von Michael Ziesmann

«Mediaagenturen haben ein parasitäres Geschäftsmodell und sind überflüssig»

Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE erklärt der Privat-TV-Pionier und Medienunternehmer Helmut Thoma, warum er den Einfluss der Mediaagenturen auf die Meinungsbildung und  auf die Medienvielfalt für gefährlich und schädlich hält. Die Marktteilnehmer seien aber unwillig zur Selbstregulierung. Deshalb bleibe nur der Weg über den Gesetzgeber, fordert Thoma.

MEDIENWOCHE: 1984 waren Sie als Gründer von RTLplus auf Mediaagenturen angewiesen. 2015 bezeichnen Sie das Geschäftsmodell der Mediaagenturen als parasitär. Was ist in den 31 Jahren dazwischen geschehen?
Helmut Thoma: Damals hatten Mediaagenturen kaum eine Bedeutung. Die Werbebuchungen wurden direkt mit den Werbekunden besprochen. Gesonderte Gespräche mit Mediaagenturen gab es nicht, weil deren Verhältnis zu den Werbekunden eine interne Angelegenheit war und mit uns Medienanbietern nichts zu tun hatte. Natürlich gab es für die Einbuchungen der Mediaagenturen Rabatte. Aber wir sind davon ausgegangen, dass die den Werbekunden weitergegeben werden und nicht zur Haupteinnahmequelle der Mediaagentur werden. Dass Rabatte der Medien an Werbekunden die Haupteinnahmequelle der Mediaagenturen darstellen, halte ich für absurd. Ein Medienvermarkter braucht keinen Vermarkter. Ob Werbekunden eine Mediaagentur brauchen, müssen diese individuell entscheiden. Für mich persönlich haben Mediaagenturen heute ein parasitäres Geschäftsmodell und sind überflüssig geworden. Mediaagenturen hätten ihre Kunden beraten und fortbilden sollen. Wenn ich mir aber manche Wortmeldungen von Werbekunden durchlese, haben Mediaagenturen auch dabei völlig versagt.

Von Deutschland ausgehend wurden die Marktmechanismen aus Angebot und Nachfrage ab 1995 mit aussertariflichen Einkaufsvorteilen von Mediaagenturen ausgehebelt. Warum haben sich besonders Werbezeitenvermarkter wie IPAplus (RTL, Anm.) darauf eingelassen?
Ich hatte damals aus Frankreich gehört, dass unglaubliche Sitten eingerissen sind. Da war Anfang der 1990er Jahren von Kickbacks von 80 oder 90 Prozent die Rede. Das hat eher beim Amüsement bei uns beigetragen. Aus deutscher Sicht war das damals so kein Thema. Das hat sich Ende der 1990er Jahre geändert. Weil viele Werbeblöcke mit Freispots angefüllt waren, ergab sich eine schwierige Lage. Wir waren ausverkauft aber die Einnahmen stagnierten. Während RTLplus schon 1990 Gewinne abwarf, hatten Sat.1 und ProSieben mit riesigen Rabatten versucht Werbebuchungen zu erreichen. Dem kann man sich dann als Wettbewerber kaum verschliessen.

Das Mediageschäft liegt am Boden. Mediaagenturen nehmen noch schnell was sie kriegen können. Vom Gaul wird erst abgestiegen wenn er tot am Boden liegt. Wohin muss der Strukturwandel führen, damit der Karren wieder aus dem Dreck kommt?
Durch die Marktkonzentration auf wenige Mediaagentur-Gruppen ist der Markt kaputt gemacht worden. Es gab immer schon die Diskussion über die Rückvergütungen. Ich hatte mal gefragt wie die das machen, dass jeder Werbekunde zu seinen Freispots und Rabatten kommt. Es hiess immer, das sei alles wunderbar geregelt und genauestens überprüft. Überhaupt nichts war überprüft! Wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, wurden diese Rabatte bei Werbekunden unterschlagen und stattdessen als Einnahmequellen bei den Mediaagenturen verbucht. Nachdem in Frankreich mit dem Loi Sapin (Gesetz für Markttransparenz und gegen Korruption in der Wirtschaft, benannt nach dem französischen Finanzminister Michel Sapin, Anm.) diese Einnahmequellen Mitte der 1990er Jahre weg gebrochen waren, sind die Mediaagenturen mit dem in Frankreich verbotenen System über Deutschland hergefallen. Heute ist die Marktsituation in Deutschland schlimmer als sie in Frankreich vor dem Loi Sapin war. Da die Marktteilnehmer unwillig zur Selbstregulierung sind, bleibt nur der Weg über den Gesetzgeber.

Das Magazin «Werben & Verkaufen» berichtete kürzlich, dass Medienanbieter jährlich dreistellige Millionenbeträge an Dienstleister der Werbekunden bezahlen, damit bei ihnen Werbeplätze gebucht werden. Wie erklärt man branchenfremden Personen diese Marktsituation?
Das ist unverständlich und untragbar. Werbeplätze sind ausgebucht aber die Einnahmen sinken. Völlig absurd! Mir ist unbegreiflich warum sich Medienanbieter darauf einlassen und Werbekunden dabei wegschauen. Denn immerhin sind diese Geldflüsse in dem eingepreist was Werbekunden bezahlen. Noch mehr Wettbewerbsverzerrung ist kaum vorstellbar.

Wegen solcher Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil kleinerer Sender wurden gegen die Vermarkter von ProSiebenSat.1 und RTL im Jahr 2007 Bussgelder in Gesamthöhe von 216 Millionen Euro vom Kartellamt verhängt. Warum schreitet das Kartellamt aber nicht ein, wenn wenige Werbekonzerne ihre Marktmacht ganz offen zum eigenen Vorteil missbrauchen?
Weil die das überhaupt nicht verstehen. In Deutschland wird das Privatfernsehen von 14 Landesmedienanstalten kontrolliert, die dem überhaupt nicht gewachsen sind. Das Bundesverfassungsgericht urteilt zwar über die Zusammensetzung des Fernsehrates des ZDF, aber dagegen ist das Umfallen eines Sack Reis in Bielefeld ein epochales Ereignis. Währenddessen bestimmen Mediaagentur faktisch das Programm. Und zwar mehr als die gesamten Landesmedienanstalten zusammen Einfluss darauf haben. Da wird ein Einfluss geschaffen, der ansonsten mit akribischer Sorgfalt versucht wird zu verhindern. Die Meinungsbeeinflussung erfolgt durch das Diktat der Mediaagenturen, die die wahren Herren der elektronischen Medienlandschaft sind. Daher ist mir vollkommen schleierhaft weshalb das Kartellamt zwar die Angebotsseite sanktioniert aber die Nachfrageseite in einem 20-Milliarden-Euro-Markt unkontrolliert lässt.

Die «Wirtschaftswoche» schrieb kürzlich von einem volkswirtschaftlichen Schaden durch Mediaagenturen in Milliardenhöhe. Müsste der Gesetzgeber einschreiten weil es keine Handhabe gibt, um diese Situation zu verbessern?
Das Kartellamt ist eine nachgeordnete Behörde des Bundeswirtschaftsministerium. Wenn bei Bussgeldern für Medienanbieter eine Zuständigkeit vorhanden gewesen war, warum dann nicht auch bei der Regulierung des Marktes in dem Medienanbieter auf Mediaagenturen treffen? So wie es die Franzosen gelöst haben, mit klaren gesetzlichen Regelungen, erscheint es mir der richtige Weg zu sein. Für diesen Weg setze ich mich zurzeit auch persönlich ein und werde das Thema über meine politischen Kontakte vorantreiben.

Wie geht der Schweizer Privatsender 3+ mit dieser Situation um, bei dem Sie im Verwaltungsbeirat aktiv sind?
Bei 3+ stellt sich diese Frage in dieser Form nicht. Die haben eine besondere Position als Schweizer Privatsender mit Schweizer Programm für die Schweiz. Das ist eben nicht nur ein Werbefenster. Das funktioniert nicht zuerst über Rabatte. Sondern über Schweizerische Identität und junge Zielgruppen.

Leserbeiträge

Jochen Preusche 28. August 2015, 22:44

Lieber Herr Thoma, unabhängig davon, dass es heute so gar nicht mehr stimmt, ist mir Ihre Analyse auch für die früheren Jahre viel zu einfach und einseitig. Zu einem Problem gehören immer zwei – in diesem Fall drei – Beteiligte, und jeder hat seinen eigenen Beitrag daran:
• Die Werbekunden, weil sie ihre Mediaagenturauswahl vom Einkauf steuern lassen, der am liebsten kein Geld für Mediaberatung ausgeben möchte.
• Die Mediaagenturen, die sich von den Medien das Geld bezahlen lassen, das sie von den Werbekunden nicht bekommen (heute übrigens meistens sauber und transparent mit den Werbekunden vertraglich geregelt, weil andernfalls strafbar)
• Und die Medien, die diese Agenturrabatte zahlen.

Alle 3 könnten das ändern:
• Die Marketingverantwortlichen der Werbekunden könnten mit etwas mehr Rückrat sich dem Einkaufsdiktat widersetzen und gutes Geld für gute Beratung bezahlen.
• Die Mediaagenturen könnten ihren Kunden die Vorteile guter Mediaberatung besser erläutern und Kunden ablehnen, die zu wenig bezahlen wollen.
• Die Medien könnten hohe Rabattforderungen ablehnen.

Alle diese Schritte tun erstmal weh: Der Marketingverantwortliche könnte gefeuert oder degradiert werden, die Mediaagentur könnte Geschäft und Umsatz verlieren, die Medien könnten Werbeumsätze einbüßen.

„Schuld“ sind sie alle, jeder könnte etwas ändern, aber keiner tut es. Die Mediaagenturen alleine an den Pranger stellen ist wie Schwarzer Peter spielen – man will nicht das Problem lösen, sondern einfach nur einem anderen die Schuld in die Schuhe schieben.
In diesem Fall ist das gegenüber der harten, kundenorientierten, ehrlichen und fairen Arbeit von Tausenden von Mediaplanern sehr ungerecht.

Michael Ziesmann 29. August 2015, 00:45

Lieber Herr Preusche,

gestatten Sie mir bitte zu Ihrem Posting einige kurze Anmerkungen zum noch besseren Verständnis.

Wenn Werbekunden immer geringere Honorare zahlen, warum stiegen dann die Gewinne der Mediakonzerne immer weiter an je geringer die Kundenhonorare wurden? Weil die Werbekunden inzwischen belanglos geworden sind, weil Mediaagenturen das Schaltvolumen der Kunden nur noch dazu benutzen, um sich von Medien für „Mediaberatung“ bezahlen zu lassen – was niemand braucht:

http://www.new-business.de/agenturen/detail.php?rubric=AGENTUREN&nr=666391

Warum sollte der Einkauf von Werbeplätzen nicht vom Einkauf gesteuert werden?
Für die Frage, was wo eingekauft werden soll, können Mediaagenturen fern des Schaltvolumens beauftragt werden.

Aber mit dem Einkauf übervorteilen Mediaagenturen als Dienstleister ihre Auftraggeber, indem sie das Geld ihrer Kunden bei den Medien als Druckmittel (um das Wort Erpressung zu vermeiden) dafür missbrauchen, an „Lufthonorare“ der Medien zu gelangen – für Dienstleistungen, die meistens wertlos oder nicht gewollt sind, wenn sie denn immerhin stattfinden.

Dieses Geschäftsmodell ist tot:

http://www.wuv.de/specials/cebit_2015/worum_es_bei_der_media_debatte_wirklich_geht

Sauber und transparent geregelt im Sinne von der Werbekunde wird juristisch einwandfrei übervorteilt und kann nicht mehr klagen weil er aus Versehen vertraglich die Einbindung von agenturseitigen Drittfirmen nicht ausgeschlossen hat, ist ja wohl nicht das was Sie ernsthaft vortragen wollen? Das wurde in W&V gerade als „Armutszeugnis und Bankrotterklärung für Mediaagenturen“ bezeichnet:

http://www.ziesmann.media/sites/default/files/wuv_34_2015_3dz.pdf

Wenn Medien Trading-Deals und Rabattforderungen der Mediaagenturen -und zwar zu deren eigenem Vorteil – ablehnen, werden sie „platt gemacht“, wie das Beispiel Channel 5 zeigt:

http://www.mediaweek.co.uk/article/1298458/channel-5-lose-omnicom-makes-30m-advertising-exit

http://www.theguardian.com/media/2014/jul/06/channel-5-ad-blackout-omnicom

Insofern machen Sie es sich zu einfach wenn Sie das einfach weglächeln oder verneinen wollen.

Dass Mediaplaner oft gute Arbeit leisten stellt niemand in Abrede. Nur waren es Mediaagenturen, die die Leistung auch in ganz aktuellen Pitches für 2016 für 0%-Honorar anbieten und entwertet haben. Denn die Cash-Cows finden fern der kundenbetreuenden Teile von Mediaagentur-Gruppen statt.

90% der Mitarbeiter von Mediaagenturen kommen damit nie in Berührung. Aus gutem Grund, damit sie den Werbekunden im Tagesgeschäft sehr überzeugend ein gutes Gefühl geben können und gar nicht auf die Idee kommen, dass sie beim Einkauf von Werbeplätzen in Milliardenhöhe geschädigt werden. Siehe auch:

http://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/werbesprech-die-machenschaften-der-mediaagenturen/12109812.html

Und auf genau dieses Geschäftsmodell – den eigenen Mehrwert auf Null Euro entwerten weil stattdessen die Werbekunden beim Einkauf von Werbeplätzen übervorteilt werden – bezieht sich die wuchtige Kritik von Helmut Thoma.

Michael Ziesmann 29. August 2015, 01:05

PS: Als langjähriger Geschäftsführer der deutschen Mediaagentur Optimedia (Publicis, Vivaki) sollten Sie die von mir benannten Fakten ohnehin kennen, lieber Herr Preusche. Ganz besonders, dass auch bei Optimedia die Gewinne immer weiter ansteigen je geringer die Kundenhonorare wurden. Das liegt aber wohl eher an der Einkaufsholding der Publicis-Gruppe namens VivaKi.

Jochen Preusche 29. August 2015, 10:12

Lieber Herr Ziesmann,

leider – oder glücklicherweise – ist das Bild das sie zeichnen einerseits (zumindest heute) überzogen und andererseits sehr einseitig.

1. Die Gewinne der Mediaagenturen sind heute längst nicht mehr so hoch wie noch vor etwa 10 Jahren, da die Kickbacks der Medien heute zum allergrössten Teil entsprechend vertraglicher Regeln an die Werbekunden weitergeleitet werden.
Die Werbekunden sind auch nicht „belanglos“ geworden, oder glauben Sie ernsthaft, P&G, VW oder L’Oréal ließen sich zum Spielball eines willkürlichen Mediaeinkaufs der Mediaagenturen machen? Sie können sicher sein, dass die grossen Werbekunden (und das sind mindestens 80 % des Werbevolumens) ganz genau wissen, was, wie und warum ihre Mediaagentur tut.

2. So leid es mir ja für das einfache Bild von der bösen Mediaagentur tut: Selbst in den schlimmsten Zeiten bestimmte IMMER die Planung den Einkauf. Nur bei gleicher Zielgruppenleistung erhielt der den Vorzug, der mehr Kickbacks gab. Aber selbst das geht heute nicht mehr ohne das OK des Kunden (siehe oben).
Und deshalb ist es nicht richtig, wenn „der Einkauf den Einkauf steuert“. Weil der Einkauf von Strategie und Planung gesteuert wird und werden muss – und über die Mediaagentur mit der richtigen Strategie und Planung sollte das Marketing entscheiden, nicht der Einkauf.
Natürlich gibt es auch Werbekunden die für Einkauf und Planung verschiedene Agenturen beauftragen. Wäre ja auch die beste Lösung, wenn ihre Darstellung stimmen würde. Das Modell ist aber ein Minderheitsmodell, weil es nicht richtig funktioniert. Warum? Weil Planung eben doch den Einkauf bestimmt und dieser enge Abstimmungsprozess am besten innerhalb einer Agentur funktioniert.

3. Herr Ziesmann, sie glauben doch nicht ernsthaft, dass eine kleine mittelständische Firma (und dazu gehören selbst die größten Mediaagenturen) so ausgebufften internationalen Großkonzerne wie Procter, Nestlé oder L’Oréal irgendeinen eigennützigen Mediaplanern verkaufen kann? Diese Konzerne haben für ihre Märkte mehr Werbewirkungs-Insights als jede Agentur und kontrollieren ihre Mediapläne und Mediainvestitionen kontinuierlich auf minimale Effizienz- und Effektivitätsabweichungen. Sie behaupten, dass diese Konzerne von ihren Mediaagenturen um Millionenbeträge betrogen werden? Wie denn? Tut mir leid, aber das ist lächerlich.

4. Und last but not least. Kein Kunde unterschreibt irgendetwas „aus Versehen“. Über solche Vertragspassagen wird manchmal tagelang diskutiert. Und für jede Lösung gibt es Vorteile und Nachteile. Die werden erläutert, diskutiert, abgewogen und dann entscheidet der Kunde.

Herr Ziesmann, ich weiss ja wie interessant ein Skandalthema ist und wie schön man sich darüber aufregen kann. Aber wir sollten das schon entsprechend den Tatsachen tun. Immer auf die Schwächsten – und im Vergleich zu Google, RTL, Procter oder Nestlé sind das nun mal die Mediaagenturen – draufhauen, mag einfach sein, gefällt mir aber nicht.

Michael Ziesmann 29. August 2015, 12:00

Lieber Herr Preusche,

leider gehen Sie mit keinem Wort auf die benannten Fakten ein, sondern flüchten sich in Falschbehauptungen, mit denen Sie in einer Art Vogel-Strauss-Taktik systemische Defizite verneinen. Das ist genau das im aktuellen W&V als „Bankrotterklärung und Armutszeugnis für Mediaagenturen“ benannt wurde. Denn auch Sie standen als langjähriger Geschäftsführer der deutschen Optimedia für ein „Geschäftsmodell bar jeglicher Vernunft und jenseits jeder Moral“ wie der neue CEO bei Jung von Matt, Thomas Strerath, es beschrieb. Dass das weh tut, und Sie deshalb die Vergangenheit verklären, um die Realität zu leugnen, kann ich gut verstehen. Das erklärt dann aber auch warum Sie seit 2012 nicht mehr Geschäftsführer der deutschen Optimedia sind.

Ihren Leugnungs- und Projektionsversuch, wonach die Argumentation anderer „einseitig und überzogen“ sei, erlaube ich mir wie folgt zu verbessern – da Sie lediglich die Antwort-Matrix wiedergeben, die Sie als langjähriger Chef einer Mediaagentur offenbar auswendig gelernt haben:

Zu 1. Sie wollen bitte gelegentlich einige Bilanzen lesen. Darin sind bei den Einkaufsgesellschaften und Holdings Profitabilität jenseits der 40% inzwischen Durchschnitt. Volumenbezogene Kickbacks werden in der Tat an Werbekunden durchgereicht. Jedoch sind aus volumenbezogenen Werten nicht volumenbezogene Werte gemacht worden, die zu der Gewinnexplosion bei agenturseitig eingebundenen Drittfirmen führen – und der Wertschöpfungskette dauerhaft diese Gelder entzogen werden. Die von Ihnen ganz bewusst irreführend benannten großen Werbekunden lassen sich wegen ihrer eigenen Expertise natürlich nicht zum Spielball machen Daher sind diese volumenstarken Unternehmen auch nur ein Durchlaufposten für Mediaagenturen, die kaum bis gar nicht zu deren Gewinnen beitragen. Die Gewinne tragen die tausenden Werbekunden mit kleinen und mittleren Werbebudgets bei, die gerade wegen ihrer defizitären Mediakenntnisse übervorteilt und zum Spielball gemacht werden – wie Sie es so schön formuliert haben.

Zu 2. Ihre „Media-Romantik“ hat auch nichts mit der Realität zu tun. Die Einkaufsgesellschaften der Mediaagenturen diktieren den kundenbetreuenden Teilen ihrer Mediaagentur-Gruppen was zuerst und vor allem in den Mediaplänen zu sein hat – naturgemäß das Trading-Material, das diese Einkaufsgesellschaften auf eigene Rechnung gekauft haben und loswerden müssen. Ich meinte, dass der Einkauf des Werbekunden den Einkauf von Werbeplätzen umsetzen sollte. Dafür ist keine Mediaagentur mehr nötig. Und schon gar nicht zwei. Dieses Modell ist auch kein Minderheitsmodell sondern wird inzwischen u.v.a. von Coop, Migros, Swisscom, Krombacher, Haribo, XXXLutz realisiert. Das werden die eher nicht tun wenn es Nachteile hätte oder Mehrkosten verursacht. Auch hier wurde Ihre Antwort-Matrix von der Realität überholt.

Zu 3. Eine „kleine mittelständische Firma“ hat mich gut amüsiert. Das mag auf kleine inhabergeführte Mediaagenturen zutreffen. Aber von „kleine mittelständische Firma“ wollen Sie nicht ernsthaft bei dem marktbeherrschenden Media-Oligopol bestehend aus vier Werbekonzernen behaupten – auch und gerade weil Sie bis 2012 ein Teil davon waren? Übervorteilt werden auch nicht die Top 10 Grosskunden, die Sie ganz bewusst wiederholt erwähnen, sondern die tausenden Werbekunden mit kleinen und mittleren Budgets – die viel mehr zum Gewinn(!) von Mediaagenturen beitragen als die von Ihnen genannten Grosskunden. Aber das wissen Sie doch als langjähriger Geschäftsführer einer deutschen Mediaagentur, der auch für den kaputten und geradezu verkommenen Markt stand und wohl auch deshalb seit 2012 nicht mehr Teil davon ist.

Zu 4. Unwissende Kunden unterschreiben durchaus Verträge, in denen wichtig ist was darin gerade nicht steht. Genau deshalb ist die grosse Leistung auch Ihrer Berufstätigkeit, Werbekunden wissentlich unwissend zu lassen, ihnen ein gutes Gefühl zu vermitteln und jedem Werbekunden glaubhaft zu machen, dass NUR ER überproportional zu Lasten anderer von aussertariflichen Einkaufsvorteilen profitieren würde.

Herr Preusche, der einzige „Skandal“ ist es, dass selbst ernannte Kommunikationsexperten aus Kommunikationsagenturen in eigener Sache selbst verursachte Defizite leugnen und projizieren. „Immer auf die Schwächsten“ im Bezug auf Mediaagenturen hat mich immerhin gut amüsiert – da es rhetorisch nicht ganz ungeschickt eine Art Opferrolle versucht, die auch Teil der Antwort-Matrix ist, die Sie als früherer langjähriger Geschäftsführer der deutschen Optimedia möglicherweise durch ständige Wiederholung inzwischen selbst glauben. Mit der Realität hat das nichts zu tun – wie ja Ihre Vielzahl von Falschbehauptungen zeigen.

Ueli Custer 31. August 2015, 16:48

Es wäre vielleicht sinnvoll, festzuhalten, dass die Geschäftsmodelle von Mediaagenturen in Deutschland und in der Schweiz völlig unterschiedlich funktionieren. In Deutschland kaufen und verkaufen die Agenturen den Werberaum und die Werbezeit. In der Schweiz kaufen sie ausschliesslich im Auftrag und auf Rechnung des Kunden ein. Deshalb gilt alles Gesagte nur für Deutschland.

Michael Ziesmann 31. August 2015, 16:54

Hallo Herr Custer,

in Deutschland sind Mediaagenturen ebenso wie in der Schweiz auch auf Basis von Geschäftsbesorgungsverträgen für Werbeauftraggeber tätig. So wie in der Schweiz Art. 400 OR gilt, so gilt in Deutschland gleichlautend §§ 666, 667 BGB. Es ist unrichtig, dass deutsche Mediaagentur im Kerngeschäft kaufen und verkaufen würden. Das trifft bei Trading-Deals zu aber nicht im Kerngeschäft.

Da Mediaagenturen in der Schweiz auf fremde Rechnung und fremden Namen (also den ihrer Kunden) Werbeplätze einkaufen, ist es in der Schweiz besonders diskutabel, dass gemäss den „BSW Branchengrundsätzen“ Buchungsentschädigungen (OBE, DBE etc.) bei der Agentur verbleiben sollen.

Daher machen Sie es sich etwas zu einfach.

Beste Grüsse
Michael Ziesmann

Sandro Prezzi 01. September 2015, 17:04

Leider ist es inzwischen vollkommen EGAL ob die Agentur das Volumen im eigenen oder fremden Namen einkauft und verrechnet. Das direkte „Veruntreuen“ von Freespace ist eh passé. Aber Hinweis für Dich Ueli: weil Freespace kein Preisschild hat, kommt auch keine Rechnung. Das Verteilen der verhandelten Freespace-Pools fand somit frei nach Gutdünken statt- oder wie ein CEO mal definierte: ich teile fair – mit dem Kunden der mich fair dafür bezahlt.

Die MACHT über die Budgetverteillung bleibt immernoch bei der Mediaagentur und damit auch ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel. Es wäre darum sehr naiv zu glauben, dass all die „bösen Massnahmen zur Selbstbegünstigung“ nur in Deutschland stattfinden würden. Die Netzwerkagenturen agieren global und Erfolgsrezepte zur Renditesteigerung verbreiten sich sehr schnell.

Längst werden auch hierzulande nicht nur Direktbuchungsentschädigungen bei der Agentur zurückbehalten. Apropos: welcher Mehraufwand wird hier eigentlich noch vergütet? Nach dem Wegfall der PubliGroupe ist sie doch zumindest im Print obsolet und bei TV rollenbedingt durch das Honorar gedeckt oder?

Aber die erst richtig „fetten“ Geschäfte werden sowieso gut vor Audits geschützt in den Holding- und Spezial-Tochter Gesellschaften gemacht: Online, OOH, Search, Programmatic, Targeting, etc. man achte nur mal darauf, was von den grossen Playern grad promoted wird. Von Gewaltentrennung/Interessentrennung weit entfernt – wenn Agenturen ihren Kunden eigene Produkte verkaufen, deren Leistung und Bestandtiele im schlimmsten Fall nicht mal transparent gemacht werden (nur wer die Katze im Sack kauft und sie auch da drin lässt, darf den vermeintlichen Nutzen davon haben – welchen auch immer).

Zur Güte muss man auch festhalten, dass vorallem die grossen Agenturen zu kritisieren sind. Sie haben den Bogen überspannt. Die lokalen, meist kleinen Schweizer Media-Agenturen entweder nicht mal ansatzweise davon Kenntnis haben, was alles machbar wäre oder solche Geschäftspraktiken aus Ueberzeugung nicht anwenden. Am ehesten eine Mischung beider Gründe.

Gerade WEIL das Ganze so komplex und undurchsichtig ist, tun Kunden von Mediaagenturen gut daran, die Zusammenarbeit durch neutrale Fachpersonen überprüfen zu lassen.