von Nick Lüthi

Die Alte Tante und ihre neuen deutschen Freunde

Die Neue Zürcher Zeitung kommt auch im Ausland gut an. Ein Drittel aller Zugriffe auf NZZ.ch stammt aus dem deutschsprachigen Ausland, von den Facebook-Fans stammt sogar die Mehrheit aus Deutschland. Doch mit ihnen lässt sich kein Geld verdienen. Auch im Ausland zählen nur verkaufte Abos.

Der Niedergang schien unaufhaltsam. Vor sechs Jahren beklagte die langjährige NZZ-Autorin Daniele Muscionico in der «Zeit» den grassierenden Bedeutungsverlust der NZZ als Weltblatt. Als Beleg dafür nannte sie die Ausdünnung des Angebots fürs Ausland: «Die internationale Ausgabe ist heute oft bloss 24 Seiten dünn.» Der damalige Chefredaktor Markus Spillmann bestätigte die Bedenken: «Das macht mir Sorge und ärgert mich.» Doch das Management um den damaligen CEO Albert Stäheli hielt am Sparauftrag fest. Eine Digitalstrategie fürs Ausland – man schrieb immerhin 2010 – stand damals nicht ernsthaft zur Debatte. Zwar wälzte man damals durchaus spannende Gedanken. Etwa einen deutschsprachigen Ableger des Nachrichtenportals Quartz in Berlin zu gründen – «powered by NZZ». Aber es blieb bei der Idee und einem folgenlos gebliebenen Besuch des NZZ-Managements am Quartz-Hauptsitz in New York.

Heute steht die NZZ im Ausland so stark da wie noch nie, besonders in Deutschland. Die Reichweite wächst und wächst. Gemäss Net-Metrix stammen heute bis zu 35 Prozent der Besuche auf NZZ.ch nicht aus der Schweiz, der Grossteil davon aus Deutschland. Bei Social-Media sehen die Zahlen noch eindeutiger aus: Von den gut 110’000 Facebook-Fans stammen 40’000 nachweislich aus Deutschland. Schweizer «Fans» zählt die NZZ dagegen nur 37’000.

Dass die NZZ ihr Auslandgeschäft forcieren würde, machte Veit Dengler seit seinem Antritt als CEO vor knapp drei Jahren klar. Er sieht darin eine zwingende Notwendigkeit: «Wenn Sie einen grossen Apparat haben, der Inhalte in deutscher Sprache produziert, dann sollte man die auch im ganzen Sprachraum verkaufen», erklärte der NZZ-CEO bereits vor zwei Jahren. Gleichzeitig warnte Dengler vor überstürztem Handeln. Entsprechend vorsichtig ging die Unternehmensleitung die Auslandexpansion an.

Einen Versuchsballon liess sie Anfang 2015 in Wien steigen mit der Gründung eines kostenpflichtigen Boutique-Angebots. Doch NZZ.at entwickelt sich nicht ganz so erspriesslich wie man sich das wohl erhofft hatte. Nach einem Jahr folgte bereits eine grössere Entlassungsrunde und die Redaktion wurde enger ans Stammhaus in Zürich gebunden. Es überraschte darum wenig, wenn das Experiment mittelfristig beendet würde. Dass auf NZZ.at ein NZZ.de folgt, ist darum wenig wahrscheinlich. Aber in der NZZ-Unternehmensleitung hält man es heute nicht für zwingend, im Ausland mit einem eigenständigen Produkten anzutreten. Ein verstärktes Engagement in Deutschland kann auch über bestehende Plattformen erfolgen, an erster Stelle mit NZZ.ch.

Chefredaktor Eric Gujer sieht sein Blatt gewappnet für den Grenzübertritt: «Es gibt in Deutschland eine Lücke für eine Stimme, die so deutlich für die Rechte des Individuums eintritt, wie wir das tun.» Eine Einschätzung, die auch die Verlagsseite teilt. Steven Neubauer, Leiter NZZ Medien, sieht das Angebot der NZZ gegenwärtig nahezu konkurrenzlos in Deutschland. Die politisch Verwerfungen haben dort Klima geschaffen, auf dem das publizistische Angebot aus der Schweiz gut gedeihen kann. Das zeigen nicht nur die steigenden Nutzerzahlen aus Deutschland. Auch in den Leserkommentaren auf der Website und bei Facebook liest man lobenden Worte für eine Berichterstattung, die sich so in deutschen Medien nicht mehr finde.

Vom Vorwurf der «Lügenpresse» bleibt die NZZ verschont: «Die NZZ hebt sich zumindest derzeit von dem penetranten Einheitsgesülze der deutschen Medien ab», kommentierte jüngst ein Leser unter einem Text des Journalisten und Historikers Joachim Rieker über «Die Risiken der Willkommenskultur». Der Text entwickelte sich zum Publikumsmagneten. Am 26. Juli wurde er von allen NZZ-Artikeln dieses Tages am meisten gelesen, geteilt und kommentiert. Ganz von selber geschieht das nicht. Die Redaktion hilft jeweils etwas nach. «Wir posten viele Artikel zur Deutschen Politik – und sehr konsequent die Debattenbeiträge von Deutschen Autoren», beschreibt die Social-Media-Redaktion ihre Arbeit. Solche Texte werden länger auf der Startseite gehalten und über alle Social-Media-Kanäle prominent verteilt. Haben sie erst einmal eine kritische Publikumsmasse erreicht, entwickeln sie sich zu Selbstläufern.

Das war auch der Fall bei einem Beitrag von Hans-Hermann Tiedje im letzten Herbst. Der frühere «Bild»-Chefredaktor (1989–1992) und spätere Kohl-Berater schreibt seit sieben Jahren für die NZZ – und seit sieben Jahren sehnt er sich in seinen Kommentaren das Ende der Regierung Merkel herbei. Politisch bisher erfolglos. Dafür mit umso grösserem Publikumserfolg. Tiedjes vorläufig letzte Vision einer «Merkeldämmerung» avancierte 2015 zum meistgeklickten Artikel auf NZZ.ch.

Die NZZ macht sich daran, den Deutschen Markt zu erschliessen. Mit seiner Refokussierung auf einen Liberalismus ohne erklärende Etiketten trifft NZZ-Chefredaktor Eric Gujer in Deutschland offenbar den rechten Zeitgeist. Auch wenn beileibe nicht alle deutschen Leserinnen und Leser die politische Haltung der Merkel-, Islam- und einwanderungskritischen NZZ-Gastautoren teilen, so gibt es unter ihnen eine mitteilungsfreudige Minderheit, welche die Essays und Kommentare als Bestätigungsprosa liest.

Die Wochenzeitung WOZ sieht bereits, wie die «AfD in der Fankurve applaudiert» und beschreibt damit die Reaktionen auf den Essay «Kritik ist keine Hetze» von Cora Stephan. Mit einem Satz habe sich die Autorin «endgültig zur Galionsfigur der Rechten» gemacht, befand die WOZ. So schrieb Stephan, «wer den ‹Kampf gegen Rechts› für wichtiger hält als den Kampf gegen den islamisch inspirierten Terrorismus, hat entweder einen gewaltigen Knick in der Optik oder lebt im vergangenen Jahrhundert.» Ein Zitat, das – versehen mit dem Logo der NZZ – umgehend auf den Plattformen und Kanälen der AfD kursierte.

Die NZZ auf AfD-Kurs? Natürlich nicht. Dagegen spricht allein schon die Tatsache, dass die Autoren, die nun vermehrt Aufmerksamkeit finden in rechten Kreisen, schon seit Jahren, teils Jahrzehnten, für die NZZ schreiben. Was aber neu ist: die Stephans, Tiedjes und Weedes haben eine treue Anhängerschaft gefunden, die sich auch gerne als solche zu erkennen gibt – die «Fankurve», von der die WOZ spricht.

Die NZZ richtet ihren Kurs natürlich nicht so opportunistisch aus, wie das nun scheinen könnte, nach dem Motto: Wir bringen, was die anderen nicht bringen. So einfach funktioniere die NZZ nicht, erklärt Unternehmenssprecherin Myriam Käser. Die Redaktion bewerte die Themen aus Schweizer Sicht. Käser verweist zudem auf das breite inhaltliche Spektrum der NZZ. «Das macht uns gerade attraktiv für viele deutsche Leserinnen und Leser, die sich für ein sehr breites Themenspektrum – von Kunst und Kultur über Aussenpolitik bis zu Schweizthemen – interessieren.» Allein auf das Anti-Merkel- und AfD-nahe Segment zu setzen, reicht nie als Strategie für einen kommerziellen Erfolg auf dem deutschen Markt.

Die Auslandexpansion bringt nur dann etwas, wenn die Zeitung zahlende Abonnenten generiert. Da besteht ein grosses Potenzial, wenn man es positiv sieht, oder eine ebenso grosses Versäumnis, wenn man bedenkt, dass die NZZ in Deutschland und Österreich heute nur gerade 2000 Digitalabos verkauft und dazu weiterhin 6000 gedruckte «Internationale Ausgaben» – mit bisher sinkender Tendenz. Vor zweieinhalb Jahren sprach NZZ-CEO Veit Dengler noch von 11’000 Auslandabos.

Mit einer gegenüber dem Schweizer Markt gegen unten angepassten Preisstruktur für Deutschland wäre schon einmal eine wichtige Voraussetzungen geschaffen für einen Markteintritt. 34 Euro pro Monat kostet der Zugriff auf das gesamte digitale Angebot von NZZ und NZZ.cc. Damit bewegt sich die Neue Zürcher Zeitung im Spektrum vergleichbarer Angebote der heimischen Mitbewerber im deutschen Markt. Lediglich «Die Welt» liegt mit 20 Euro pro Monat wesentlich tiefer. Die digitale Ausgabe der Süddeutschen Zeitung kostet 32 und jene der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 39 Euro monatlich. Einen viel tieferen Preis könnte die NZZ schon allein darum nicht verlangen in Deutschland, weil das gleiche Angebot in der Schweiz vier Franken mehr kostet. Eine grössere Differenz könnte heimische Abonnenten dazu verleiten, ihre Rechnung über eine Scheinadresse in Deutschland günstiger zu begleichen.

Nun müssten die potenziellen Abonnenten nur noch davon erfahren, dass die NZZ ihnen etwas verkaufen will. Bisher wurde dafür wenig getan. So sei die Neulancierung des E-Papers und der dazugehörigen Applikationen im letzten Mai im Ausland nicht speziell beworben worden, erklärt NZZ-Sprecherin Myriam Käser. Das folge vielleicht noch. An erster Stelle stünden die richtigen Inhalte für eine Wachstumsstrategie, betont dagegen Geschäftsführer Neubauer: «Um weiter zu wachsen», erklärt der Leiter von NZZ Medien, «müssen wir vermehrt Inhalte mit hoher Relevanz für deutsche Leser erstellen und auf den richtigen Kanälen zur Verfügung stellen.» Aus diesen Kontakten will die NZZ dann Abonnements generieren: «Die gestiegene Reichweite zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind», schliesst Neubauer.

Leserbeiträge

Alex Kuster 07. August 2016, 20:37

Lüthis Loblied (native advertising?) kann Kenner nicht überzeugen.

NZZ.at ist phänomenal gescheitert und wird auch nicht wiederauferstehen (was für Dengler im Grunde bereits das Aus bedeuten könnte).

In Deutschland entspricht die traditionelle Ausrichtung der NZZ am ehesten derjenigen des liberal-konservativen Wirtschafts- und Börsenblattes F.A.Z., dessen Auflage seit Jahren sogar noch steiler einbricht (und wegstirbt) als bei den meisten anderen deutschen Medien.

Der einzige Grund für die Zunahme der Online-Reichweite der NZZ in Deutschland ist die Anbiederung an den Diskurs der aufsteigenden AfD. Dies kann und will sich kaum ein deutsches Blatt leisten. Die NZZ tritt hier faktisch als eine schweizerische „Junge Freiheit“ auf.

Dies gilt jedoch nur für innenpolitische Themen, insbesondere für die Anti-Immigrations- und Anti-Merkel-Stimmungsmache. Bei aussenpolitischen Themen ist die NZZ einerseits nicht relevant, andererseits kommt ihre lächerliche USA-Hörigkeit gerade beim AfD-Publikum ganz schlecht an. Die NZZ gilt diesbezüglich bereits als Musterbeispiel für ein Propagandablatt.

Dies ist einer der Gründe, warum nicht die NZZ als solche populär ist in Deutschland, sondern immer nur einzelne, besonders polemische Artikel. Übrigens setzt auch die Basler Zeitung zunehmend auf diese Karte, eben erst mit dem Artikel von Professor Tibi aus Göttingen, der auf vielen einschlägigen Portalen in Deutschland verlinkt wurde.

Eine solche „Strategie“ wird sich im völlig übersättigten Medienmarkt Deutschland aber nie und nimmer monetarisieren lassen. Es wird bei Facebook-Fans bleiben, die einmal pro Woche gratis einen Anti-Merkel-Artikel lesen und liken und in der AfD-Ortsgruppe teilen. Das war’s.

Vor allem aber könnte sich diese Ausrichtung noch rächen, und zwar in der Schweiz. Durch die Anbiederung an den polarisierten deutschen Diskurs dürfte die NZZ in ihrem Stammland zunehmend irritieren und weiter an Relevanz einbüssen. Schon jetzt fragt sich manch ein Leser, ob er eigentlich eine deutsche Zeitung abonniert habe…

Nick Lüthi 07. August 2016, 20:47

Was meinen Sie mit „Loblied“?

Thomas Läubli 25. August 2016, 21:26

Für mich ist ganz klar: Politpropaganda hat im Feuilleton nichts zu suchen. Das politisierte Feuilleton, wie es die neue rechtsgekaufte NZZ praktiziert, ist eine Peinlichkeit sondergleichen. Bald wird man fast täglich von Allrounder-Journalisten darüber belehrt, dass die Politische Korrektheit der sich liberal nennenden antiliberalen Rechtsbürgerlichen die beste in der besten aller möglichen Welten ist, während die Politische Korrektheit aller anderen abgrundtief böse ist. Wenn dann noch René Scheu von einer All-Diskriminierung spricht, nur weil er sich diskriminiert fühlt, wenn wir Clint Eastwood und Robert Redford nicht mögen, ist der Gipfel der Lächerlichkeit erreicht.

Dass die Fachjournalisten und damit der Kernauftrag des Feuilletons, die Kultur, gegenüber all dem mediokren Geschwätz zu kurz kommen, müsste die vom Verwaltungsrat installierte Leitung zuerst noch lernen. Es gibt nämlich noch andere Werte im Leben als der durchschaubare Ideologisierungs-Versuch von einem rechten Management.