barfi.ch: Basler Portal findet Nische mit News und Nostalgie
Aufs Alter hin wollte es der frühere Privatradiopionier Christian Heeb noch einmal wissen und gründete in Basel barfi.ch. In der sonst schon reich bestückten lokalen Medienlandschaft konnte das News-Portal sein Publikum finden, finanziell bleibt barfi.ch aber noch hinter den eigenen Erwartungen zurück. Ein Redaktionsbesuch.
Um 9 Uhr und zwar um 9.00, nicht um 9.02: Redaktionssitzung bei barfi.ch, in der Grossbasler Altstadt, 100 Meter Luftlinie entfernt vom namensgebenden Barfüsserplatz. Die Inneneinrichtung, inklusive dekorativer Tanksäule, erinnert mich an Startup-Industriehallen. Die Apple-Dichte, inklusive Smartwatch am Handgelenk des 64-jährigen Chefs, ebenfalls. Chefredaktor und Gründer Christian Heeb leitet die Sitzung. Der Werkstudent rapportiert von seinen ersten dreieinhalb Stunden Newsdesk-Betreuung. Binci Heeb, Christian Heebs Frau, die als Produzentin und Redaktorin bei barfi.ch beschäftigt ist, eröffnet mit einem beeindruckend detaillierten Gewaltritt durch die Tageszeitungen: bz Basel, BaZ, NZZ. Feinsäuberlich hat sie sich Themen, Details und Seitenzahlen von Hand notiert. Manches gibt sie einfach wieder, bei anderem fügt sie Ideen an, wo man mit einer zusätzlichen Geschichte nachziehen könnte. Ein Redaktor kommt erst um 9.05 und nimmt in der Ecke Platz. Christian Heeb drängt zur Eile.
Dann geht es der Reihe nach um: Wer verfolgt welche Themen? Wie weit fortgeschritten ist welche Geschichte? Nathan Leuenberger bringt drei Vorschläge für den «Sonntagsflug». Das wöchentliche Drohnenvideo ist ein festes und bei den Usern beliebtes Format auf barfi.ch. Chefredaktor Heeb entscheidet und er entscheidet sich für den Münsterplatz, aus Aktualitätsgründen, denn da sind Kunstwerke der Art Basel ausgestellt. Alle tragen Angebote vor; die Entscheidungen trifft der Chef, so verlaufen die Diskussionen während der Sitzung vor allem bilateral. Manche Mitarbeitende duzt Heeb, andere siezt er konsequent. Zum Ende der ersten von zwei täglichen Sitzungen des jungen Basler Nachrichtenportals berichtet Social-Media-Redaktorin Christine Staehelin: «Die BaZ hat die meisten Interactions auf Facebook bei internationalen Themen. Wir haben die Interactions von hier.» Danach zieht sich der Chef mit mir zum Zweiergespräch in sein Büro zurück, in zwei Minuten Gehdistanz von der Redaktion.
Ein national bekanntes Klischee ist die «Blocher-BaZ», die keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Basler Leserschaft nimmt. Ein in Basel bekanntes Klischee ist barfi.ch, das nichts anderes tut, als den Narzissmus der Einheimischen zu streicheln. Selbst in den Stellenausschreibungen von Barfi.ch drückt der Lokalchauvinismus durch, wenn es heisst: «Ein Arbeitsplatz mitten in Basel, der schönsten Stadt der Welt». Dem gegenüber steht eine «Basler Zeitung», deren Chefredaktor Markus Somm auch nach sieben Jahren noch von der Zürcher Goldküste nach Basel pendelt und gerne den Niedrgang der Stadt beklagt.
Christian Heeb sagt im Gespräch klar: «Wir setzen auf unseren Basel-Bezug. Ansonsten haben wir unser Publikum kaum definiert.» barfi.ch zielt auf alle in der Grossregion Basel – egal ob alt oder jung, Stadt oder Land. Das führt dazu, dass sich unter den fleissig Kommentierenden und Likenden viele ältere Menschen befinden. Vielleicht ist es eine Folge der vielen «Weisch no»-Geschichten über das Basel vergangener Zeiten oder die Service-Angebote, welche diese Klientel auf barfi.ch locken. Zu diesen Services gehört etwa der von Jörg Kachelmann mitentwickelte Wetterdienst oder die aktuellsten Infos zur Belegung in Parkhäusern. Das interessiert Autofahrende und Auto fährt der durchschnittliche Grosstadt-Digital-Native nun mal nicht. Ein Service-Portal war denn auch der Ursprungsgedanke von barfi.ch. «Wir haben aber schon vor der Lancierung gemerkt, dass wir viel mehr als ein Service-Portal sein können. Die bz Basel kam nicht voran, die BaZ schrumpfte konstant», erklärt Heeb.
So bietet barfi.ch heute blanke, selbst erarbeitete News, regionale, nationale und internationale Tickermeldungen, die erwähnten Service-Dienste, wiederkehrende Infotainment-Formate. Neben dem «Sonntagsflug», gehören noch die «Stadtansichten» dazu, ein episodischer Stadtrundgang mit dem Historiker Peter Habicht und «s’Mimpfeli», ein positives Videöli zum Wochenstart. In der Rubrik «Titelgeschichten» finden sich aktuelle Aufreger («Die längste Schlange der Stadt: Ist es dieses Eis wert?»), historische Storys («Rheinbord Zeitraffer») aber auch Interviews mit Figuren aus Politik und Kultur, vom Regierungsrat bis zum «Rettet Basel»-Aktivist Guy Krneta.
Weniger als zwei Jahre nach dem Start erreichte barfi.ch im März 2017 nach eigenen Angaben die Rekordmarke von 275’000 Unique Clients. Die Zahlen von barfi.ch werden aber – laut Heeb u.a. wegen dem «Preis-/Leistungsverhältnis» – nicht von Net-Metrix erhoben. Über 25’000 Menschen liken die Facebook-Seite mittlerweile. Das sind doppelt so viele Likes und ähnlich viele Unique Clients wie bei der Tageswoche, dem zweiten lokalen Medium mit Digitalfokus. Hartnäckig halten sich Gerüchte über gekaufte Likes. Der «Facebook Like Check» zeigt, dass 82.6% der Likes aus der Schweiz stammen und 6,1% aus Deutschland. Ein deutlicher Hinweis auf die Authentizität der virtuellen Sympathiebekundungen, wie mehrere von der MEDIENWOCHE befragte Experten bestätigen.
Bei der Lancierung sprach Heeb von einem achtköpfigen Team, das durch «namhafte Freie» ergänzt werde. Die meisten sind bereits wieder gegangen, einige aufgrund persönlicher Differenzen mit dem Chef. Mir gegenüber spricht Heeb von mittlerweile 1700 Stellenprozenten, die sich auf Festangestellte und Freie verteilen. Eine konkrete Anzahl Mitarbeitende will er aber trotz mehrfachem Nachfragen nicht nennen. Die Stellenprozente verteilen sich jedenfalls auf Studierende, die im Früh- und Spätdienst News-Meldungen auf die Plattform einspeisen, Redaktorinnen wie Christine Staehelin, die bei barfi.ch ihre erste Festanstellung gefunden hat, und auf erfahrene Journalisten wie Andy Strässle (ehemals u.a. SRF), Andreas Schwald (ehemals u.a. Tageswoche, Tele Basel) oder Christian Platz (ehemals u.a. «Basler Zeitung»).
Christian Heeb hat vor dem Start im Sommer 2015 versprochen, das «Niveau einer Bezahlzeitung» zu bieten. Mit dem aktuellen Personal wäre das durchaus möglich. Im Gespräch nennt Heeb aber die wirtschaftlich bedingten Grenzen von barfi.ch: «Uns fehlt das Geld für längere Recherchen. Wir versuchen möglichst schnell Basisinformationen zu verbreiten. In zwei Jahren hatten wir keine einzige Falschmeldung und mussten nur eine Gegendarstellung veröffentlichen.»
Beim Besuch auf der Redaktion sprechen alle noch vom da zwei Tage zurückliegenden Brand auf der Schwarzwaldbrücke. barfi.ch war dabei. «Eine einfachere Meldung gibt es nicht und die anderen machen sie nicht!», freut sich Heeb. Der Beitrag war der erfolgreichste überhaupt und die Konkurrenz musste auf barfi.ch Bezug nehmen. Die Tageswoche etwa hat den Brand nur als Linkempfehlung auf barfi.ch gebracht. Auch die BaZ bezieht sich regelmässig auf barfi.ch. Die Badische Zeitung hat mit freundlicher Genehmigung einmal sogar ein komplettes Interview übernommen. bz basel-Chefredaktor David Sieber weist darauf hin, dass sie barfi.ch bisher erst einmal zitiert haben, denn barfi.ch sei «an keinem Diskurs beteiligt», da harte Recherchen und politische Berichterstattung fehlten. Trotzdem nimmt Sieber das Newsportal als Bereicherung für den Medienplatz Basel wahr: «Seine Chancen liegen bei multimedialen Angeboten und schnellen Service-News. Die Grenzen sind der Markt, der lokal beschränkt ist.»
Gründer Christian Heeb ist als einstiger Privatradiopionier ein Medienmacher des analogen Zeitalters. Dementsprechend interessiert haben mich die nationalen und internationalen Online-Titel, die Heeb bei der Gründung von barfi.ch inspirierten. «Keine», antwortet Heeb mit dem für ihn typischen Selbstbewusstsein. Wohin sich barfi.ch bewegt, bestimmen Newsfaktor und Facebook-Performance. Thom Nagy, Digitalstratege der Tageswoche, gefragt nach seinem allgemeinen Eindruck von barfi.ch: «Es gibt eine Reihe Schweizer Medien, die sich allein den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie verschrieben haben. Das führt im Sinne einer informierten Öffentlichkeit nicht immer zu den besten Ergebnissen.» Abgesehen von Native Advertisings, die für Christian Heeb ein rotes Tuch sind, macht barfi.ch alles so, wie es die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie gebieten.
Barfi.ch bleibt dabei auch resistent gegen die Idealismus-Welle, welche die «Republik» Ende April losgetreten hat. Heeb argumentiert im Gespräch nie auf einer ideellen Ebene. Für ihn ist es auch nur von begrenzter Relevanz, ob News, Hintergrundtexte oder das «Mimpfeli» geklickt werden, denn den Werber interessiere das auch nicht. «Wir haben keine missionarische Botschaft», sagt er gegen Ende des Gesprächs.
Barfi.ch ist ein KMU – trotz Startup-Tanksäule als Deko und als solches ein auf Facebook ausgerichtetes, stromlinienförmiges Newsportal, das sowohl über Anschubkapital durch seinen Gründer verfügt hatte, als auch mittlerweile ein werberelevantes Publikum im Raum Basel gefunden hat. Im August 2016 hat Heeb den finanziellen Break Even für Februar 2017 angekündigt. Im Juni 2017 ist das Ziel noch nicht erreicht und Heeb gibt auch freimütig zu: «Ich kann Ihnen wenig über die Zukunft sagen.»
Damit barfi.ch langfristig tragfähig sein kann, brauche es Partner, die das Konzept in andere Schweizer Städte tragen, «so könnten wir gemeinsam nationale Werbung generieren.» Als ich frage, mit wem er im Gespräch sei, verweist Heeb auf den Papierstapel links neben ihm, das seien NDAs – Non Disclosure Agreements, vertraulich also. Ob barfi.ch wirtschaftlich bestehen kann, wird sich zeigen – nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie hat es jedenfalls Platz für das Service-News-KMU am Standort Basel.