Und plötzlich arbeitslos
Was es heisst, unerwartet die Stelle zu verlieren: Vor einem Jahr traf es unseren Kolumnisten, nachdem er den Chefredaktorenposten von Radio 1 verlassen hatte. Wie hat er die Zeit danach erlebt? Was half ihm, die Arbeitslosigkeit durchzuhalten? Und wie fand er schliesslich zum Schweizer ElternMagazin?
Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu ertragen, schrieb einst Immanuel Kant: die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.
Ich habe oft an diesen Satz denken müssen, als ich ohne Arbeit war. Die Hoffnung, der Schlaf, das Lachen – es sind die Dinge, die einem gerne mal abhanden kommen, wenn man arbeitslos ist. Ein Jahr ist das nun her. Die Erinnerung an diese Zeit hat sich in mir eingebrannt.
Ohne Arbeit. Ein relativer Begriff. Arbeit ist ja irgendwie immer, gerade als Vater von zwei kleinen Strolchen. Aber das zählt ja nicht, zumindest in Teilen der Gesellschaft. Gemessen wird man daran, was man beruflich macht. Wie viel Geld man verdient. Was man in seinem Job als Journalist bewegt.
Plötzlich ohne Arbeit. Ohne Aufgabe. Ohne Einkommen. Die Gefühle fahren Karussell. Frustration, Wut, weil man gescheitert ist, sich nutzlos fühlt; Selbstzweifel, weil man sich fragt, was habe ich falsch gemacht; Selbstmitleid, weil man denkt, die anderen sind schuld. Und schliesslich: Ohnmacht, Zukunftsangst.
Der letzte Gedanke am Abend, der erste Gedanke am morgen: wie geht es weiter. Ich schaue in die Mails, wieder nichts, keine Anfrage, keine Einladung zu einem Gespräch. Wen könnte ich noch anschreiben, wen anrufen? Ich will kein Mitleid. Nur ein bisschen Respekt. Ich habe 25 Jahre Berufserfahrung, habe grosse Titel verantwortet, Millionenbudgets verwaltet, Leute ausgebildet, habe einen Nobelpreisträger, den Dalai Lama und den ersten Mann auf dem Mond interviewt, aber was zählt das schon, wenn man in diesen Zeiten einen Job sucht, wo vor allem digitale Eingeborene gefragt sind.
Ich diszipliniere mich. Stehe um 6 Uhr auf. Frühstücke mit den Kindern, bringe sie in die Krippe, lasse mir meine Sorgen nicht anmerken. Die Kinder finden es toll, dass der Papi soviel Zeit hat, er arbeitet eben von zuhause aus, was ist schon dabei, er sitzt viel am Computer, am Telefon. Nicht wie andere Väter, die morgens früh weg sind und abends nach Hause kommen, wenn die Kinder schon schlafen.
Du musst unter die Leute, raten Freunde, aber was wissen die schon. Immer dieselben Fragen: Wo hast Du dich beworben? Was machst du jetzt? Hat sich die Redaktion, der Verlag schon gemeldet? Immer dieselben Tipps: Mach Dich doch selbstständig. Wechsele in die Kommunikation. Werde Hausmann! Und immer dieselben aufmunternden Worte: Also um Dich mach ich mir überhaupt gar keine Sorgen, Du mit Deinen Erfahrungen.
Aber ICH mach mir Sorgen, verdammt noch mal!
Dann eben Seitenwechsel. Kommunikationsbranche. Die brauchen doch Leute, die kommunizieren, schreiben, reden können. Kreative Köpfe, die strategisch denken, lange Arbeitstage locker wegstecken, sich mit schwierigen Mitarbeitern, Vorgesetzten, Kunden herumschlagen. Ich melde mich bei den zehn grössten Agenturen, schreibe pfiffige Bewerbungen und werde von den meisten sofort und herzlich empfangen. Geht es aber um einen konkreten Job, werden Brillenträger hinter ihren Schreibtischen einsilbig: Da ist grad kein Budget, da sind grad grosse Umstrukturierungen, das passt grad schlecht. Aber wir melden uns. Natürlich meldet sich niemand.
Zurück zum RAV. Das was mir da gegenüber sitzt, nennt sich Berater. Der Berater beschränkt sich darauf, sinnfreie Fragen zu stellen, endlos Formulare auszufüllen. Kein Blickkontakt, kein Interesse wie es mir geht, keine Empathie. Ich lege zwei Dutzend Nachweise über Gespräche und Bewerbungen auf den Tisch. Der Berater klatscht in die Hände und sagt – so Herr Niethammer, jetzt legen wir aber mal richtig los. Und dann sagt er diesen Satz, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde: „Sie bewerben sich ab sofort auf jede freie CEO-Stelle eines KMU.“ Wie, jetzt? Auf jede? Auch auf die Geschäftsführung einer Schraubenfabrik?“ „Ja, auch auf die! “
Das Resultat überrascht so wenig wie die Tatsache, dass am Morgen die Sonne aufgeht. Ich erhalte ausschliesslich Absagen, kübelweise. Wahlweise bin ich überqualifiziert, unterqualifiziert, zu alt (immerhin wählen die Personalberater die weniger harte Formulierung „Wir haben uns für einen jüngeren Bewerber entschieden“), zu teuer.
Dann also muss es ein Headhunter richten. Ein eigenes Volk, diese Kopfjäger. Sie arbeiten nach dem Prinzip Hoffnung. Einer sagt; lassen Sie das für mich regeln, dann schwafelt er etwas von „in zwei Wochen habe ich drei Jobs für sie“, dann hör ich nichts mehr. Ich frage nach, irgendwie ist es plötzlich kompliziert, eine wichtige Kontaktperson in den Ferien, eine andere krank, man würde sich melden, niemand meldet sich, es ist zum Kotzen.
Dann also die sozialen Netzwerke befeuern, sich auf Xing und LinkedIn vernetzen, sich bemerkbar machen, die Visibilität erhöhen, wie es ein Personalberater in seinem schlecht sitzenden Anzug so schön formuliert. Sein erster Rat: sie dürfen auf keinen Fall ihre Lohnansprüche reduzieren, da kommen sie sonst nie mehr hoch. Dann sagt er noch diesen Satz, der jeden Bewerber besonders motiviert: Schön, dass Sie meine Dienste in Anspruch nehmen, aber eigentlich hätten sie vor zehn Jahren hier aufschlagen sollen.
Dann wieder Bewerbungsgespräche. Bisher sass ich immer auf der anderen Seite, habe Dutzende Kandidaten befragt, habe ihre Unterlagen geprüft und beim Händedruck gewusst, der ist es, und der nicht. Also ein frisches Hemd angezogen, die Unterlagen nochmals sortiert, auf alle, wirklich alle Fragen eine Antwort parat. Und dann sagt der Personalchef: Sie waren doch Chef der Schweizer Illustrierten, sagen Sie mal, wie ist Melanie Winiger so privat?
Das alles ist ein Jahr her. Heute bin ich sehr glücklich mit meiner neuen Aufgabe beim Schweizer ElternMagazin. Ich führe ein kleines feines Team, verantworte ein grossartiges Produkt und beschäftige mich beinahe ausschliesslich mit nachhaltigen, relevanten Themen. Kontaktiert worden bin ich übrigens für die neue Stelle via – Facebook.
Ich habe die schwierigste Zeit in meinem Berufsleben ohne Trauma überstanden. Dank meiner Familie, meinen Freunden. Meinem Glauben, dass immer irgendwo eine Türe aufgeht, wenn eine andere zuschlägt. Geholfen haben mir aber auch ein paar Leitsätze, die ich eisern befolgt habe, und die ich an dieser Stelle gerne weitergebe:
Bleib hellwach, hungrig, gut informiert und vernetzt.
Halte Dich fit, geistig und körperlich.
Sei ehrlich. Im Gespräch. Und zu Dir selbst.
Versuch mindestens einmal am Tag zu lachen.
Hilf Dir selbst. Sonst hilft dir keiner. Schon gar nicht das Arbeitsamt.
roland cecchetto 24. August 2015, 13:06
Sehr treffend beschrieben, Herr Niethammer, ich habe es auch so erlebt. Man lernt Menschen und ihr Rollenverhalten sehr gut kennen.
Schön, dass Sie wieder Fuss gefasst haben.
Roland C.
Fred David 24. August 2015, 15:58
@)Nik Niethammer, ich kann alle ihre Erfahrungen unterschrieben. Insbesondere jene mit masslos aufgeblasenen Personalberatern und „Headhuntern“. Mich trafs mit 58, körperlich und geistig völlig intakt. Der Laden, für den ich 12 Jahre intensiv tätig war, machte von einem Monat auf den andern dicht. Hätte auch nie gedacht, jemals beim RAV zu lande. Ich sass vorher auch auf der andern Seite und wusste , wie es sich anfühlt, auftragsgemäss andere „aus betrieblichen Gründen“ in die Wüste zu schicken.
Anfangs bewarb ich mich kreuz und quer, mehrsprachig und guten Muts, weil ich glaubte, nach 38 erfolgreichen Berufsjahren als Journalist inkl. Digital- und Führungserfahrung im In- und Ausland ein attraktives Dossier vorlegen zu können. Bis ich bald merkte, dass in dieser Alterskategorie absolut kein Arbeitsmarkt funktioniert. Nirgendwo. In keiner Branche. Alles andere ist haltloses Geschwafel. Das RAV kann übrigens wenig dafür. Sie verwalten Arbeitslosigkeit, nicht Arbeit.
Ich hatte früher mal 12 Jahre als freie Journalist im Ausland gearbeitet: Es waren beruflich und finanziell meine interessantesten Jahre. Heute ist daran nicht mehr zu denken, mit ordentlichem Journalismus auf freier Basis ordentlich zu leben.
Ich schaffte es mit Projektarbeit. Aber für jedes neue Projekt musste ich wieder bei null einsteigen. Heute bin ich ein sehr glücklicher und sehr freier Rentner, der über Arbeitslosigkeit mehr weiss, als jeder geschwätzige Wirtschaftsjournalist oder Politiker.
Somaro 25. August 2015, 09:28
Ach kommen Sie schon, haben Sie in letzter Zeit nicht die Schweizer Illustrierte gelesen oder das Radio 1 gehört? Arbeitslose sind alles faule, alkoholsüchtige Schmarotzer die uns faul auf der Tasche liegen. Die wollen nicht arbeiten, das wissen wir doch. Das jemand der ein Jahr faul auf der Haut lag und dann plötzlich bei einem Elternmagazin unterkommt zeigt doch nur, dass Leistung nicht mehr gewürdigt wird.
Haben Sie einen Schreck bekommen von dem Text?
Waren Sie kurz davor meinen Kommentar nicht zuzulassen?
Gut, dann hat mein Kommentar vielleicht was bewirkt.
Sie verlangten als Arbeitsloser Respekt? Warum haben Sie als Chefredakteur nicht dafür gesorgt, dass Arbeitslosen Respekt entgegengebracht wurde?
Ist plötzlich nicht mehr alles fauler und verkommender Abschaum, dem die Autoren unterschwellig vorwerfen dürfen, dass sie selbst schuld sind, wenn man selbst betroffen ist, was?
Freue mich für Sie dass sie es wieder geschafft. Aber bin erschreckt darüber, dass Sie als ehem. Chefredakteur Respekt für arbeitslose verlangen, wo Sie doch selbst bei zwei Unternehmen Verantwortung hatten, die in schöner Regelmäßigkeit das Bild vom faulen Arbeitslosen prägen, der alles will, nur nicht arbeiten.
Denken Sie mal drüber nach.
Vielleicht wird daraus ein Artikel im ElternMagazin: „Warum Arbeitslose Respekt verdienen – Wir müsen aufhören mit den konservativen Klischees.“
Spiess Elisa 26. August 2015, 19:26
Dieser Artikel ist wirklich lesenswert, vor allem, weil er uns aufzeigt, wie unmenschlich die heutige Menschheit geworden ist!
Wen interessieren die Schicksale der Arbeitslosen und deren Familien?Hauptsache, man selbst hat noch Arbeit! Das ist alles, was zählt! Wir alle sollten uns schämen, einfach wegzuschauen statt zu helfen! Und all die Firmen, bei denen die Profitgier grösser ist als ein bisschen Menschlichkeit, sollten sich endlich einmal eines Besseren besinnen!
Wenn wir so weitermachen, vernichten wir uns eines Tages selbst!
Thomas Meyer 28. August 2015, 01:16
Auch mir kommt das bekannt vor, auch wenn „erst“ in Teilen und nicht als Journalist.
Und immer wieder frage ich mich: Herrscht in jenem Land, in welchem man so stolz aufs duale Bildungssystem ist („ein Export-Schlager“), in welchem es keine andere Ressource gibt als Bildung und in welchem es gerade auch deshalb ein sehr gutes Bildungssystem gibt, herrscht in eben diesem Land tatsächlich ein Mangel an Fachkräften? Oder mangelt es einfach nur an Stellen, deren Anforderungen nicht dermassen hoch sind, dass man sie kaum erfüllen kann, weil niemand eine eierlegende Wollmilchsau ist?
Zudem ist die Art und Weise, wie man als Stellensuchender behandelt wird, ziemlich entwürdigend. Manche HR-Abteilung hat die Bezeichnung „Human“ nicht verdient. Man wird stattdessen behandelt, als wäre man eine industrielle Ware, nicht ein Mensch. Von Sozialkompetenz, welche von einem selber gefordert ist, ist auf der Gegenseite häufig wenig zu spüren.
Es wäre daher an der Zeit, wenn diese bis anhin unangetastete Domaine der Rekrutierung neuer Mitarbeitender (weil wegen der Abhängigkeit vom Goodwill der Gegenseite noch immer eine heilige Kuh) auch einmal journalistisch ausgeschlachtet würde…
TheMadman 27. September 2015, 04:06
Kurze Frage: ist man eigentlich an einen Sachbearbeiter bei der Agentur für Arbeit „gebunden“ oder kann man z.B. auch zu einer anderen Agentur? Ich denke nämlich, dass es sehr entscheident ist, wie kompetent bzw. angagiert ein solcher ist. Gerade wenn man „schwer vermittelbar“ ist, sollte nicht von vornherein der Kollege vom Amt resignieren.