Zensur ist nicht die Antwort
Seit der Trump-Wahl vernimmt man verstärkt die Forderung, die Verbreitung von erfundenen und bewusst irreführenden Meldungen («Fake News») zu unterbinden. Das ist weder zielführend, noch entspricht es der Vorstellung einer freien Gesellschaft. Informationsunterdrückung ist Zensur und kann sich auch gegen jene wenden, die heute meinen auf der «richtigen» Seite zu stehen.
Kürzlich haben die Feministin Franziska Schutzbach und der SP-Jungpolitiker Dimitri Rougy einen Beitrag zur Gewalt an Frauen veröffentlicht und ihn so aussehen lassen, als ob er von Constantin Seibt im Tages-Anzeiger geschrieben worden wäre. Der Artikel wurde rege geteilt. Genauso ein völlig anders gelagerter Beitrag ein paar Tage vorher, der dem umstrittenen SVP-Nationalrat Andreas Glarner einen Schiessbefehl unterstellte und sich danach als Fake herausstellte.
Diese Beispiele zeigen, dass nicht nur nur diejenigen, die Populisten wie Donald Trump wählen, Inhalte, die sie in den Social Media verbreiten, nicht genau prüfen, sondern offenbar auch diejenigen, die sich selbst zur reflektierenden Gruppe der Menschheit zählen. Es sieht so aus, als würden solche Beiträge nicht primär geteilt, weil sie als Wahrhaftig betrachtet werden, sondern vor allem weil sie geglaubt werden möchten. Man traute dem Rechtsaussen Glarner einen solchen Schiessbefehl zu und dem linken Autor Constantin Seibt einen Artikel zur Gewalt an Frauen – oder mindestens wünschte man sich, dass es so wäre.
Im Nachgang zur Wahl von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten wurden einige, auch gewichtige, Stimmen laut, die ein entschlossenes Vorgehen gegen diese so genannten Fake News verlangen. So hat Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich angeregt, neue Gesetze zur Regulierung der Social Media Plattformen zu entwickeln. Von verschiedenen Kommentatoren wurde gefordert, dass die Social-Media Plattformen solche Behauptungen bezüglich ihrem Wahrheitsgehalt bewerten sollen und gegebenenfalls gegen deren Verbreitung zu unterbinden, wie zum Beispiel in der Washington Post im Nachgang zur Trump-Wahl. Mit anderen Worten: Es soll eine Art Public-Private-Partnership in Sachen Zensur eingerichtet werden.
Wir sind in unserer so genannten freien und offenen Gesellschaft also in einer Welt angekommen, in der eine bestimmte Gruppe von Menschen, oder noch schlimmer, Algorithmen definieren können sollen, was als Wahrheit zu gelten hat.
Wer solche Zensur-Massnahmen fordert, geht davon aus, dass ein gewichtiger Teil der Menschen nicht selber entscheiden kann, ob sie eine beliebige Aussage als wahr oder als falsch beurteilen. Und dies mit der Begründung, dass sonst eventuell politischen Entscheidungen getroffen werden, die nicht wünschbar seien.
Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass es zwei Klassen von Menschen gibt. Die eine, die in der Lage ist, Wahrheit als solche zu erkennen und deswegen auch herrschen soll, und die andere, die das nicht kann. Mit einer solchen Vorstellung wird das Konzept der Menschenrechte, welches davon ausgeht, dass wir alle gleich sind, zu Grabe getragen.
Nach Zensur und Redeverboten zu verlangen, wenn einem etwas nicht in den Kram passt, ist einfach, aber gefährlich. Denn diese Zensurmassnahmen können sehr schnell auch gegen die eingesetzt werden, die sie ursprünglich eingefordert hatten.
Natürlich gibt es Fakten. Wenn ich behaupte, dass die Chinesen längst den Mond besiedelt hätten, entspricht das sehr wahrscheinlich nicht den Tatsachen. Doch so absurd meine Behauptungen auch sein mögen, ich sollte sie sagen dürfen. Nur so, indem ich meine Rede öffentlich mache, können ich und andere mit Argumenten konfrontiert werden, die diese Behauptung in Frage stellen. Ich sage damit nicht, dass es nach meinem persönlichen moralischen Kompass richtig ist, zu lügen, oder zu bullshitten, aber ich bin davon überzeugt, dass niemandes Lüge unterdrückt werden sollte.
Neben der Begründung, dass man die Lüge nur als solche entlarven kann, indem man ihr Gegenargumente entgegen hält, gibt es noch eine weitere ebenso wichtige: Es ist längst nicht immer so offensichtlich, was Wahrheit und was Lüge ist. Wenn die Atomlobby behauptet, dass es eine Stromlücke geben wird, wenn wir die Atomkraftwerke abstellen und aufgrund ihrer politischen Machtposition, verbieten könnte, dagegen zu argumentieren, wäre das wohl äusserst problematisch. Wir können in der Türkei oder in Russland beobachten, wohin es führt, wenn die Staatsmacht definieren kann, welche ‘Wahrheiten’ als solche zu gelten haben.
Eine Gesellschaft, in der eine bestimmte Gruppe von Menschen Aussagen mit der Behauptung sie seien faktenwidrig, unterdrücken kann, ist eine gefährliche Gesellschaft.
Es ist klar, dass wir auch der Redefreiheit Grenzen setzen müssen. Sie gilt nie absolut. Aber sie muss in weitaus grösserem Masse Geltung haben, als vielen offenbar lieb ist. Und vor allem muss eine Einschränkung der Redefreiheit vorsichtig abgewogen und immer im Einzelfall und kontextabhängig betrachtet werden. Diese Abwägung sollten wir auf keinen Fall privaten Unternehmen und Algorithmen überlassen, sondern wenn schon Richtern, die in einem sehr stark begrenzten Bereich, darüber entscheiden.
Der Umstand, dass mittlerweile alle Menschen mit Internet-Zugang ungefiltert am öffentlichen politischen Diskurs teilnehmen können, wenn sie möchten, mag einige neue und schwierige Herausforderungen für unser politisches Zusammenleben mit sich bringen.
Doch wenn wir grundsätzlich von der potentiellen Mündigkeit und Lernfähigkeit aller Menschen ausgehen, was wir müssen, wenn wir unsere Vorstellungen von Menschenrechten und Demokratie ernst nehmen, sollten wir etwas vorsichtiger und mit mehr Optimismus an die Sache herangehen.
Wir werden mit der Zeit lernen, mit solchen Formen der Kommunikation umzugehen. Forderungen nach Zensurmassnahmen sind völlig fehl am Platz. Noch nie hat das Unterdrücken von Informationen zu einer aufgeklärteren Gesellschaft geführt.
Was wir aber tun können ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir uns den Wahrheiten nur durch den Austausch von Argumenten nähern können und dass wir alle immer vom Grundsatz ausgehen müssen, dass wir auch falsch liegen können.
Das grösste Problem unserer Zeit sind nicht Fake News sondern die weit verbreitete Diskussionsverweigerung mit denjenigen, die eine andere Meinung vertreten als die eigene. Das gilt für Links und Rechts genauso. Ein weiteres Problem liegt darin, dass es einerseits akzeptiert ist, dass man im Namen der politischen ‘Interessendurchsetzung’ manipulieren und lügen darf und andererseits, dass wir immer noch keine Gesellschaft geschaffen haben, in welcher diese Manipulation nicht funktioniert.
Wir müssen also, auch nach bald 250 Jahren, weiterhin an den Zielen der Aufklärung arbeiten und dafür eintreten, dass die Menschen bereit sind ihren eigenen Verstand zu benutzen um in der öffentlichen Rede ehrlich und wohlwollend an den Diskussionen zu den politischen Fragen teilzunehmen. Ohne diese Grundlage, besteht für jede Demokratie die Gefahr, zum totalitären System zu werden.