Mehr als «Breaking News»: Unterschiedliche Erwartungen an Push-Meldungen
Push-Mitteilungen sind Eilmeldungen, lautet ein gängiges Missverständnis. In der Realität sind Breaking News nur einer von vielen möglichen Inhalten, auf die Redaktionen mittels Push-Mitteilung aufmerksam machen. Längst hat sich das Genre ausdifferenziert, wie die Autorin in ihrer Masterarbeit an der Leipzig School of Media aufgezeigt hat.
Push-Mitteilungen kommen so nahe an Menschen heran, wie keine andere journalistische Form. Wer nicht am Konkurrenzkampf in der Mitteilungszentrale des Smartphones teilnimmt, droht im Rennen um Nutzerzahlen ins Hintertreffen zu geraten. Entsprechend kontrovers wird darüber diskutiert, wie eine Push-Mitteilung auszusehen hat, die dem Leser einen Mehrwert bringt.
Am 19. Februar 2017 hiess es auf den Smartphone-Displays der «Blick»-Push-Abonnenten: «Staatsanwalt ermittelt: Wölfin im Wallis getötet». Kurze Zeit später pushte auch Tagesanzeiger: «Wolf im Wallis getötet: Staatsanwaltschaft leitet Untersuchung ein». Jan Flückiger, Bundeshausredaktor der NZZ, stellte daraufhin die Push-Würdigkeit der Wolfsmeldung öffentlich in Frage. Auf Twitter kommentierte er: «Warte sehnsüchtig auf Push-Meldung: ‚Fliege brutal in Privatwohnung erschlagen. Staatsanwalt leitet Untersuchung ein.’» – ein zugespitzter Hinweis darauf, dass seiner Meinung nach Belangloses gepusht wurde.
Die Relevanzschwelle für eine Push-Nachricht sei offensichtlich gesunken – doch es gäbe noch viel Dümmere. Warum? Flückiger stellt den Push in Frage, ohne eine wirkliche Begründung dafür zu haben: «Ist ein toter Wolf eine Push-Meldung wert? Ev. Ja. Aber die Eröffnung eines Strafverfahrens in der causa?».
Wieso der Push nun so «speziell dumm» sei, will Thomas Ley, Blattmacher vom «Blick», wissen und schaltet sich in die Diskussion ein. Seine Schlussfolgerung: «Tote, erst recht gewilderte Wölfe, sind für uns Storys. Wen das nicht interessiert, muss relevantere Konkurrenz lesen, bzw. deren Push-Dienste abonnieren.» So viel Konsumenten-Selbstverantwortung müsse sein. Ein Schlagabtausch, bei dem jeder seine Meinung kundtut, jedoch – so scheint es auf den ersten Blick – niemand wirklich begründen kann, was für ihn bzw. das Medium push-relevant ist.
Recherchiert man in Fachmedien oder Medienblogs (siehe Linkliste unten) entsteht ebenfalls schnell der Eindruck, bei Push-Mitteilungen gehe es vielfach lediglich um die Interessen der Absender und nicht um die Bedürfnisse der Nutzer. Diskutiert wird hauptsächlich über fehlende Relevanz und Push-Mitteilungen weit weg von Breaking-News-Situationen, über missglücktes Timing und falsche Frequenz. Es wird geschlussfolgert, dass grösstenteils ein klares Push-Konzept fehlt, und dass die Mitteilungen im Giesskannenprinzip verbreitet werden, um möglichst viel Aufmerksamkeit und Klicks zu generieren.
Klar wird zunächst: Die Nutzer müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass Push-Mitteilungen notwendigerweise Eilmeldungen sind – Push-Meldungen sind inzwischen ein relativ breites journalistisches Genre und in dieser Gemengelage Eilmeldungen nur eine mögliche Form.
Push-Meldungen als Mediengattung verstehen
Um als Nutzer zu verstehen, welche Überlegungen hinter der Auswahl von Push-Mitteilungen stehen, und dass die einzelnen Nachrichten eine eigene Form der Kommunikation sind und nicht lediglich ein Kanal für Breaking News, bedarf es Kenntnisse über die Vorgehensweise der Medien.
Eine Analyse aktuellen Situation in der Deutschschweiz bietet meine Studie «Der Nachrichtenwert von Push-Mitteilungen – und wie sie ausgewählt werden» mit der zentralen Fragestellung: «Wie unterscheidet sich die Kommunikation professioneller Schweizer Medien über Push-Mitteilungen?».
Im April 2016 habe ich im Rahmen der Studie Push-Mitteilungen der Schweizer Medien «20 Minuten», Blick Online, Bluewin, NZZ, SRF News, Tages-Anzeiger und «Watson» gesammelt. Insgesamt sind im Untersuchungszeitraum 731 Mitteilungen eingegangen: «Watson» hat mit 244 Nachrichten am meisten gepusht, gefolgt von Blick Online (134), Tages-Anzeiger (129), «20 Minuten» (81), Bluewin (77), SRF News (48), und NZZ (18).
Die Abweichung der Anzahl versendeter Push-Mitteilungen pro Medium lässt sich einerseits damit erklären, dass der Aufbau der Push-Dienste der untersuchten Medien sehr unterschiedlich ist: So bieten die Medien oft neben dem Haupt-Push-Kanal weitere, auf bestimmte Themen fokussierte Kanäle zur Auswahl an. In der Studie wurden aber nur Push-Mitteilungen der Haupt-Kanäle untersucht, was mutmasslich gerade bei der NZZ dazu führte, dass vergleichsweise wenige Push-Mitteilungen eingegangen sind.
Andererseits entscheidet die Strategie der Medienhäuser in Abhängigkeit der Nachrichtenlage, welche Nachrichten und demzufolge mit welcher Frequenz gepusht wird. Die in der Studie betrachteten Schweizer Medien verfügen über interne Leitlinien. Diese geben einen Rahmen vor hinsichtlich push-würdiger Themen bzw. Ereignissen und deren Eigenschaften, Zielen sowie der Organisation und Verantwortung innerhalb des Prozesses von der Auswahl über die sprachliche Gestaltung bis hin zum Versand von Push-Mitteilungen.
Checklisten existieren in der Regel keine, weshalb die verantwortlichen Redaktionsmitglieder situativ entscheiden, was innerhalb des definierten Bereichs in welcher Frequenz gepusht wird. Allen Medienhäusern gemein ist, dass sie ihr Publikum mit wichtigen und dringlichen Informationen versorgen oder mittels Service-Push-Mitteilungen auf wichtige Ereignisse oder Eigenrecherchen hinweisen. Nebst dem allgemeinen Informationszweck geben etwa «20 Minuten» und Blick Online explizit an, Aufmerksamkeit für das eigene Medium schaffen und das Publikum auf die App locken zu wollen. Bei SRF News, Tages-Anzeiger und NZZ steht laut Auskunft von verantwortlichen Personen daneben die Stärkung der User-Bindung sowie Schnelligkeit im Vordergrund.
Redaktionen pushen am Nutzer vorbei
Bei der Frage, welche Nachrichten journalistisch betrachtet tatsächlich push-relevant sind, gehen die Meinungen der Nutzer und Anbieter markant auseinander. Während die Nutzer zuhauf die fehlende Relevanz von Push-Mitteilungen kritisieren und glauben, die angestrebten Klickzahlen würden höher gewertet, als die tatsächliche Brisanz der Meldung, gehen Redaktionen in die entgegengesetzte Richtung: Sie lösen nicht nur für Breaking News eine Push-Nachricht aus, sondern weisen auch auf brisante Eigengeschichten oder anstehende Ereignisse hin.
==>Zahlen: Drei verschiedene Typen Push-Mitteilungen
Doch wie entsteht diese Diskrepanz? Die Ergebnisse der Studie widersprechen nämlich deutlich gängigen Hypothesen: Zwar sind Breaking News wie gezeigt nur ein Bestandteil des Genres «Push-Mitteilungen», machen jedoch immer noch einen Grossteil aller Nachrichten aus, nämlich 45,7 Prozent der 731 ausgewerteten Push-Nachrichten. Der Rest sind Softnews (68,8 Prozent), sowie der jeweiligen Strategien entsprechend Service-Push-Mitteilungen (9,2 Prozent) wie «Exklusiv! Charlie Hebdo zeichnet für BLICK die EM» (Blick Online), «Jetzt einschalten: El Clásico live im Stream und Ticker» (Bluewin), «Jetzt live: Die neue 50er-Note der Schweiz wird an einer Pressekonferenz in Bern enthüllt.» (Tages-Anzeiger) oder «Politische Krise in Kosovo: Der umstrittene Präsident Hashim Thaçi spricht exklusiv mit SRF.» (SRF News). Und Push-Mitteilungen mit Teaser-Charakter (23,1 Prozent), wie «Warum weinen Männer seltener als Frauen? 11 feucht-fröhliche Fakten zum Heulen.» (Watson), «Interview: Darum regen sich Transmenschen so über «Giacobbo/Müller» auf.» (Watson), «SP-Präsident Christian Levrat schäumt: ‚Herr Maurer, Sie sind nicht nur für die Reichen da’» (Blick) oder «Eine Marke verschwindet: Die Erklärung von Bern gibt sich einen neuen Namen.» (Tages-Anzeiger).
==>Zahlen: Breaking News in unterschiedlicher Dringlichkeit
Weiter lässt sich beobachten, dass bei Softnews, Push-Mitteilungen im Teaser-Charakter sowie bei Hinweisen auf exklusive Inhalte oder Ereignisse weiche Nachrichtenfaktoren wie Emotionen, Gewalt oder Kriminalität eine vernachlässigbare Rolle spielen. Dies ist erstaunlich, gerade weil Nutzer vielfach die fehlende Relevanz der Kurznachrichten beklagen und verdeutlicht das gängige Missverständnis, dass die Erwartungshaltung vieler Nutzer prägt. Es dominieren insgesamt Nachrichtenfaktoren wie politischer und wirtschaftlicher Einfluss, Prominenz, Personalisierung, Faktizität und Reichweite.
Zur Erforschung der Bedürfnisse der Leser sowie der Abläufe und Entscheide in den Redaktionen, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft allerdings unerlässlich. Doch die beiden Bereiche funktionieren nach unterschiedlicher Logik, was Ursache verschiedener Spannungsfelder ist. Insbesondere gestaltet sich die Kontaktaufnahme oft schwierig. Die Erfahrung aus der Studie zeigt beispielhaft auf: Einige Medien antworten auf Email gar nicht oder erst bei mehrfacher Nachfrage. Ob dies am fehlenden Interessen der Redaktionen an der Grundlagenforschung, an der unerkannten Relevanz des Themas oder an zeitlichen Gründen liegt, ist unklar. Auch das Herausgeben von Daten ist weitgehend unbeliebt. Die ausgewerteten Push-Mitteilungen von April 2016 mussten deshalb für die Studie eigenhändig mit dem Smartphone gesammelt werden. Fast keine Redaktion war bereit, ihre Meldungen gesammelt zur Verfügung zu stellen. Dies erschwert die Forschung zusätzlich, weil die Stichproben so unnötig verzerrt werden. Dabei wäre es gerade für den Erfolg des Mediums in der Mitteilungszentrale gut, das Genre «Push-Mitteilung» von Grund auf zu analysieren und mittels wissenschaftlicher Erkenntnissen weiterzuentwickeln.