Warum machen die das?
Offensive und ungewöhnliche Werbeformate, wie jüngst die Ummantelung der NZZ-Frontseite, müssen dem zahlenden Kunden besser vermittelt werden. Für so mündig die Medien ihr Publikum auch halten mögen, so wenig weiss es über die Machart der Werbung.
Wer mit dem Zug fährt, braucht sich keine Gedanken zu machen, ob die Lok mit Gleichstrom oder mit Wechselstrom angetrieben wird. Dieses Unwissen tut dem Genuss der Transportdienstleistung keinen Abbruch. Anders bei Informationsdienstleistern zumal kommerziellen, die sich mit Werbung finanzieren. Fehlendes Wissen über den Antrieb der Medien kann zu nachhaltigen Missverständnissen oder gar herber Enttäuschung führen. Was nicht sein müsste, wenn die Medienunternehmen besser erklären würden, warum sie zu ungewöhnlichen und gewöhnungsbedürftigen Massnahmen greifen.
Dass das Publikum wenig versteht vom Zusammenspiel zwischen Werbung und Publizistik in den Medien, sei mit zwei nicht unbedingt repräsentativen, aber umso instruktiveren Beispielen illustriert:
- Mit einer Mischung aus Entdeckerfreude und Verblüffung erzählte er von einem tollen Artikel – «also richtig recherchiert» –, den er in diesem Filmheftli gelesen habe. Der Mann, ein frühpensionierter Naturwissenschaftler, vielfältig gesellschaftlich aktiv und kulturinteressiert, unter anderem als Stammgast beim Filmfestival Locarno, hat mehr als zwei Jahre gebraucht, bis er rein zufällig realisierte, dass es sich bei «Frame» um ein redaktionelles Angebot der NZZ handelt und nicht um eine weitere Werbebeilage, für die er das Magazin bisher gehalten und darum jeweils aus dem Sonntagsblatt herausgeschüttelt und ungelesen entsorgt hatte. Für ihn galt bisher die Gleichung: Hochglanz gleich Werbung. Wie hätte er es auch besser wissen sollen bei der sonntäglichen Beilagenflut?
- Ein anderer, etwas jüngerer Mann, um die 40, Berufsmusiker und Familienvater, stellte einmal entsetzt fest, dass nun auch die unabhängige, linke Wochenzeitung WOZ «gekauft» sei. Zu dem für ihn als treuer und überzeugter Abonnent enttäuschenden Schluss kam er, weil sich in ein und derselben Ausgabe ein Inserat fand von einem Unternehmen über das auch in einem Artikel berichtet wurde. Klarer Fall von Käuflichkeit, findet der Laie. Natürlich liesse such daran auch das Gegenteil ablesen. Denn nur wenn Verlag und Redaktion unabhängig voneinander arbeiten und nicht wissen, was der andere tut, kann es zu einer solchen Koinzidenz kommen. Aber wie soll das jemand wissen, der nur das Endprodukt sieht?
Der Vorwurf der Käuflichkeit stand auch jüngst im Raum als die NZZ erstmals die Front einer Tagesausgabe mit einer ganzseitigen Anzeige verhüllte. Als Beleg dafür zogen Kritiker die vorangegangene Berichterstattung heran über das Produkt, das dann prominent beworben wurde. Andere fragten sich, ob es der NZZ schon so schlecht geht, dass sie den wertvollsten redaktionellen Raum für Werbung hergeben muss. Kurz: Warum machen die das?
Antworten lieferten die Verantwortlichen in Fachmedien. Aber in ihrem eigene Blatt suchte man vergeblich nach einer Erklärung für das von manchen Lesern als störend bis Image-schädigend empfundene Inserat. Was bei redaktionellen Änderungen üblich ist, etwa der Hinweis auf neue Ressorts oder Rubriken, sollte genauso gelten für die kommerzielle Kommunikation. Ein Beipackzettel schafft die erforderliche Transparenz und vielleicht auch Verständnis für ungewöhnliche Massnahmen in ungewöhnlichen Zeiten.
Ob die NZZ bei künftigen Frontummantelungen und anderen grenzwertigen Werbeformen ihre Motivation öffentlich darlegen will, konnten oder wollten die Verantwortlichen nicht erklären und äusserten sich dazu nur off-the-record, zeigten sich der Idee gegenüber aber nicht abgeneigt.