«Intelligent mitspielen, aber nicht auf jeden Zug aufspringen»
Zusammen mit NZZ-Chefredaktor Eric Gujer leitet Steven Neubauer (38) den Geschäftsbereich NZZ der gleichnamigen Mediengruppe. Damit trägt er die unternehmerische Verantwortung für das Filetstück des traditionsreichen Medienunternehmens. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE erläutert Neubauer die Strategie hinter den zahlreichen neu lancierten Publikationen und erklärt, wie und wo die NZZ mit Apple, Google und Facebook zusammenspannen will.
MEDIENWOCHE: Nahezu im Wochentakt bringt die NZZ ein neues Produkt auf den Markt. Wie lange geht das noch so weiter?
Steven Neubauer: In der gleichen Taktfrequenz geht es nicht unmittelbar weiter. Über das letzte halbe Jahr haben wir sehr viel in Angriff genommen mit den vier neuen Produkten NZZ.at, NZZ Geschichte, NZZ Selekt und NZZ Toolbox. Ganz wichtig war auch der Relaunch von NZZ.ch. Wir wollen uns auf jeden Fall weiterhin sehr schnell und agil weiterentwickeln.
Was folgt noch?
In der zweiten Jahreshälfte werden wir uns darauf konzentrieren, die neuen Produkte zu optimieren und auszubauen. Wir haben auch eine ganze Reihe zusätzlicher Produkte in der Pipeline. Was genau kann ich aber noch nicht sagen.
Die NZZ hat sowohl digitale als auch gedruckte Publikationen lanciert. Was findet auf welcher Plattform statt?
Ob Print oder Digital hängt sehr stark vom jeweiligen Produkt ab. Bei NZZ Geschichte haben wir ganz bewusst auf Papier gesetzt. Das Heft wirkt sehr stark, gerade durch das spezielle Format. Für die zweite Ausgabe werden wir auch eine digitale Version anbieten. Das wird ein klassisches E-Paper. Multimedia-Magazine funktionieren eigentlich nicht. Der Aufwand, den man investieren müsste, kann man am Markt nicht entsprechend monetarisieren. Tyler Brûlé hat mal gesagt, digitale Magazine funktionierten nur im Erotik-Bereich.
Wie funktioniert ein Nischenprodukt wie NZZ Geschichte kommerziell?
Eine Special-Interest-Publikation erreicht naturgemäss keine Riesenauflage und damit nur eine beschränkte Reichweite. Es kommt deshalb drauf an, welche Zielgruppe man angeht. NZZ Geschichte versteht sich als Premium-Produkt und ist daher attraktiv für den Werbemarkt. Der Fokus des Produkts liegt aber auf dem Erlös aus dem Lesermarkt.
Auch die junge Zielgruppe wollt ihr mit einer gedruckten Zeitungsbeilage ansprechen. Wieso erscheint NZZ-Toolbox auf Papier?
Es gibt Studien, die zeigen, dass man mit gedruckten Medien die junge Zielgruppe sehr gut erreicht. Mit Papier dringen wir besser durch als mit der 5000. App, die man einmal runterlädt und nie wieder anschaut. Da muss man schon sehr viel Geld in die Hand nehmen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Bei Toolbox steht zudem der Gedanke dahinter, dass Eltern oder Grosseltern die Zeitung lesen und dem Nachwuchs die Beilage weiterreichen. Eine gedruckte Ausgabe ermöglicht es uns zudem viel besser, mit Schulen zu kooperieren, denen wir ein physisches Produkt abgeben können und nicht nur einen Link oder ein Login.
Wann erfolgt der Relaunch der Neuen Zürcher Zeitung?
In den nächsten Monaten. Ich freue mich sehr darauf. Wir haben für diesen Relaunch viel mit unseren Lesern gesprochen und die Redaktion hat fantastische Arbeit geleistet.
Bereits überarbeitet wurde NZZ.ch Was haben Sie da gemacht?
Wir haben insbesondere im Hintergrund sehr viele Arbeiten umgesetzt und nicht nur die Oberfläche neu angemalt. So haben wir etwa eine komplett neue Aboverwaltungs- und Registrierungsplattform eingeführt. Dazu mussten wir über 300’000 bestehende Nutzerprofile migrieren, was uns ohne Fehler gelungen ist. Das ermöglicht uns zukünftig vielmehr Dienste mit einem einheitlichen Login anzubieten. Der NZZ-Kunde registriert sich einmal, egal auf welchem Dienst. Mit diesem Konto kann er sich dann auf unterschiedlichen Geräten für andere NZZ-Angebote einloggen.
Sie haben nach dem Relaunch gesagt, das sei erst der Anfang. Der Anfang wovon?
Es wird in der näheren Zukunft keine Relaunches mehr geben, sondern vielmehr eine kontinuierliche Produktentwicklung, bei welcher Redaktion, Technologie und Marketing eng zusammenarbeiten.
Gilt das auch für die gedruckte Zeitung?
Auch bei der Neuen Zürcher Zeitung nehmen wir laufend Verbesserungen vor. Aber Print bietet naturgemäss nicht ganz so viel Flexibilität. Ich gehe davon aus, dass es wieder einmal einen Relaunch der Neuen Zürcher Zeitung geben wird. Das ist aber nicht etwas, das man jedes Jahr macht.
Wie verändert das höhere Entwicklungstempo die Unternehmenskultur?
Natürlich färbt das ab und wir schaffen neue Vehikel in der Organisation, um Dinge schneller testen zu können. Wir arbeiten sehr stark mit gemischten Teams. So sitzen in der Redaktion beispielsweise Entwickler, einerseits für längerfristige Vorhaben, aber auch für schnelle Anpassungen. Wir sind zwar noch nicht auf einem Niveau der Washington Post, die einige Dutzend Entwickler in der Redaktion einsetzt. Aber wir wollen in diesem Bereich noch aktiver werden.
Kommen sich auch Verlag und Redaktion näher?
Wir sprechen viel miteinander, das muss auch so sein, wenn wir Produkte gemeinsam entwickeln. Was die NZZ aber weiterhin sehr hoch hält, ist die Unabhängigkeit der Redaktion und der gesamten Publizistik. Deshalb haben wir das auch in der neuen Dachmarkenkampagne gross geschrieben. Für Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit sind wir bereit, kurzfristig auf Einnahmen etwa in Form von Native Advertising zu verzichten. Langfristig dient das dem Werbemarkt, weil wir so ein hochwertiges, glaubwürdiges Umfeld schaffen.
Die Alternative zu Native Advertising sind aufdringliche Online-Banner.
Einer aufdringlichen Anzeige sieht man immerhin auf den ersten Blick an, dass es sich um Werbung handelt. Damit bleibt die Trennung gewahrt. Das ist extrem wichtig für unsere Marke.
Wenn sich die NZZ bei der Werbung selbst beschränkt, woher soll dann das Geld kommen?
Die Werbung ist eine wichtige Einnahmequelle. Wenn aber der Werbemarkt unter Druck gerät, müssen die Erlöse aus dem Lesermarkt eine grössere Rolle spielen in unserem Einnahmenmix. Wir müssen neue Kunden finden, die bereit sind, für unsere Produkte zu zahlen. Den bestehenden Kunden wollen wir zusätzlich Angebote machen, die ihnen einen Mehrwert bieten, für den sie bereit sind zu zahlen. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb wir neue Produkte auf den Markt bringen, die auf die Bedürfnisse spezifischer Zielgruppen zugeschnitten sind. Das ist auch für den Werbemarkt interessant.
Was sehen Sie im Online-Werbemarkt noch kommen?
Wir haben in der Schweiz beispielsweise noch gar nicht richtig angefangen, die Effekte von neuen Vermittlungsformen, etwa Programmatic Buying, im Markt zu sehen. Als NZZ haben wir aber weiterhin eine besondere Stellung, weil wir selbst für die klassischen Online-Werbeformate ein glaubwürdiges Umfeld bieten. Das werden wir noch eine ganze Weile aufrecht halten können.
Für die Verbreitung der Inhalte gewinnen zunehmend Plattformen von Technologieanbietern an Bedeutung. Facebook ködert die Medien mit «Instant Articles», Apple hat eine «News»-App angekündigt. Eine Chance auch für die NZZ?
In beiden Fällen lässt man sich mit grossen Spielern ein. Wenn Facebook irgendwann die Spielregeln ändert und zum Beispiel einen geringeren Anteil des Werbeerlöses an die Partner ausschüttet, muss man damit leben. Was ich aber sehr positiv finde an der ganzen Diskussion, ist der Fokus auf den Wert des Journalismus. In den Gesprächen mit solchen Anbietern merken wir auch, dass die um unsere Inhalte buhlen. Als Medien müssen wir intelligent und professionell mitspielen, wenn wir dabeisein wollen, aber auch nicht zu schnell auf jeden Zug aufspringen.
Die NZZ ist Teilnehmer der «Digital News Initiative» von Google. Da werden 150 Millionen Euro für Forschung und Innovation verteilt. Haben Sie bereits ein Gesuch eingereicht?
Die Initiative steckt noch in den Anfängen. Erste Bereiche wurden grob definiert. Die Vergabekriterien sind aber noch nicht bekannt. Sehr spannend fände ich beispielsweise eine Lösung, die es ermöglicht, den einzelnen Artikel mit Anweisungen zu versehen, wie er auf verschiedenen Plattformen ausgespielt werden soll. Gerade im Hinblick auf «Instant Articles» und Apple «News» würde eingrosser Zusatzaufwand auf uns zukommen, wenn wir die Inhalte für jede einzelne Plattform eigens aufbereiten müssten. Hilfreich wären da verbindliche Standards für Darstellungsanweisungen, die jede Plattform versteht.