Der Fernsehdirektor bleibt standhaft
Surab Alasanija (51) steht vor der Aufgabe, das ukrainische Staatsfernsehen mit Strukturen aus der Sowjetzeit in einen modernen öffentlich-rechtlichen Sender zu überführen. Das mit dem kritischen Journalismus klappt schon ganz gut. Fernsehdirektor Alasanija blieb bisher standhaft gegenüber Beeinflussungsversuchen aus der Politik.
Fragwürdige Transaktionen mit dem Privatvermögen von Präsident Petro Poroschenko, dubiose Politdeals hinter verschlossenen Türen, Korruptionsverdacht gegen einflussreichste Parlamentarier oder die schicken Wohnverhältnisse des Verteidigungsministers: Das waren etwa Themen von gleich drei investigativen Fernsehjournalen, die regelmässig Kiews politische Eliten erzittern lassen. «Slidstwo.info» («Ermittlungen.Info»), «Schemy» («Schemen») und seit Juni 2016 auch «Naschi hroschi» («Unser Geld») laufen aber nicht auf einem irgendeinem oppositionellen Privatsender. Die Rede ist von drei Koproduktionen des ukrainischen Staatsfernsehens, das diese Sendungen auch allwöchentlich ausstrahlt.
Ob derart angriffiger TV-Journalismus auch von öffentlich-rechtlichen Sendern in Westeuropa ausgestrahlt würde, ist keinesfalls garantiert. In der Ukraine, wo Medien traditionell unter einem viel stärkeren Druck stehen und bereits mehrfach Journalisten ermordet wurden, zuletzt Pawel Scheremet, erweist sich dies jedoch als möglich.
Verantwortlich für diese rare Erfolgsgeschichte ist der 51-jährige Surab Alasanija, der seit Ende März 2014 als Generaldirektor der Nationalen Fernsehgesellschaft der Ukraine (NTKU) amtiert. Das staatliche Medienunternehmen galt in der Vergangenheit als inhaltlich wie ästhetisch verstaubt. In der Ära von Präsident Viktor Janukowitsch (2010-2014) zeichnete sich der staatliche Sender etwa durch Ausstrahlungen von Galakonzerten regimenaher Chansonniers aus.
Die Berufung von Medienmanager Alasanija aus dem ostukrainischen Charkiw an die Spitze des Staatsfernsehen war im März 2014 insbesondere von der ukrainischen Zivilgesellschaft forciert worden. In ersten Wochen nach dem Machtwechsel hatte die Bevölkerung in Kiew ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Nachdem dem bisherigen TV-Direktor vorgeworfen worden war, er habe Berichterstattung über die Proteste am Maidan zensurieren lassen, galt sein Nachfolger Alasanija in mehrerlei Hinsicht nahezu als Idealbesetzung.
Nicht nur, dass er und sein regionales Onlinemedium mediaport.ua im Winter 2013/2014 kritisch über das Regime Janukowitsch berichtet hatten. Alasanija, der seine ersten Sporen im Journalismus Mitte der Neunziger mit Beiträgen über sein Doch-nicht-Engagement bei der französischen Fremdenlegion gesammelt hatte, konnte auch über Erfahrungen im Staatsfernsehen verweisen: Zwischen 2005 bis 2010 leitete er den regionalen NTKU-Fernsehsender im Bezirk Charkiw. Neben seinem Flaggschiff, dem landesweit ausgestrahlten ersten Kanal (UA:Perschyjvi), gehören auch 28 regionale Fernsehstationen zum Medienunternehmen, das zu 100 Prozent in staatlichem Besitz steht.
Aber auch ein realpolitischer Grund sprach für den Kandidaten: Nach dem Machtwechsel in Kiew Ende Februar 2014 spielten die prowestlichen Kräfte Charkiws eine besonders gewichtige Rolle – Alasanija guter Bekannter Arsen Awakow etwa avancierte zum mächtigen Innenminister und gilt nach wie vor als einer der einflussreichsten Politiker der Ukraine. Der künftige Fernsehdirektor kam zwar in Georgien zur Welt, sozialisiert wurde er aber in der ostukrainischen Millionenstadt. Und er neigt, wie bekannte Charkiwer Politiker, zu einer derben russischen Sprache, die nahezu als ein Markenzeichen der Stadt gelten darf. Gosse und organisierte Kriminalität waren hier den gesellschaftlichen Eliten hörbar näher als in anderen ukrainischen Metropolen.
Wie sehr der neue Fernsehdirektor von mächtigen Politikern im Kontext von Charkiw wahrgenommen wurde, illustrieren frühe Versuche, gegen kritische Berichte des Staatssenders vorzugehen. Sie dachten, erzählt Surab Alasanija, dass ich ein Mann von Innenminister Awakow sei und riefen ihn mit der Bitte an, gegen mich zu intervenieren. «Das war zwecklos», sagt Alasanija.
Spätestens als von einer mutmasslich manipulierten Ausschreibung des Innenministeriums zugunsten von Awakows Sohn berichtet wurde, war klar, dass Alasanija kaum «Awakows Mann» sein könne. Der Innenminister persönlich beklagte sich über einen kritischen Beitrag zu einem seiner Lieblingsprojekte. Das Staatsfernsehen hatte neue Verkehrspolizisten gezeigt, die den falschparkenden Vater von Präsident Petro Poroschenko regelwidrig nicht straften. «Der Innenminister rief mich an. Ich antwortete ihm, dass ich mich inhaltlich da nicht einmische», erzählt Alasanija.
Inhaltliche Kritik übt der TV-Direktor indes sehr wohl – jedoch erst nach der Ausstrahlung. Als in einem Beitrag eine Transaktion im Firmenimperium des Präsidenten auf äusserst emotionale mit einer tragischen Episode des Kriegs in der Ostukraine in Verbindung brachte, beklagte er sich über die Verletzung journalistischer Standards. Der unabhängige Medienrat, eine Selbstregulierungsorganisation ukrainischer Journalisten, gab ihm recht.
Ein einflussreicher Politiker habe ihm kürzlich gesagt, sagt der Fernsehdirektor, dass ihn praktisch alle politischen Kräfte des Landes am liebsten feuern würden. Lediglich aufgrund der Euphorie nach dem ukrainischen Sieg beim Eurovision Song-Contest sei in nächster Zeit jedoch nicht mit konkreten Absetzungsversuchen zu rechnen. Das ukrainische Staatsfernsehen NTKU ist Mitglied der Europäische Rundfunkunion (EBU), Alasanija galt als massgeblicher Organisator des ukrainischen Triumphs – gegen politische Begehrlichkeiten hatte er einen landesweite Vorausscheidung durchgesetzt. Die ukrainische Sängerin Jamala konnte sich in Stockholm schliesslich mit ihrem politisch aufgeladenen Beitrag «1944» durchsetzen. NTKU ist ist nun für die Austragung des Wettbewerbs 2017 in der Ukraine verantwortlich. Die Frage, wie diese teure Grossveranstaltung nächstes Jahr finanziert werden kann, war zuletzt Thema von öffentlichen Diskussionen über das staatliche Medienunternehmen.
Denn der finanzielle Spielraum ist äusserst begrenzt und die Situation wird zudem durch Altlasten verschärft. So sieht sich NTKU mit einer Klage von Euronews konfrontiert, das im November 2015 für die Verletzung eines Lizenzvertrages aus dem Jahr 2010 in erster Instanz von einem Kiewer Gericht mehr als 10 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen kam. Ein Berufsgericht hat den Rechtsstreit im Juli 2016 in die erste Instanz zurückgewiesen – mit einem Jahresbudget von 24 Millionen Dollar könnte diese Klage existenzbedrohend sein. Direktor Alasanija sieht den Staat in der Pflicht und hofft, dass sich die Regierung in Kiew mit Euronews einigt.
Investitionen sind zudem für neue Technik nötig. NTKU zählt derzeit landesweit 8300 Angestellte, davon 1300 in der Kiewer Zentrale, die riesige Mitarbeiterzahl darf als ein Relikt aus sowjetischen Zeiten gelten. Eine Produktion, die derzeit 100 Mitarbeiter erfordert, liesse sich mit neuer Technologie von drei Personen erledigen, sagt Alasanija. Darum möchte er den Personalbestand in den nächsten Jahren halbieren.
Vor allem arbeitet der Direktor an seiner Vision eines von der Politik unabhängigen öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Formal ist das bereits beschlossene Sache. Das ukrainische Parlament verabschiedete 2014 und 2015 Gesetze, die eine schrittweise Neugründung der «Nationalen Fernsehgesellschaft der Ukraine» (NTKU) als «Nationale Gesellschaftliche Fernsehgesellschaft der Ukraine» (NSTU) vorsieht. Nicht nur, dass die Möglichkeiten von politischer Einflussnahme weiter reduziert werden sollen, im Vordergrund steht «Public Value» nach dem Vorbild westeuropäischer Fernsehanstalten. Einige diesbezügliche Akzente wurden bereits gesetzt, etwa einer Sendung über lokale Volksmusik oder einer Porträtreihe über ukrainische Binnenflüchtlinge, die dank US-amerikanischer Subventionen möglich wurde. «Unsere strategische Aufgabe ist es, dass die Menschen verstehen, dass man mit einander reden und Kompromisse suchen soll. Und nicht – wie es derzeit auf allen ukrainischen Sendern passiert – einander anschreit und emotional fertig macht», sagt er.