War da mal was?
Die öffentliche Aufmerksamkeit ist flüchtig. Fünf Monate nach dem grossen Paukenschlag um die Publikation der sogenannten Panama Papers ist klar, dass auch dieses «Leak», wie schon seine Vorgänger «Offshore Leaks» und «Swiss Leaks», nach sehr kurzer Halbwertszeit ins Nirwana von «war da mal was?» verschwand. Wem hat die Übung genützt? Der Gerechtigkeit und der Aufdeckung ungeheuerlicher Straftaten offenbar nicht.
An Superlativen wurde nicht gespart. «Das bisher grösste Datenleck deckt schmutzige Geschäfte auf», «Blutiges Offshore-Geld im Syrien-Krieg», «Präsidenten und Premiers», 2,6 Terabyte Daten, 11,5 Millionen Dokumente, 214 488 Firmen, das gesamte Archiv einer panamaischen Kanzlei von 1977 bis 2015, das hatte die Welt noch nicht gesehen. Am 3. April veröffentlichten 109 Redaktionen in 76 Ländern erstmals Erkenntnisse aus der Auswertung der sogenannten Panama Papers.
Aber schon nach wenigen Tagen gähnte die Welt gelangweilt, weil sie nur wenige Bruchstücke zu sehen bekam. Beim «Tages-Anzeiger», in der Deutschschweiz zusammen mit der «SonntagsZeitung» führend im Ausschlachten dieses gestohlenen Datenschatzes, standen unter einem düsteren Foto des bösen Buben Putin und seiner «Geldspur in die Schweiz» schnell keine neuen «Enthüllungen» mehr. Dass der Whistleblower Bradley Birkenfeld im US-TV behauptete, die CIA stünde hinter den «Panama Papers», war dagegen noch eine grosse Meldung wert. Er tat das aber genau so beweisfrei wie der Verdachtsjournalismus der 376 internationalen Journalisten, die ein Jahr lang das Datenmeer durchpflügt hatten.
Darunter folgte die Randnotiz, dass die panamaische Staatsanwaltschaft die Büros von Mossack Fonseca durchsucht habe. Die «Kooperationsbereitschaft» dieser Kanzlei, der die Daten gestohlen wurden, lasse «Medienberichten zufolge zu wünschen übrig. Die Kanzlei widerspricht.» Das nennt man in Fachkreisen eine No-News, das schafft es höchstens als Verzweiflungstat in nachrichtenarmen Zeiten in die Medien.
Der ursprüngliche Empfänger des Datenraubs, die «Süddeutsche Zeitung», flüchtet sich unter dem Titel «Gestatten, Goldfinger», in Bond-Kitsch, da Firmennamen wie «Goldfinger», «Moonraker», «Spectre» und natürlich «Blofeld» verwendet wurden. Interessanterweise wurde dieser ursprüngliche Titel dann auf ein neutraleres «Agenten nutzten Panama-Firmen für CIA» heruntergenommen, der in der ursprünglichen Illustration unten liegende Geheimagent mit gezückter Waffe und gewisser Ähnlichkeit mit Daniel Craig wurde entfernt.
Die letzte grosse «Enthüllung» fand vor vielen Wochen statt; auch das IKRK sei fiktiv als «beneficial owner», also als Nutzniesser bei Briefkastenfirmen, eingesetzt worden. Natürlich ohne dessen Wissen und die Neutralität, Unabhängigkeit sowie den guten Ruf des IKRK gefährdend. Ohne das herunterspielen zu wollen: Das ist alles, was sich nach der ersten Welle aus den «Panama Papers» herausdestillieren liess? Wo sind die Tausende von Namen, Personen, Firmen, gerne auch aus Deutschland oder der Schweiz, denen illegales Handeln zumindest vorgeworfen werden könnte? Wo sind die Drogenkartelle, Blutgelder, die Finanzflüsse von geraubten Reichtümern? Hier ein Tropfen, dort ein Tropfen, aber kein Meer, nicht einmal ein Tümpel. Und selbst der ist inzwischen verdampft.
Von Argentinien bis Uruguay nahmen staatliche Behörden Untersuchungen auf, die aber bis heute in keinem einzigen Fall zu einer Strafanklage führten. Es gab Kollateralschäden, so trat der Chef von Transparency International Chile zurück, weil sein Name mit Briefkastenfirmen in Verbindung gebracht wurde. Dazu der isländische Premierminister und ein spanischer Minister. Wohlgemerkt ohne dass ihnen strafbare Handlungen nachgewiesen worden wären. Und Putins «Geldspur in die Schweiz» verlor sich ebenfalls im Nirgendwo. 11,5 Millionen Dokumente, rund 300’000 Firmenkonstrukte wurden «enttarnt». Im Endergebnis führte das zu wohlwollend geschätzten 1000 Untersuchungen weltweit. Das ist also in 0,3 Prozent aller Fälle Anlass für einen Anfangsverdacht auf illegale Tätigkeiten unter Verwendung einer Briefkastenfirma, die von Mossack Fonseca hergestellt wurde. Die panamaische Kanzlei selbst ist bis heute, wie in den 40 Jahren ihrer Existenz, kein Ziel einer Strafuntersuchung. Man kann also im Umkehrschluss sagen, dass es wohl kaum einen Bereich in der internationalen Finanzwelt gibt, in dem es so gesittet und gesetzestreu zu und her geht wie bei Offshore-Firmen.
Man könnte das alles leicht belustigt zur Kenntnis nehmen, wenn hier nicht dem Investigativjournalismus ein weiteres Mal schwerer Schaden zugefügt würde. Der zu Tode gesparte Wirtschaftsjournalismus rafft sich zu einer vermeintlichen Grosstat auf. Wenn’s denn stimmt, haben 376 Journalisten ein Jahr lang hauptamtlich einen Datenberg zu handlichen Stücken zermahlen, wurde von der US-NGO ICIJ das Know-how, die Software und Hardware zur Verfügung gestellt, um Big Data überhaupt bewirtschaftbar zu machen. Es wurden Diagramme erstellt, Daten verknüpft, Marker gesetzt, PDFs, Excel-Tabellen, E-Mails, Dokumente, Urkunden, Telefonprotokolle so aufbereitet, dass man sich in ihnen bewegen konnte, ohne zu ertrinken.
Aber selbst dahinter ist ein Fragezeichen zu setzen, da niemand weiss, ausser den beteiligten Journalisten, in welcher allenfalls aufbereiteter Form die 2,6 Terabyte von der anonymen Quelle zur Verfügung gestellt wurden. Es erscheint plausibel, dass sicherlich weder lastwagenweise Papier aus der panamaischen Kanzlei herausgeschafft wurde, noch in deren Archiv unbemerkt ein Scanner Überstunden machte. Aber da laut eigenen Aussagen der Eingeweihten der Datendieb (oder die Diebe) bis heute unbekannt ist, weiss auch niemand, ob und in welcher Form allenfalls eine Vorselektion der Daten stattfand. Oder ob sie bereits fingerfertig angeliefert wurden.
Also bleibt die Frage: Wer war das? Logik und Plausibilität gebieten, dass es doch sehr unglaubwürdig ist, dass eine kleine private Gruppe oder gar ein Einzelner mit nicht unbeachtlichem technischem Aufwand, in monatelanger Vorbereitungsarbeit und mit nicht unerheblichen Unkosten diesen elektronischen Einbruch verübte, auf eine Goldmine an Erpressungsmöglichkeiten stiess und das dann als «John Doe» aus moralischer Entrüstung ausgerechnet der «Süddeutschen Zeitung» gratis anbot. Aber wenn man nicht die Methoden dieser «Enthüllungsjournalisten» verwenden will, handelt es sich bei der Vermutung von Birkenfeld, wonach die CIA die Finger mit im Spiel hatte, um eine zwar plausible, aber völlig beweis- und indizienfreie Spekulation.
Die Kamera-Teams sind längst von dem Eingang der panamaischen Kanzlei abgezogen, weder die Beraubten noch die lokalen Strafverfolgungsbehörden haben bislang auch nur ein Fitzelchen einer neuen Erkenntnis geliefert, wer denn nun der Datendieb gewesen sein könnte. Die Journalisten der SZ halten ebenfalls dicht, wer sie denn als «John Doe» angefüttert hat. Perverserweise sind weder der Bestohlene noch die an der Ausbeute des Diebesguts beteiligten Medien an einer Fortsetzung der Story über die Panama Papers interessiert. Die letzte Medienmitteilung von Mossack Fonseca stammt vom 10. Mai 2016. Die letzte Meldung in der «Süddeutschen» vom 21. August. Die Finanzaufsicht des Bundesstaats New York habe einer taiwanesischen Bank eine Busse von 180 Millionen Dollar aufgebrummt, weil sie «verdächtige Konten» geführt habe, in «Zusammenarbeit mit der Kanzlei Mossack Fonseca».
Man kann sich ein leichtes Grinsen nicht verklemmen, dass ausgerechnet das grösste Geldwäschereiparadies und der grösste Hersteller von Briefkastenfirmen der Welt, die USA, mal wieder eine ausländische Bank zur Kasse bitten. Vielleicht ist das auch eine Strafe für Dummheit, denn hätte die taiwanesische Bank einen Briefkasten im US-Bundesstaat Delaware gewählt, hätte gar kein «Verdacht» entstehen können. Dort muss bekanntlich der «beneficial owner», also der eigentlich wirtschaftliche Berechtigte an einer Briefkastenfirma, gar nicht bekannt gegeben werden.
Was bleibt? «Much Ado About Nothing», möchte man mit Shakespeare sagen. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine Komödie, sondern um eine Farce, mit der sich wieder einmal der moderne Investigativjournalismus blamiert hat, unter Benützung von Raubgut haltlose Anschuldigungen in den Raum stellte. Allerorten wurden, wie bei den vorherigen «Leaks», Untersuchungen von nationalen Strafverfolgungsbehörden in wenigen Fällen eingeleitet. Wieder einmal führte keine einzige bislang zu einer Anklage, höchstens zu einer US-typischen Busse.
Nachdem das Feuerwerk «Panama Papers» abgebrannt ist und sich der Rauch verzogen hat, kann eine weitere Frage klarer beantwortet werden: Cui bono, wem nützt es? Der Gerechtigkeit und der Aufdeckung ungeheuerlicher Straftaten offenbar nicht. Aber es gibt auf der Welt sieben Finanzzentren, die sich um den möglichst grossen Anteil an der Lagerung und Verwaltung von Vermögen und Kapital balgen. Die Schweiz, Grossbritannien, USA, Panama, Karibik, Hongkong und Singapur. In dieser Reihenfolge. Es kann natürlich reiner Zufall sein, dass in kurzem Abstand das Bankgeheimnis des Kleinstaats Schweiz, das auch als Schutzwall für die Lagerung von unversteuerten Geldern diente, geknackt und die Position des Kleinstaats Panama als wichtiger Hersteller von Offshore-Konstrukten schwer beschädigt wurde. Während die wirklichen Big Player in diesen beiden Geschäften, die USA und Grossbritannien, sich über den Zufluss von Neugeschäften freuen können. Auf der anderen Seite geht es hier um einen dermassen lukrativen Markt, alleine bei den weltweit verwalteten privaten Kundenvermögen sprechen wir von rund 10 Billionen (10’000 Milliarden) US-Dollar, dass beim Kampf um grössere Marktanteile wohl nichts reiner Zufall ist.
Aber immerhin, Mossfon selbst und die zuständige panamaische Staatsanwaltschaft haben höchstes Interesse, den Straftäter ausfindig zu machen. Es ist allerdings die Frage, ob sie selbst über die nötige Technologie fürs Dingfestmachen des Datendiebs verfügen. Da könnte die NSA leicht aushelfen. Womit sich die Schlange allerdings möglicherweise in den Schwanz beissen würde.
Panama Joe 31. August 2016, 20:00
Die Panama Papers dürften eine klassische Geheimdienstoperation im Rahmen des globalen Finanz(platz)krieges gewesen sein. Unsere Qualitätsmedien agierten dabei wie immer als verlässliche Sprachrohre. Die oberen Etagen wussten das natürlich und machten gute Miene zum bösen Spiel, den einfachen Schreiberlingen und dem Publikum erklärte man, dies sei jetzt Investigativjournalismus, obwohl es damit natürlich rein gar nichts zu tun hatte, es wurde ja nur eine geleakte Datenbank aufbereitet (und dabei noch ein paar fiktive Zusammenhänge konstruiert). Deshalb interessieren die Konsequenzen auch niemanden, es ging ja nur um die Schockwirkung. Noch viel weniger interessieren unsere Qualitätsmedien aber die neueren Leaks zu Hillary und Soros. Denn dabei geht es nicht nur um das eigene Establishment, sondern vor allem auch um die Beeinflussung der Medien selbst. Tja und wie war das mit dem Journalisten der Huffington Post, der am Wochenende die Gesundheit von Hillary zur Sprache brachte? Artikel umgehend gelöscht und Autor gleichentags kommentar- und fristlos gefeuert. Ein hoch auf unsere freien Medien.
Christian Bütikofer 08. September 2016, 11:52
Die Panama-Papers haben sehr wohl eine langfristige Nachwirkung. Ich zum Beispiel konnte mit den Veröffentlichungen und der Datenbank eigene Recherchen zu Argentinien wiederholt verifizieren. Nur weil die Medien nicht mehr gross darüber berichten, sind die Daten überhaupt kein Schuss ins Leere.
Es gibt aber durchaus Fragwürdiges: So hätte Kollege Zeyer sich vielleicht fragen können, warum die argentinischen Medien ihr Wissen über die Offshore-Konten des neuen Präsidenten Macri bewusst auf nach die Wahlen zurückbehalten haben und der Investigativ-Verbund ICIJ dies auch noch tolerierte.
Auch was Zeyer da in die Luft reinbehauptet, es hätte keine Anklagen geben ist schlicht falsch: In Argentinien hat es sehr wohl eine Anklage gegeben und auch ein erneutes Rechtshilfegesuch in Bern betreffend Lazarogate. In den Dokumenten wird explizit auf neue Erkenntnisse aus den Panama-Papers verwiesen.