPP, Dentsu und Publicis.

Erst 1968 wurde die erste eigenständige Mediaagentur in Frankreich gegründet. Die «Centrale d´Achats Radio, Affichage, Télévision» – kurz Carat. 1972 gründete ein früherer Mitarbeiter der Werbeagentur Lintas eine erste Mediaagentur in Deutschland, die Hiemstra Media Service (HMS), die später zur HMS Carat zusammengeführt wurde. 1986 erkannte auch die Werbeagentur Grey nach der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland das Potential einer Mediaagentur als eigenständiges Profitcenter. Die Mediaabteilung der Werbeagentur Grey wurde ausgelagert und ist seitdem als Mediacom bekannt. Seit den 1990er Jahren folgten eine Vielzahl inhabergeführter Mediaagenturen wie beispielsweise die Zürcher Media Schneider.

Durch eine Vielzahl von Konsolidierungen erfolgte Wachstum vor allem durch Marktkonzentration. Heute kontrollieren sechs Mediaagentur-Gruppen den Grossteil des Marktes der Mediaagenturen. Omnicom, GroupM, Interpublic Group, VivaKi, Dentsu Aegis und Havas Media errichteten ihrerseits immer weitere Agenturmarken, um mehrere Unternehmen eines Produktsegments betreuen zu können. So zählen zur GroupM des Werbekonzerns WPP sogar vier Agenturmarken, nämlich Mediacom, Mindshare, Mediaedge und Maxus. Aber auch Omnicom führt mit OMD und PHD ebenso zwei Agenturmarken wie Carat und Vizeum bei Dentsu Aegis.

In der Schweiz zählt der Branchenverband «BSW Leading Swiss Agencies» 14 Mediaagenturen. Auch die «Media Research Group» trägt Daten über Mediaagenturen in der Schweiz zusammen. Deren Zahlen zeigen, dass eine Viertel der Werbefranken, die über eine Mediaagentur zu den Medienanbietern fliessen, bei einem Tochterunternehmen der international tätigen Agentur GroupM zu Buche schlägt.  Mit einem Marktanteil von 15 Prozent folgen in der Schweiz die Agenturen der Omnicom Media Group.

Im internationalen Vergleich ist der Marktanteil von inhabergeführten Mediaagenturen in der Schweiz besonders hoch. Im Ranking der einzelnen Mediaagenturen folgt die Zürcher Media Schneider bereits an dritter Position direkt nach Mediacom und OMD. Anders als in Deutschland und Österreich ist in der Schweiz der Anteil der Werbegelder besonders hoch, die ohne Vermittlung einer Mediaagentur von Werbeauftraggebern direkt zu den Medienanbietern fliessen.

Hier wird eine grösser werdende Problemlage der Mediaagenturen sichtbar. Denn Mediaagenturen reichen die 15 Prozent Annoncen-Expedition (AE) an ihre Werbekunden weiter, um damit einen monetären Anreiz für die Beauftragung durch Werbekunden zu setzen. Stattdessen finanzieren sich Mediaagenturen heute über andere Formen von Rabatten und Rückvergütungen, sogenannte Kickbacks, die den Werbeauftraggebern kaum transparent gemacht werden. Jedoch hat der Strukturwandel bei den Medienanbietern dazu geführt, dass sich die Preisbildung ändert. Der Rabatt ist tot. Und damit das Geschäftsmodell, das auf Bündelung von Einkaufsvolumen aufbaut.

Es gibt kaum einen monetären Vorteil mehr für Werbeauftraggeber, den sie nicht auch ohne eine Mediaagentur direkt bei den Medienanbietern erhalten würden. Ähnlich wie Buchungsplattformen für Hotels und Reisen im Internet den direkten Zugang zu bestmöglichen Preisen der Anbieter ermöglichen – und damit Reisebüros in vielen Fällen entbehrlich machen – haben auch Mediaagenturen ein ähnliches strukturelles Problem – es braucht sie nicht mehr So werden Preise in programmatischen Modellen («programmatic buying») in Auktionen festgesetzt. Die Bündelung von Einkaufsvolumen wird bestraft, weil mehr vom Gleichen auch mehr kostet. Anbieter wie Google, Facebook oder Netflix gehen ganz bewusst direkt auf Werbeauftraggeber und Werbeagenturen zu.

Diese Entwicklung stellt das Geschäftsmodell Mediaagentur vor grundlegende Herausforderungen. Deshalb wurde jüngst beim «Festival of Media» besonders intensiv über die Zukunft der Mediaagenturen diskutiert. So seien Mediaagenturen bereits heute keine Agenturen mehr und die Mediaagentur Mediacom nennt sich nicht mehr Mediaagentur sondern sieht sich als «Content and Connections Agency». In den vergangenen Monaten wurden Richtungsentscheidungen und deren Folgen für die Marktteilnehmer kontrovers diskutiert.

Lesen Sie mehr dazu im zweiten Teil dieser Media-Kolumne.

Leserbeiträge

Ueli Custer 08. Juni 2015, 16:41

Es ist etwas gewagt, die Geschäftsmodelle von deutschen und schweizerischen Mediaagenturen in den gleichen Topf zu werfen. Denn im Gegensatz zu Deutschland (oder auch Frankreich) kaufen schweizerische Mediaagenturen nicht auf eigene Rechnung ein sondern im Auftrag ihrer Kunden. Sie stellen damit einfach eine ausgelagerte Mediaabteilung dar, die dank ihrem grossen Volumen vor allem viel Know-how bündeln kann.

Michael Ziesmann 08. Juni 2015, 17:06

Lieber Herr Custer,

danke für Ihren Beitrag. Die Unterschiede werden in den weiteren Beiträgen noch herausgearbeitet werden. Denn trotz leicht anderer Struktur gibt es auch in der Schweiz Mittel und Wege, um Buchungsvolumen zu prämieren.

Jedoch sind auch in Deutschland Mediaagenturen Beauftragte der Werbekunden mit Geschäftsbesorgungsverträgen. Ob auf eigene Rechnung oder fremde Rechnung macht kaum einen Unterschied – wenn es im Sinne von Art. 400 OR in der Schweiz und § 667 BGB in Deutschland auf einem Geschäftsbesorgungsvertrag basiert. Wesentlich ist, dass die gebündelten Volumina nicht das Geld der Agentur wird – im Gegensatz zu Banken.

90% der Mediaagenturen haben ihren Sitz in London, Paris oder New York. Daher habe ich mit wenigen Ausnahmen ein Problem mit der Bezeichnung „deutsche und schweizerische Mediaagenturen“.

Lahor Jakrlin 09. Juni 2015, 08:58

Problematisch, aber für hohe Reichweiten nicht ersetzbar

Media-Agenturen sind eine (unverzichtbare) Plage, denn bei hohen und insbesondere nationalen Anzeigen- bzw. Schaltungs-Budgets kommt die Mediaabteilung einer Schweizer Werbeagentur ohne hohes Spezialisten-Know-how nicht weit. Media-Agenturen, ich arbeite sehr gerne mit Mediatonic/Medianima zusammen, vereinigen ein hohes Know-how zum Gesamtpaket (TV/Kino/Radio/Plakatierung/Print/Social media), die BeraterInnen sind meist bestens mit den Anbietern vernetzt und generieren mit geschickten Media-Mix‘ eigentlich immer die höheren Reichweiten als es die Halbprofis der Mediaabteilungen der Werbeagenturen und erst recht die Werbeassis auf Kundenseite täten.
Die Kosten halten sich dabei in Grenzen: 20-30 % des Beratungshonorars (also ca. 3 – 5 % des Budgets), sind gerechtfertigt.

Wer ergo für Automarken, Versicherungen, Banken, Kosmetik und Verbäne und Parteien wirbt, ist mir Media-Agenturen gut bedient.

Einzig regional aktive KMU und grosse Konzerne mit ausgebildeten und langjährig erfahrenen Media-SpezialistInnen können es sich heute leisten, auf die Kompetenz von Media-Agenturen zu verzichten.

Michael M. Maurantonio 10. Juni 2015, 18:52

Oh je, es wird weiterhin der Begriff „Kick-backs“ genutzt…

Bitte beachten Sie folgende Unterschiede zum Ausland , ehe Sie CH Mediagenturen etwas unterstellen wollen
– Agent vs. Principal: Wie Ueli Custer schon sagt, AVBs müssen dem Auftraggeber zurückerstattet werden. In meiner Karriere als Berater habe ich verscheidene intl. Audits durchgemacht und es wurden nie Unstimmigkeiten festegestellt. Und auch als Auditor konnte ich nie einen „Bschiss“ ausfindig machen, und man kennt mich als Control-Freak…
– AG vs. GmbH: Sie sprechen den Sitz der Agenturen an. Selbstverständlich ist das HQ meist in London, Paris oder NY, aber in der Schweiz sind sog. Netzwerkagenturen meines Wissens allesamt AGs, die nach geltendem und strengem CH Aktienrecht geprüft werden.

Und nun zum Kern der Story: ja, Mediaagenturen befinden sich im Umbruch. Full service, von Strategie, Kreativität, Buying, über Controlling & Reporting muss alles angeboten werden. Will man alle Bereiche mit Profis abdecken und damit alle Kundenbedürfnisse zu 100% erfüllen, müsste die Mediaagentur Service Fees wie eine Private-Client Bank verlangen. Wir wissen aber alle, dass v.a. grosse Auftraggeber gerne den Preis drücken. Wer top Service verlangt, muss auch bereit sein für top Service zu bezahlen. Finden Sie nicht auch? In einer von mir 2011/2012 durchgeführten Umfrage bei Auftraggebern kam heraus, dass der Auftraggeber sich dessen bewusst ist, er es aber immer noch versucht, weil es sich so eingebürgert hat. Ich habe immer zu sog. 0% oder Status-Kunden nein gesagt, denn ein Unternehmer, der mit seinem eigenen Geld agiert, weiss, wie man mit solchen Angeboten umgehen muss.

Die Mediagentur muss sich vielleicht ähnlich einer Grossbank überlegen, welche Bereiche sie voneinander trennt, bspw. financial controlling & reporting, und welche sie zukunftsorientiert ausbauen soll. Spezialisten statt Generalisten? Vielleicht.

Betreffend Mehrwert, den man mit einer Mediaagentur erzielen kann, überlasse ich es Ihrer Phantasie: falls Sie gerne an der Börse handeln, ohne eine Spur Know-how oder noch schlimmer mit viel Halbwissen zu besitzen, dann freut sich am Schluss nur einer, aber nicht Sie…

Die meisten meiner Berufskollegen (in oder ex Mediaagentur) haben zig Mia. CHF aus diversen Branchen eigenhändig auf mehreren Touchpoints, verschiedenen Zielgruppen und Perioden erfolgreich für ihre Kunden verwaltet, verplant, kontrolliert, nachgefasst etc. Eine Erfahrung, die sich kaum ein Werbeauftraggeber in-house aneignen oder leisten kann, wenn man bedenkt, wie komplex die mehrsprachige Schweizer Medienlandschaft ist.

Michael Ziesmann 10. Juni 2015, 19:13

Ein „Media-Audit“ ist der intransparente Vergleich vieler Ist-Zustände ohne Kenntnis des Soll-Zustandes aller Einkaufsvorteile, die in der Agenturgruppe von den Medien erlangt wurden. Denn genau dieser Soll-Zustand wird von den Mediaagentur-Gruppen verschwiegen. Für eine solche vollständige Auskunft mussten in Deutschland mehrere Werbekunden sogar klagen. Für eine Auskunft…

Da sich das Audit-Recht in fast allen fällen auf die kundenbetreuenden Teile der Mediaagentur-Gruppen beschränkt, und kein Audit-Recht in agenturseitig eingebundenen Einkaufsgesellschaft oder Trading-Desks gewährt wird, können Sie natürlich keinerlei „Unstimmigkeiten“ finden. Denn dort wo Sie gesucht haben, können gar keine sein – weil die wesentlichen Deals dort gar nicht mehr stattfinden, wo Sie gesucht haben.

Genau das ist ja der Punkt für den Aufschrei aus Amerika kommend:

http://adage.com/article/print-edition/ra-wave-media-reviews-partly-driven-rebate-debate/298827/

Michael Ziesmann 10. Juni 2015, 19:28

PS: Und ja – nicht ohje – der Begriff „Kickback“ wird weiter genutzt (ich bevorzuge stattdessen lieber Einkaufsvorteile weil das mehr umfasst als eher schlichte AVB´s) und thematisiert:

http://adage.com/article/agency-news/media-agency-kickbacks-real/297707/

Sie haben ja mal bei GroupM-Agenturen gearbeitet. Was meinen Sie denn zu dem was Ihr frühere Agenturkollege Jon Mandel sagte?

http://adexchanger.com/agencies/agency-rebate-tensions-explode-into-the-open-as-former-mediacom-ceo-decries-kickbacks/

Und wenn es kein Problem in der Schweiz geben würde, warum wurde der SWA aktiv? Aus Langeweile? Bereits 2008 (als Sie noch agenturseitig tätig waren) sagte der damalige Direktor des SWA, dass es im Schweizer Mediageschäft so undurchsichtig zugehen würde wie am Roulette-Tisch. Das verneinen Sie alles?